MOZ » Jahrgang 1990 » Nummer 48
Elmar Altvater • Ulrich Briefs • Jutta Ditfurth • Joschka Fischer • Karl Lind • Reinhard Pfriem • Michaele Schreyer
Der Sozialismus ist tot!

Es lebe der „Was ist Sozialismus?“-Sozialismus

Der zweite Perspektivenkongreß der BRD-Grünen brachte wenig an Perspektiven, dafür viel an Spekulation. Die Zusammenarbeit mit der SPD nach den Bundestagswahlen 1990 sowie die Entwicklung in Europa standen zur Diskussion. Ein „lustvoller Diskurs“ über den sogenannten „Dritten Weg“, zwischen Marktwirtschaft und dem real nicht existierenden Sozialismus, war — wiewohl angekündigt — nicht angesagt. Das grüne Anschmiegen an die SPD kostet Profil, ihre „Ostpolitik“, die sich in der Hochhaltung des Status quo übte, ist festgefahren.

Perspektiven lassen sich mithin schwer herausfiltern. Um trotzdem Einblick zu ermöglichen in eine grüne Binnenstruktur, dokumentieren wir auf den folgenden Seiten das Ergebnis einer Diskussion zum Thema „Ökokapitalismus? Oder ökologische Alternativen zum Kapitalismus“.

Karl Lind zeichnet für die Zusammenstellung und Kürzung verantwortlich.
Es saßen am Podium:
Jutta Ditfurth, ehemalige Bundesvorstandssprecherin der Grünen
Reinhard Pfriem, Leiter des Instituts für ökologische Wirtschaftsforschung, Berlin/West
Elmar Altvater, Professor für Politik an der FU Berlin/West
Michaela Schreyer, Grüne Umweltsenatorin in Berlin/West
Ulrich Briefs, Bundestagsabgeordneter der Grünen
Joschka Fischer, Fraktionschef der Grünen, Hessen

Elmar Altvater: Eine ökologische Marktwirtschaft ist keine Möglichkeit. Dagegen spricht das Prinzip des Marktes. Der Markt ist eine wunderbare Erfindung in der Geschichte der Menschheit, eine Erfindung, die übrigens noch gar nicht so alt ist, vielleicht einige hundert Jahre.

Der Markt, das ist nicht nur der Markt für normale Waren und Dienstleitungen, das ist auch der Arbeitsmarkt und der Geld- und Kreditmarkt. Auch Geld, Währungen sind Waren. Und diese Märkte sind destruktiv. Es ist eine krasse Utopie zu glauben, daß Märkte sich selbst regulieren und daß sie nicht die Arbeitskraft und die Umwelt zerstören. Gegen die Zerstörung der Arbeitskraft ist der Sozialstaat erfunden worden, ein antimarktwirtschaftliches Prinzip, wenn auch weitgehend in die Marktwirtschaft integriert. Gegen die Zerstörung der Umwelt hat sich noch nichts innerhalb der Marktwirtschaft finden lassen, im Gegenteil, diese Marktwirtschaft macht die Umwelt weiter kaputt.

Und dies systematisch, und es geht auch gar nicht anders, denn die Logik des Marktes ist expansiv, in jeder Hinsicht. Sie ist expansiv im geographischen Sinne, das heißt, sie unterwirft sich den Globus.

Der Markt ist aber auch expansiv im Sinne dessen, was als innere Landnahme bezeichnet worden ist, die innere Kolonisation. Unser aller Leben wird davon betroffen, alle Bereiche unseres Lebens werden den monetären Beziehungen unterworfen. Das Geld ist der Kuppler aller zwischenmenschlichen Beziehungen, und nur wer Geld hat, kann sich auf zwischenmenschliche Beziehungen einlassen.

Neben diesem Expansionismus ist der Markt aber auch außerordentlich erfolgreich und attraktiv. Das ist die Kehrseite, und deswegen sind auch diejenigen, die den Markt so lange nicht hatten, heute deswegen dafür, ihn einzuführen. Weil er eben nur funktioniert, wenn ein Überschuß zustande kommt. Das heißt Effizienz des Einsatzes von Mittel und Zweck, das heißt Wachstum. Und Wachstum heißt Steigerung des Wohlstands, das ist das Erfolgskriterium einer Ökonomie, die sich den marktwirtschaftlichen Grundprinzipien unterwirft.

