MOZ » Jahrgang 1990 » Nummer 52
Christof Parnreiter
500 Jahre Landeshauptstadt Linz:

Jubel in der Provinz

Linz feiert Jubiläum. Und versucht mittels Imagekampagne ein neues Gesicht zu bekommen: Statt grauer Stahlstadt will es innovatives Kultur- und Wirtschaftszentrum werden. Doch die Wirklichkeit sieht anders aus.

„Linz knallt los“, versprachen findige Werbetexter im Auftrag der Stadtväter vergangenen Silvester, denn: „Der Linzer Bevölkerung steht ein festreiches Jahr bevor“. Anlaß für den Jubel ist — wie könnte es anders sein — ein Jubiläum. Vor 500 Jahren wurde Linz von dem, seinem Tod entgegenblickenden, Kaiser Friedrich III. als Residenz auserkoren und damit zur Hauptstadt des Landes ob der Enns gemacht.

Dieses runde Jubiläum muß gefeiert werden, keine Frage. Aber wie? Ehrwürdige Stadtbeamte quälten sich und ihre müden Hirne, um ein dem Anlaß gerecht werdendes Programm zu erstellen. Doch vergeblich. Und da keine Idee das Licht der Welt erblickte, verfielen sie auf den Gedanken, einfach alles, was in Linz im Laufe eines Jahres ohnehin passierte — und zu passieren hatte —, unter das Motto: „500 Jahre Landeshauptstadt Linz“ zu stellen. Ein blendender Gedanke.

Der Programmkalender — immerhin 38 Seiten stark — ist dann auch ein großer Lacherfolg geworden. Wir bieten Ihnen — zugegebenermaßen ausgewählte — Gustostückerln.

Im Rahmen der 500 Jahr-Feiern finden statt: ein großer Faschingsumzug, die Eröffnung des Kindergartens Auwiesen, die Bundesmeisterschaften der Gewerkschaft der Gemeindebediensteten im Eisstockschießen, der Internationale Frauentag, die Auszeichnung der weltbesten Unterwasserdias, die Eröffnung der Tiefgarage Hessenplatz, das Maibaumsetzen, die Eröffnung der Tiefgarage Südbahnhof, die Tagung des Verbandes der Heimat- und Trachtenvereine, ein internationales Harley Davidson-Treffen, die Schlußetappe der Österreich-Rad-Rundfahrt, ein internationales Schachturnier, ein Sternmarsch der Linzer Blasmusikkapellen, eine internationale Briefmarkenausstellung, Staatsmeisterschaften im Flossenschwimmen, ein Grand Prix für Seifenkisten, die Eröffnung der Tiefgarage Seilerstätte, eine Apothekertagung, der Christkindlmarkt, ein Großtauschtag für Briefmarken und Ansichtskarten sowie die Eröffnung von zehn Brunnen im Stadtgebiet.

Und sonst? Zusätzlich zur klassischen Klangwolke eine zweite, Johannes Kepler gewidmete, ein Festakt im Brucknerhaus mit Multi-Media-Show und internationalen Gästen, eine Landesausstellung.

Ein etwas dürftiges Jubiläumsprogramm, wie selbst die Stadtväter einsahen. Also wurde vor eineinhalb Jahren Christian Denkmaier, Nachwuchsmann der SPÖ, engagiert, um ‚drive‘ in das Jubiläumsjahr zu bringen. Immerhin: die LinzerInnen dürfen sich jetzt auf zwei Kulturspektakel freuen — ein Fest Mitte Mai, dessen Stars Mikis Theodorakis, Karel Gott und die Chefpartie des Ostbahn-Kurti sein werden, und eine Serie von Veranstaltungen unter dem Titel „LINZKUNST — KUNSTLINZ“, die das künstlerische Schaffen der Gegenwart „avantgardistische Kunst“ — „stärker im Bewußtsein einer breiteren Öffentlichkeit etablieren“ soll. Und im Herbst, verspricht Denkmaier, soll es noch eine Veranstaltung zum Thema Urbanisierung geben.

