MOZ » Jahrgang 1990 » Nummer 56
Tobias Damjanov
Finnland

Kriegsdienstverweigerung in einem neutralen Land

16 Monate Zivildienst waren den finnischen Verweigerern zuviel. Sie streikten, mit Erfolg.

Das finnische Parlament wird Ende dieses Jahres über ein neues Zivildienstgesetz entscheiden. Die Vertreter von Justiz- und Verteidigungsministerium empfehlen eine Zivildienstdauer von 14-16 Monaten. Zum Vergleich: Der Wehrdienst dauert in der Regel 8 Monate. Feigestellt sind die Bewohner der Aland-Inseln, die — einzigartig in Europa — einen entmilitarisierten Status haben, und seit 1985 die Zeugen Jehovas (zusammen mit Untauglichen ergibt dies jährlich etwa 7% Freistellungen). Um die 3% verweigern jährlich vor oder während ihres Wehrdienstes, indem sie einen „Antrag zur Befreiung vom bewaffneten Militärdienst in Friedenszeiten“ stellen. Seit 1987 werden alle Anträge angenommen.

Diese vergleichsweise liberale Gesetzgebung hat jedoch ihre Tücken: 1987 wurde per Erlaß des damaligen Verteidigungsministers Pihlajamäki die Zivildienstdauer von 12 auf 16 Monate erhöht. Überdies sollten die finnischen „sivaris“ (Zivildiener) „vorwiegend“ im Rahmen der Zivilverteidigung eingesetzt und damit noch enger and das Konzept der Gesamtverteidigung gebunden werden. Damit wurde insgesamt die angestrebte Benachteiligung für Zivildiener so deutlich, daß selbst amnesty international von „Bestrafungscharakter“spricht.

Die finnischen Verweigerer haben dieser Entwicklung nicht tatenlos zugesehen. Zwischen 1984 und 1987 gelang es ihnen bereits, die beabsichtigte völlige Integration des Zivildienstes in die dem militärischen Gesamtverteidigungskonzept untergeordnete Zivilverteidigung zu verhindern. Dank dieses Widerstandes sind seit 1988 keine Zivildiener mehr bei den Flughafenfeuerwehren, die an die finnische Luftwaffe angebunden sind, beschäftigt. Und 1989 waren nur noch 15 „sivaris“ im Rahmen der Zivilverteidigung tätig. Die Forderung der Verweigerer geht jedoch noch weiter, nämlich die „sivaris“ auch in nicht-staatlichen Organisationen (NGOs), insbesondere in Friedens-, Umwelt- und Entwicklungsorganisationen einzusetzen und nicht, wie bisher, vorrangig als billige Arbeitskräfte im Sozialbereich. Dabei soll die Zivildienstdauer 11 Monate (= längstmögliche Wehrdienstdauer) nicht überschreiten und die Zuständigkeit in den Bereich des Sozialministeriums fallen.

Besonderer Ausdruck des Widerstandes ist die Totalverweigerung, die sich aber auch grundsätzlich gegen das allgemeine Wehrpflichtsystem richtet. Dabei müssen Totalverweigerer seit dem Erlaß von 1987 mit einer 12monatigen Gefängnisstrafe rechnen; diejenigen, die erst nach Dienstantritt totalverweigern, erhalten in der Regel eine Gefängnisstrafe, die der verbleibenden Dauer ihres Dienstes entspricht. Trotz dieser Bedrohungen wurden 1989 40 Totalverweigerer bekannt — eine Zahl, die etwa der jährlichen Totalverweigerung in der BRD entspricht, in Österreich waren es weniger als 20.

In diesem Jahr gipfelten die Proteste gegen die befürchtete Verschärfung des Zivildienstes in einem unbefristeten Zivildienerstreik. Ausgangspunkt war der im Februar 1990 veröffentlichte Bericht der „Beobachtenden Arbeitsgruppe Zivildienst“, die zur Vorbereitung des neuen Gesetzes vom finnischen Verteidigungsministerium (sic!) gebildet worden war. Einerseits mußte die Arbeitsgruppe zugeben, daß das Ziel des Erlasses von 1987, die Zahl der Zivildiener zu senken und den Zivildienst enger an die Gesamtverteidigung zu binden, nicht erreicht worden ist. Der Bericht mußte sogar eingestehen, daß die Zahl derer, die wegen dieses Erlasses totalverweigern, gestiegen ist. Andererseits kam die Arbeitsgruppe zu keiner einhelligen Auffassung über die zukünftige Gesetzgebung, da die Zivilvertreter sich gegen einen Bestrafungscharakter des Zivildienstes aussprachen. Diese Situation nahmen Zivildiener zum Anlaß, am 23. April den Streik auszurufen, an dem sich in den ersten Wochen mehr als 500 der damals insgesamt 822 Zivildiener in Finnland beteiligten. ‚Begleitet‘ wurde dieser Streik durch einen unbefristeten Hungerstreik von 4 Totalverweigerern im Knast.

Diese für Finnland bisher einmaligen Aktionen hatten — bisher jedenfalls — vollen Erfolg: Die staatlichen Stellen haben zugesichert, alle wesentlichen Forderungen der Verweigerer im zukünftigen Gesetz zu berücksichtigen. Mehr noch: Nach anfänglicher Ignoranz sah sich der finnische Staatspräsident durch zunehmenden öffentlichen Druck dazu veranlaßt, die einsitzenden hungerstreikenden Totalverweigerer faktisch zu begnadigen. Der Zivildienststreik wurde daraufhin vorläufig ausgesetzt mit der klaren Vorgabe, ihn unverzüglich wiederaufzunehmen, falls die Versprechungen in den Gesetzesberatungen keinen Niederschlag finden. Die Praxis der Kriminalisierung der Totalverweigerer geht jedoch weiter: im Juli waren immer noch 11 im Gefängnis (18 Totalverweigerer sind bisher von amnesty international als Gewissensgefangene adoptiert worden), 20 weitere wurden zu Gefängnisstrafen verurteilt und gleichzeitig haben 15 Zivildiener ihren Dienst abgebrochen. Die Zivildienerorganisation, die auch die Totalverweigerer unterstützt, fordert deswegen zusätzlich, daß ein neues Gesetz möglichst frühzeitig verabschiedet werden muß, und schon vor den Parlamentswahlen im März nächsten Jahres, und nicht erst 1992, in Kraft treten soll — immer vorausgesetzt, daß es inhaltlich die Vorstellungen der Verweigerer widerspiegelt.

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Erstveröffentlichung im FORVM:
Oktober
1990
, Seite 67
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Tobias Damjanov:

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