MOZ » Jahrgang 1989 » Nummer 43
Heike Galley

Noch a Bier, Schatzi

Die jüngst erschienene Studie „Hinter den Kulissen“ beschreibt die Arbeitsbedingungen im Fremdenverkehr sowie deren Wirkungen.

Das gemütliche Beisl in dem Touristen-Nobelort Pörtschach am Wörthersee ist gesteckt voll. Mühsam bahnt die Bedienung sich ihren Weg durch die Enge, balanciert dabei Tablette voll mit „Krügerln“ und „G’spritzen“, in der einen Hand noch zwei Teller Suppe und einmal „Wiener Schnitzel“. Zurufe wie: „Noch zwei, bitte!“ oder „Bringst ma noch a Bier, Schatzi?!“ merkt sie sich im Vorbeihetzen. Für das „Bitte, gern“ und ein Lächeln nimmt sie sich dennoch Zeit, — das „Schatzi“ wird überhört.

„Freundlich muß man sein, sonst gibt’s kein Trinkgeld!“ meint sie.

Eine für unselbständige Beschäftigte im österreichischen Hotel- und Gastgewerbe typische Arbeitssituation: Hektik, Streß, totale Überlastung.

Eine wissenschaftliche Studie zum Thema, „Hinter den Kulissen“, nennt alarmierende Zahlen: 45% aller Lehrverhältnisse werden vorzeitig gelöst. Mehr als ein Drittel der Angestellten wechselt ihren Beruf vor Vollendung des 25. Lebensjahres. „Eine enorm hohe Fluktuation von Fachkräften“, so Erwin Niemitz, Vorsitzender der Gewerkschaft für Hotel und Gastgewerbe (HGPD).

Selbst Gewerkschaft und Arbeitsinspektorat sprechen angesichts der Fakten von „Ausbeutung der Arbeitnehmer“: wurden 1965 noch 25 MitarbeiterInnen pro 100 Gästebetten beschäftigt, waren es 1980 nur noch 18. Die Arbeitszeiten im Saisongeschäft erhöhen sich auf bis zu 80 Wochenstunden, während Ruhetage oder Pausen kaum mehr möglich sind. Schlechte, untertarifliche Entlohnung, nicht bezahlte Überstunden (bei 42% aller Lehrlinge), unterschlagene Urlaubsabfindungen runden das Bild ab.

„Der Unternehmer Motto: möglichst wenig und billiges Personal soll möglichst viel Arbeit bewältigen“, so Niemitz.

„Völlig übertrieben“, meint Jörg Kröll, Tiroler Hotelier und Interessensvertreter der Unternehmerseite bei den Verhandlungen um die Einführung der 5-Tagewoche im Hotel- und Gastgewerbe. „Die Angestellten wollen soviel arbeiten“, zeigt Kröll sich über die stillen Bedürfnisse seiner Leute wohlinformiert, „um während der Saison möglichst viel Verdienst rauszuholen.“

Lisa Fischer, Soziologin und Projektleiterin der Studie „Hinter den Kulissen“, entgegnet dem Manne: „Die Saisonarbeiter müssen möglichst viel Verdienst rausholen, um später die Zeit der Arbeitslosigkeit zu überbrücken. Während nämlich der Gesamtverdienst dank der hohen Trinkgelder noch akzeptabel erscheint, fällt die Arbeitslosenunterstützung gering aus, da Trinkgelder bei der Berechnung des Satzes nicht berücksichtigt werden.“

Die Arbeitslosigkeit teile das Leben eines Saisonarbeitnehmers, meint Fischer, „in zwei völlige Extreme auf.“ Josef K., Spitzenkoch eines Tiroler Saisonbetriebes, beschreibt das so: „Während der letzten 4 Monate habe ich wirklich jeden Tag von 8 bis 24 Uhr durchgearbeitet. Da bleibt keine Zeit für dich selbst. Wenn du dann arbeitslos bist, kommt dir die Zeit vor wie ein Warten auf die nächste Saison — völliger Leerlauf. Und dann mußt du alle zwei Wochen aufs Arbeitsamt, also — richtiger Urlaub ist auch nicht drin.“

Von den insgesamt 140.000 unselbständig Beschäftigten im Hotel- und Gastgewerbe wurden 1987 laut einer Studie 21.200 Personen als arbeitslos vorgemerkt, 67% davon waren Frauen.