Der Markt ist auch isolierend im Sinne der Zerstörung sozialer Prinzipien und Formen des Zusammenlebens der Menschen. Der Markt hat die Menschen diszipliniert. Wir wissen das gar nicht mehr, weil dieser Disziplinierungsprozeß schon einige Jahrhunderte in Europa läuft. Das hat eine ganz bestimmte Rationalität entstehen lassen, die wir gewohnt sind, als eurozentristisch zu bezeichnen. Und diese Disziplinierung findet in Ländern der „Dritten Welt“ immer noch statt. Das ist ein Kampf um die Zeit, wie die Menschen sich die Lebenszeit einteilen und wie es vom Kapital verlangt wird.

Der Markt, eine paradoxe Situation. Einerseits destruktiv, andererseits Element des Fortschritts, der Bewegung, der Wohlstandssteigerung. Ein Faszinosum, das für viele Menschen außerordentlich attraktiv ist und daher in den osteuropäischen Ländern auf so viel Gegenliebe stößt, wie wir es gar nicht erwartet haben. Daß es so viele Neoliberale auf der Welt noch gibt, und gerade dort, wo man sie am wenigsten erwartet hat.

Das Faszinosum stößt natürlich auf Grenzen. Denn wenn alle Lebensformen der Rationalität von Geld, Monetisierung und Beschleunigung unterworfen werden, macht das die zwischenmenschlichen Beziehungen und die Ökologie kaputt. Mit dem Markt und der Rationalität entsteht Massenproduktion, mit der Massenproduktion wird die Massenkonsumtion notwendig, das bedingt ein ganz neues Industrie- und Konsummodell. Das heißt auch massenhafter Verbrauch von natürlichen Ressourcen und vor allem von Energie. Das Industriemodell, das auch als fordistisch bezeichnet worden ist, ist außerordentlich energie- und materialintensiv, es führt zur Plünderung der natürlichen Ressourcen ohne Grenzen. Und nicht nur zur Plünderung, sondern zur Überlastung des Systems soweit, daß möglicherweise das Leben auf diesem Planeten vernichtet wird.

Und stellen wir uns vor: Alle machen das, was wir da machen. In diesem System sind Grenzen eingezogen. Das Industriemodell ist ein positionelles Gut, das heißt ein Gebrauchswert, der denjenigen, die ihn nutzen, solange einen Gebrauchswert vermittelt, wie andere dieses Gut gerade nicht haben. Wir können uns unsere Autodichte ja nur deshalb leisten, weil in China, in Afrika, in Lateinamerika die Dichte viel geringer ist.

Es gibt auch noch die Endpunkte einer Marktrationalität, wo sie in Irrationalität umschlägt. So wird das Geld zu einer Fessel der Entwicklung. Die Schuldenkrise der Länder der „Dritten Welt“ zeigt das ganz deutlich. Und wenn sich die Länder von der Fessel lösen wollen, dann müssen sie die Umwelt ausplündern, um die Schulden bezahlen zu können. Das hängt miteinander zusammen.

Diese Grenzen lassen sich prinzipiell nicht überwinden, und weil sie sich prinzipiell nicht überwinden lassen, gibt es auch keine prinzipielle Versöhnung zwischen Kapitalismus und Ökologie.

Aber wir leben in einer kapitalistischen Gesellschaft, und daher können wir nicht einfach aussteigen. Wir müssen sozusagen die Quadratur des Kreises probieren. Es geht also um die Suche nach neuen Wegen in einer Gesellschaft, die uns einen Teil dieses Weges durch die politischen und ökonomischen Verhältnisse vorschreibt. Wir müssen neue Regulationsformen entwickeln, ohne alte Erkenntnisse über Bord zu werfen.

Reinhard Pfriem: Ich möchte als Vorbemerkung Günther Nenning, einen klugen österreichischen Journalisten, zitieren. Nicht als Motto, sondern ironisch, wie er es gemeint hat: „Dem Sozialismus geht es besser, seit es ihn nicht mehr gibt.“ Und: „Der Sozialismus ist tot, es lebe der ‚Was ist Sozialismus‘-Sozialismus.“

Die Grünen scheinen strömungsübergreifend von einem überholten Kapitalismusbegriff nicht loszukommen. Da sagt einer, ein evangelischer Theologe, der Kapitalismus ist international, Joschka Fischer sagt: Der Kapitalismus hat gesiegt. Und weiter sagt er: Aber mit diesem Sieg hat er auch die ganze und alleinige Verantwortung für das Ökosystem der Welt übernommen. Da würde der geschulte evangelische Theologe natürlich sagen, das kann ich übernehmen, weil die Frage von Schuld und Sühne für mich auch im Zentrum steht.

