MOZ » Jahrgang 1989 » Nummer 40
Csaba Székely
Zum Thema: Waffenexporte — Ja

Schlampige Verhältnisse

Die österreichische Öffentlichkeit wird in diesen Tagen medial mit Einzelheiten über Anklagen gegen ehemalige und aktive Manager des VOEST-ALPINE-Konzerns im Zusammenhang mit unerlaubten Waffenexporten in den Iran versorgt. Nebenbei dürfen auch Politiker dem zweifelhaften Vergnügen frönen, vor Gericht als Zeugen zu erscheinen. Es handelt sich hier zweifellos um eine äußerst öffentlichkeitswirksame Inszenierung, bei der die Diskussion in Oberflächlichem und Formalem steckenbleibt.

Über die strafrechtliche Seite der Waffenexporte haben ausschließlich die Gerichte zu befinden. Daß Verstöße gegen geltende Gesetze begangen worden sind, bedarf keines Kommentars oder beschwichtigenden Herumredens. Unterbelichtet blieb in der gesamten Diskussion allerdings der grundsätzliche Stellenwert eines waffenproduzierenden Sektors in der österreichischen Industrie und deren Zusammenhang mit Erfordernissen des österreichischen Bundesheeres.

Die derzeit laufenden Prozesse samt ihren unausbleiblichen publizistischen Begleiterscheinungen sind in Wirklichkeit Konsequenzen einer immer stärker gewordenen Diskrepanz zwischen praktischem wirtschaftlichen Tun und der theoretischen politischen Einschätzung des Bereichs Wehrtechnik. Worin besteht diese Diskrepanz konkret?

Auf Grund der Tatsache, daß sich Österreich im Zuge des Staatsvertrages zur bewaffneten Neutralität verpflichtet hat, besteht ein gewisser Bedarf an wehrtechnischen Produkten für die heimische Armee. Ein Land kann sich natürlich prinzipiell für oder gegen eine heimische Waffen- und Munitionsproduktion entscheiden. Eine Inlandsproduktion besitzt auf der einen Seite den Vorteil einer wirtschaftlichen und auch politischen Unabhängigkeit, vor allem auch im Krisenfall.

Auf der anderen Seite weist die heimische Waffen- und Munitionsproduktion den entscheidenden Nachteil auf, daß die inländischen wehrtechnischen Unternehmen mit Aufträgen einer Armee in der Größe des heimischen Bundesheeres bei weitem nicht ausgelastet werden können. Daraus ergibt sich zwangsläufig das Problem des Waffenexports.

Diese an sich eindimensionale Problemstellung scheint in der politischen Diskussion der vergangenen Jahre entweder verdrängt oder widersprüchlich behandelt worden zu sein. Die Beurteilung von Waffenexporten reduziert sich letztlich auf die Entscheidungsfrage: Was ist uns wichtiger? Wollen wir eine Armee, die beim Nachschub auf bestimmten Gebieten vom Ausland unabhängig ist und nehmen hiebei als Kehrseite die Notwendigkeit von Waffenexporten in Kauf? Oder wollen wir unter allen Umständen das Problem mit Waffenexporten vermeiden und nehmen umgekehrt die Auslandsabhängigkeit des heimischen Heeres zur Kenntnis?

An diese Entscheidungsfragen knüpft sich die Zusatzbemerkung, daß alle Märkte auf der Welt die tückische Eigenschaft besitzen, die Waren dort anzubieten, wo sie benötigt werden. Die Wahrscheinlichkeit, daß Tiroler Schützenkompanien zur Traditionspflege GHN 45-Kanonen ankaufen oder die Schweizergardisten den Papst im Vatikan mit schweren Granatwerfern verteidigen werden, ist naturgemäß eher gering. Kein End-User-Zertifikat der Welt bewahrt einen Exporteur vor der Gefahr, daß Waffen über irgendwelche Kanäle in jene Gegenden der Welt gelangen, wo sie in bewaffneten Konflikten brutal eingesetzt werden. Jeder Waffenexporteur muß sich dessen bewußt sein, daß die Berufung auf ein solches Zertifikat im Grunde genommen höchstens den Charakter einer Beruhigungspille für eigene moralische Zweifel besitzt. Jeder — gleichgültig, ob juristische oder physische Person —, der Waffen erzeugt und exportiert, muß sich mit der Tatsache vertraut machen, daß die Waffen, die er verkauft, auch eingesetzt werden.

In Österreich hat man sich, allerdings nur mit scheinbarem Erfolg, an diesem Sachverhalt konsequent vorbeigelogen. Auf der einen Seite wurde vornehmlich die verstaatlichte Industrie am Einstieg und Ausbau des wehrtechnischen Sektors von politischer Seite nicht gehindert, wobei auch Produktionen toleriert wurden, die für das heimische Heer nicht verwendbar und daher ausschließlich exportbestimmt waren.

Gleichzeitig bestand in der politischen Willensbildung andererseits die Tendenz, Kritikern der Rüstungsindustrie und insbesondere der Waffenexporte in der öffentlichen Diskussion Rechnung zu tragen, indem gesetzliche Bestimmungen für die Ausfuhr von Kriegsmaterialien partiell verschärft wurden.

Diese krampfhafte Doppelstrategie manövrierte den Staat zwangsläufig in eine schizophrene Haltung: Dem Ertragsdruck der verstaatlichten Industrie nachgebend, tolerierte der Staat als Eigentümer Expansionsbestrebungen im Wehrtechnikbereich, während derselbe Staat als Normsetzer gleichzeitig den Export der von ihm selbst tolerierten Güter einschränkte.

Eine solche Konstellation, eine Mischung aus Widersprüchlichkeit, Schlamperei und Entscheidungsscheu, mußte irgendwann im wahrsten Sinne des Wortes mit Bomben und Granaten schiefgehen.

Nach dem Auffliegen der Affäre Noricum/Hirtenberger versuchte die Republik, einen Teil dieser Widersprüche dadurch zu beseitigen, daß dem verstaatlichten ÖIAG-Konzern nahegelegt wurde, sich vom Bereich Wehrtechnik zu trennen. Kürzlich ist der Verkauf der Hirtenberger AG an einen österreichischen Privatindustriellen beschlossen worden. Verkaufsgespräche um die Firma Noricum sind seit einem Jahr im Gange. Durch diese Maßnahmen löst sich der Staat aus der Eigentümerrolle und erspart sich wenigstens in der Zukunft den unangenehmen Vorwurf, Rüstungsexporte gleichzeitig zu forçieren und zu behindern. Damit ist ein wichtiger Schritt gesetzt worden, einen klaren Standpunkt zu formulieren.

In Zukunft darf man wenigstens dem Staat diesbezüglich keine Vorhaltungen mehr machen; diese Rolle fällt jetzt Privaten zu. Dennoch wird es uns auf die Dauer nicht erspart bleiben, in Österreich eine umfassende Klärung der Frage, ob Walffenexporte zu bejahen sind oder nicht, herbeizuführen. Die Untersuchung zwischen „anständigen“ und „unanständigen“ Exporten wird sich letztlich immer wieder als haarspalterische Selbsttäuschung herausstellen.

Der Autor ist Pressesprecher des Bundesministeriums für öffentliche Wirtschaft und Verkehr. Der Kommentar stellt seine persönliche Meinung zu diesem Thema dar.

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Erstveröffentlichung im FORVM:
April
1989
, Seite 72
Autor/inn/en:

Csaba Székely: Pressesprecher des Bundesministeriums für öffentliche Wirtschaft und Verkehr.

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