Wurzelwerk » Jahrgang 1982 » Wurzelwerk 12
Federico Nier-Fischer

Die Dritte Welt einfach verheizen

Energiekrise aus der Sicht der Dritten Welt

Wenn man die Macht hat, die eigene Position als die schlechthin gegebene und plausible hinzustellen, dann ist auch wenig Anreiz übrig, etwas zur Problemlösung beizutragen. Das scheint im Falle der USA gegeben zu sein, wenn sie da kundtut, daß die Energieversorgung ein „lebenswichtiges Interesse“ sei und daß jede Gefährdung als feindlicher Akt gegen die USA gewertet würde. Völlig verständlich also, daß quer über die ganze Welt die Ölfelder von der NATO als unmittelbare „Schutzterritorien“ betrachtet werden und daß für den Fall, daß alle Druckmittel versagen sollten, entsprechende „Eingreiftruppen“ für diese Gebiete bereit gehalten werden.

Man muß begreifen, daß es nunmal ein historisch gewachsenes Faktum ist, daß z.B. in den USA zwar nur 5% der Weltbevölkerung leben, dafür aber über 30% der Weltenergieproduktion verbraucht wird. Die Geschichte des Kolonialismus und des Neokolonialismus hat es halt so mit sich gebracht, daß in den westlichen Industrieländern der Energieverbrauch pro Kopf im Jahr 30 Faß Erdöl entspricht, während er durchschnittlich in der Dritten Welt nur 2 Faß beträgt und in den 25 ärmsten Ländern gar nur 20 Liter.

Die Vorgangsweise liegt also auf der Hand, man muß nur mit mehr oder weniger Gewalt dafür sorgen, daß die Entwicklungsländer im System verbleiben, damit die Verhältnisse weiterhin stimmen. Dann kann man selbst mit einer Energiekrise noch die besten Geschäfte betreiben.

Der Westen als Schlaraffenland

Das vielgepriesene Weltwirtschftswunder nach dem 2. Weltkrieg (bei dem man nicht vergessen sollte, daß er eigentlich nur eine Mini-Welt erfaßte) ist ganz wesentlich mit dem Faktor eines spottbilligen Erdöls verbunden.

Ohne den für diese Zeit wahrhaftig „revolutionären“ Rohstoff Erdöl ist die sagenhafte Entwicklung der Petrochemie (Pharmazeutik, Kunststoffe, usw.) oder des Transportsektors (Kfz, Asphaltstraßenbau, usw.) und ganz zu schweigen vom Energiesektor selbst, kaum vorstellbar. Die Erdölmultis wurden in dieser Zeit zu den größten Unternehmen der Welt. Sie pumpten das Erdöl aus dem Boden fremder Länder ... und es floß, und floß und floß. Es verdrängte andere Energieträger und prägte eine ganze Industrielandschaft und die Lebensstile der Menschen.

Wie im Märchen von 1000 und 1 Nacht erwirkte Aladins Öllampe ein Wirtschafts-„Wunder“.

Es mußten deshalb schon bösartige Scheichs sein, die dieser gebildeten Halbwelt (die sich auch sonst nicht wenig auf ihre angebliche „Rationalität“ einbildet) einen „Ölschock“ versetzten. Mit Preiserhöhungen wiesen sie unübersehbar auf die Tatsche hin, daß IHR Rohstoff (meistens das einzige, was sie in diesem Weltmarkt zu bieten hatten) zur Neige ging und daß man endliche Ressourcen buchstäblich verheizte.

Wenn es schon der Propaganda offenbar immer wieder gelungen ist, die Schuld für die wahnwitzige Rüstungsproduktion anderen in die Schuhe zu schieben, so könnte man sich doch an diesem eklatanten Fall fragen, welche gesellschaftliche Kontrollen dieses System angeblich freier Marktkräfte überhaupt besitzt, die es daran hindern würden, von selbst in einen Abgrund zu rennen.

Hinter der platten anti-OPEC Propaganda der westlichen Medien ist jedenfalls eines verborgen geblieben, nämlich die wahren und opferreichen Kämpfe, die jenen „Ölschocks“ zugrunde lagen und liegen. Die Drohhaltung der NATO mit ihren Eingreiftruppen richtet sich jedenfalls nicht primär gegen Scheichs!

Eine Ara des Übergangs — wohin?