Reinhard Pfriem

Es geht in dem ganzen Bereich Ökologie-Ökonomie darum, ob in der Umwelt- und Wirtschaftspolitik ein Typus Umweltschutz überwunden werden kann, den ich als initionsbornierten Umweltschutz bezeichne, denn wenn Vertreter der Chemieindustrie auftreten, dann reden sie in aller Regel nur über ihre Emissionsprobleme, Luft, Wasser und Boden, und es bedarf immer kritischer Nachfragen, daß doch Chemie auch ein Problem von den Produkten, von den Risiken her ist. Da gibt es strukturelle Schranken bezüglich dessen, was die bereit sind, umweltpolitisch zu machen. Da wäre es eine profilgebende Aufgabe der Grünen zu sagen, man muß von den Produkten herkommen.

Auch Profil entwickeln könnten sie bei der ganzen Euphorie über die marktwirtschaftlichen Instrumente. Man hat überall inzwischen erkannt, man muß Instrumente mixen, man braucht nicht nur bestimmte Verbote, kein noch so bekloppter CDUler fordert etwa eine FCKW-Abgabe. Da sollten wir doch nicht anfangen, über Sinn und Unsinn marktwirtschaftlicher Instrumente nachzudenken, dreißig Jahre später als die anderen, sondern es wäre besser, konkrete Umweltqualität zu konzipieren, sich ökologische Entwicklungsziele zu setzen und zu sagen, in so und so vielen Jahren können wir das auch wirtschaftlich machen usw.

Wir werden die Luft ein bißchen besser machen können, auch das Wasser, aber wir werden die strukturellen Bereiche, die aus den Filtertechnologien, aus dem Abgabemechanismus rausfallen, nie ergreifen. Und auch hier wären kluge Strategien gefordert, genauso wie die Grünen ja vor Jahren im Zusammenhang mit dem Umbauprogramm von ökologischen Strukturreformen geredet haben. Jetzt würden sie gut dastehen, wenn sie wirtschaftliche Machbarkeit mit Zahlen nachweisen könnten, für die ökologischen Strukturreformen, die nötig sind.

Joschka Fischer: Elmar Altvater, du läßt mich in einem Zustand zwischen relativer und absoluter Ratlosigkeit. Das liegt an mir, ohne jeden Zweifel, denn ich konnte die entscheidenden Konsequenzen intellektuell nicht begreifen.

Du hast sehr richtig die klassische Marktkritik, wie ich sie in vielen Schulungskursen gelernt habe, ausgehend von Lohn, Preis und Profit, zusammengefaßt und hast sie noch ökologisch angereichert. Du hast eine prinzipielle Versöhnungsunmöglichkeit von Kapitalismus und Ökologie theoretisch sehr klar abgeleitet, um hinterher allerdings zu bekennen, daß du gemeinsam mit mir bei der Quadratur des Kreises angelangt bist. Elmar, ich hätte gute Lust, dir meine Redezeit zur Verfügung zu stellen, damit du uns sagst, wie es gehen soll. Wie Altvater sich tatsächlich die Alternative vorstellt.

Wenn man Probleme beschreiben kann und diese Beschreibungen noch gleich sind, dann sollen wir uns gegenseitig nicht klarmachen, wo die Revolution und wo das Verräterschwein sitzt — das weiß ich mittlerweile, wo das sitzt —, sondern daß wir in der Tat die Alternativen hören. Darum muß es gehen.

Joschka Fischer

Diese Diskussion von Sozialismus und Kapitalismus in den letzten zwei Tagen ist eine zutiefst unehrliche. Weil ihr so tut, als ob dieser Sozialismus, der hier im Raume schwebt, etwas anderes wäre als ein persönlicher politischer Identifikationspunkt. Als ob es sich tatsächlich noch um eine gesellschaftliche Machbarkeitsalternative drehte, wie er es ja in der Tat über Jahrzehnte und weit über ein Jahrhundert lang war. Als ob das heute so noch aufrechtzuerhalten wäre, ohne daß man die traditionelle Position einer Kritik unterzieht.

Der revolutionäre Sozialismus ist heute die letztliche Aufarbeitung, daß die heroischen Revolutionäre in der bürokratischen Nomenklatura-Klassenherrschaft gelandet sind. Und die andere, die sozialdemokratische Variante, lief ja über die Sozialstaatsversion auf eine Versöhnung hinaus. Mit dem Kapitalismus, dem bekämpften.

Und aus diesen beiden Erfahrungen kommt ja auch das Neue, der Einbruch der Ökologie in das traditionelle linke Denken. Wenn hier allgemein so getan wird, als ob die Linke nicht wesentliche Gründe zur Selbstkritik und zu einem Neuanfang — auch intellektuell — hätte, dann empfehle ich allen mal, das von mir immer noch bewunderte Werk Ernst Blochs „Prinzip Hoffnung“ nachzulesen.

