Wurzelwerk » Jahrgang 1982 » Wurzelwerk 11
Federico Nier-Fischer

Information muß erst entkolonialisiert werden

Die Dritte Welt in Kategorien von „Erdölscheichs“, „Habenichts“ und „Putsche“

In den letzten drei Jahrzehnten schlugen dem Kolonialismus als Weltsystem die letzten Stunden. Eine ganze Reihe junger Staaten traten in die internationale Szene. Sie trugen zwar nun die politische Verantwortung für ihre Entwicklung, aber mit ihren geerbten deformierten Wirtschaften trafen sie auf eine Weltwirtschaft, die — um es gelinde auszudrücken — auf ihre Entwickungsbedürfnisse nicht ausgerichtet war und ist. Die internationalen Verhältnisse, die sie umgeben und in die hinein sie sich nun zu entwickeln haben, gehorcht nur ganz bestimmten Spielregeln, die fast ausschließlich den Erfordernissen der Industrieländern entsprechen. (Bei der gegenwärtigen Krise dürfte auch das endgültig in Frage gestellt sein).

So ist es nicht nur die internationale Wirtschaft im engeren Sinne, die blind gegenüber den katastrophalen Verhältnissen in der Dritten Welt ist, wo fast 3/4 der Menschheit um das blanke Überleben kämpfen; die jungen Staaten und die Völker in den unterentwickelten Regionen mußten auch feststellen, daß sie stumm (bzw.
geknebelt) waren. Dabei geht es nicht einfach um die Hilferufe, die ungehört verhallen, sondern besonders auch um die Selbstdarstellung der Probleme und der Lösungsversuche und um die Vermittlung der eigenen Lage und Stellung. Mit anderen Worten, es fehlt eigentlich an den Grundvoraussetzungen der Völkerverständigung und der Zusammenarbeit: das Wissen und Verstehen können.

Seit mehr als hundert Jahren werden die Informationsströme international von einer handvoll Nachrichtenagenturen beherrscht, in direkter Folge ihrer Einrichtung als Informationswerkzeuge der Kolonialmächte. Seither blieben sie auf die Märkte ihrer Basisländer ausgerichtet (oder präziser ausgedrückt, auf diejenigen Kreise, die Kaufkraft und Umsetzungsvermögen der Information besitzen). Sie wurden und werden direkt oder indirekt subventioniert und sind stolzer Ausdruck der Informationssouveränität großer Industrienationen. sie verkörpern den technologischen Vorsprung und stellen Bastionen der Propaganda- und Gegenpropagandamacht dar.

Jüngste Untersuchungen, die von der UNESCO in Auftrag gegeben worden sind, zeigen auf, daß 97% des internationalen Nachrichtenflußes, der von den 10 größten Agenturen getätigt wird (entspricht ungefähr 34 Millionen Wörter pro Tag), von nur vier Agenturen der westlichen Industrieländer stammen und lediglich 1,17% drei Agenturen zufallen, die sich der Dritten Welt zuschreiben lassen.

Der Prozeß extremer Monopolisierung (Gerüchte über bevorstehende Fusionen deuten an, daß die Konzentration sogar noch zunehmen kann) drängt der Weltöffentlichkeit eine Perspektive auf, bei der die Kommunikationsbedürfnisse nicht nur der Dritten Welt unberücksichtigt bleiben.

Eine Gesellschaft in der Dritten Welt erfährt über ihre Nachbarn bzw. sogar über sich selbst nur über die Redaktionstische im Norden (vorbehaltlich es kommt dazu, denn die meisten Nachrichten handeln über die Industrieländer). Analog verhält es sich mit Informationen über kleinere oder neutrale Industrieländer, denn die Agenturen vertreiben eine Konzentration von Nachrichten aus dem Aktionsbereich der Mächte in der NATO.

Die unverhältnismäßige Dichte der Berichterstattung über einen nur sehr kleinen Ausschnitt des Weltgeschehens, den die Nachrichtenmonopole täglich produzieren und reproduzieren, hat einen Typus der Information hervorgebracht, der denkbar ungeeignet ist, den Kommunikationsbedürfnissen der Dritten Welt gerecht zu werden. Die typische kompakte Kurznachricht (spotnews) ist ein Informationsformat für konzentrierte und dichte Nachrichtenflüsse. Losgelöst davon, unterstreicht sie nur das Bild einer Dritten Welt als wechselnder Schauplatz von Sensationsmeldungen über Katastophen, punktuelle Ereignisse und unvermittelte Extremsituationen.

IPS — eine Agentur für eine gerechtere internationale Informationsordnung

1964 gründete eine genossenschaftlich organisierte Interesengemeinschaft von Journalisten eine unabhängige und professionell ausgerichtete Agentur im Dienste der Kommunikationsbedürfnisse der Dritten Welt: „Inter Press Service (IPS)“. Bestehende Ansätze weiterführend schlug sie eine „Informationsbrücke“ von Lateinamerika nach WestEuropa. Heute ist sie mit einem weitverzweigten Netz eigener Korrespondenten über alle Kontinente verbreitet. Darüberhinaus stellt IPS Telekommunikationseinrichtungen für Medien und Kommunikationssysteme in der Dritten Welt zur Verfügung, arbeitet mit 30 nationalen Agenturen zusammen und fördert mit einer eigenen Forschungsabteilung Kommunikationssysteme in der Dritten Welt.

Da die Kommunikationsbedürfnisse der Dritten Welt nicht einfach auf eine größere Menge von Informationsströmen gerichtet sind, galt das besondere Engagement von IPS der Schaffung von neuen Formaten der Information, die nicht ausschließlich ereignisorientiert sind, sondern dem komplexen und in der Dritten Welt sehr differenzierten Prozeß der Entwickung gerecht zu werden versuchen. Die IPS Berichterstattung ist daher betont auf Hintergrund und Analyse ausgerichtet.

Neben der Führung von mehrsprachigen Basisdiensten (spanisch, englisch, portugiesisch, arabisch, schwedisch, deutsch) erstellt IPS auch eine Reihe von Sonderdiensten, die eine breite Palette von Schwerpunkten abdecken (sie reicht z.B.
von Nord-Süd-Verhandlungen, Energiefragen usw. bis zu Christentum in Lateinamerika, Umwelt, Bevölkerung u.a.). Als besonderes Merkmal bleibt aber für IPS, daß benachteiligte Akteure im internationalen Nachrichtenfluß über die Agentur ihe Rechte wahrnehmen können, so z.B. berichten Frauen über Frauenfragen, Nicht-Staatliche Organisationen über entwicklungspolitische Ansätze, Forschungsinstitutionen über wichtige Ergebnisse ihrer Arbeiten, usw.

Will man ein Prinzip des komplexen Problems einer neuen und gerechten Internationalen Informationsordnung einmal herausgreifen, so ließe sich das Anliegen darauf reduzieren, daß man in professioneller Weise dafür sorgt, daß Information zu einem Recht des Menschen wird und nicht lediglich zu einer Ware wie jede andere.

Federico Nier-Fischer,
IPS-Korrespondenten/Wien

c/o Wiener Institut für Entwicklungsfragen,
1010 Wien, Kärntnerstr. 25.
Tel. 52-16-81. 12035 vid a.

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Erstveröffentlichung im FORVM:
Mai
1982
, Seite 29
Autor/inn/en:

Federico Nier-Fischer: IPS-Korrespondent, Wien

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