Wurzelwerk » Jahrgang 1982 » Wurzelwerk 16
Martin Jänicke

Perspektiven ökologisch orientierten Wirtschaftens

1. Merkmale der gegenwärtigen Strukturkrise

Spätestens seit Anfang der siebziger Jahre zeichnet sich eine Strukturkrise der entwickelten Industrieländer ab, deren Merkmale insbesondere die folgenden sind:

  1. Die hohe einzelwirtschaftliche Produktivität der führenden Wachstumsindustrien wird durch steigende externe Kosten tendenziell „aufgefressen“.
  2. Die extreme Abhängigkeit von nicht-regenerierbaren, knappen Rohstoffen ist zu einem krisenträchtigen Kosten- und Inflationsfaktor geworden.
  3. Das dieser Situation nicht angemessene Rationalisierungstempo — die beschleunigte Ersetzung des reichlich vorhandenen Faktors Arbeit durch den knappen Faktor Energie erhöht die Arbeitslosigkeit.
  4. Die Kosten dieser Entwicklung werden auf den Staat abgewälzt, der dadurch bei sinkenden Wachstumsraten einer systematischen Verschuldungstendenz unterliegt.
  5. Bei wachsender Weltmarktverflechtung und zunehmend prekärer Abhängigkeit von der erwirtschafteten „Steuerdividende“ tendiert der bürokratisierte Nationalstaat zur Nichtintervention in problemträchtige Entwicklungen; umso teurer sind die Maßnahmen seiner Strategie der Symptombekämpfung, mit der auch noch „Wachstumspolitik“ betrieben wird (Wachstum durch Umweltschutz, Krankenhausbau, Maßnahmen des Katastrophenschutzes USW.).

Insgesamt begünstigt die Unflexibilität einer multinational vermachten, überzentralisierten Industrie und die Interventionsschwäche des bürokratischen Nationalstaates eine Innovationskrise der Wirtschaft. Trotz wachsender Sozial- und Materialkosten beharrt das Gros der Industrien auf traditionellen Entwicklungslinien. Immer häufiger muß dieses prinzipiell quantitative Wachstum zudem unter Polizeischutz gestellt werden.

2. Vier „ökologische Modernisierungen“

Demgegenüber wäre zu fordern:

  1. eine ökologische Modernisierung der Industrie:
    Statt globaler Investitionshilfen und Beschäftigungsprogramme sollten Investitionen systematisch gefördert werden, die den Material- und Energieverbrauch senken. Dieser Typ von Rationalisierung ist (im Sinne Binswangers) eine Alternative zur Wegrationalisierung von Arbeitskräften, zumal dann, wenn der Faktor Arbeit auch steuerlich auf Kosten des Rohstoffverbrauchs entlastet wird. Mit den Kosten und der Imprtabhängigkeit sinkt hier aber auch der Transportbedarf. Ökologisch zahlt sich bei dieser ökonomischeren Produktionsweise insbesondere die Emissionsminderung aus. Recycling-Strategien sind in diesem Modell konsequent mitgedacht.
  2. eine ökologische Modernisierung des Energiesektors:
    Statt der energiepolitischen Aufrüstung in Form des angebotsorientierten Kraftwerksbaus sollte es zu einer energiepolitischen Umrüstung kommen, bei der die Energieverschwendung durch neue Technologien als Energiequelle genutzt wird.
    Unter Einbeziehung von Alternativ-Energien ergibt sich hier ein Beschäftigungspotential, das der Kraftwerkszubau nicht zu bieten hat. Auch hier kommt es zu einem ökonomisch-ökologischen Doppel-Nutzen: Verminderten Rohstoffen und höherer Beschäftigung stehen geringere Schadstoffemissionen gegenüber, ohne daß ein aufwendiger Umweltschutz (Stichwort: Symptombekämpfung) zu finanzieren wäre.
  3. eine Ökologische Modernisierung des Verkehrssektors:
    Das technologische Optimum des Benzinverbrauchs — wie auch der Lärmemissionen — ist längst nicht erreicht. Seine Durchsetzung hätte wichtige ökonomisch-ökologische Doppel-Nutzeffekte und würde volkswirtschaftlich Schadenskosten durch Lärm und Abgase senken. Die staatliche Förderung der Mobilitätsvorteile des Autos hat unwirtschaftliche Subventionen für den öffentlichen Verkehr zur Folge. Eine ökologisch orientierte Verkehrspolitik spart also Mittel ein, die beschäftigungspolitisch dem schienengebundenen Verkehr oder der Verkehrsberuhigung zugutekommen könnten.
  4. eine ökologische Modernisierung des Wohnungswesens:
    Der ökonomisch-ökologische Doppel-Nutzen allein der Wärmedämmung ist beträchtlich. Hier werden nicht nur die bodennahen Immissionen des Hausbrands entscheidend gesenkt; es entstehen Beschäftigungseffekte in der Größenordnung von 1 1/2 der Beschäftigten der Bundesrepublik Deutschland. Nicht zuletzt wird hier eine wesetnliche Inflationsquelle verstopft und verhindert, daß die Heizungskosten zur „zweiten Miete“ werden.

Ökologische Finanzquellen

Selbst bei der Finanzierung eines solchen Modernisierungsprogramms könnten ökologische Potentiale genutzt werden: Positive ökologische Nebeneffekte könnte es haben, wenn die öffentliche Verschwendung zur Finanzquelle des Staates umfunktioniert würde.

Eine Vielzahl pseudo-investiver Maßnahmen wäre hier ebenso zu nennen wie der Luxus einer immer steileren Einkommenspyramide im öffentlichen Dienst.

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Erstveröffentlichung im FORVM:
November
1982
, Seite 16
Autor/inn/en:

Martin Jänicke:

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