Provinzieller Mief und Imagewerbung

Zweimal bestenfalls Volksfestcharakter, das bleibt unterm Strich vom Linzer Jubiläum. Für eine Stadt, die versucht, sich durch eine 27 Millionen Schilling teure Imagekampagne als modern, weltoffen und zukunftsorientiert zu verkaufen, eine Bankrotterklärung.

Provinzieller Mief und Klein(st)kariertheit statt des plakatierten Aufbruchs.

Jürgen Himmelbauer, Gemeinderat der Grünen Alternative Linz, ist entsetzt. „Eine Auseinandersetzung mit Linz und seiner Geschichte ist gar nicht gewollt“, meint er. So etwa klammere das Jubiläumsprogramm konsequent aus, daß Linz seinen Aufstieg zur Großstadt dem Faschismus ‚verdanke‘, daß Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge die Industrie aufgebaut haben. „Den Schritt zur Großindustrie machte Linz in der unseligen Zeit des Hitlerfaschismus“ — das ist alles, was der Stadt dazu einfällt. Auch kommunalen, sozialen und ökologischen Themen weiche die Stadt aus, klagt Himmelbauer, eine lebendige, kontroversielle Gestaltung des Jubiläums war nicht erwünscht.

Dann schon lieber Seifenkistenrennen, Eröffnung von Tiefgaragen und internationale Briefmarkenausstellungen.

Kein Wunder, daß keine Stimmung aufkommen will. Kein Wunder auch, daß es den LinzerInnen an Selbstvertrauen fehlt, wie Karin Frohner vom Medienservice der Stadt Linz bemängelt.

Hauptplatz: Auch Linz will hübsch sein

Selbstbewußtsein, das der Bevölkerung nun im Rahmen der laufenden Imagekampagnen über Plakate, jede Menge Broschüren und Einschaltungen in Medien vermittelt werden soll. Der „Negativtrend des öffentlichen Meinungsbildes über Linz“ soll gestoppt „und das Image der Stadt Linz neu und positiv“ besetzt werden, lautet das Ziel der Kampagne. Es gelte, so das von der Agentur Haslinger&Keck präsentierte Konzept mit dem verheißungsvollen Titel „Eine Stadt lebt auf“, das vorherrschende Bild der schmutzigen Industriestadt zu korrigieren. Zukünftig habe man sich die Stahlstadt als „dynamischste und zukunftsorientierteste Landeshauptstadt“ vorzustellen, die vor allem im kulturellen und wirtschaftlichen Bereich einiges anzubieten habe.

Zwar ereilt die Imagekampagne das gerechte Provinzschicksal — sie ist der Linzer Bevölkerung weitgehend unbekannt —, für Jürgen Himmelbauer ist sie dennoch Ausdruck dafür, daß Bürgermeister Dobusch „ganz genau weiß, wie es um die Stadt bestellt ist“. Denn wenn dieser auch stolz Umfrageergebnisse präsentiert, denen zufolge „die Linzer und Linzerinnen gerne in ihrer Stadt leben“ — insgeheim weiß er doch, daß „man der Bevölkerung erst erklären muß, daß ihre Stadt eh schön ist“, ätzt der grün-alternative Gemeinderat. Und nennt Zahlen: Laut Linzer Umwelterhebung von 1987 würden 14.795 EinwohnerInnen wegziehen, wenn die Umstände es erlauben würden. Das ist immerhin jedeR Vierzehnte. In manchen Stadtteilen möchte gar jedeR Dritte das Weite suchen.

