Dan Tamir ist Offizier der israelischen Armee und Mitarbeiter der israelischen Friedensbewegung Yesh Gvul, die 1982 im Zuge der Libanon-Invasion entstanden ist um Soldaten zu unterstützen, die repressive Befehle gegen Zivilisten verweigern. Damals wurden 168 Dienstpflichtige inhaftiert. Seit dem Ausbruch der sogenannten “al-Aqsa-Intifada” haben 1100 israelische Militärangehörige, darunter sehr viele Offiziere mit höheren Rängen sowie einige weibliche Armeeangehörge sich selektiv verweigert. Manche von ihnen wurden wie Dan Tamir für einige Wochen verhaftet. Dan Tamir besuchte kürzlich Wien, wo Context XXI folgendes Gespräch mit ihm führte.
Bis vor einigen Jahren dachte ich, dass wir in den besetzten Gebieten eine Art der “aufgeklärten Besatzung” betreiben und seit dem Prozess von Oslo einen Weg gehen, der zu einer Verständigung mit den Palästinensern führen könnte. Seit einigen Monaten wurde mir aber immer klarer, dass diese Besatzungspolitik, wie sie nun betrieben wird, nicht mehr zu einer friedlichen Zukunft führen kann, sondern auch für uns selbst zu einer Bedrohung wird.
Als wir vor einigen Jahren mit einem Armeetransport durch die Dörfer der besetzten Gebiete fuhren, haben uns die Kinder noch zugewinkt, nun begegnen wir nur noch dem Hass der Bevölkerung. Wir sind heute nicht mehr auf einem Weg zu einer gemeinsamen Zukunft mit den Palästinensern, sondern werden von diesen nur noch als brutale Besatzung und Bedrohung wahrgenommen. Deshalb habe ich mich entschlossen nicht mehr an dieser Unterdrückung der Bevölkerung in den besetzten Gebieten teilzunehmen.
Yesh Gvul heißt auf Hebräisch “es gibt eine Grenze”. Grenze ist dabei nicht als territoriale Grenze zu verstehen, sondern als Grenze des Gewissens. Es ist die Grenze jedes Offiziers und jedes Soldaten, die Grenze zwischen moralischen und unmoralischen Taten. Es gibt natürlich auch politische Ursachen für die Verweigerung, aber die wirklichen Gründe liegen im moralischen Bereich. Ich wollte solche Befehle, die ich moralisch nicht mehr vertreten kann, nicht mehr befolgen.
Keine Armee der Welt gibt gerne zu, dass es so viele Verweigerer und Verweigerinnen gibt. Deshalb wurden von 1100 offiziellen Verweigerern – ich weiß nicht wie viele sich noch mit irgendwelchen Ausreden dem Militärdienst entzogen haben – nur 120 verhaftet, darunter auch ich. Ich muss aber sagen, dass diese Haft nicht so schlimm war. Was meine Haft aber von einem Vierstern-Hotel in ein Fünfstern-Hotel verwandelt hat, war die Solidarität, die mir aus Israel und der ganzen Welt zugekommen ist.
Als andere Soldaten vor mir im Libanon-Krieg verweigert haben, wurden sie in der Haft noch bedroht, mir ist es schon ganz anders ergangen. Ich war jetzt erst der 19. Verweigerer im Gefängnis und ich habe ganz andere Reaktionen erlebt. Mir haben viele Leute im Gefängnis gesagt, dass sie meine Verweigerung nicht billigen, aber sie waren bereit mit mir zu diskutieren und meinen Argumenten zuzuhören. Ich habe viel Respekt für meine Verweigerung erhalten. Hier hat sich etwas in der israelischen Gesellschaft verändert. Das zeigt sich auch in Umfragen, die vor 3 Monaten ergeben haben, dass 22 bis 23 % der israelischen Bevölkerung die Verweigerer in den besetzten Gebieten unterstützen. Seit der Erklärung Mut zur Verweigerung ist die israelische Friedensbewegung und Linke wieder aufgewacht und kann heute mit viel größerem Verständnis in der Bevölkerung rechnen als noch vor einigen Monaten.
Ich betrachte jeden Anschlag und jede Gewalt gegen zivile Bevölkerung als Terrorismus. Angriffe gegen ZivilistInnen sind Terrorismus. Darüber lässt sich nicht diskutieren. Die Frage ist aber, wie dieser Terrorismus effektiv bekämpft werden kann. Einige Leute denken, dass der Terrorismus ausschließlich eine militärische Frage ist und dass es deshalb auch eine militärische Antwort auf den Terrorismus geben muss. Das ist meiner Meinung nach aber falsch. Man spricht in Israel zur Zeit viel von der Infrastruktur des Terrorismus, aber die technische Infrastruktur hat im Vergleich zu den sozialen, wirtschaftlichen, politischen und ideologischen Ursachen des Terrorismus nur eine geringe Bedeutung. Eine schlechte politische Situation, Hoffnungslosigkeit, Arbeitslosigkeit und wirtschaftliche Probleme sind die wirkliche soziale und politische Infrastruktur des Terrorismus. Sprengstoff und Maschinengewehre sind nur technische Instrumente, aber nicht die Ursachen für den Terrorismus.
