FŒHN » Heft 18
Markus Wilhelm

Eine Schein-Demokratie? Ja, eine Scheine-Demokratie!

Der private Verein VÖI hat seinen Arsch in unzähligen Ausschüssen und Kommissionen hocken, wo mehr entschieden wird als in Landtagen und im Parlament. Leidig zu sagen, daß natürlich keine Arbeiterin in allen diesen Gremien sitzt. Sie hat ja auch keine Zeit dazu, muß sie doch im Akkord für ihre Herren bei Geiger-Moden Steppnähte nähen. Und weil das so ist, wird das auch noch lange so bleiben, es sei denn ... siehe weiter unten!
In Tirol sitzt der Hintern der Industriellen z.B. im Aufsichtsrat der TIWAG, die an sich im Eigentum des Landes, d.h. seiner Bevölkerung stünde. Er sitzt in der Raumordnungskonferenz und im Raumordnungsbeirat sowie dessen wichtigsten Untergruppen (u.a. Energie, Industrie) ebenso wie in anderen Beiräten (z.B. für Arbeitnehmerförderung) und Kuratorien (z.B. zur Förderung der Jugendbeschäftigung). Aber hier wie dort sind die VÖI-Herren nicht aufgrund ihrer Klugheit, sondern der Macht ihres Geldes wegen vertreten.

Weil es vielleicht ungerecht gegenüber den Industriellen wäre, nur ihre politischen Spenden anzufahren und von ihren selbstlosen Gaben an karitativen Organisationen nicht zu reden, hier ein paar Beispiele ihrer Wohltätigkeit: Der Lebenshilfe spendet die , VÖI 1976 zwanzig, 1978 sogar dreißig Schilling. Dem Tiroler Blindenverband wird allein im Jahr 1976 ein ganzer Fünfzigschilling-Schein überreicht, ein ebenso hoher Betrag geht 1978 auch an die Tiroler Volkshilfe. Für das SOS Kinderdorf greifen die Herren Fabrikanten schließlich ganz tief hinein: Sowohl 1976 als auch 1977 werden zwanzig Schilling angewiesen, 1978 werden auf diese Summe glatt noch fünfzig Prozent draufgeschlagen.

Wie sie ihre vereinsinterne ‚Demokratie‘ organisiert haben, zeigt, was sie sich vorstellen: Je mehr Untertanen einer hat, umso mehr Gewicht muß seine Stimme haben. ‚Das Stimmrecht der Mitglieder ist von der durchschnittlichen Beschäftigtenzahl ihrer Betriebe abhängig, und zwar gibt die Zahl bis zu 100 beschäftigten Personen das Anrecht auf 1 Stimme, bis zu 400 beschäftigten Personen das Anrecht auf 2 Stimmen, bis zu 700 beschäftigten ...‘ usw. (§8 der ‚Satzung der Vereinigung Österreichischer Industrieller — Landesgruppe Tirol‘ — Ausgabe 1992). Reden wir vom alten Rom der Sklaventreiber oder von Österreich?

Oben
(Foto: VÖI)
und unten
(Foto: D. Swarovski)

Weil auch die etwas mühsameren Umwege für die Ausübung ihrer Macht, die die formale demokratische Verfassung zuweilen vorsieht, zum Ziele führen, haben die Reichen gelernt, auch diese zu gehen. Der Staat, ihr Staat, hat ihnen so viele Rutschen gelegt, daß absolut nichts danebengehen kann. ‚So wird die Industriellenvereinigung von den Ministerien offiziell über die sie berührenden Angelegenheiten unterrichtet und häufig zur Mitarbeit aufgefordert‘, heißt es sogar in dem vom derzeitigen Nationalratspräsidenten herausgegebenen Buch ‚Das politische System Österreichs‘. Vertreter der VÖI nehmen wie selbstverständlich regelmäßig an Beratungen von Arbeitskreisen in den verschiedenen Ministerien (für Finanzen, für Justiz, für Soziales usw.) teil. Bevor Gesetze der parlamentarischen Zustimmungsmaschine vorgelegt werden, werden sie auch der Industriellenvereinigung zur Begutachtung übermittelt. Und sie ist auch in Gremien vertreten, die dann mit der Durchführung der erlassenen Gesetze zu tun haben. Ohne daß ihr auch nur ein Buchstabe des geschriebenen Gesetzes das Recht dazu gäbe, mischt sie in Unterausschüssen des Nationalrates mit und sitzt in jener Paritätischen Kommission, die Löhne und Preise festsetzt, und und und.

Die Großindustriellen in Österreich haben über die VÖI allein auf Bundesebene ihre Tatzen in mehr als 30 Beiräten, Arbeitsgruppen, Komitees, Konferenzen und Instituten, was red’ ich, nein!, in mehr als 60 solcher Arbeitsausschüsse, Vereinigungen, Gesellschaften, Räte und Fonds, noch einmal nein!, in mehr als 100 solcher Kommissionen, Versammlungen, Kuratorien, Arbeitsgemeinschaften, Foren und Stiftungen. Der Zugriff dieser hundertfingrigen Hand auf alles und jedes im Land, von der Wirtschaftspolitik (z.B. Beirat für Wirtschafts- und Sozialfragen) bis zur Bildungspolitik (z.B. Schulreformkommission) und von der Sozialpolitik (z.B. Arbeitnehmerschutzkommission) bis zur Umweltpolitik (z.B. Beirat für Umweltschutz), sichert die Macht des Geldes und weitet sie aus. In unserer Verfassung gibt es das gar nicht, nur in unserer Wirklichkeit. In unserer Verfassung gibt es eine Demokratie, nur in unserer Wirklichkeit gibt es sie nicht.

Natürlich gehört die Vereinigung Österreichischer Industrieller aufgelöst! Solange es so etwas gibt, kann es keine Gleichheit der Menschen geben.

Mindert es den Skandal, wenn gesagt wird, daß auf der anderen Seite der ÖGB seine Leute in fast ebensovielen Ausschüssen sitzen hat? Nein, es vergrößert ihn! Denn auch dort sitzen statt denen, die arbeiten, Bonzen, die sich an ihnen vollgesogen haben.

Aber dies alles hier nur nebenbei.
Wo waren wir stehengeblieben? Wie heißt das Thema?

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Erstveröffentlichung im FORVM:
Dezember
1993
, Seite 30
Autor/inn/en:

Markus Wilhelm:

Geboren 1956, von Beruf Zuspitzer in Sölden im Ötztal, Mitbegründer des FŒHN (1978-1981), Wiedergründer und Herausgeber des FŒHN (1984-1998). Seit 2004 Betreiber der Website dietiwag.org (bis 2005 unter dietiwag.at), Landwirt.

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