I
Einen kurzen Moment lang sah es in den Köpfen vieler Menschen wirklich so aus, als würde die Rockmusik das Erbe einer zum Untergang verurteilten Welt antreten. Aber das ist schon lange her. Kein Jugendlicher, der heutzutage auf Britpop steht und Oasis und Blur hört (womöglich noch auf FM 4) sieht sich allein deshalb schon als Teilnehmer an einer Revolution. Die Kids sind realistischer geworden.
Wir waren anders. Das angeführte Zitat stammt aus dem Begleitheft zur CD „Rock and Roll Circus“, die einen gelungenen Jux der Herren Mick Jagger, Keith Richards und John Lennon wiedergibt. Und John Dalton hat im Jahr 1995 im Kultmagazin »Rolling Stone« einen ekstatischen Artikel über dieses Konzert am 11. Dezember 1968 geschrieben: 1968: a very good Year.
Daß 1968 vor allem ein sehr gutes Jahr für die Erinnerungsindustrie einer Bewegung ist, die es so ganz bestimmt nicht gegeben hat, wie sie immer wieder beschrieben werden wird, solange es Menschen gibt, die sich als Alt-Achtundsechziger ausgeben können, das ist die eine Seite. Weil man in einer Zeitschrift wie »Weg und Ziel« aber die Dialektik zelebrieren muß und weil bei Parteifunktionären — wie ich einer bin — die Dialektik immer wieder zu einer Holzhammermethode des Einerseits-Andererseits degeneriert, will ich diesmal von der anderen Seite schreiben.
Ich weiß nicht, ob der Glaube wirklich Berge versetzen kann. Aber eine Sache habe ich selbst erlebt: An Knotenpunkten der gesellschaftlichen Entwicklung können Illusionen (wenn diese Illusionen von vielen Menschen geteilt werden) in der Wirklichkeit praktische und langdauernde Folgen haben; allerdings nicht jene, von denen man anfangs geträumt hat.
Genauso ist es uns vor dreißig Jahren mit der Illusion gegangen, die Rockmusik wäre eine direkt politische, systemsprengende Kraft, sie wäre Teil unserer antiautoritären Revolution. Heute bin ich (vielleicht) klüger als damals, aber ich sehne mich oft nach dem Gefühl dieser Tage zurück: „Love is all you need“ oder „Street fighting man“ in der Music Box, im Fernsehen eine Sondersendung — Alfons Dalma kommentiert den Pariser Mai 68, im Hintergrund ist eine Straßenschlacht — wir stehen vor dem Hauptgebäude der Grazer Uni, streitend mit Burschenschaftern und Professoren: es geht um die Freigabe von Hörsälen für Diskussionen über Gott und die Welt (aber damals hatten wir andere Titel für unsere Teach-Ins). Oder: Wir fahren nach Bratislava, mitten hinein in den tschechoslowakischen Frühling und sehen wie ein Junger, mit langen Haaren, ganz stolz das Cover von Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band durch das Cafe Carlton trägt.
Damals wäre es uns nicht eingefallen, einen Trennungsstrich zwischen der Entwicklung in der Rockmusik und unserem politischen Anspruch zu ziehen. Mehr noch: Wir fanden unsere Sehnsüchte in eben dieser Musik wieder und holten uns nach Niederlagen in der seltsamen Grazer Studentenbewegung aus Liedern, die heute Oldies sind und als Hintergrundmusik in Supermärkten verwendet werden, wieder Kraft für unsere Untaten.
Und gehörten Rockmusik und Protestbewegung nicht zusammen? Gab es nicht zuerst den Kampf um die Beatles-Musik und um die Beatles-Frisuren an den Schulen und dann erst die Demos und Sit-Ins? War es nicht auch leichter für uns, das bekannte (und heuer — 1997 — wieder um einiges bekannter gewordene) Che Guevara-Plakat (Hasta la Victoria Siempre) an unsere Zimmerwände zu kleben, weil — stilistisch — davon kein weiter Weg zu einem Jimi Hendrix-Poster war?
Natürlich war die Sache nicht so einfach. Kluge Menschen haben die Entwicklungen, die damals abgelaufen sind, beschrieben und analysiert. Während für uns die epochemachenden Einschnitte durch die Oktoberrevolution, den Sieg über den Faschismus 1945 und durch den Zusammenbruch der realsozialistischen Systeme in Europa 1989 markiert werden, machen sie sich Gedanken darüber, was sich rund um das Jahr 1968 wirklich abgespielt hat. Sie meinen, daß beide Erscheinungen — Ablösung der Unterhaltungsmusik durch die Jugendkultur und die studentische Protestbewegung — einen tiefen Einschnitt in der Entwicklung des Kapitalismus signalisieren. Lieder wie „The Times, they are a changing“ markierten (gemeinsam mit anderen Erscheinungen der Massenkultur) das Ende der Nachkriegsperiode im Bewußtsein. Es ging um eine Änderung im Kapitalismus. Daß Herrschaft über Medienmacht und die Bewußtseinsindustrie ausgeübt wird, das begriffen nicht nur die Studenten, die seinerzeit mit der Losung „Enteignet Springer“ auf die Straße gingen, die wirklich Mächtigen in der kapitalistischen Gesellschaft waren damals nämlich gewissermaßen Blitzgneißer.