Zuerst einmal: Es gibt keinerlei Garantien für das Ende des Terrors. Aber ich versuche mir vorzustellen, was einen Mann, einen Vater von vier oder fünf Kindern, oder ein junges Mädchen, 17 Jahre alt, aus einer guten liebevollen Familie mit Brüdern und Schwestern und einer guten Schulbildung, dazu bringt, sich selbst in die Luft zu sprengen, um andere Zivilisten zu ermorden. Was bringt diese Leute im Kopf zu solchen Selbstmordattentaten? Und ich versuche die Wurzeln, die Ursachen warum diese Leute zu solchen Methoden greifen zu analysieren und zu minimalisieren. Ich versuche zu denken, in welcher Hoffnungslosigkeit sich diese Leute befinden müssen.
Das sind zwei ganz verschiedene Dinge. In Israel gibt es eine Besatzung: 22% der Gebiete von Israel zwischen Jordan und Mittelmeer, also Gaza, Judäa und Samaria, sind unter militärischer Besatzung. Ungefähr 33% der israelischen Bevölkerung, die sogenannte palästinensische Bevölkerung, die ja auch zwischen Jordan und Mittelmeer lebt, ist unterdrückt und unter der Herrschaft der Besatzung. Diese Besatzung muss beendet werden.
Zuerst einmal muss die Besatzung beendet werden. Was ist eine Besatzung? Besatzung ist, wenn ein Militär, eine Polizei oder eine andere bewaffnete Macht die Menschenrechte anderer Menschen beschneidet. Besatzung ist nie eine Besatzung von Territorien, ist nie eine Frage von Boden, sondern zuerst eine Besatzung von Menschen. Wenn die Rechte für Leben, Ausbildung, Bewegungsfreiheit, … verletzt sind, dann können wir von Besatzung sprechen. Je stärker diese Menschenrechtsverletzungen sind, desto stärker wird der Widerstand, desto gewalttätiger wird dieser Widerstand sein.
Dass die Besatzung beendet werden muss ist die Grundvoraussetzung für alles weitere! Was danach sein wird, ist eine andere Frage. Ich möchte Frieden haben, aber es gibt keinen Frieden ohne Gerechtigkeit und es gibt keine Gerechtigkeit ohne Gleichheit. Ich möchte in einem friedlichen Land leben und deshalb möchte ich Gerechtigkeit und Gleichheit. Ob diese Gleichheit in zwei getrennten oder in einem gemeinsamen Staat verwirklicht werden kann ist eine andere Frage. Persönlich glaube ich, daß es nichts Positives ist, neue Mauern zu bauen. In Österreich ist es in der Euro-Ära ganz klar, daß sich Grenzen öffnen, und auch ich möchte mein kleines Land nicht noch einmal durch eine Mauer geteilt sehen. Aber das ist meine private Meinung.
Als Vertreter von Yesh Gvul möchte ich noch einmal betonen, dass das Entscheidende die Beendigung der Besatzung ist!
Auf diese konkrete und sehr wichtige Frage, würde ich aber lieber nicht als Vertreter von Yesh Gvul antworten, sondern als Dan Tamir. Meiner Meinung nach ist Yassir Arafat ein korrupter Dieb, Lügner, Terrorist und ein Tyrann. Es gibt keine Rechtfertigungen für Terror gegen ZivilistInnen, wie er von der Autonomiebehörde unterstützt wird. Ich könnte dir nun zwei Stunden lang von den Menschenrechtsverletzungen innerhalb der Autonomiegebiete durch Yassir Arafat und seine Clique von Banditen erzählen, aber das hat keinen Sinn. Ich weiß, dass die heutige Situation für mein Land und meine Leute gefährlich ist. Und ich weiß, dass die Besatzung durch das israelische Militär und die Besatzung durch diese Autonomiebehörde beide abzulehnen sind. Deshalb möchte ich weder Teil der israelischen Besatzung noch der palästinensischen Autorität sein.
Wir müssen uns auf jeden Fall zurückziehen, unabhängig davon ob es eine Einigung mit den Palästinensern gibt. Ich glaube, dass das israelische Militär keine Kontrolle über zivile Bevölkerung in den besetzten Gebieten haben sollte. Ich hoffe sehr, dass sich in den heutigen besetzten Gebieten ein demokratisches Regime entwickeln kann und nicht die autokratische Führung Yassir Arafats an der Macht bleibt.
Ja, es gibt palästinensische Intellektuelle, die für einen echten Frieden eintreten, nicht VertreterInnen von Arafats Terrorherzogtum. Ich finde hier schon Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner. Es tut mir sehr leid, dass die palästinensische Öffentlichkeit genauso wie die israelische von nationalistischen Extremisten erobert wurde. Deshalb müssen wir, Palästinenser und Israelis, jetzt für mehr Toleranz und Friedenswillen kämpfen und uns nicht gegeneinander aufhetzen lassen.
Kontakt zu Yesh Gvul: www.yesh-gvul.org
Spendenkonto: Yesh Gvul, Acct no. 366614.
Bank Hapoalim, King George St.
Branch (690), Jerusalem; Israel