In Linz stinkt’s

Besonders ist es natürlich die Umweltsituation, die LinzerInnen verzweifeln läßt. Seit Jahren ist der kommunalpolitische Dauerbrenner, daß Atmen in Linz „Ihre Gesundheit gefährden kann“. Während der Bürgermeister der 70er Jahre, Franz Hillinger, diesbezügliche Proteste mit einem schlichten „Was wollen Sie, in der Sahara staubt es auch“ konterte, zeigen sich seine Nachfolger besorgter und engagierter. Ein erstes Maßnahmenpaket habe, so Erhard Glötzl vom Umweltamt der Stadt Linz, „meßbare und spürbare Verbesserungen“ gebracht. „Natürlich“ gebe es immer noch Probleme, um die man sich kümmern werde, aber die Bilanz sei nicht schlecht: Während zwischen 1982 und 86 an den zehn Linzer Meßstellen jährlich rund 9.000 Überschreitungen der Emissionsmittelwerte verzeichnet wurden, waren es in den darauffolgenden Jahren nur mehr rund 1.600. Oder: Während 1985 noch 45.000 Tonnen Schadstoffe in die Luft geblasen wurden, waren es drei Jahre später nur mehr 24.000 Tonnen.

Die „Bürgerinitiative Linzer Luft“ ist anderer Meinung. Sie betrachtet das Maßnahmenpaket als „gescheitert“ und weist darauf hin, daß zwar die Emissionswerte gesunken wären, daß also weniger Dreck in die Luft geblasen wurde, die Immission aber, also jene Menge, die sich auf die Menschen der Stadt herabsenkt, gleichgeblieben oder sogar angestiegen ist. Gottfried Selgrad: „Gegenüber den letzten beiden Jahren ist bei allen Schadstoffen, außer bei Schwefeldioxid, ein Anstieg zu erkennen“. Glötzl — „über den Herrm Selgrad hab’ ich mich schon so geärgert, daß ich Kopfweh bekam“ — wirft der Bürgerinitiative willkürliche Datenauswahl vor — eine Anschuldigung, auf die die Bürgerinitiative kontert: Die Werte, die die erhöhten Immissionen beweisen, sind Mittelwerte aller Meßstationen — entnommen dem Meßbericht der OÖ-Landesregierung.

Tuchfabrik: Vor dem Abriß gerettet

Ein geradezu vernichtendes Umweltzeugnis stellt auch eine neue Studie über die Luftqualität im Stadtgebiet aus. Die vier AutorInnen — Roman Türk, Helmut Wittmann, Susanne Roth, Isolde Wögerer — untersuchten an Hand von Flechtengewächsen, deren Auftreten bzw. Ausbleiben Rückschlüsse auf die Belastung der Atmosphäre mit Fremdstoffen erlauben, den Zustand der Linzer Luft. Ihr Urteil: 48% des Stadtgebietes müssen als „sehr stark belastete Zone“ eingestuft werden, weitere 27% als „stark belastet“. Und: „Eine derartige Intensität von Immissionswirkungen ist aus keinen anderen Gebieten Österreichs bekannt.“ Weiters weisen die AutorInnen nach, daß sich seit der letzten, 1963 durchgeführten Flechtenuntersuchung die stark oder sehr stark verseuchten Gebiete nahezu verdreifacht haben.

Doch die LinzerInnen sollten nicht nur auf das Atmen verzichten. Auch das Grundwasser ist verseucht. Es weist laut einer Wasseranalyse des städtischen „Instituts für Wasseraufbereitung, Abwasserreinigung und -forschung“ einen Nitratgehalt von 43,3 Milligramm per Liter auf — ein Wert, der nur um sechs Milligramm unter dem maximal zulässigen Höchstwert der EG, aber fast ums Doppelte über dem empfohlenen Richtwert liegt. Gefahr droht vor allem Neugeborenen und Kleinkindern — „nur ein Wert unter 15 mg/l ist tatsächlich unbedenklich“, schreibt die Zeitschrift „Umweltschutz“.

