Nur mühsam kommen die deutschen Bestrebungen zur Schaffung eines Gesetzes voran, mit welchem die Opfer der NS-Justiz rehabilitiert werden sollen. Nach einer verunglückten Entschließung des Bundestags im Mai dieses Jahres – kein nationalsozialistisches Unrecht liegt dieser nach dann vor, wenn bei Anlegung rechtsstaatlicher Maßstäbe die einer Verurteilung zugrundeliegende Handlung auch heute Unrecht wäre (siehe ZOOM 3/97) – hat das Justizministerium bis heute keinen Gesetzesentwurf veröffentlicht. Dies mag daran liegen, daß Justizminister Edzard Schmidt-Jorzig (FDP) sehr wohl an einer pauschalen Rehabilitierung der NS-Opfer gelegen ist, eine solche bei Teilen der CDU/CSU-Fraktion aber nach wie vor auf heftigen Widerstand stößt. Allen voran der Abgeordnete Norbert Geis kündigte an, den Bestrebungen keinesfalls zuzustimmen, den Deserteuren der Wehrmacht „von vornherein einen Persilschein auszustellen“. Es gebe genug Fälle, in denen Fahnenflüchtige „sich in höchst verwerflicher und krimineller Art von der Truppe entfernt haben“.
Ein Referentenentwurf zum „NS-Schlußgesetz“ – erklärter Wille des Justizministeriums ist es, „endlich den Schlußstrich unter eines der dunklen Kapitel der NS-Strafjustizgeschichte zu ziehen“ – geht demgegenüber davon aus, daß auch alle „Nebenstrafen und Nebenfolgen“ aufgehoben werden müssen (siehe Die Woche, 12.9.1997). In den Erläuterungen heißt es: „Aus heutiger Sicht steht die Schwere des Einzelunrechts gerade bei der Beurteilung dieser Fälle hinter dem begangenen NS-Unrecht zurück.“ Der Entwurf enthält eine Generalklausel, die alle zur Aufrechterhaltung der NS-Herrschaft gefällten Urteile aufhebt. Betroffene erhalten die Möglichkeit, bei der Justiz die Aufhebung eines gegen sie verhängten Urteils zu beantragen. Eine finanzielle Entschädigung der Opfer ist hingegen nicht vorgesehen.
Ludwig Baumann, Vorsitzender der Vereinigung Opfer der NS-Militärjustiz, forderte den Justizminister in einem offenen Brief auf, die aufzuhebenden spezifisch nationalsozialistischen Straftatbestände explizit aufzulisten, wie es bereits ein Entwurf des Bundesrats vom Dezember 1996 tut (Bundestagsdrucksache 13/6900, 4.2.1997). Dieser umfaßt nicht nur Fahnenflucht, militärischen Ungehorsam und die Aufforderung zu diesem, sondern auch Verurteilungen wegen Wehrkraftzersetzung, Fahnenflucht, Selbstbeschädigung und -verstümmelung, Untergrabung der Manneszucht, Hochverratsvorbereitung sowie weitere Straftaten, die „durch ein Wehrmachtsgericht oder ein anderes deutsches Gericht“ gefällt wurden. In den Erläuterungen zum Bundesratsentwurf ist festgehalten, daß hierdurch Urteile gegen Zivilisten, vielfach Frauen, und Willkürakte von Standgerichten ebenso erfaßt werden wie politisch motivierte Strafmaßnahmen, etwa die Einweisung in ein Konzentrationslager, in ein Straf- und Bewährungsbataillon oder in eine militär-psychiatrische Anstalt.
Der jetzige Referentenentwurf findet bei SPD und Grünen weitgehende Zustimmung. Volker Beck von den Grünen fürchtet allerdings, daß nach einem „Schlußgesetz“ Opfer übrigbleiben könnten, die dann von einer Rehabilitierung ausgeschlossen wären. Als Beispiele führt er Staatsschutzdelikte oder Verurteilungen aufgrund der Homosexualität-Paragraphen an.