Und, so glaube ich, wir stehen heute nicht vor der Frage Sozialismus oder Kapitalismus, sondern haben es heute hier mit zwei industrialistischen Varianten zu tun. Mit der marktwirtschaftlichen und der staatswirtschaftlichen.

Reicht es aus, nur radikale Kritik zu formulieren? Reicht es aus, nur möglichst radikale Aufklärung zu betreiben? Ich behauptete selbst einmal, wenn man sich grüne Umweltpolitik anschaut, dann wird man feststellen, daß der größte Erfolg der letzten zehn Jahre in der Bewußtseinsbildung liegt. Daß aber umgekehrt wir auch so ehrlich sein sollten: Was hat denn unsere Debatte über den Sofortausstieg tatsächlich verändert? Dieser interne Streit, was hat der gebracht? Das Jahr ist längstens rum, die Atomenergie wurde dadurch alles andere als harmloser. Im Gegenteil, wir hatten in Biblis einen Beinahe-Supergau, der Hanauer-Skandal ... Das alles zusammengenommen, das zeigt doch auch, daß grüne Umweltpolitik dort, wo sie praktisch verändernd wirken soll und muß, sich auch mal die Frage gefallen lassen muß, ob die eigene Analyse in ihrer Radikalität nicht auch zu einem radikalen Pragmatismus zwingt, schlicht und einfach, weil die Grundlage, auf der sich diese Kritik formuliert, der Akt, auf dem wir alle sitzen, munter weiter durchgesetzt wird.

Das heißt, das große Problem, vor dem eine grüne Umbaupolitik steht, wird in der Tat das Zeitproblem. Und das zwingt uns auch, wie ich finde, zu einem Handlungspragmatismus. Wie bekommen wir mit welchen Instrumenten jenseits der Ideologiedebatte, die wir nach einigen ökologischen Fortschritten wieder neu führen sollten, wie bekommen wir denn praktische Veränderungen? Mit welchen Bündnissen? Die Zeit läuft uns davon. Die Bilanz in Europa zeigt, daß wir mitnichten einen auch nur in Ansätzen als Wende in der Umweltpolitik zu bezeichnenden Zustand erreicht hätten, sondern daß im wesentlichen Umweltrhetorik betrieben wurde. Und wir diskutieren heute die 153,6 Neuauflage „Wie halten wir es mit dem Sozialismus?“ Ich vermag da keinen Sinn darin zu sehen. Danke.

Ulrich Briefs: Wer Ökokapitalismus als Begriff benutzt, als Theorie oder als Praxis, und wer das auch noch ernsthaft meint, gerät meines Erachtens in Gefahr, mit dem Hintern einzureissen, was er mühselig, realpolitisch sozusagen, mit den Fingern aufgebaut hat, wenn er überhaupt was aufbaut.

Was uns Joschka hier und anderswo liefert, ist im Grunde der allerkleinste Nenner für eine Koalition mit den Herrschenden. Kapitalismus gibt es nicht ohne Wachstum, das ist keine dogmatische Aussage. Darauf möchte ich mal hinweisen. Das ist eine ganz alltägliche triviale Erfahrung aus den Betrieben. Es gibt nichts, was so stark in jede Pore betrieblichen Bestehens hineinwirkt wie der Wachstumszwang, und der kommt, da bin ich anderer Meinung als Elmar, nicht vom Markt her. Wir haben doch auch Kapitalismus gehabt und haben ihn auch heute noch in Teilbereichen, der überhaupt nichts mit Markt im Sinne hat. Der Markt ist nur eine notwendige Einrichtung für die grenzenlose und immer zerstörerische Expansion des Kapitals. Es geht ums Kapital selbst, als historische, als gesellschaftliche Einrichtung. Und da müssen wir ran.

Jetzt mal ganz nüchtern: 500 Milliarden Mark, das ist der volkswirtschaftliche Cash-Flow, wachsen derzeit Jahr für Jahr, immer etwas mehr, als zusätzlicher Reichtum der Wirtschaft zu. Was geschieht denn mit den 500 Milliarden? Die werden investiert, zunehmend in Rationalisierungsinvestitionen, warum? Weil es Überkapazitäten in allen Bereichen gibt. Und die wandern wegen dieser Überkapazitäten zunehmend in die internationalen Geld- und Kapitalmärkte. Und tragen dann in bestimmten Zusammenhängen dazu bei, daß die Amazonaswälder abgeholzt und über die internationale Warenspekulation ganze Völker ausgehungert werden.