Und wir? Wir übersahen, daß gleichzeitig mit den Liedern über Love, Peace and Understanding eine Maschinerie des Milliardengeschäftes entstand, die gute alte Unterhaltungsindustrie begann sich gerade damals in ein weltumspannendes Multimedia-Unternehmen zu transformieren, sie transportierte noch Inhalte, alles war damals neu (von den Glockenhosen bis zu Ö 3) — in ein paar Jahren würde es auf jenem Platz, auf dem damals John Lennon, Jim Morrison oder Janis Joplin standen, fast nur mehr Leute aus Plastik und Musik aus Plastik geben. Die Musik- und Medienkonzerne waren und bleiben aber eine echte Sache. Heutzutage kann man die internationale Verflechtung der Konzerne, den Konzentrationsprozeß des Kapitals und den Kapitaleinsatz, der notwendig ist, um in dieser virtuellen Welt die Nase vorn zu haben, am besten auf diesem Felde studieren. Was multimedial und weltumspannend ausgeschieden wird, ist dabei völlig egal. Im auseinandergefallenen Jugoslawien hörten die jugendlichen Kämpfer der jeweiligen Nation in ihren Walkmans vornehmlich Michael Jackson und dergleichen, bevor sie auf ihre Feinde schossen, die genau die gleiche Musik hörten wie sie selbst.
Daß alles so kommen würde, wollten wir nicht wissen. Wir, die wir alles hinterfragten, hier waren wir affirmativ. Unsere Illusionen über die Sprengwirkung dieser Musik halfen uns damals nämlich in der Politik. In den Sechzigerjahren passierte so vieles zum ersten Mal — von frechen Interviews der Beatles (Ich bin bekannter als Jesus. John Lennon) bis zu Woodstock — daß die Studentenbewegung einen Teil ihres Mutes, Grenzen zu überspringen, Verbote zu mißachten und die Spießer zu provozieren, von dorther ausborgen konnte.
Wir glaubten die Revolution zu machen und waren oft nur Ideenbringer für das Establishment. Das konnte sich an die neue Zeit anpassen und ist bis heute — einigermaßen — über die Runden gekommen. (Traurig war hingegen die Rolle der Führungen in den sozialistischen Ländern. Hier trat man der Jugendkultur mit Verboten entgegen. Es war kein Zufall, daß der Sender Freies Europa in den Sechzigerjahren jeden Nachmittag stundenlang Beatles oder Stones nach Ungarn oder Polen sendete. Und bis zuletzt waren die Rolling Stones in der DDR verboten. Sie haben Honecker nicht gefallen. Wenn man im Nachhinein die Dokumente der Repression gegen Langhaarige und dergleichen liest, dann wundert man sich nur darüber, daß das alles nicht schon lange vor 1989 zusammengefallen ist).
Unsere Illusion, daß die neue Musik revolutionär und die Revolution eine Open-Air-Veranstaltung wie Woodstock wäre, die ging schnell vorüber. Was dann kam, war ein langer, gewundener Weg. Für viele war es der Weg durch die Institutionen, ganz nach rechts oben. Manche machten Musik. Manche wollten Revolutionäre bleiben und versanken in einer eindimensional aufgefaßten revolutionären Politik. Als sie aufwachten, war es zu spät.
Wahrscheinlich wird es keine Generation mehr geben, für die ein Gleichheitszeichen von Rock und Politik, von Musik und Revolution sinnlich so erfaßbar sein wird, wie es das für uns in dieser kurzen Zeit Ende der Sechzigerjahre war. Die Gesellschaft hat sich — auch durch die Impulse von damals — zu sehr in eine andere Richtung entwickelt.
Bob Dylan (The Times, they are a changing, wir erinnern uns) spielt seine Lieder jetzt dem Papst vor.
II
An jenem 11. Dezember 1968 spielten die Rolling Stones pseudoradikale Lieder wie Street Fighting Man oder Salt of the Earth, John Lennon aber spielte den Yer Blues (“I’m so lonely, wanna die”). Und Marianne Faithfull durfte das Liedlein Something Better singen. John Lennon ist tot. Marianne Faithfull singt Lieder von Brecht/Weill. Und die Rolling Stones gibt es schon lange nicht mehr.
