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NATO & WEU

Beistandspflicht

Artikel V, WEU-Vertrag (Brüsseler Vertrag) vom 23.10.1954:

Sollte einer der Hohen Vertragschließenden Teile das Ziel eines bewaffneten Angriffs in Europa werden, so werden ihm die anderen Hohen Vertragschließenden Teile im Einklang mit den Bestimmungen des Artikel 51 der Satzungen der Vereinten Nationen alle in ihrer Macht stehende militärische und sonstige Hilfe und Unterstützung leisten.

Artikel 5, NATO-Vertrag (Washingtoner Vertrag) vom 4.4.1949:

Die Parteien vereinbaren, daß ein bewaffneter Angriff gegen einen oder mehrere von ihnen in Europa oder Nordamerika als Angriff gegen sie alle angesehen wird; sie vereinbaren daher, daß im Falle eines solchen bewaffneten Angriffs jede von ihnen in Ausübung des Artikel 51 der Satzungen der Vereinten Nationen anerkannten Rechts der individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung der Partei oder den Parteien, die angegriffen werden, Beistand leistet, indem jede von ihnen unverzüglich für sich im Zusammenwirken mit den anderen Parteien die Maßnahmen, einschließlich der Anwendung von Waffengewalt, trifft, die sie für erforderlich erachtet, um die Sicherheit des nordatlantischen Gebietes wiederherzustellen und zu erhalten.Vor jedem bewaffneten Angriff und allen daraufhin getroffenen Gegenmaßnahmen ist unverzüglich dem Sicherheitsrat Mitteilung zu machen. Die Maßnahmen sind einzustellen, sobald der Sicherheitsrat diejenigen Schritte unternommen hat, die notwendig sind, um den internationalen Frieden und die internationale Sicherheit wiederherzustellen und zu erhalten.

UN-Satzungen: Peacekeeping vs. Peace Enforcement

Kapitel VI, Artikel 33 bis 38, der UN-Satzungen von 1945 bestimmt die „friedliche Regelung von Streitfällen“: „Die Parteien an irgendeinem Streitfall, dessen Fortdauer geeignet ist, die Aufrechterhaltung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit zu gefährden, sollen dessen Lösung zu finden versuchen vor allem durch Verhandlungen, Untersuchungen, Vermittlung, Vergleich, Schiedsspruch, gerichtliche Regelung, Anrufung regionaler Organe oder Abkommen oder durch andere friedliche Mittel eigener Wahl.“ (Art 33 Abs 1) Rechtsstreitigkeiten sind etwa „grundsätzlich dem Internationalen Gerichtshof“ in Den Haag „zu unterbreiten“ (Art 36 Abs 3).Kapitel VII, Artikel 39 bis 51 regelt die „Maßnahmen bei Bedrohungen des Friedens, bei Friedensbrüchen und Angriffshandlungen“. Für den Fall, daß die in Artikel 41 vorgesehenen Mittel wie Wirtschaftsembargo oder Abbruch der diplomatischen Beziehungen „nicht genügen oder sich als ungeeignet erwiesen haben“, sieht Artikel 42 militärische Maßnahmen vor: Der Sicherheitsrat kann „durch Luft- See- oder Landstreitkräfte die Operationen durchführen, die zur Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung des Weltfriedens und der internationalen Solidarität nötig sind. Solche Maßnahmen können Demonstrationen, Blockade und andere Operationen von Luft-, See- oder Landstreitkräften von Mitgliedern der Vereinten Nationen umfassen.“ Letztere umfassen explizit die „Anwendung von Waffengewalt“.
Artikel 51 regelt das Recht auf Selbstverteidigung, auf das sich auch die in NATO- und WEU-Vertrag festgeschriebene Beistandspflicht stützt: „Keine Bestimmung der vorliegenden Satzung beeinträchtigt das Naturrecht individueller oder kollektiver Selbstverteidigung, wenn ein Angriff mit Waffengewalt gegen ein Mitglied der Vereinten Nationen erfolgt, bis der Sicherheitsrat die zur Aufrechterhaltung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlichen Maßnahmen ergriffen hat. (...)“

Partnership for Peace (PfP)

Die PfP bietet den beteiligten Staaten die Möglichkeit, ihre Beziehungen zur NATO entsprechend ihrer eigenen Interessen und Fähigkeiten zu intensivieren. Offiziell heißt es im NATO-Papier: „Wir haben beschlossen, ein praktisches Sofortprogramm auf den Weg zu bringen, das die Beziehungen zwischen der NATO und Teilnehmerstaaten verändern wird. Dieses neue Programm geht über Dialog und Kooperation hinaus und begründet eine wirkliche Partnerschaft – eine Partnerschaft für den Frieden.“ Tatsächlich geht es im Programm der PfP vor allem darum, ein Testfeld für Interventionsübungen „out of area“ zu sein. Eingeladen zur Beteiligung wurden alle Staaten, die bereits im Nordatlantischen Kooperationsrat beteiligt waren, und andere OSZE-Staaten. Der PfP gehören inzwischen 42 Staaten an! Damit ist eine militärische Parallelstruktur zur NATO und WEU entstanden. Am 16. Jänner 1997 unterzeichneten Außenminister Schüssel und NATO-Generalsekretär Solana das gemeinsame Truppenstatut der NATO. Damit wurden die Regelungen für Übungen von NATO-Soldaten in Österreich und von österreichischen Soldaten mit NATO-Kollegen im Ausland geschaffen.