Dennoch muß so eine Analyse nicht hilflos machen. Das sehe ich anders als Joschka Fischer, der keinen einzigen konkreten Punkt gebracht hat. Nur das Konkrete ist nützlich: z.B das Ökosteuerkonzept. Das wird genauso wenig die ökologische Krise lösen, wie die progressive Einkommenssteuer die Ungerechtigkeit im Kapitalismus beseitigt hat. Es wird genausowenig den Energieverbrauch wesentlich drosseln, wie die Erhöhung der Benzinpreise den Benzinverbrauch reduziert hat. Der grundlegende Fehler des Systems ist, daß es rein bei den KonsumentInnen ansetzt. Die großen ökologischen Sauereien geschehen aber auf den Vorstufen, im Produktionsbereich, in der Grundstoffindustrie. Und darauf gibt es keine Ansätze.

Jutta Ditfurth: Ich habe noch die Position, daß ich eine Befreiung vom Kapitalismus, von Ausbeutung von Mensch und Natur, für eine sehr sinnvolle, anzustrebende Utopie halte.

Ich finde, es vermischt sich hier sehr oft Rationalität mit Psychologie, politische Position und Strategievorschlag mit der eigenen Biographie und den Veränderungen in den Zeiten, die wir hinter uns haben. Und ich glaube, daß das, was passiert, wenn man versucht, Kapitalismus neu positiv zu definieren, indem man Öko vorne dran macht, dann damit zu tun hat, daß manche ihre eigene Lage herausisolieren, die inzwischen als relativ gute beschrieben werden kann. Über diesen Weg kann man selten zu einer rationalen und der Wirklichkeit nahen Analyse des Kapitalismus kommen. Wer heute behauptet, man könne eben mal die stalinistische Perversion des Sozialismus in der DDR und dessen Zusammenbruch mit Kapitalismus hier in der BRD vergleichen, der hat nicht begriffen, daß Kapitalismus eine internationale Angelegenheit ist. Und daß man ihn nur so analysieren und verstehen und beschreiben kann. Frankfurt gehört dann eben zusammen mit Sao Paulo und Berlin mit Mexico City, weil das eben das gleiche System ist und weil es an diesen Ländern eine Systemschuld gibt. Und mit der kann ich mich sehr schwer versöhnen.

Jutta Ditfurth

Der Ökokapitalismus kommt mir so vor wie die alte dreiste Lüge von der Sozialpartnerschaft. Da wird vorgetäuscht, Ökologie und Kapitalismus gehe zusammen. Das ist völlig absurd. Da soll eine Verträglichkeit vorgetäuscht werden, die es nicht geben kann, weil Kapitalismus auf sowas wie Profitprinzip basiert, und das heißt: Er muß versuchen, sich Mensch und Natur unter möglichst billigen Bedingungen zu unterwerfen und vermarktbar zu machen. Das geht eben nur um den Preis der Zerstörung.

Wenn da gesagt wird, der Kapitalismus habe gesiegt, dann wird das immer mit dem Unterton gesagt: Deshalb hat er recht. Wer das sagt, der begeht mindestens einen logischen, wenn nicht einen demagogischen Fehler. Denn wer siegt, kann nicht recht haben.

Wenn ein System wie der Kapitalismus es geschafft hat oder immer wieder schafft, alle möglichen Gegenansätze kaputtzukriegen, heißt es dann, daß das System recht hat, oder heißt das, daß man dem Erfolg nachgibt? Während diese Gegenansätze zerstört werden, ist in El Salvador Bürgerkrieg. Da wird der Versuch von Selbstbestimmung und von eigenen Politikansätzen mit einem 85-Millionen-Dollar-Kredit zerstört. Aber im Rahmen von deutsch-deutschen Diskussionen ist komischerweise bisher für El Salvador kein Platz.

Es gibt auch noch andere Methoden, mit denen Kapitalismus siegen kann. Da gibt es Korruption und Kauf oder eben, in westlichen Industrienationen, Befriedung durch Massen- und immer steigenden Luxuskonsum. Und das ist ein ganz besonders wirkungsvolles Arzneimittel.

Die realen ökologischen Probleme sind so groß, daß ich manchmal verblüfft bin darüber, daß mir dann hier eine unbeschreibliche Radikalität vorgehalten wird, weil ich mich ungeheuer gemäßigt fühle gegenüber dem, was man eigentlich tun, sagen und machen müßte.

