Es gehört zur Logik der sogenannten Drittstaatenregelung, daß sie fast zwangsläufig zur Konstruktion von Viertstaaten, Fünftstaaten, Sechtstaaten undsoweiter führt. Die als Voraussetzung für eine Abschiebung an den Schutz von Asylwerbenden gestellten Anforderungen sinken dabei kontinuierlich mit der Entfernung vom Zweitstaat. Während dieser so den Anschein der Rechtsstaatlichkeit im Asylverfahren wahrt, bedeutet dies für die Flüchtenden Kettenabschiebungen — solange, bis sie wieder den Behörden ihres Verfolgerstaates ausgeliefert sind.
Beat Leuthardt und die Fotografin Jutta Vogel sind den praktischen Auswirkungen dieser zynischen Interpretation der Genfer Flüchtlingskonvention entlang der Linie Deutschland-Polen-Litauen-Weißrußland-Rußland nachgegangen. Ihre Reportage konzentriert sich dabei auf den Viertstaat Litauen. Sie schildern die unwürdigen Zustände in den Abschiebelagern, die Verwandlung von Schutzsuchenden in Drogenkuriere und Verbrecher und, wie aus Asylwerberinnen „Illegale“ werden. Wer in Polen nicht Asyl verlangt, wird auch nicht danach gefragt. In Litauen finden auch diejenigen, die von sich aus um Asyl ansuchen, kein Gehör mehr. Sie werden direkt in den Polizeistaat Weißrußland weitergeschoben und von dort über die offenen Grenzen der GUS-Staaten bis weit in den Osten.
Hier ein paar Ikea-Möbel in Grenzstationen, dort ein paar Millionen Mark für Fahndungshard- und Software — deutlich wird, wo die eigentlichen Konzepteure der osteuropäischen Asylgesetze und der paramilitärischen Grenzschutztruppen sitzen: nicht in Warschau oder Vilnius, sondern in Bonn, Stockholm und Helsinki. „Klar“, meint der Sozialwissenschafter Vladimiras Grazulis, der das neue litauische Asylgesetz entlang westlichen Vorgaben entworfen hat, „soll uns das helfen, in der Europäischen Union Aufnahme zu finden.“ Auf die Frage, was passiere, wenn sich Weißrußland weiterhin weigere, ein Rückschiebeabkommen mit Litauen zu unterzeichnen, antwortet Grazulis,: „Dann muß hier eine neue Mauer aufgebaut werden.“ Dann, so ließe sich dieser Gedanke weiterspinnen, können der Bundesgrenzschutz von Oder und Neisse oder das österreichische Bundesheer aus dem Burgenland abziehen, und die westeuropäischen Staaten werden ganz wunderbare Asylregelungen haben — nur daß niemand mehr Gelegenheit haben wird, diese auch in Anspruch zu nehmen.
Leuthardt und Vogel ist es mit ihrer — leider schlampig lektorierten und wenig ansprechend aufgemachten — Reportage gelungen, durch einen anderen Blickwinkel auf die weitgehend zu Ende analysierte „Festung Europa“ diese noch einmal in ihrer ganzen Menschenverachtung vorzuführen.