MOZ » Jahrgang 1990 » Nummer 50
Erica Fischer

Radikal angepaßt

Kohl, Augstein und Schönhuber haben recht: Die freudige Bereitschaft, mit der die Menschen Osteuropas mit fliegenden Fahnen und ohne Rücksicht auf Verluste ins kapitalistische Lager überwechseln, sagt viel aus über die Qualität des Lebens im „realen Sozialismus“. Für die Restlinken in der BRD liegt die Verantwortung für das lautstark beklatschte Scheitern des „Sozialismus“ einzig und allein bei dem sich imperialistisch gebärdenden Kapitalismus. Die in die Konsumtempel jenseits der Grenzen strömenden Massen sind in ihren Augen Verführte, wenn nicht gar faschismusanfällig.

Nachdenken über die eigene Politik und Analyse, die sich ja nicht grundsätzlich von der SED-Politik unterschieden hat, ist — jetzt erst recht! — nicht angesagt. Daß starre Hierarchien, die gnadenlose Ausbeutung der Natur, die Mißachtung der alltäglichen Bedürfnisse der Menschen, die Unterordnung der einzelnen unter die Anforderungen einer abstrakt gefaßten Gesamtheit, das Denkverbot jenseits der allein seligmachenden Linie, die panische Angst vor dem Chaos der Vielfalt, daß all diese Ingredienzien, die auch dem Kapitalismus nicht fremd sind, sehr viel mit dem Patriarchat zu tun haben, ist ein Gedanke, der die zaghafte linke Sammlungsbewegung in der BRD zu keinerlei Perestroijka veranlaßt. Sie nennen sich „radikale Linke“ und sind doch ebensowenig radikal wie das „Neue Forum“ drüben, das sich nicht einmal zu einem Quotierungsbeschluß durchringen kann.

„Drüben“ verlangen sie, gewohnt, sich an Schienen entlang zu bewegen, bei den Diskussionen auf der Straße schon wieder nach der klaren Linie, einer anderen. Ungewißheit macht Angst, Denken in mehrere Richtungen zugleich, die Dialektik des sowohl als auch und des ja, aber ist anstrengend, „Deutschland, einig Vaterland“ dagegen einfacher, klarer, griffiger. Ich sehe es ihnen nach. Auch der Umgang mit Freiheit muß gelernt werden.

Bei uns aber im Westen, in Österreich zum Beispiel, gibt es Gedankenfreiheit angeblich seit 1945. Daß die Angst vor der Vielfalt des Denkens und Lebens aber hier um nichts geringer ist als bei den Brüdern und Schwestern im Osten, konnte ich mich anläßlich eines „Heimaturlaubs“ am 1. Februar vergewissern. Bei einer Podiumsdiskussion zum Erscheinen eines Buches über die österreichische Frauenbewegung diskutierten ‚alte‘ und ‚junge‘ Feministinnen über „Geschichte/n, Entwicklung und Perspektiven in frauenbewegten Zusammenhängen“. Der neusten Frauenszenerie unkundig, legte ich den langen Weg nach Wien zurück mit der vagen Hoffnung auf ein wirkliches Gespräch, auf eine Entkrampfung des Generationenkonflikts und auf die gemeinsame Einsicht, daß die Vielfalt des Frauenwiderstandes gebündelt — trotz Rollback — immer noch verändernd wirken kann.

Es kamen viele — zweihundert vielleicht, nicht weniger als beim zweiten Sammlungstreffen der radikalen Linken im Jänner in Köln. Doch nach drei Stunden gingen wir auseinander und hatten zueinander nicht mehr zu sagen, als daß wir viele gewesen waren. Doch „viele“ ist kein magisches Wort mehr. Frauen gemeinsam sind nicht mehr stark. Stark sind wir nur, wenn wir die Unterschiede zwischen uns erkennen, respektieren und wertschätzen. In dem Grüppchen, das die Stim hat, das Etikett „Bewegung“ zu usurpieren, sind die Frauen von solcher Frauenliebe weit entfernt. Weder fähig, sich zu bewegen noch sich bewegen zu lassen, hüten sie in Wien den Gral des Frauenzentrums und verwesen die Frauenbewegung.

Verwesungsgeruch stieg hoch aus der Debatte am 1. Februar über Autonomie und Institutionen, die in ihrer Abstraktheit an die sterilen Marx-Exegesen linker Männer erinnerte. Fassungslos mußten ‚alte‘ Feministinnen zur Kenntnis nehmen, daß die Auseinandersetzungen der siebziger Jahre 1990 immer noch geführt werden. Doch während es damals nötig war, die Autonomie vor den ideologischen Angriffen „organisierter“ Frauen und vor den Vereinnahmungsbestrebungen der Parteien inhaltlich zu verteidigen, geht es heute um die Erhaltung der Definitionsgewalt innerhalb des immer breiter werdenden Spektrums an Frauenkämpfen und Frauengedanken. Mit lebensfremden Reinheitsgeboten versucht ein Zirkel von Frauen im Wiener WUK alle feministischen Ansätze, die sich nicht in ihr vorgeblich radikales Konzept von Frauenkampf pressen lassen, niederzubeißen.

Von einer Radikalität im Wortsinn kann keine Rede sein. Um im Frauenzentrum und in der Lesbenbar radikal zu sein, bedarf es 1990 keines Mutes. Bei aller Bejahung selbstbestimmter Frauenräume, bedeutet die gebetmühlenartig wiederholte Behauptung, nur das Frauenghetto könne Hort von Radikalität sein, die kleinmütige Aufgabe jedes Anspruchs auf gesamtgesellschaftliche Veränderung, auf Eroberung und Übernahme von Räumen, die Mann für uns Frauen nicht vorgesehen hat. Und eine elitäre Frechheit allen Frauen gegenüber, die täglich darum ringen, an ihrem Arbeitsplatz, in ihrer Gewerkschaft, mit ihren Kindern und in ihrer Ehe Veränderungen zu bewirken. Das Konzept der Feierabendfeministin, die tagsüber angepaßt ihre Arbeit verrichtet, weil man eh nix ändern kann, um sich nach Dienstschluß die radikale Kappe überzuziehen, ist nichts anderes als Mitläufertum.

In der DDR waren, so will es heute scheinen, alle SED-Mitglieder „Dissidenten“. Natürlich nicht offen, wäre doch viel zu gefährlich gewesen. Und alle Mitläufer und Mittäterinnen nicken eilfertig im Takt.

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Erstveröffentlichung im FORVM:
März
1990
, Seite 53
Autor/inn/en:

Erica Fischer:

Freie Autorin, Buchübersetzerin (aus dem Englischen) und Journalistin in der Bundesrepublik Deutschland, seit Ende 1995 in Berlin.

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