Als eine der „schlimmsten Konsequenzen des saisonalen Lebensrhythmus“ bezeichnet Fischer die „soziale Isolation“ der Arbeitnehmer: „Vor allem Frauen haben es schwer, die Doppelbelastung ist für sie kaum erträglich. Die Fremdenverkehrsbranche weist eine der höchsten Scheidungsraten auf.“

„Eine auf Grund der Doppelbelastung Beruf-Familie bestehende Selbstbeschränkung führt dazu, daß 10,3% der Frauen ihre gegenwärtige Position ausreicht, jedoch kein Mann in der gegenwärtigen Position bleiben will.“

Die gehobenen Posten werden fast ausschließlich von Männern eingenommen, obwohl mehr als zwei Drittel der Beschäftigten im Hotel- und Gastgewerbe Frauen sind (statistisches Referat der Bundessektion Fremdenverkehr).

So beschäftigt z.B. der Chef eines Wiener Luxushotels nur Kellner im gediegenen schwarzen Anzug: „Da können’S doch ka Serviererin hinstellen!“ heißt es. Die sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz macht’s noch schwieriger: „Mehr als die Hälfte aller Arbeitnehmerinnen im Hotel- und Gastgewerbe berichten, von Männern unerwünscht am Busen oder Hintern ‚angetatscht‘ zu werden, und zwar nicht nur von den Gästen, sondern auch von Kollegen oder Vorgesetzten.“

Die frauenfeindliche Gesetzgebung läßt die Arbeitnehmerinnen auf einer schwachen Position zurück: wird sexuelle Belästigung als Kündigungsgrund angegeben, kommt das einer Selbstkündigung gleich, womit der Anspruch auf Abfertigung entfällt.

„Du bist viel mit Leuten zusammen, kommst viel herum, ich stell’s mir aufregend vor“ — Visionen eines angehenden Lehrmädchens.

Die am extremsten belasteten Gruppen: Frauen und Jugendliche.

Während sie als weibliche Beschäftigte mit den „frauentypischen Problemen“ zu kämpfen hat, wird sie als Lehrling mit ganz anderen Belastungen konfrontiert: „Die Jugendschutzbestimmungen werden von den Unternehmern im Fremdenverkehr schlichtweg ignoriert“, so Zeiss von der Gewerkschaft Hotel- und Gastgewerbe, Anlaufstelle für frustrierte Arbeitnehmer.

Ebenso eindrucksvolle Zahlen liefert das Arbeitsinspektorat: es gehörten zwar nur 12,5% der kontrollierten Betriebe Österreichs zum Hotel- und Gastgewerbe, trotzdem entfallen auf diese 40% aller Überschreitungen des Nachtarbeitsverbotes, 67% der Übertretungen der höchstzulässigen Arbeitszeit und 93% der Verletzungen von Sonn- und Feiertagsruhe.

Forderungen nach höheren Löhnen und einer 5-Tagewoche stoßen bei den Unternehmern auf taube Ohren: „Die Betriebe könnten das Mehr an Personalkosten nicht verkraften“, weiß Platzer zu berichten.

Als Interessensvertretung orientiert sich die Bundeswirtschaftskammer an Grenzbetrieben, allgemein wird der Fremdenverkehr jedoch als zukunftsträchtige Wachstumsbranche gesehen. Positive Konjunktur, ein Zuwachs an neueröffneten Betrieben, hohe Nächtigungszahlen das sind Stichworte, wie sie jüngst durch die heimische Presse gingen. Die Unternehmerseite bindet ihr Einverständnis zur 5-Tagewoche an „flankierende Maßnahmen“, welche die ohnehin benachteiligten Gruppen zu Kompensatoren für die anfallende Mehr-Arbeit machen würden. Sie fordern unter anderem eine „Erhöhung des Ausländerkontingentes“ — zum Zweck der Dreckarbeitverrichtung sowie als Arbeitskräftereservoir. Weiters soll die Lehrlingsarbeitszeit während des Sommers „bis auf die 23-Uhr Grenze verschoben“ werden — europaweit liegt sie bei 22 Uhr.

Der Ruf nach einer 5-Tagewoche besteht seit nunmehr 15 Jahren, seit 2 Jahren laufen die Verhandlungen, vor 3 Monaten wurden sie abgebrochen.

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Erstveröffentlichung im FORVM:
Juli
1989
, Seite 61
Autor/inn/en:

Heike Galley:

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