MOZ » Jahrgang 1990 » Nummer 48
Franz Schandl

Kalter Frieden

„Der Kalte Krieg ist vorbei!“ schlagzeilten westliche wie östliche Medien. Gorbatschow und Bush sind einer Meinung, nämlich der des letzteren. Nach dem Gipfel von Malta scheint die Kriegsgefahr gebannt. Wenn wir den Urteilen von Politikern, Ökonomen und Medienmännern folgen, dann liegen wahrlich friedliche und freundliche Jahrzehnte vor uns.

Das Ost-West-Verhältnis ist so gut wie noch nie, eben weil es keinen eigenständigen, keinen selbständig handelnden Osten mehr gibt, sondern ein implodierendes Reich, dessen Beutestücke verteilt werden: die DDR geht an die BRD, Solidarnosc an die Katholische Kirche, Arbeiter und Betriebe an das westliche Kapital, die USP (ex-USAP) an die Sozialdemokratie. (Ob auch die KPdSU noch in den Hafen der Sozialistischen Internationale einlaufen wird, ist nicht auszuschließen. Wetten, die Gegenteiliges behaupten, werden entgegengenommen.)

Dem Kalten Krieg folgt nicht — wie in der Friedensbewegung nicht ganz zu Unrecht angenommen wurde, sprach doch manches dafür — der Warme Krieg, sondern der Kalte Frieden, eine pax americana oder pax imperialistica, wie Georg Fülberth sie zu nennen pflegt. Wer da befriedet und kalt gemacht wird, liegt auf der Hand: der real (schon nicht mehr) existierende Sozialismus.

Siege ohne Kriege sind es, die der Westen da feiert. Der politische Zusammenbruch der Ostblockstaaten ist jedenfalls nicht mehr umkehrbar.

Nachdem der Osten zu Tode gewirtschaftet und zu Tode gerüstet wurde — nicht in erster Linie: hatte, sondern eben: wurde!! — bereiten potentielle Kriegsgewinnler schon ihren Einstieg in das lukrative Ostgeschäft vor politisch, wirtschaftlich und ideologisch.

Österreichische Politiker bilden parteiübergreifend die Vorhut im East European Recovery Program. Die vorgeschickten Marionetten der westlichen Welt und der westlichen Werte suhlen sich im Jubel der vom Kommunismus Befreiten.

„Der Kommunismus ist tot. Fertig. Ende“, schreit Otto Habsburg „seinen“ Ungarn zu. Und das entgeisterte Publikum tobt und klatscht zu den Geistern von gestern.

Doch nicht nur königliche Hoheiten aus dem Europaparlament sind gefragt, nein, auch andere politische Peinlichkeiten ersparen sich, uns und den Slowaken keineswegs ihren östlichen Ausritt. Gemeint ist die bezeichnende wie ungustiöse rot-weiß-rote Staatskomposition aus Helmut Zilk, Erhard Busek und Freda Meissner-Blau, die da gemeinsam die Front besichtigte.

Österreichisches Kreuzrittertum steht hoch im Kurs. Jeder, der es versteht, sämtliche Kombinationen von „Tod“ und „Kommunismus“ zu deklinieren, ist herzlich willkommen. Vierzig Jahre Stalinismus machen jeden westlichen Volltrottel zu einem östlichen Volkshelden.

Ja, selbst das monarchistische Vorgestern wird im demokratischen Heute zu einer Vision für das östliche Morgen. Ganze Adelsgeschlechter stehen bereit. Die gute alte Zeit — man riecht sie schon, und nicht bloß aus der Kapuzinergruft.

Was den Groß-Deutschen die Wiedervereinigung, ist den modernen Groß-Österreichern der Wiederanschluß der ehemaligen Ostgebiete an Österreich. Damit in Prag und Budapest, in Sarajewo und Zagreb wieder geschieht, was in Wien beschlossen wird.

Mag sein, daß das ein Traum bleibt, aber so ist es doch ein Traum, der zum Handeln anleitet. Das kakanische Flämmchen lodert in gar manchen Herzen. Was sich da Mitteleuropa nennt, meint geradewegs Ostexpansion.

Dieser Kreuzzug wird begleitet von einem bisher nicht dagewesenen Trommelfeuer in den Medien. Generalmobilmachung ist angesagt. Die Zeiten sind danach und die Medien im Krieg. Es taumeln die Berauscherten im Endsieg. Die Zeitungen werden Frontblätter und die Sendungen Frontjournale, jeder mediale Tintifax zu einem kleinen Ronald Reagan.

Aus einem Rohr feuern sie ihre Argumente, nein besser: Sekremente ins wohlmüssende Publikum. Der Feind, der ist bekannt und wird benannt und wird geschlachtet. Täglich wird er im Wohnzimmer vorgeführt. Die Botschaft der (politisch-ideologischen) Kriegsberichterstattung ohne (militärischen) Krieg lautet: Der Marxismus-Leninismus, eine für das Hirn „schädliche Substanz“ — so Hans Rauscher im „Kurier“ —, muß ausgemerzt werden.

Doch treiben wir den Pessimismus nicht zu weit, hüten wir uns vor der Gleichsetzung bürgerlich-medialer Wünsche mit der Realität. Schon Carl von Clausewitz erkannte das Wesen der Kriegsberichterstattung: „Ein großer Teil der Nachrichten, die man im Krieg bekommt, ist widersprechend, ein noch größerer ist falsch und bei weitem der größte einer ziemlichen Ungewißheit unterworfen.“

Der Frontbericht zwingt zur offenen Lüge, selbst wenn er aus Wahrheiten bestehen sollte. Denn auch Wahrheiten können lügen, und die besten Lügen bestehen aus lauter Wahrheiten. „Mit kurzen Worten: die meisten Nachrichten sind falsch“, so der Militärtheoretiker Clausewitz.

Desinformation und Entformierung haben Grenzen. Auch wenn sie heute nicht deutlich sichtbar sind, können sie morgen wieder sichtbar werden. Und sie werden werden.

Das erste große Experiment Richtung Sozialismus ist zweifellos gescheitert, weitere werden folgen. Einen kapitalistischen Endsieg gibt es nicht, auch wenn das internationale Kapital aktuell die Bedingungen des Kalten Friedens diktiert.

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Erstveröffentlichung im FORVM:
Januar
1990
, Seite 14
Autor/inn/en:

Franz Schandl:

Geboren 1960 in Eberweis/Niederösterreich. Studium der Geschichte und Politikwissenschaft in Wien. Lebt dortselbst als Historiker und Publizist und verdient seine Brötchen als Journalist wider Willen. Redakteur der Zeitschrift Streifzüge. Diverse Veröffentlichungen, gem. mit Gerhard Schattauer Verfasser der Studie „Die Grünen in Österreich. Entwicklung und Konsolidierung einer politischen Kraft“, Wien 1996. Aktuell: Nikolaus Dimmel/Karl A. Immervoll/Franz Schandl (Hg.), „Sinnvoll tätig sein, Wirkungen eines Grundeinkommens“, Wien 2019.

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