Und gerade dann, wenn man die ökologische Katastrophe beschreibt, dann frage ich mich: Wie kommt man dann zu Konzepten, die die Versöhnung mit den Verursachern dieser Katastrophe bedeuten? Ökokapitalismus ist ungefähr so, als ob man irgendwelchen Waschmitteln das Etikett Bio aufklebt und damit behauptet, sie seien umweltverträglich. Und letztendlich geht es auch darum, mit einer solchen politischen Konzeption bestimmte Bündniskonstellationen aufzumachen.

Michaela Schreyer: Warum wird der Faktor Natur im Kapitalismus so zerstört? Eben deshalb, weil die Mechanismen, die unsere Wirtschaft lenken, nicht den Faktor in die Entscheidung miteinbeziehen.

Der Faktor ist knapp. Das Signal könnte gegeben werden über den Preis oder über Mengenrationierungen, beides wird zum Teil, aber nicht umfassend betrieben. Jutta hat abgehoben, daß es der Mechanismus des Gewinnstrebens sei, der dazu führt, daß die Umwelt zerstört wird. Das Nutzenmaximierungsprinzip ist ja Zentralmoment der Lenkung im marktwirtschaftlichen System. Und es erlaubt nicht nur, die Folgen des eigenen Handelns für andere Personen aus dem Bild herauszunehmen, sondern die Wirkungsweise beruht explizit darauf, daß man die Folgen des eigenen Handelns für andere nicht zu berücksichtigen braucht. Das führt auch zu problematischen Folgen im einzelnen.

Michaela Schreyer

Ich sehe dabei aber auch die positiven Folgen, weil sich der einzelne eben entsprechend seinem individuellen Streben verhalten kann. Was also notwendig ist, ist, die kollektiven Interessen, die von den Einzelentscheidungen negativ berührt werden, wieder mit einzubringen in die Entscheidung des einzelnen Produzenten und Konsumenten. Und diese kollektiven Interessen wiedereinzubringen in das Entscheidungskalkül, erfordert eben verschiedene Mechanismen der Demokratie. Und die grünen Programme setzen doch in sehr vielen Punkten daran an zu sagen, wir nehmen die individuellen Entscheidungen als Grundlage und versuchen, durch verschiedene neue Formen der Demokratie die kollektiven Interessen jeweils in die Entscheidung der Produzenten und Konsumenten einzubringen.

Ich sage jetzt etwas zu den Möglichkeiten, die ich habe, die Produktion umweltverträglicher zu machen.

Ein Beispiel aus Berlin: Da wird an sämtlichen Schulen Asbestsanierung betrieben mit einem fürchterlichen finanziellen Aufwand und einem fürchterlichen Aufwand an Organisation. Gleichzeitig hat einer der größten Arbeitgeber in Berlin weiterhin asbesthaltige Produkte produziert. Und das verstand eigentlich kein Mensch. Ich habe mit der Firma sehr intensiv gesprochen, inwieweit sie nicht das Abkommen von 1982 einhalten kann, das sagt, aus der Produktion bis 1990 bzw. 1993 auszusteigen. Ich habe gesagt: Leute, ihr habt doch geschlafen. Ihr hättet doch schon längst bei dem vorhandenen technischen Fortschritt aus der Produktion aussteigen können. Nein, nein, ging natürlich nicht. Viele Probleme. Und dann habe ich ein wirklich marktwirtschaftliches Instrumentarium genutzt. Der größte Abnehmer der asbesthaltigen Produkte ist die öffentliche Hand. Ich habe gesagt, der Bausenator wird verpflichtet, keine asbesthaltigen Produkte mehr zu kaufen usw. Jetzt ist in Berlin fast keine Nachfrage nach asbesthaltigen Produkten vorhanden, und die Firma mußte aus der Produktion aussteigen. Da gäbe es etliche Beispiele, wo man in vielen Formen Möglichkeiten hat.

Pfriem: Natürlich gibt es strukturelle Probleme, da hat Uli Briehfs schon recht. Wer sagt, was hilft uns das, wenn wir weiterhin so wie früher vom Kapitalismus reden, lieber Uli, der leugnet doch nicht, daß es Probleme gibt, die mit grundlegenden Mechanismen der Produktion, Arbeit und Lebensweise zu tun haben. Aber das muß man doch aufdröseln. Geht es um die Frage des Privateigentums, ist das der Knackpunkt, dann muß man darüber reden, welche alternativen Formen es dazu gegeben hat oder geben könnte. Oder geht es um die Planvorgaben? Das heißt, man muß über die Inhalte reden, dann wird es konkret.