NATO-Kooperationsrat und Super-PfP

Der NATO-Kooperationsrat (NAKR) wurde 1991 gegründet, um die Zusammenarbeit zwischen der NATO und den ehemaligen Warschauer-Pakt-Staaten zu intensivieren. Ihm gehören derzeit 39 Länder an, darunter die 16 NATO-Mitglieder sowie die osteuropäischen StaatenDie geplante Super-PfP ist eine Strategie der NATO, Nichtmitgliedern eine engere militärische Zusammenarbeit im Rahmen der PfP anzubieten. Neben Österreich könnten sich alle 25 weiteren PfP-Staaten, darunter Rußland, an der „erweiterten Partnerschaft“ beteiligen. Die Allianz will damit jenen Staaten, die in der ersten Stufe der NATO-Erweiterung nicht dabei sind, etwas anbieten. Die „Super-PfP“ soll auch für neutrale Staaten akzeptabel sein, weil sie die unter Mitgliedstaaten geltende Beistandspflicht sowie ein Vetorecht nicht beinhalten wird. Jedoch sollen die Partner begrenzten Zugang zur militärischen Planung erhalten und auch bei gemeinsamen militärischen Aktionen teilnehmen können, die nicht nur der Wahrung, sondern auch der Wiederherstellung des Friedens (Peacemaking, Peace Enforcement) dienen sollen. Die vielfältigen Einbindungen und Verstrickungen in die NATO lassen sich somit in folgendem Schema darstellen:

  • NATO-Mitgliedschaft: Mit Beistandsverpflichtung und Vetorecht für die 16 Mitgliedstaaten.
  • NATO-PfP: derzeit 26 Staaten daran beteiligt; Zusammenarbeit von NATO mit Nicht-NATO-Staaten bei humanitären und friedenssichernden Operationen sowie bei Trainings.
  • Nordatlantischer Kooperationsrat (NAKR): politische Konsultation.
  • Super-PfP: Teilnahme auch an militärischen Peacemaking-Missionen und Einbindung in operative NATO-Kommandostruktur.

Petersberg-Erklärung

In der Petersberg-Erklärung vom Juni 1992 wurde im Abschnitt „Stärkung der operationellen Rolle der WEU“ festgelegt, daß militärische Einheiten der WEU-Mitgliedstaaten auch über die kollektiven Verteidigungsaufgaben des WEU- und des NATO-Vertrages hinaus eingesetzt werden können: „Die WEU-Mitgliedstaaten erklären sich bereit, militärische Einheiten des gesamten Spektrums ihrer konventionellen Streitkräfte für unter der Befehlsgewalt der WEU durchgeführte militärische Aufgaben zur Verfügung zu stellen. (...) Militärische Einheiten der WEU-Mitgliedstaaten, die unter der Befehlsgewalt der WEU eingesetzt werden, können neben ihrem Beitrag zur gemeinsamen Verteidigung in Übereinstimmung mit Artikel 5 des Washingtoner Vertrages bzw. Artikel V des geänderten Brüsseler Vertrages auch für folgende Zwecke eingesetzt werden:

  • humanitäre Aufgaben und Rettungseinsätze;
  • friedenserhaltende Aufgaben (peacekeeping);
  • Kampfeinsätze bei der Krisenbewältigung, einschließlich Maßnahmen zur Herbeiführung des Friedens (peacemaking). (...)

Die militärischen Einheiten werden sich aus Streitkräften der WEU-Mitgliedstaaten, einschließlich Streitkräften mit NATO-Aufgaben – in diesem Fall nach Konsultationen mit der NATO – zusammensetzen und multinational organisiert werden sowie aus Einheiten aller Teilstreitkräfte bestehen.“ In der Erklärung wird auch auf die Möglichkeit zum Einsatz multinationaler Verbände hingewiesen, womit vor allem das deutsch-französische Eurokorps gemeint ist. Beschlüsse über derartige Maßnahmen bis hin zu Kampfeinsätzen sind nicht an eine vorherige Entscheidung der OSZE oder UNO gebunden, sondern erfolgen lediglich „im Einklang mit den Bestimmungen der Charta der Vereinten Nationen.“

Combined Joint Task Force

Combined: multinationale Zusammenarbeit
Joint: koordinierter Einsatz von Luft-, Land- und Seestreitkräften
Task force: spezifische Zusammensetzung der Streitkräftekommandos

Die Combined Joint Task Forces (CJTF) sind ein symptomatischer Ausdruck von „NATO neu“ und WEU, die sich durch folgende Charakteristika auszeichnen:

  • eigenständig,
  • multinational,
  • aus mehreren Teilstreitkräften von NATO- oder eventuell auch Nicht-NATO-Staaten,
  • aufgabengerecht zusammengestellt,
  • für entsprechende Szenarien ausgebildet,
  • schnell verlegbar,
  • zur Bewältigung von Aufgaben innerhalb und außerhalb des Vertragsgebietes verfügbar

Damit haben die europäischen Staaten nun eine eigene Streitkräftestruktur, die einerseits eng an die NATO „andocken“ kann und andererseits die volle Unterstützung der USA erhält, ohne daß in jedem Fall amerikanische Truppen zum Einsatz kommen müssen. Gleichzeitig können auch Nicht-NATO-Staaten mit ihren Streitkräften präsent sein. Die USA stellen der WEU Infrastruktur und Logistik für die CJTFs zur Verfügung. Die CJTF werden auch als „Allied Forces Command“ (AFC) bezeichnet.

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Erstveröffentlichung im FORVM:
Februar
1997
, Seite 62
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