Betrachtet man das Energieproblem für sich genommen und rein technisch, so stellt man fest, daß alle Systemanalysen einmütig feststellen, daß die Entwicklung der Welt in einen Energieengpaß treibt. Die rethorische Frage der Wissenschaftler lautet meistens: Ob man den Übergang zu erneuerbaren Energiequellen noch schafft, ohne daß Weltkriege um die auslaufenden Energieressourcen ausbrechen.

Aus dem geschichtlichen Ort der Dritten Welt stellt sich die Energiefrage aber in einem viel weiteren Kontext.

Während die Industrieländer ihre Infrastruktur und Akkumulation unter den Bedingungen des billigen Erdöls zu Wege gebracht haben, ist die Dritte Welt nun gezwungen, ihre Entwicklung mit teueren, kaum entwickelten Energietrfägem und mitten in einem industriellen Umbruch zu vollziehen. Damit ist aber im Grunde genommen die Gretchenfrage für die Entwicklung der Dritten Welt schlechthin gegeben. Die Entwicklung der Dritten Welt kann sich nicht auf billige Energie auf Kosten anderer aufbauen. Sie kann sie auch nicht auf der Basis der kolonialen Ausbeutung anderer aufbauen. Entwicklung der Dritten Welt kann überhaupt nur im Gegenteil gefunden werden: Zerschlagung des Neokolonialismus und in einem konsequent antiimperialistischen Weg. Für die Dritte Welt ist die Energiefrage kein losgelöstes und technisches Problem. Sie stellt sich im Kontext der Abhängigkeiten und der internationalen Arbeitsteilung. Die Lösung der Energiefrage ist daher ganz wesentlich und untrennbar verbunden mit der vori der Dritten Welt verfolgten Schaffung einer Neuen Internationalen Wirtschaftsordnung. Mit ihr wären erst die Voraussetzungen für die spezifischen Problemlösungen (nicht nur der Energiefrage) zu schaffen.

Wenn die neokoloniale Ausbeutung der Dritten Welt den politischen und wirtschaftlichen Spielraum dieser Länder auf Null reduziert (was durch erhöhte Energiekosten nur noch verschärft wird): Woher sollen dann die enormen langfristigen Investitionen für eine neue Energiebasis geschaffen werden?

Soll die Entwicklung der Dritten Welt weiterhin dem privaten Finanzkapital überlassen werden, mit seinen Interessen für kurzfristige und sichere Profite? Das hat nicht nur zur Pervertierung der gesamten Weltwirtschaft und ihrer krisenhaften Entwicklung geführt, sondern hat ganz wesentlich den Handlungsspielraum für die Entwicklungsländer eingeschnürt. Ausdruck davon ist die horrende Verschuldung der Dritten Welt. Die ärmsten Entwicklungsländer sind überhaupt von jeder internationalen Transmission abgekoppelt. Als nicht-kreditwürdige Kunden für transnationale Finanzierungskonsortien bleibt ihre Problemlösungskapazität weiterhin darauf reduziert, die Erde mit bloßen Händen umzugraben!

Die Erdölmultis — als Monopolisten für Knowhow, Kapital und Märkte (auch für alternative Energietechnologien) — haben sich in der Dritten Welt nur um Energievorkommen geschert, die nach Lage und Größe für ihre Exportmärkte in Frage kommen. Viele Entwicklungsländer importieren Erdöl obwohl für den eigenen Bedarf genug Vorkommen im Land wären.

Über die technologische Abhängigkeit der Dritten Welt spielen sich meistens die wesentlichen Unterdrückungsmechanismen ab. Aber welche Relevanz für die Problemlösungen in der Dritten Welt kann eine internationale „Wissens-Ordnung“ haben, die sich nur grob gekennzeichnet folgendermaßen strukturiert: 98% der Forschungskapazität wird in den Industrieländern kontrolliert; über 90% der in den Entwicklungsländern angemeldeten Patente gehören transnationalen Untemehmen (meistens Schutzpatente); fast der gesamte Technologie-Transfer wird von den Transnationalen abgewickelt — zu ihren Bedingungen; und all das, was fern von den Bedürfnissen der Entwicklungsländer liegt, beschäftigt 40% der Wissenschafter und Techniker für die Rüstungsforschung!

Für die Dritte Welt ist das Energieproblem, im wesentlichen, nur ein Ausdruck mehr unter vielen anderen für die Unhaltbarkeit der gegebenen internationalen Verhältnisse. Eine Übergangsära also — ausschließlich zu neuen Energieformen hin?

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Erstveröffentlichung im FORVM:
Juni
1982
, Seite 13
Autor/inn/en:

Federico Nier-Fischer: IPS-Korrespondent, Wien

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