radiX » Nummer 2
Thomas Schmidinger

Kurdistan, Türkei und die Befreiung

Die Verhaftung und völkerrechtswidrige Entführung des PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan hat wieder einmal für kurze Zeit die Unterdrückung der KurdInnen durch den Türkischen Staat in das Licht der Öffentlichkeit gerückt. In Europa sorgte mensch sich aber mehr um befürchtete Ausschreitungen von ExilkurdInnen als um das Schicksal einer mehrere Millionen Menschen umfassenden Bevölkerungsgruppe in Ostanatolien.

Dabei muß mensch die PKK keineswegs mögen um die real existierenden Unterdrückungsverhältnisse in der Türkei kritisieren zu können, denn was sich in der Türkei seit Jahrzehnten abspielt kann durchaus mit der Vertreibunspolitik Milosevics im Kosovo mithalten; mit einem Unterschied allerdings: Die Türkei ist selbst NATO-Mitglied und so werden die NATO-Bomben wohl auch weiterhin zwar auf Belgrad fallen um „die Menschenrechte zu verteidigen“, jedoch nicht auf Ankara. Ganz im Gegenteil: Die NATO wird den Krieg gegen die Kurdische Bevölkerung weiterhin mit Geld und Waffen unterstützen.

Von der Umma zum Türkischen Nationalismus

Die Geschichte der modernen Türkischen Republik beginnt als Geschichte des Türkischen Nationalismus. Während das Osmanische Reich sich als multinational verstand und den einzelnen millet — ein Zwischending zwischen den Europäsichen Begriffen von „Nation“ und „Religionsgemeinschaft“ — in der Türkei eine weitrechende Autonomie zugestanden wurde verstand sich der Gesamtstaat primär als Gemeinschaft der umma — der islamischen Gemeinschaft — und nicht der „Türkischen Nation“. Vor allem die verschiedenen christlichen Minderheiten hatten — teilweise auf Druck der Europäischen Mächte hin — so weitgehende Autonomierechte, daß sie nicht einmal der osmanischen Rechtssprechung unterstellt waren, sondern eine Art Doppelstaatsbürgerschaft mit einer Europäsichen Schutzmacht besaßen.

Dem Zerfallsprozeß des Osmanischen Reiches versuchte die liberal-nationalistische Sammelbewegung der Jungtürken — der auch Mustafa Kemal angehörte — einen republikanisch-türksichen Nationalismus entgegenzusetzen, der kurz vor dem Zerfall des Osmanischen Reichen in den Wirren des 1. Weltkrieges zum Genozid an der armenischen Bevölkerung des Osmanischen Reiches führte.

Nach dem Zusammenbruch des Osmanischen Reiches und der Besetzung großer Teile der heutigen Türkei durch griechische, französische und britische Truppen begannen Teile der Jungtürken unter der Führung Mustafa Kemals — der später den Ehrennamen Atatürk, „Vater der Türken“ bekommen sollte — einen Guerillakrieg gegen die Besatzung an dem sich auch kurdische Einheiten beteiligten die zu einem gemeinsamen Widerstand der muslimischen Bevölkerung gegen die christlichen Besatzer bereit waren.

Kaum hatte Mustafa Kemal aber diesen Krieg gegen die Alliierten gewonnen und die moderne Türkische Republik gegründet verabschiedete er sich von seiner Zusammenarbeit mit den KurdInnen und predigte als Kontrapunkt zum islamischen Osmanischen Reich einen sekularen türksichen Nationalismus. Es wurde nun ein türksicher Nationalstaat propagiert in dem als einzige Amtssprache von allen Türkisch gesprochen werden sollte und in dem zunehmend sogar die Existenz einer kurdischen Bevölkerung geleugnet wurde. JedeR BürgerIn der Türkei hatte nunmehr Türke zu sein.

Kemalismus kämpft gegen „Bergtürken“

So reduzierte der Kemalismus als Türkischer Nationalismus die Kurdische Bevölkerung zu „Bergtürken“. Selbst die Existenz der kurdischen Bevölkerung und Sprache wurde geleugnet. Mustafa Kemal errichtete einen nationalistischen, autoritären Einparteienstaat der sich den italienischen Faschismus in vielen Bereichen als Vorbild aussuchte und so viele Charakteristika eines faschistischen Regimes innehatte. Auch wenn später Teile der Türkischen Linken den Kemalismus wegen seiner etatistischen Wirtschaftspolitik und seiner brutal durchgezogenen Modernisierungspolitik als linke politische Strömung betrachteten, so kann das nicht darüber hinwegtäuschen, daß das Regime Mustafa Kemals in seinem Nationalismus, seinem Totalitarismus, seiner Verfolgung linker Opposition und seinem Fehlen jeder sozialen Reformen eher als faschistische Entwicklungsdikatur zu charakterisieren wäre, denn als ein linkes Modernisierungsprojekt.