Asoziale Sozialpolitik

Neben der Umweltsituation plagen die LinzerInnen aber noch eine Reihe anderer Probleme. So ist etwa die Verkehrspolitik der Stadt alles andere denn durchdacht. Positiven Ansätzen wie Wohnstraßen und Tempo-30-Limits steht das Wahnsinnsprojekt eines halben Dutzends innerstädtischer Parkgaragen gegenüber. Privat errichtet und betrieben, hat die Gemeinde ihren Bau beträchtlich gefördert — mit welcher Summe, ist eines der bestgehüteten Geheimnisse in Linz. „Die SPÖ ist zum Handlanger der Baulobby verkommen“, sagt ein roter Insider.

Wie andere Städte leidet auch Linz an Wohnungsnot, da Wohnraum, vor allem billiger, fehlt. 15.000 Wohnungssuchenden steht ein viel zu geringes Angebot gegenüber. Jene, die eine Wohnung haben, plagt die Sorge, sie zu verlieren. Laut Sozialbefragung fürchten 28.400 LinzerInnen eine Delogierung, gar 36.920 haben Angst, sich ihre Wohnung in Zukunft nicht mehr leisten zu können. Statt Wohnungspolitik zu betreiben, hat die Stadt Linz erst kürzlich 5.800 Gemeindewohnungen an die gemeindeeigene Genossenschaft GWG verkauft. Was auf den ersten Blick als unbedeutende rechtliche Verschiebung erscheint, birgt langfristige Folgen. Ist die Kommune Eigentümerin, so können Mieten subventioniert werden, wenn dies politisch sinnvoll und vertretbar scheint. Die GWG hingegen ist ein Unternehmen, das nach betriebswirtschaftlichen Kriterien geführt wird und somit Profite abwerfen muß.

Zur fehlenden Wohnungspolitik kommt eine katastrophale Sozialpolitik. Mit einem mickrigen Budget von 22 Millionen werden knapp 3.000 SozialhilfeempfängerInnen abgespeist — einE auf Dauerhilfe AngewieseneR kommt auf 2.018 öS monatlich — rund die Hälfte des Richtsatzes. Noch schlimmer sieht es bei den einmaligen Sozialleistungen aus — für 2.000 Menschen stehen ganze zwei Millionen zur Verfügung.

Jürgen Himmelbauer fürchtet, daß die soziale Lage sich weiter verschlechtern wird. Denn drei bis vier Milliarden will die Gemeinde für ein ehrgeiziges Wirtschaftskonzept lockermachen — und gerät damit tief in die roten Zahlen. „Eine Stadt, deren Schuldenstand sich in Zeiten der Hochkonjunktur innerhalb weniger Jahre verdreifacht hat, wird massiv sparen müssen, sobald die Konjunktur zurückgeht“, kritisiert der Grünalternative. Und das werde man dann bei den Agenden „Soziales“ und „Kultur“ tun.

Arbeitersiedlung Bindermichl

Doch Einwände und Proteste lassen die Stadtväter kalt — obwohl sich die SPÖ, die Linz seit vier Jahrzehnten absolut regiert, heute gerne als aufgeschlossene, fortschrittliche Partei präsentiert. Pateiinterne Kritiker werden von Dobusch und seinen Freunden mundtot gemacht, das Schicksal der Stadt packelt man sich aus. Immer häufiger kommt es vor, daß Kompetenzen dem Gemeinderat — in dem neben den beiden Großparteien noch die FPÖ, die VGÖ, die KPÖ und eben die GALL vertreten sind — entzogen und dem rot-schwarzen Stadtsenat übertragen werden. „Die Stadt sieht sich als Firma, der Stadtsenat ist ihr Management“, beurteilt Himmelbauer das Politikverständnis der Sozialisten. Und weil Managemententscheidungen nun einmal rasch und vor allem ohne Quertreibereien fallen müssen, beschließt die rote Mehrheit im Gemeinderat, dieses und jenes Thema dem Stadtsenat zuzuweisen. Dort fallen dann die wahren kommunalen Entscheidungen, ohne daß die Opposition auch nur ihre Stimme erheben könnte.

