Wir wußten es zwar nicht, aber es war so: Pop oder Politik?, das war die Frage, vor der wir 1976 gestanden sind. Mein Freund Wolfgang Frosch und ich. Eine kurze Zeit haben wir sie gemeinsam entschieden, wir spielten in einer Band mit dem gewürfelten Namen Aqot, wollten Popstars werden. Doch musikalisch fanden wir nicht zueinander, so sehr wir persönlich zueinander gefunden hatten. Sieben Jahre saßen wir im schwarzen Gymnasium in der Waldviertler Provinz in derselben Schulbank. Das verbindet.
Er, Sohn des Forstmeisters der Kinskyschen Güter in Heidenreichstein, ich dortselbst das Arbeiterkind (Vater Metall, Mutter Textil) — unsere Wege trennten sich an der eingangs gestellten Frage. Er hat sich für den Blues entschieden, konkreter für die Blues Pumpm, für die er nun bereits (von kurzen Unterbrechungen abgesehen) über zwanzig Jahre die Baßgitarre spielt. Ich hingegen landete in der roten Schülerzeitung, die in ihrer zugespitztesten Phase die Revolution und den Kommunismus verkündete. So hatte er den Blues, und ich die roten Fahnen.
Was im Nachhinein besonders interessant erscheint — und das ist mir erst in den letzten Jahren so richtig zu Bewußtsein gekommen —, ist das lange unreflektierte Verhältnis zur Musik. Sie wurde lediglich empfunden, nicht weiter bedacht. Pop, das war schon an sich eine oppositionelle Haltung. Während wir so manches hinterfragten und kritisierten, bei der uns vorgesetzten Rockmusik verblieben wir weitgehend unkritisch. Die Frage „Warum gefällt, was gefällt?“ ist mir jedenfalls nicht erinnerlich. Die soll hier teilweise nachgeholt werden.
Gerhard SCHEIT versucht in seiner kleinen Musikgeschichte des Fordismus den Zusammenhang zwischen der Durchsetzung der abstrakten Arbeit als universeller Kategorie und der Jazzkritik Adornos zu rekonstruieren. Er hebt hervor, daß hinsichtlich der musikalischen Form bei Jazz und Rock von keiner Weiterentwicklung gesprochen werden kann, diese verbleiben in „einem tonalen Rahmen, der im wesentlichen den harmonischen Spielregeln des Abendlandes (Tonika-Subdominante-Dominante) folgt“.
Roger BEHRENS plädiert für einen weiten Pop-Begriff und erläutert dessen Vielschichtigkeit. Pop, das ist nicht zufälliges Beiwerk, sondern prägender Bestandteil bürgerlicher Gesellschaftlichkeit: „Wer aber über den Kapitalismus schweigt, kann im Reden über den Pop seine Immanenzen kaum überschreiten.“ Er moniert ebenfalls die Primitivität der musikalischen Strukturen, bezeichnet die Popmusik als Ende der bürgerlichen Kunstmusik, kritisiert die heutige „Subversionsbeliebigkeit“, die weit davon entfernt ist Kulturkampf zu sein.
Auch für Regina BEHRENDT und Günther JACOB ist der Kapitalismus den Konsumenten nicht äußerlich: „Die popkulturelle Idee vom kapitalistischen Mißbrauch des Pop ist deshalb eine besonders einfältige Variante der Ideologiekritik“, schreiben sie. Ihr Verhältnis zum Erkenntnisobjekt fassen sie so: „Wie andere Gegenstände erschließt sich auch Pop nicht aus Ferndiagnosen und theoretischen Ableitungen. Jedes Urteil aus zu großer Distanz erweist sich schnell als unhaltbar. Wer sich mit dem Gegenstand nicht detailiert auseinandersetzt, endet bei einem Denken, das von jedem Phänomen weiß, wo es hingehört, und von keinem, was es ist. Eine rein transzendente, von ihrem Gegenstand unberührte Kritik muß als Etikettierung enden. Wer Pop kritisiert, muß ein Stück daran teilhaben, aber auch wieder Distanz herstellen.“
Gerold WALLNER beginnt seine Analyse, indem er über Kunst, Künstler und Kunstmarkt reflektiert. Er weist darauf hin, daß künstlerische Werke zwar über den Markt zirkuliert werden, aber ihr Tauschwert „nach den Regeln der politischen Ökonomie nicht festgelegt werden kann“. Bei ihm kommt unser Gegenstand am besten weg: „Pop hat mit den Ansprüchen wahrer, hehrer Kunst (mit E) genauso zu tun wie mit den Ansprüchen wahrer, bürgerlicher, industrieller Produktion (mit U). Pop ist also das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit.“
Franz SCHANDL wendet sich alsdann einem konkreten Fall zu: Madonna. Dem Faszinosum soll auf die Spur gekommen werden. Der Autor versucht die Kulturindustrie aus ihr und zu ihr zu entwickeln. Die exoterischen Phänomene werden nach verschiedenen Seiten hin dechiffriert und erläutert.