Wenn Jutta Ditfurth einen ökologisch ehrlich motivierten Unternehmer trifft, dann bricht ihr Weltbild zusammen. Jutta steht für eine bestimmte Position, die es für grundsätzlich ablehnungsbedürftig hält, wenn so jemand wie ich sagt, daß Unternehmer viele Möglichkeiten haben und zum Teil schon wahrnehmen, aus ihrer Rolle als Entscheidungsträger kritisch ökologisch zu entscheiden. Gewöhnt euch doch endlich mal an die Tatsache, daß es verdammt leicht ist, am Schreibtisch eine radikal-ökologische Revolution zu formulieren. Wenn ihr aber aus irgendwelchen persönlichen Gründen in die Situation kommt, als Entscheidungsträger zu agieren, dann sind die Handlungsbedingungen natürlich ganz andere. Und da passiert unheimlich viel. Und mir läge sehr daran, daß die Grünen das zur Kenntnis nähmen.

Die Leute, die zentrale Papiere schreiben, die wissen gar nicht, wie stark die politische Existenz der Grünen davon abhängig ist, daß auf dieser lokalen Ebene — Gott sei Dank — noch viel mehr Kontakt besteht mit dem, was draußen im Lande sich tut.

Warum gibt es denn keine bundesgrünen Initiativen dafür, mit ökologisch engagierten Unternehmen eine Konferenz zu machen? Mit Verbraucherinitiativen, mit Gewerkschaften? Und darüber zu zeigen, daß die Grünen dabei sind, Avantgarde des ökologischen Umbaus zu werden? Die sozialdemokratischen Konzepte sind ja viel schwächer als ihr Ruf.

Altvater: Was mich heute hier frappiert und andererseits freut, ist die Tatsache, daß Jutta sich mit den Grundideen meines Beitrags einverstanden erklären konnte. Während Joschka Fischer beinhart kritisierte, obwohl ich mich selbst, wenn überhaupt wohin, dann den Realos zurechnen würde. Darin drückt sich nicht meine, sondern der Partei Konfusion aus.

Man kann ja wohl das eine tun und das andere nicht lassen. Wenn ich an der Stelle von Michaela Schreyer wäre und hätte ganz konkret Abhilfe zu schaffen, was Asbest an den Schulen betrifft, wenn ich in der Rolle von Joschka Fischer gewesen wäre und mich mit den Hanauern rumprügeln hätte müssen, dann würde ich natürlich auch Reparatur betreiben, ist doch selbstverständlich. Wenn eine Sau losgelassen ist, dann muß man sie wieder einfangen. Wir dürfen nur die Perspektive dabei nicht aus den Augen verlieren. Ich bin mit Pfriem einverstanden, selbstverständlich geht es darum, diese positiven Initiativen von Unternehmern, Gewerkschaften, Verbraucherverbänden, Kirchen und sonstigen Organisationen unserer Republik auszunutzen und mit ihnen zusammenzuarbeiten, auch über die Grenzen hinweg. Wir müssen aber wissen, daß — im Sinne von Michaela Schreyer — jeder dieser individuellen Akteure versucht, seinen Nutzen zu maximieren, und das heißt, die Schäden, die seine Handlungen bewirken können, anderen anzulasten. Die in der Ökonomie so breit diskutierten externen Effekte oder gesellschaftliche Kosten zu produzieren. Das ist nun mal in diesem System angelegt, da kann man sich auf den Kopf stellen oder seinen Kopf auch unter den Arm nehmen, da kann man Bücher schreiben oder Bücher lesen, das ist so, daran kommen wir einfach nicht vorbei. Und da muß man eben auch versuchen, dagegen etwas anzuwirken. So kann es passieren, daß in einem Land wie der BRD, reich, wie es ist, die Umweltreparatur ganz gut gelingen kann. Wir leben ganz gut. Was ist aber mit den anderen Ländern? Was ist mit den globalen Zusammenhängen des Klimas, wenn andere Länder nicht so handeln?

Das heißt, das Problem ist so global, wie die kapitalistische Gesellschaftsformation global ist. Und wir können am Orte sehr viel machen, wir lösen aber damit das Problem nicht für diese Gewaltigkeit des globalen Problems. Wir dürfen nicht die Perspektiven über Bord werfen, weil es gerade modisch ist. Auch nicht Begriffe über Bord werfen, weil keiner mehr was damit anfangen will. Begriffe, das hat was mit Begreifen zu tun. Und wenn wir die wegwerfen, dann begreifen wir die Zusammenhänge vielleicht gar nicht mehr.