So wurden denn auch oppositionelle Strömungen massiv unterdrückt. Politische Gegner wurden massenhaft hingerichtet, Aufstände in Kurdistan mit militärischer Gewalt zerschlagen. Immer wieder wurden auch Massaker an der Zivilbevölkerung in Kurdistan bekannt.

Politische Liberalisierung — nicht für KurdInnen

In der Ära nach Mustafa Kemal kam es zwar — unterbrochen von einer Reiche von Militärputschs und anderen Einflußnahmen des Militärs — zu einer politischen Liberalisierung, diese galt jedoch nie für die Kurdische Bevölkerung. Nach dem letzten Militärputsch vom 21. September 1980 behielt sich das Militär auch nach einer Rückkehr zum Mehrparteiensystem einen großen — auch in der Verfassung verankerten — Einfluß. Seither werden nicht nur islamistische Parteien ständig verboten, das selbe Schicksal traf bisher auch noch jede legale kurdische Partei. Auch gegen die derzeit noch existierende HADEP (Halkin Demokrasi Partisi / Partei des Volkes für Demokratie) — die als Nachfolgepartei der verbotenen HEP gegründet worden war — läuft seit der Entführung Öcalans eine massive Hetzkampanie sie wäre von der PKK ferngesteuert. Es droht ihr nun nach den Wahlen damit wohl ein ähnliches Schicksal wie ihrer Vorgängerin.

Die PKK nimmt ihren Kampf auf

In der politischen Situation des Post-1980er Regimes nahm nun die PKK ihren bewaffneten Kampf gegen das Regime in Ankara auf.

Die Partei war während der Siebzigerjahre aus kleinen StudentInnengruppen entstanden und hatte sich unter dem Eindruck der Repression nach dem Militärputsch rasch ausgebreitet. Es gelang ihr zu Beginn der Achziger Jahre auch in den ländlichen Gebieten Kurdistans Fuß zu faßen und so konnte sie ab 1984 den bewaffneten Kampf gegen das Regime in Ankara aufnehmen.

Die PKK verband dabei vor allem in den ersten Jahren ihres Kampfes ihren nationalen Befreiungskampf mit einem sozialen Befreiungskampf, der die Gesellschaft in den kurdischen Teilen Ostanatoliens teilweise nachhaltig veränderte. Traditionelle Feudalstrukturen wurden zumindest in Frage gestellt. Frauen wurden integraler Bestandteil des Kampfes.

Ob dies — hätte es die PKK geschafft ein unabhängiges Kurdistan zu errichten — Bestand gehabt hätte ist allerdings durchaus fraglich. Schließlich ist es in jeder bewaffneten Befreiungsbewegung zu beobachten, daß Frauen während des bewaffneten Kampfes benötigt werden und damit eine stärkere Position bekommen, die sie aber nach dem Ende der Kämpfe sehr schnell wieder einbüßen.

Nationalismus und Antisemitismus

Im Laufe ihres fünfzehnjährigen Kampfes traten auch andere soziale Aspekte des Befreiungskampfes zunehmend hinter den nationalen Befreiungskampf zurück. Die PKK war so auch immer wieder zu Bündnissen mit „patriotisch“ eingestellten kurdischen Großgrundbesitzern bereit und stellte wie viele „nationale Befreiungsbewegungen“ des Trikont immer wieder den nationalen über den sozialen Befreiungskampf.

Auch der Antisemitismus — der fast alle nationalistischen Bewegungen dieser Welt mehr oder weniger intensiv begleitet — blieb der PKK so nicht fern. Besonders seit dem Beginn der engeren militärischen Zusammenarbeit der Türkei mit Israel waren antisemitische Attacken von hohen PKK-Funktionären und ebensolche Artikel in PKK-nahen Medien immer wieder zu hören.

Bündnisse der PKK mit Teilen der revolutionären türkischen Linken scheiterten immer wieder. Die Gründe dafür sind jedoch nicht nur im Nationalismus der PKK selbst zu suchen, sondern auch im Nationalismus vieler türkischer Linker. Gerade nach der Aufnahme des bewaffneten Kampfes durch die PKK kam es Mitte der Achziger Jahre sowohl in der Türkei als auch in Europa zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen türkischen und kurdischen Linken die viele Verletzte und einige Tote forderten.

Bürgerkrieg und Waffenstillstand

Der PKK gelang es trotzdem in Kurdistan relativ rasch eine Massenbasis in der Bevölkerung zu bekommen. Bereits Ende der Achzigerjahre hatte sie große Teile der Bevölkerung hinter sich gebracht. Dies gelang ihr einerseits durch ihre Enge Zusammenarbeit mit der einfachen, ländlichen Bevölkerung in Kurdistan, andererseits aber auch durch die — teilweise blutige — Ausschaltung rivalisierender Kurdenorganisationen.

Auch die interne Struktur der PKK ist bis heute alles andere als demokratisch. Bis zu seiner Entführung in die Türkei regierte Abdullah Öcalan die Partei mit eiserner Faust. Interne Opposition wurde nicht geduldet, Machtkämpfe endeten oft mit der Hinrichtung von Funktionären die gegen die Linie Öcalans opponierten.