Anstelle der grauen Wirklichkeit will die Stadt nun das Bild ändern. Linz soll nicht mehr als — industriell — notwendiges Übel zwischen Wien und Salzburg gelten, Linz soll schön sein.

Historischer Exkurs: Linzer Industriegeschichte

Zwar ist Linz erst nach dem Zweiten Weltkrieg eine typische Industriestadt geworden; zunächst dominierten die Funktion der Landeshauptstadt und — infolge der günstigen Verkehrslage — Handel und Kleingewerbe, dennoch ist die 1672 gegründete Linzer Wollzeugfabrik ein „geradezu idealtypischer“ Prototyp der europäischen Manufakturentwicklung und bietet einen „eindrucksvollen Ausgangspunkt für den fölgenden Industrialisierungsprozeß“, wie die beiden Linzer Historiker Helmut Lackner und Gerhard Stadler in ihrem soeben erschienenen Buch „Fabriken in der Stadt“ schreiben. Ausgestattet mit einem für alle Länder der Monarchie geltenden Erzeugungsmonopol für eine ganze Anzahl von Wollzeuggattungen, erlebte die Wollzeugmanufaktur einen raschen Aufschwung — Mitte des 18. Jahrhunderts zählte sie bereits knapp 10.000 Beschäftigte. Maria Theresia entschloß sich daher, den Betrieb 1754 direkt durch ihren Hof übernehmen zu lassen und ihn damit zu verstaatlichen — ein für die damalige Zeit einmaliger Schritt. Doch schon wenige Jahre darauf setzte der Niedergang der Wollzeugmanufaktur ein; das ausgehende 18. Jahrhundert räumte mit Privilegien und Monopolen auf und setzte auf freie wirtschaftliche Entfaltung. Ein Zwischenhoch unter Joseph II. konnte den Betrieb nicht mehr retten — 1850 wurde die ehemalige Musterfabrik stillgelegt.

Schrebergärten für VÖEST-Arbeiter

Die Geschichte der verstaatlichten Industrie endet damit jedoch keineswegs. Noch im selben Jahr wurde „als eine Form öffentlicher Notstandshilfe“ (Lackner, Stadler) die Linzer Tabakfabrik in den Räumen der alten Manufaktur eröffnet. Der industrielle Schwerpunkt der Stadt verlagerte sich aber dennoch an die südliche Peripherie, wo in Kleinmünchen, an den Armen der Traun, die ‚Linzer‘ Textilfabriken entstanden — in erster Linie die Baumwollspinnerei, die mit englischen und schweizerischen Maschinen sowie vorwiegend mit Frauen und Kindern als Arbeitskräfte produzierten. Als die alten Baumwollspinnereien schließen mußten, wurde auf ihrem Areal im Jahr 1934 die „Linzer Tuchfabrik“ errichtet, eine komplette Produktionseinheit mit Färberei, Spinnerei, Weberei sowie Appretur. Heute besitzt die ehemalige Fabrik, deren letzte Produktionszweige erst Anfang der 80er Jahre stillgelegt wurden, musealen Wert. Nachdem Abrißpläne „moderner Stadtentwicklung“ vereitelt werden konnten, steht derzeit eine Revitalisierung des einmaligen Fabriksensembles zur Debatte.

Bis zum Ersten Weltkrieg wandelte sich die Situation der Linzer Industrie erheblich. Eingemeindungen brachten die Schiffswerft, die Kleinmünchner Textilindustrie und andere Betriebe in die Stadt, neue Fabriken entstanden schon 1910 hielten einander kleingewerbliche Strukturen mit 35% der Beschäftigten und Industrieanlagen (45%) die Waage. Dieses soziale wie wirtschaftliche Gefüge änderte sich bis 1938 nur unwesentlich.