Fischer: Es freut mich, feststellen zu können, daß in dem Moment, wo diese Scheißideologie ein bißchen in den Hintergrund tritt, man feststellt, daß in den praktischen Dingen — und ich glaube, das ist das Positive an der heutigen Diskussion — die Positionen innerhalb der Grünen hier am Podium so weit auseinander gar nicht sind. Da ist der Gedanke, eine Umweltbilanz einzuführen, ein Dynamisierungsprinzip über den Preis reinzubringen, das ist unglaublich wichtig. Ein ganz großes Problem jedes praktischen Umweltpolitikers.

Wenn die heutige Diskussion also dazu beigetragen hat, das ideologische Geröll für die kommenden Programmdebatten und für die praktischen Debatten wegzubringen, dann hat das wirklich was gebracht. Weil ich glaube, diese Partei geht wirklich schweren Zeiten entgegen, und da wären wir gut beraten, wenn wir etwas abrüsten würden, ideologisch.

Dieser Umbaugedanke ist auch eine revolutionäre Veränderung. Denn wir wollen das Industriesystem ökologisieren. Und die radikale Zielsetzung dabei aufzugeben, wäre das Falscheste, was es gibt. Die Zuwächse beim Energiebedarf halten weltweit dramatisch weiter an.

Und ich formuliere eher eine Überlebensutopie, aus der Notwendigkeit heraus geboren, plädiere für einen radikalen Neuanfang. Ich bin der Meinung, daß die Grünen jetzt die große Chance haben, die beiden wesentlichen Punkte — daß wir für eine radikale Demokratie stehen und für den ökologischen Umbau sind — jetzt einbringen können. Konkret: im nächsten Jahr. Darauf muß sich die ganze Partei hinorientieren. Wir sollen nächstes Jahr zu einem ganz entscheidenden Gestaltungsfaktor werden.

Briefs: Ich fürchte, der flammende Aufruf Joschkas wird ins Leere stürzen, denn offenbar kommt die eine große Volkspartei, und wir Grüne stagnieren. Wir werden im nächsten Jahr nicht das Problem Rot-Grün haben, sondern wie weit die Grünen auch aus der Opposition heraus eine völlige Neugestaltung Europas mitbestimmen können. Zu ökologischen und demokratischen Bedingungen — oder nicht.

Ich habe kein Feindbild Unternehmer, völliger Unsinn, ich habe viele Unternehmer-Freunde. Ich weiß nicht, ob wir uns vom politisch-historischen gesellschaftlichen Typus des Unternehmers trennen müssen? Warum? Aus welchen Konstitutionsmerkmalen denn? Der ist expansiv, sonst ist er kein Unternehmer, der ist aggressiv, fintenreich. Das ist keine Frage der Individuen, das ist nicht eine Frage der Köpfe, sondern eine der Verhältnisse. Wer mal längere Zeit in einem Betrieb gearbeitet hat, der weiß, was das heißt. Die sind nach militärischem Vorbild aufgebaut. Die gängige Sprache dort ist Stab, Linie, Strategie. Ein Manager fühlt sich besonders geehrt, wenn er als Stratege bezeichnet wird. Die neue Organisationssprache strotzt nur von Übernahmen aus dem militärischen Bereich, das ist doch Realität. Bitte machen wir uns damit vertraut, wie wenig demokratisch die Verhältnisse in den Betrieben sind. Auch in sogenannten gut geführten Unternehmen. Das ist keine Frage des guten Willens, und ich stelle niemandes guten Willen in Frage. Das ist eine Frage der Zusammenhänge und letzten Endes des Systems. Der enorme Wachstumsdruck. Da muß entsprechend gedrückt, gepreßt werden.

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Erstveröffentlichung im FORVM:
Januar
1990
, Seite 23
Autor/inn/en:

Karl Lind:

Geboren 1962. Seit 1980 journalistisch tätig für verschiedene Tages- und Wochenzeitungen, Mitbegründer der Zeitschrift Moderne Zeiten — Zeitung für politische Unterstellung und hinterstellende Ästhetik (MOZ). Buchveröffentlichung: Nur kein Rhabarber, Wien 1989. Seit 1993 Gastronom am Wiener Spittelberg.

Jutta Ditfurth:

War bis Ende 1988 Sprecherin der bundesdeutschen Grünen und lebt in Frankfurt.

Ulrich Briefs: Gewerkschafter und Bundestagsabgeordneter der BRD-Grünen in Bonn.

Reinhard Pfriem:

Leiter des Instituts für ökologische Wirtschaftsforschung, Berlin/West.

Elmar Altvater:

Professor für Politik an der FU Berlin/West.

Michaele Schreyer:

Grüne Umweltsenatorin in Berlin/West.

Joschka Fischer:

Fraktionschef der Grünen, Hessen.

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