FŒHN » Heft 7/8
Peter Santer

Enthüllungsjournalismusenthüllung

In diesem Frühjahr ist der ›Kurier‹ zum 75. Mal mit der Schlagzeile „Unfaßbar!“ erschienen. Ein kleines Jubiläum also. Es hat sich dabei um den was weiß ich wievielten Skandal gehandelt. Die bürgerlichen Medien übertreiben ja maßlos. Jeder Dreck ist demnach ein Skandal. In Wahrheit gibt es überhaupt nur einen Skandal, einen einzigen.

Das vorläufig letzte Geschwür dieser Krankheit, die wir Kapitalismus nennen, ist bei der ›Versicherungsanstalt der Österreichischen Bundesländer‹ zutage getreten. Es handelt sich hierbei um den seit vielen Jahren ersten „Skandal“, den nicht ›profil‹ oder ›Wochenpresse‹ aufgedeckt haben. Ja, warum denn nicht? Wie konnte ihren so mutigen, so selbstlosen Reportern dieser „Fall“ entgehen? Wahrscheinlich ist es für ein unabhängiges Nachrichtenmagazin einfach ungeheuer schwer, in so einen Konzern hineinzukommen und dort Recherchen anzustellen. Und überhaupt, die ›Bundesländer‹ residiert im zweiten Bezirk, ›profil‹ aber im ersten, und die ›Wochenpresse‹ gar im siebten.

Im siebten, im selben Haus logiert auch der ›Kurier‹. Der ›Kurier‹ gehört der ›Kurier Zeitungsverlag Druckerei AG‹, die im Besitze von (angeblich 250) Aktionären aus dem hauptsächlich österreichischen Großkapital ist. Neben dem ›Raiffeisen‹-Konzern und der ›Vereinigung Österreichischer Industrieller‹ gehört die ›Bundesländer-Versicherung‹ zu den Hauptaktionären. Die ›Bundesländer‹ ist also Mitbesitzerin des ›Kurier‹, und dem ›Kurier‹ gehören auch die beiden Wochenmagazine ›profil‹ und ›Wochenpresse‹. Im Aufsichtsrat der ›Kurier AG‹ sitzt — oder saß bis vor kurzem (jetzt sitzt er ja anderswo) — etwa neben dem Generalsekretär der Industriellenvereinigung, Krejci, ein Dr. Kurt Ruso, Generaldirektor a.D. der ›Bundesländer-Versicherung‹. Alles klar?

Da drängelten sie sich, die um den kleinen Mann Besorgten aller Parteien, daß es noch in der Erinnerung zum Herzerweichen ist. Die Verluste der Versicherung dürften auf keinen Fall auf Kosten der Versicherungsnehmer gehen, stellte etwa der (damalige) Finanzminister klar. Das war schneidig von ihm. Man hätte das nicht erwartet. War das schneidig von ihm? Schauen! Die Versicherung hat allein im vergangenen Jahr einen Gewinn von 600 Millionen Schilling gemacht, der zum Teil in Form hoher Dividenden an die Eigentümer der ›Bundesländer‹ (Raiffeisen, 8 Bundesländer, Girozentrale u.a.) weitergegeben worden und zum Teil im Unternehmen verblieben ist. Jetzt stellt sich heraus, daß der Konzern zu den vielen hundert Millionen jährlichen Profits zwischen 1979 und 1985 noch zusätzliche 150 gemacht hat, eben jene, die der Herr Direktor in diesen Jahren veruntreut hat. Statt eines Verlustes kommt weiterer Gewinn ans Licht, der der Verteilung harrt. Daß dabei nicht an den kleinen Versicherungskunden gedacht werden darf, das wird er gemeint haben, der Herr Vranitzky.

Das Gegenstück zur schwarzen ›Bundesländer-Versicherung‹ ist die rote ›Wiener Städtische‹. Die von beiden Großparteien so heruntergemachte Verstaatlichte Industrie Österreichs muß sich seit jeher „traditionellerweise primär von diesen beiden Gesellschaften versichern lassen“ (›Die Presse‹, 7.3.1986). Man sieht also, welches Geschäft die „Verstaatlichte“ für die Großparteien und die hinter ihnen stehenden Firmen bzw. die Firmen, hinter denen die Großparteien stehen, ist. Freilich brächte die Privatisierung der gewinnträchtigsten Teile der „Verstaatlichten“ für das heimische (und ausländische) Privatkapital und seine Parteien noch mehr.
Wenn man die täglichen Meldungen im Radio hört, da ein „Skandal“, dort einer, wobei die Mehrzahl dieser Dinger uns überhaupt nie bekannt wird, denkt man unwillkürlich: was hält diesen mit Eiterbeulen schier zugedeckten Staatskörper noch am Leben? Und ebenso unausweichlich kommt man zu der Antwort: die arbeitenden Frauen und Männer. Sie nämlich erarbeiten die Millionen und Abermillionen, die in diesen „Skandalen“ aufgehen.

Der Bundespräsident Kirchschläger, der zu allen passenden und unpassenden Gelegenheiten die „Anteilnahme des österreichischen Volkes“ da ausgedrückt, die „Wünsche des österreichischen Volkes“ dort übermittelt hat, anmaßend immer wieder „im Namen aller Österreicherinnen und Österreicher“ geredet hat, hat anläßlich des hier angeführten zigsten „Skandals“ von sich gegeben, ›es sei eine unheimliche Serie, wie sich in allen Teilen des Volkes Skandale ereigneten‹ (›ZiB 1‹, 12.3.1986). Man könnte aus Wut über diese freche Unterstellung verleitet sein, zu sagen: so ein Bundespräsident ist ein Skandal! In Wahrheit aber ist auch er ein Teil, ein stimmiger, sich gut einfügender Teil des einen, einzigen Skandals, der da ist die Herrschaft einer Minderheit von Besitzenden über eine Mehrheit von Arbeitenden.

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Erstveröffentlichung im FORVM:
Juli
1986
, Seite 50
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Peter Santer:

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