Die sieben Jahre nationalsozialistischer Herrschaft in Österreich veränderten Linz mehr als jede andere Stadt — es wurde zum Zentrum der Großindustrie. Ausschlaggebend für die Errichtung der „Hermann Göring Werke“, der „Eisenwerke Oberdonau“ sowie der „Stickstoffwerke Ostmark“ waren nicht nur rationale Argumente wie die günstige Verkehrslage, sondern auch Hitlers Wunsch, die Stadt seiner Jugend zu einer von fünf „Führerstädten“ zu machen. Die NS-Rüstungsindustrie in Linz sorgte nicht nur strukturell, sondern auch bezüglich der Größe für eine gewaltige Mutation. In nur sieben Jahren verdoppelte sich die EinwohnerInnenzahl auf nahezu 200.000. Für die ‚deutschen‘ Arbeiter wurden Siedlungen am Spallerhof oder am Bindermichl, die noch heute das Stadtbild prägen, errichtet. Die Mehrheit der Schuftenden — 70% bis 80% — waren allerdings Zwangsarbeiter aus eroberten Gebieten und KZ-Häftlinge, die in der Nazi-Rüstungsindustrie ihrem Tod entgegenarbeiteten.

Café Landgraf: Das Spiel ist aus

Glanz und Elend der Verstaatlichten

Nach der militärischen Niederlage und dem Zusammenbruch des faschistischen Reiches wurde die Rüstungsindustrie verstaatlicht — sie sollte als zentralistisch planbares Fundament des österreichischen Wiederaufbaus nicht nur zur produktivitätssteigernden Lokomotive desselben werden, sondern übernahm auch eine Vorreiterrolle für „konservative sozialpolitische Maßnahmen“, wie Lackner und Stadler in ihrem Buch treffend anmerken.

In den Jahrzehnten des Aufbaus wurde die verstaatlichte Industrie zum Sinnbild vorbildlicher Wirtschafts- und Sozialpolitik. Als 1968 zur ‚Eröffnung‘ des Satellitenfernsehens ein gesamteuropäisches Programm erarbeitet wurde, in dem die Staaten ihr jeweiliges Prestigeobjekt darboten, war etwa Großbritannien mit den „Beatles“, Österreich mit der „VÖEST“ vertreten.

Doch des einstigen Stolzes schämt man sich heute. Die internationale Krise der Grundstoffindustrie traf auch die Verstaatlichte, die immer tiefer in die Krise schlitterte und schlußendlich zum Sinnbild schlechten Wirtschaftens, von Korruption und mangelnder Effizienz wurde.

Der Konzern wurde zersplittert, tausende Menschen wurden ‚freigesetzt‘.
Jene Arbeiter, die — wie der Linzer Historiker Weidenholzer anmerkt — nicht nur Jahre ihres Lebens für den Wiederaufbau opferten, sondern ihn auch mitfinanzierten, indem sie sich jahrelang mit äußerst geringen Löhnen zufrieden gaben, wurden nun zu Buhmännern gestempelt und mußten sich nach einer neuen Zukunft umsehen. Daß die sozialen Auswirkungen der ‚Freisetzungen‘ nicht ähnlich katastrophal ausfielen wie etwa in Steyr, verdanken die Stadtväter einer relativ breiten Industriepalette in Linz einerseits, statistischen Manipulationen andererseits. Denn viele wurden frühpensioniert, andere von der „Stahlstiftung“ übernommen. Vor allem aber war und ist Linz eine Stadt der PendlerInnen aus dem Mühl- und Waldviertel. Über 50.000 Menschen machten sich täglich auf, um im Industriegelände zu werken. Wenn sie heute daheim bleiben (müssen), belastet das keine Linzer Statistik.

Stadtwerkstatt

Linz — eine dynamische Wirtschaftsstadt?