Rock Revolution 1967 — 1997
Ein Poem
I Als ich danach im EinkaufszentrumDas Lied Imagine von John Lennon hörte,Wußte ich es besser.(Das war nach der Sitzung im 5. Stock, nach denRedereien über dieses und jenes, nach all diesen Jahren,Das war, als es keine Music Box mehr gab)Ich hörte das Lied Imagine, Geräuschkulisse, imSupermarkt. Stell Dir vor, das hätte Dir einer gesagt,Damals, daß das so wird.Ich kaufte Rasierzeug, Milch, Wurst,Brot, Coca Cola, die Zeitung.
II Kommunismus, das istRock‘n’Roll.Ich sagte das seinerzeitAm Strand von TriestDie Frau neben mirSie kannte alle LiederUnd lachte.Sie zeigte mir FotosDes Hauses, in demJohn Lennon jetzt wohnte:Real estate.Sie rechnete mir denUmsatz vor, die Tantiemen,Die Profite. Und sie redeteÜber die ArbeiterinnenIn den PlattenpressenVon EMI.Power to the PeopleSo heißt ein anderes Lied.
III Stell dir vor, du mußtDiesen Text übersetzen.Nicht einmal das Wort kannst du soÜbersetzen, daß es zur Musik paßt:Imagine.Aber dieses Lied, es ist dochEine GeräuschkulisseGeworden.Die Worte bedeutenNichts mehr: „Kein Besitz.Keine Notwendigkeit für Gier und Hunger, und keineReligion.Sag nur, ich seiEin Träumer, aberIch bin nicht der einzige,Der träumt.Und irgendwann ...Beim einen Ohr hineinUnd beim anderen hinaus.
IV Die richtige LinieDas war für michDas Lied Imagine.
V Und als der Sohn aus gutem HauseDem Volke dienen wollte, da nahm erSeine Schallplattensammlung undSchenkte sie her. Er zog dieSchlossermontur an, ging insML-Seminar und vergaß die Musik,Die er geliebt hatte.Heute hat er wiederAlle CDs (digitally remastered).Jetzt hat er vergessen, was erDamals wollte, als erDem Volke dienen wollte.Er schreibt Traktate überDie Unübersichtlichkeit der Welt.
VI In jener Sitzung im fünften StockWar die Welt noch in Ordnung.Die Linie wurde festgelegt.Der Störenfried wurde raschIsoliert. Der StörenfriedWar ich.Nachher im SupermarktNahm ich die GeräuschkulisseNicht wahr. Ich kaufteDas Rasierzeug, die MilchCoca Cola, Brot, die Zeitung.Bei der Kassa, als esAns Zahlen ging, dann erstFiel es mir ein: Sie habenImagine gespielt. Das LiedVon John Lennon, welchesDen Kommunismus beschreibt.25.9.1997Franz Stephan Parteder
All You need Is Love (Stockholm Remix)
1967 — 1993
Alles, was du brauchst, istLiebe, singt er, hat erGesungen, das bleibt, das istTechnisch reproduzierbar.Love, Love, Love.Damals schwarz-weiß, heute inKünstlichen Wirklichkeiten. Im FernsehenWar das damals.In Mürzzuschlag hab ich das gesehenIm Gasthaus Rossmann, nicht wahr.Liebe stand auf den Plakaten, dieAusgeschaut haben wie die Plakate auf denDemos der Bewegung, damals.Altmodisch, seltsam, schwarz-weiß.Er singt es noch immer, es gibt jetztEine CD. Es gibt nichts, was duTun kannst.Aber das Lied ist doch damalsAnders weitergegangen. Wir wollten doch damalsSo vieles tun. Und wir brauchten nurLiebe dazu. Und Frieden.Alles, was du brauchst, istLiebe. Die Caritas hat das alles ganz gutÜberstanden. Sie lindert noch immer die Not, welcheGrößer geworden ist, inzwischen.Aber das war doch allesNicht so gemeint. Oder doch?Es gibt nichts, was nichtGetan werden könnte. Es istDoch so leicht, höre ich ihn singen,Alles, was du brauchst, istDie Eintrittskarte ins Paradies.Aber wir haben das alles probiertUnd es ist alles so ungut geworden.Am Abend steht der SandlerIn der Unterführung. Er singt dieses Lied, undAlles was er braucht ist ein GeldFür eine FlascheEtwas Starkes, das das allesVerschwinden läßt Für eine Nacht.13.12.1993Franz Stephan Parteder