Gegen den allgemeinen Sprachgebrauch betont Julius MENDE das Klassenübergreifende der Kategorie Kitsch: „Kitsch ist die eingängigste, widerspruchsfreieste Form herrschender Kultur.“ Dieser ist überall zu Hause, er ist auch notwendig und nicht einfach negierbar, darf also keineswegs in obligater Hochnäsigkeit irgendwelchen unteren Schichten zugeordnet werden.
Franz Stephan PARTEDER, der Vorsitzende der KPÖ-Steiermark, ist in seinem vorigen Leben freier Mitarbeiter der nun schon fast legendären Radiosendung Music Box gewesen. Sein Artikel führt zurück ins Jahr 1968, das „vor allem ein sehr gutes Jahr für die Erinnerungsindustrie einer Bewegung ist“. „Wir, die wir alles hinterfragten, hier waren wir affirmativ. Unsere Illusionen über die Sprengkraft dieser Musik halfen uns damals nämlich in der Politik,“ bestätigt auch er. Sein feuilletonistisch und sehr persönlich gehaltener Aufsatz, garniert mit zwei Gedichten aus seiner Feder, rundet den Schwerpunkt ab.
Wozu es leider keinen Beitrag gibt, was aber unbedingt aufgearbeitet werden müßte, ist die substantielle Verwandtschaft von Pop und Populismus. Daß die sich nicht zufällig so ähnlich schreiben, müßte gerade in Zeiten, wo erfolgreiche Politiker sich immer mehr als Popstars gerieren, zu denken geben. Die Inszenierung des Jörg Haider oder auch des Tony Blair ist nicht vornehmlich eine altbekannte populistische, sie gehorcht weitgehend den modernen Gesetzlichkeiten des Pop. Darüber ein anderes Mal.
Es dürfte aufgefallen sein. Das theoretische Organ »Weg und Ziel« hat sich nicht nur inhaltlich erweitert und vertieft, sondern auch thematisch seinen Raum vergrößert. Wir haben dazugebaut. Theoriebildung wird nicht reduziert auf das sogenannte politische Feld, sondern geht weit über dessen unmittelbare Fragestellungen hinaus. Man denke etwa exemplarisch an die vergriffene Nummer über „Liebe, Sex & Sinnlichkeit“ (Nr. 2/1996), wo nur flehentliche Bitten und/ oder hohe Spenden unser Herz erweichen können, eines der Restexemplare rauszurücken.
Motto: Kein Thema kann zu minder oder zu abwegig sein, höchstens dessen Aufarbeitung. Schlichtweg und schließlich geht es um alles. Die Kombination aus Notwendigkeit, Möglichkeit und Wollen ergibt sodann die unterschiedlichsten Schwerpunktsetzungen. In diesem Sinn sind weitere Überraschungen nicht auszuschließen. »Weg und Ziel« ist wieder zu einem anspruchsvollen Magazin geworden. Seine Aufgabe besteht in nichts geringerem als darin, einen entscheidenden Beitrag zu leisten, den Kommunismus auf die Höhe seiner Zeit zu heben. Dazu wurde es ja auch geschaffen.