Zukünftig will Linz nicht mehr als Stahlstadt, sondern als Zentrum kultureller wie wirtschaftlicher Innovation gelten. Bürgermeister Dobusch, der „Linzer Vranitzky“ (Himmelbauer), präsentiert unter dem Titel „Linzer Wirtschaft Motor in das nächste Jahrtausend“ ein Konzept, das die Attraktivität der Landeshauptstadt als Standort sichern soll. Insbesondere geht es um die „Verbesserung der materiellen und immateriellen Rahmenbedingungen der Stadt“ sowie um „Standortmarketing und Akquisition von Investoren“. Sogenannte „Hochziehprojekte“ mit „Impulscharakter und hoher Ausstrahlungskraft“ sollen errichtet werden: ein Kongreß- und Ausstellungszentrum („Design-Center“), ein Hochtechnologieknoten, der Infrastruktur für Klein- und Mittelbetriebe bereitstellen soll, ein Industriepark in Pichling — direkt am beliebten See —, ein Betriebspark am Franzosenhausweg und ein Gewerbezentrum. Ein Konzept, dessen Realisierung nach Schätzung der Grünalternativen drei bis vier Milliarden Schilling kosten wird und in seinen einzelnen Punkten äußerst umstritten ist.

Das Kongreßzentrum etwa, das die Gemeinde ab Herbst errichten möchte, wird nicht nur wegen seiner hohen Baukosten angefeindet. Nach und nach greift die Erkenntnis um sich, daß die Kritik von Bürgerinitiativen, Grünalternativen, Kommunisten und anderer am „Dobuscheum“, wie der Volksmund das „DC“ nennt, berechtigt ist. Sogar das Kontrollamt der Gemeinde bestätigt, daß es „praktisch unmöglich ist, ein Kongreß- und Messezentrum kostendeckend zu führen“ und die prognostizierte Auslastung „vermutlich nur bei hervorragendem Marketing erreichbar“ ist.

Pubertäre Kulturpolitik

Bleibt die Kultur. Mit der Klangwolke und der „ARS ELECTRONICA“ bietet die Stadt zwei ‚Highlights‘, die mittlerweile auch internationalen Ruf geniessen. Besonders stolz ist man auf die Förderung „avantgardistischer“ Kunst in Linz, auf kulturelle Innovation und Lebendigkeit. Ohne Zweifel agierten die Verantwortlichen geschickt: Als vor Jahren die Linzer Rockszene ein autonomes Rockhaus forderte, beeilte sich die Stadt, den „Posthof“ zu eröffnen. Der ist zwar weder autonom noch ein Rockhaus im eigentlichen Sinn, doch als Veranstaltungsort für domestizierte Subkultur und Avantgarde erfreut er sich großer Beliebtheit. Der Stadt gelang es, nicht unwesentliche Schichten zu gewinnen, indem sie der Szene ‚ihr‘ Brucknerhaus finanzierte.

Zum Vorzeigeprojekt Nummer 2 kam die Stadt eigentlich gegen ihren Willen, zumindest aber ohne ihr Zutun. Die „Spielstatt Leonding“, eine junge Theatergruppe, war auf der Suche nach einem geeigneten Lokal in Linz auf das ehemalige „Phönix“-Kino gestoßen, das einem SP-nahen Verein gehörte. Beim Kauf hatten sie aber das Nachsehen — die SP entschied sich für den Meistbietenden, der ein Einkaufszentrum errichten wollte. Doch die Theatermacher gaben nicht auf, kauften ohne Wissen der Kulturgewaltigen der Stadt das Haus auf Kredit zurück und begannen mit der Arbeit. Gebunden an ein früher gegebenes Wort war die Stadt nun plötzlich gezwungen, den SpielstätterInnen, die sich mittlerweile „Theater Phönix“ nennen, Subventionen zu erteilen.