Trotz dieser innerparteilichen Exzesse sahen viele KurdInnen angesichts der Massaker und „ethnischen Säuberungen“ die die türkische Armee in Kurdistan anrichtete, in der PKK immer noch das geringere Übel als im türkischen Staat, der den Ausnahmezustand in Ostanatolien nie Aufhob und seit Mitte der Neunzigerjahre die PKK sogar bis weit auf iraqisches Staatsgebiet hinein verfolgte. Aus einmaligen „Strafaktionen“ ist zwischenzeitlich eine ständige Besetzung iraqischen Territoriums geworden gegen die international niemand etwas einzuwenden hat.

Trotz intensivster Kriegsführung der Türkei mit Unterstützung verschiedener NATO-Staaten gegen die PKK, gelang es der Guerilla immer wieder kleinere Gebiete zu „befreien“. „Ruhe und Ordnung“ konnte die türkische Armee seit 1984 in Kurdistan nie mehr herstellen.

In den „befreiten Gebieten“ der PKK waren die KurdInnen zwar vor „etnischen Säuberungen“ und Verfolgungen der türksichen Armee sicher, litten aber unter dem Aufbau eines sehr autoritären Regimes unter der Führung Öcalans.

Nach einer Reihe von militärischen Niederlagen ab Mitte der Neunzigerjahre erklärte die PKK mehrfach einseitige Waffenstillstände und versuchte ihren Kampf von der militärischen Konfrontation die für keine der beiden Parteien zu gewinnen war auf eine diplomatische Ebene zu verlagern, was aber nur in Ansätzen gelang. Die Türkei stieg auf keinen der PKK-Waffenstillstände ein. Eine diplomatische Anerkennung wie sie etwa Yassir Arafat seit einigen Jahren zuteil wird blieb Abdullah Öcalan verwehrt.

Verbote und Ausweisungen

Gleichzeitig verschärfte sich auch die Gangart mancher europäischer Staaten gegenüber der PKK, allen voran Deutschland, wo die PKK und eine Reihe von kurdischen Organisationen und Vereinen ab Mitte der Neunzigerjahre verboten wurden. Während in Österreich solche Verbote nie erlassen wurden und sich bei den jährlichen Newroz-Feiern der PKK fast alle Parlamentsparteien als Gratulantinnen einfinden hält Deutschland auch unter der rot-grünen Regierung an diesen Verboten fest.

Im Laufe des Jahren 1998 verstärkte sich dann auch noch der Druck der Türkei auf Syrien, wo die PKK bisher ihr Hauptquartier hatte, was schließlich zur Ausweisung des PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan und zu dessen Flucht quer durch die halbe Welt führte und mit seiner Verhaftung und Entführung aus Kenia endete.

Proteste und Jubel

Während verschiedenste kurdische Organisationen in der Türkei und Europa, sowie die verschiedensten Menschenrechtsorganisationen auf die Entführung und Zurschaustellung Öcalans, vor allem aber der darauffolgenden Repressionswelle und Pogromstimmung gegen die kurdische Bevölkerung und die demokratische Opposition entsetzt reagierten, jubelten die aufgepeitschten nationalistischen Massen in der Türkei. Nicht zuletzt der „Öcalan-Bonus“ verhalf der regierenden Demokratischen Linkspartei (DSP) unter Bülent Ecevit zu seinem Wahlsieg vom 18. April bei dem es der DSP gelang die bisher stärkste Partei, die islamistische Tugendpartei — die als Nachfolgeorganisation der verbotenen Wohlfahrtspartei gegründet worden war — zu überholen.

Aber nicht nur die vom antikurdischen Hardliner Ecevit geführte DSP erreichte mehr Stimmen als die bislang IslamistInnen. Der faschistischen Nationalen Aktionspartei (MHP) — die 1995 nicht einmal die 10% Hürde zum Einzug in das Parlament schaffte — gelang es diesmal im nationalen Taumel mit 18% zur zweitstärksten Partei zu werden. In den Siebziger- und Achzigerjahren trat die damals noch vom nunmehr verstorbenen Militärputschisten Alparslan Türkes geführte Partei vor allem in Gestalt ihrer terroristischen Jugendorganisation Graue Wölfe mit Anschlägen und Morden gegen linke und kurdische PolitikerInnen, KünstlerInnen und Intellektuellen in Erscheinung.

Auf der Strecke werden einmal mehr Menschenrechte und Demokratie bleiben und so wird u.U. die bereits geschwächte PKK gerade durch die türkische Politik erneuten Zulauf erhalten und dem türkischen Staat weiterhin das Leben schwer machen.

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Erstveröffentlichung im FORVM:
Juni
1999
, Seite 31
Autor/inn/en:

Thomas Schmidinger:

Redaktionsmitglied von Context XXI von Juni 2000 bis 2006, koordinierender Redakteur von September 2000 bis April 2001.

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