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Arbeitsgruppe Kritische Chemie

PCB’s — Sevesogifte auch in Österreich

Die Arbeitsgruppe Kritische Chemie informiert

In den ORF-Nachrichten am 22.4.1973 wurde u.a. folgende apa-Meldung bekannt gegeben: In der BRD sei eine Diskussion um die in Transformatoren enthaltenen polychlorierten Biphenyle (PCB’s) entbrannt. Diese PCB’s sind mit den „Sevesogiften“ verunreinigt. In Österreich würden PCB’s nicht verwendet.

Die Arbeitsgruppe Kritische Chemie sieht in solchen verharmlosenden Meldungen eine Irreführung der Öffentlichkeit.

Die Schlange von Seveso
Die WochenZeitung, Nr. 15, 15.4.83

Die polychlorierten Biphenyle werden seit etwa 40 Jahren als technische Produkte durch’ die Chlorierung von Biphenyl hergestellt und unter den Markennamen „Clophen“, „Phenoclor“, „Aroclor“, „Askarel“ usw. in den Handel gebracht.

PCB’s besitzen sehr günstige Eigenschaften in bezug auf thermische und chemische Stabilität. Sie werden deshalb als nicht brennbare Öle in Transformatoren, Kondensatoren, Farben, Weichmachern und Hydraulikölen verwendet. In Österreich gibt es — im Gegensatz zu anderen Industrienationen — keine Vorschrift, die die Verwendung von PCB’s einschränkt oder verbietet.

Nach einer Bestandesaufnahme der Firma Bayer Leverkusen und der Transformatoren-Union-AG in Nürnberg werden in der BRD derzeit etwa 60.000 PCB-gefüllte Transformatoren betrieben. In Österreich ist eine derartige Erhebung bisher nicht durchgeführt worden.

Bereits 1966, nachdem PCB’s weltweit in vielen Millionen Tonnen pro Jahr hergestellt worden waren, wurde darauf hingewiesen, daß nennenswerte Konzentrationen in Fischen und Vögeln meßbar seien. In der Folgezeit fand man PCB’s in vielen gängigen Nahrungsmitteln. Sie waren aus der Verpackung (weichmacherhaltiger Kunststoff) in die Ware hineindiffundiert. Auch im menschlichen Fettgewebe und in der Muttermilch wurden sie nachgewiesen.

PCB’s werden in der Natur nicht abgebaut, sondern reichern sich im Fettgewebe von Lebewesen sehr stark an (Sediment : Meeressäuger = 1 : 80 Millionen).

Man machte außerdem die Entdeckung, daß unter bestimmten Bedingungen durch Sauerstoff- oder Lichteinwirkung aus den PCB’s Stoffe entstehen können, die unter den Namen polychlorierte Dibenzofurane und polychlorierte Dibenzodioxine bekannt sind. Bereits beim Normalbetrieb von Askarel-Transformatoren bilden sich beträchtliche Konzentrationen dieser Ultragifte.

So bedenklich schon PCB’s in toxikologischer Hinsicht sind, die Oxidationsprodukte sind von ganz anderem Kaliber. Chemisch gesehen gehören sie in die gleiche Stoffgruppe wie das Sevesogift Dioxin. Diese Gifte bewirken in schweren Fällen tödliche Lebernekrosen, in weniger schweren Fällen irreversible Hautschädigungen (Chlorakne), d.h. offene Geschwüre, die kaum heilen und den Betroffenen entstellen können. Über nervenschädigende, krebserregende und Mißbildungen erzeugende Wirkungen ist ebenfalls berichtet worden. In Japan kam es 1968 zu einer Massenvergiftung (1200 Personen) durch PCB’s, die versehentlich aus einem lecken Wärmetauscher in einen Speiseöltank gelangt waren. 1982 fand der Prozeß um den Lebensmiittelskandal sein Ende: Die angeklagte Firma Kanegafuchi (Hersteller von PCB’s) und die Kaufhausgesellschaft Knemi wurden zur Zahlung von umgerechnet 168 Mio öS verurteilt.

Geradezu katastrophal können sich die Folgen eines Brandes auswirken. 1981 brach in einem 18-geschossigen Verwaltungsgebäude in Binghampton (New York) ein Feuer aus. Ursache war ein defekter Schalter am PCB-haltigen Transformator im Keller. Der Brand beschränkte sich zwar auf den Schalterschank, der Rauch breitete sich jedoch durch das Belüftungssystem im gesamten Gebäude aus. Der Brand selbst war von untergeordneter Bedeutung und schnell gelöscht. Nachdem die Analysenergebnisse von Rußproben vorlagen, wurden sämtliche Aufräumungsarbeiten sofort abgebrochen, die gesamte Ausrüstung und Bekleidung der Leute vernichtet und das Gebäude verschlossen und versiegelt. Es hatten sich die gefürchteten Ultragifte gebildet. Die örtlichen Behörden können auch jetzt noch nicht sagen, ob und wann es möglich sein wird, das Gebäude wieder zu betreten.

Größere Gebäude, wie Kaufhäuser, Bürohäuser oder Wohnsiedlungen haben stets ihre eigene Transformatoranlage. Auch bei uns können solche Gebäude in Brand geraten. Das Auftreten eines Ultragiftes wäre ein nicht beherrschbares Risiko. Zur Zeit existieren noch nicht einmal gesicherte Erkenntnisse darüber, wie die Feuerwehren diesen speziellen Gefahren zu begegnen hätten.

Die Arbeitsgruppe Kritische Chemie fordert daher:

— eine umfassende Bestandsaufnahme der PCB’s in Österreich;
— die objektive Aufklärung der Bevölkerung über die Gefährdung durch PCB’s;
— ein sofortiges Verbot dieser Stoffe in offenen Systemen (Weichmacher, Farben, Imprägniermittel, Fluoreszenzröhren usw.);
— einen Ersatz der PCB’s auch in geschlossenen Systemen durch gas- und luftgekühlte Transformatoren z.B. (wie bei Westinghouse bereits 1976 durchgeführt). Für sämtliche Anwendungsbereiche dieser gefährlichen Umweltgifte sind heute bereits Alternativen verfügbar;
— die Erarbeitung eines ökologisch verträglichen Entsorgungskonzeptes. Die PCB’s werden nur bei der kontrollierten Verbrennung über 1200°C vollständig zerstört. Die Entsorgungsbetriebe Simmering sind aufgrund fehlender Filteranlagen und mangelnder Qualifikation dazu nicht in der Lage. In den USA werden Sondermüllverbrennungsanlagen nur mehr genehmigt, wenn in der Abgasfahne weniger als 1 ppt (ein Milligramm pro Tonne) Dioxin enthalten ist;
— ein Umweltchemikaliengesetz, das u.a. den genannten Forderungen Rechnung trägt.

Für den Inhalt verantwortlich: Arbeitsgruppe Kritische Chemie, Tel: 73 39 502 (Hanswerner Mackwitz, Barbara Köszegi), 5601-4815, 4816 (Fachschaft Chemie der TU Wien)

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Erstveröffentlichung im FORVM:
Mai
1983
, Seite 11
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