Ohne Zweifel aber ist die Stadtwerkstatt das Prunkstück der Linzer Alternativkultur. Das Kulturhaus, das sich als Servicestation für kulturelle Experimente in verschiedenen Medien — Theater, Film, Musik, bildende Kunst — versteht, gilt den Stadtvätern heute als „fixer Bestandteil“ des kulturellen Schaffens. Schöne Worte, hinter denen nicht allzuviel steckt. Der Videokünstler Thomas Lehner: „Die Anerkennung unserer Arbeit verläuft in konzentrischen Kreisen. Am geringsten ist sie in Linz, schon besser in Wien, am besten im Ausland“. Die internationale Anerkennung und ihre Medienpräsenz ist es auch, warum die Stadtwerkstatt umworben und subventioniert wird — ihr eigentliches Anliegen, vermutet Gemeinderat Himmelbauer, „wird nicht verstanden. Der Bürgermeister kann weder erklären, was die Stadtwerkstatt macht, noch warum sie unterstützt wird“. Typisches Beispiel für das Nichtverstehen: die Erhaltung des traditionell gewachsenen Stadtviertels Alt-Urfahr-Ost war und ist ein wichtiger Punkt im kulturellen Selbstverständnis — die Stadt sagt „ja“ dazu und zerstört gleichzeitig das Viertel. Aus der gewachsenen Struktur wurden Häuserblöcke herausgerissen die beiden Prunkstücke des Viertels, das legendäre Cafe „Landgraf“ und das ursprüngliche Haus der Stadtwerkstatt stehen leer und harren einer ungewissen Zukunft. „Wir wissen nicht, was mit unserem Haus passieren wird, wir glauben aber nicht, daß es stehen bleiben wird“, fürchtet Thomas Lehner. Denn, „warum hätten wir raus müssen, wenn es nicht abgerissen wird?“ Die Gestaltung von Alt-Urfahr-Ost wurde den Linzer Haus- und Hofarchitekten, dem Büro „Suter & Suter“, übertragen. Wie es mit dem Viertel weitergeht, weiß noch niemand. Verschiedene Gerüchte machen die Runde. So wird von der Errichtung einer Altenresidenz gemunkelt — allerdings müßte dann die quer durch das Gebiet laufende Friedhofstraße umbenannt werden ...

Die Stadtwerkstatt selbst ist mittlerweile in ein angrenzendes Objekt übersiedelt, sieht aber noch große Probleme auf sich zukommen. Das der Gemeinde gehörende Haus hat keinen Veranstaltungssaal, die ursprüngliche Version des Mietvertrages „war gepflastert mit Möglichkeiten, uns rauszuschmeissen“ (Lehner), weswegen er überarbeitet werden mußte, die Miete ist mit jährlich einer halben Million Schilling äußerst hoch. Zwar bekommt die Stadtwerkstatt die Miete zur Zeit subventioniert, aber was ist bei einem Bürgermeisterwechsel? Ein Subventionsstopp käme einem Rausschmiß gleich, fürchtet das Kulturzentrum. Außerdem sei es „kulturpolitisch absolut fragwürdig“, aus dem Kulturbudget eine halbe Million an Subventionen zu vergeben, dieselbe Summe aber wieder als Miete für das Liegenschaftsamt einzukassieren. Was als Kulturförderung verkauft wird, ist letztlich eine interne Budgetumschichtung. Daher verlangt die Stadtwerkstatt, der derzeit auch die üblichen Subventionen von Land und Bund vorenthalten werden, echte Förderungen für eine „kulturelle Betriebsansiedelung“.

Doch kulturell, meint Lehner, ist die Stadt trotz 500 Jahr-Jubiläum „noch lange nicht ausgewachsen. Sie befindet sich gerade in der vorpubertären Phase“.

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Erstveröffentlichung im FORVM:
Mai
1990
, Seite 26
Autor/inn/en:

Christof Parnreiter:

Hat Geschichte und Romanistik studiert, arbeitet als freier Journalist.

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