MOZ » Jahrgang 1989 » Nummer 41
Andrea Komlosy
Der Obrigkeit eins ausgewischt

Der Kalchgruber

Bild: Österreichische Nationalbibliothek

An einem Maitag des Jahres 1849 traf ein anonymer Brief beim Linzer Statthalter ein: „Die Beamten können den Kalchgruber jetzt ansehen; er liegt auf dem Laden“, hieß es da lapidar.

28 Jahre lang hatten die Behörden den Michael Huemer, nach seinem Hof im mühlviertlerischen Elmberg auch Kalchgruber genannt, zu fassen versucht. Vergeblich. Weder Kopfgeld noch Einschüchterungen, Hausdurchsuchungen und großangelegte Militärstreifen hatten den widerspenstigen Bauernadvokaten zum Vorschein gebracht. Wie in einem undurchdringlichen Dickicht hielt die Mühlviertler Bevölkerung ihren „Doktor Michel“ vor dem obrigkeitlichen Zugriff verborgen. Erst nach seinem Tod wurde der Behörde ein Blick auf den nach Landessitte am Totenladen Aufgebahrten gestattet.

Seit dem Ende der napoleonischen Kriege befand sich das Mühlviertel im Aufruhr. Erhöhte Robot-, Zehent- und Geldforderungen der Grundherrschaften, die ihre Untertanen nach Strich und Faden auszupressen trachteten, Beamtenwillkür, Polizeiübergriffe sowie die Einführung strengerer Bemessungsgrundlagen für die Steuerleistung ließen die Bauern nicht zur Ruhe kommen. Von staatlichen Behörden und Herrschaftsbeamten in eine doppelte Zwickmühle genommen, waren sie zur Verteidigung dessen bereit, was sie als „altes Recht und Ordnung“ betrachteten. Als Verbündeten in ihrem Kampf sahen die Bauern den Kaiser an, an dessen Gerechtigkeit sie — freilich vergebens — in Bitt- und Beschwerdebriefen appellierten.

Unterdessen waren sie jedoch nicht untätig. Ungerechtfertigte Robotleistungen wurden verweigert, die Vermessungen für den neuen Kataster boykottiert, Steuern einbehalten. Die obrigkeitliche Antwort waren Anzeigen, Strafen, Verhaftungen. Oft konnten die Bauern nur unter Einsatz von Militär zur Arbeits- und Steuerleistung bewogen werden. Ihre Widerspenstigkeit erhielt solcherart neuen Auftrieb, ihr Mißtrauen gegen Herrschaft und Beamte wuchs. Bald gab es keine Maßnahme von „oben“, gegen die sie sich nicht querlegten. Ob Zehent oder Schulpflicht, Steuereintreibung oder Impfzwang, Vertreibung vom Hof oder Arbeit am Straßenausbau, sie waren dagegen.

Vom „Winkeladvokat“ ...

Michael Huemer, mit einem besonderen Gerechtigkeitssinn und der Gabe zum Verfassen wilder Anklage- und Beschwerdeschriften ausgestattet, wurde bald zum Kristallisationspunkt des bäuerlichen Widerstands. 1812 zum Richter seiner Heimatgemeinde Katzgraben im unteren Mühlviertel gewählt, unterstützte der Bauer seine Kollegen in allen Rechtsangelegenheiten; sein Hof wurde zum geheimen Treffpunkt der freiheitsliebenden Landbevölkerung, die dort, wie ein Stimmungsbericht des Distriktskommissariats aus dem Jahr 1819 vermerkte, „halbe Nächte nur bei Gesetzbüchern zubringen“. Damals begann Huemer seine ersten „Hofbeschwerden“ zu verfassen, bis zu 30 Seiten starke Anklagekonvolute, an Kaiser und Gerichte adressiert, die gegen persönlich erlittenes Unrecht ebenso wie gegen gesellschaftliche Mißstände zu Felde zogen.

Robot- und Zehentverweigerungen standen in dieser Zeit im Mühlviertel regelmäßig auf der Tagesordnung. Kalchgruber war voll im Einsatz, und da seine Schriften offen für die Rebellen Partei ergriffen, stand auch sein Name bald auf der Fahndungsliste. Anfang 1820 legte das Mühlkreisamt eine Liste von 64 Aufrührern vor, „welche der mutwilligen Behelligung der Behörden und der Aufhetzung der Untertanen gegen ihre Obrigkeit bezichtigt sind“. Mit auf der Liste: „Michael Huemer (Kalchgruber, mit dem Spitznamen Doktor Michel) ist ein Hauptaufwiegler.“

... in den Mühlviertler Untergrund

Im Jahr 1820 wurde Kalchgruber wegen „Übertretung des Untertanspatents“ durch „Winkelschreiben“ und dabei gemachte „dreiste und lügenhafte“ Angaben zu zwei Monaten Arrest verurteilt. 16 Tage vor dem Ende seiner Haft vorübergehend zur Betreuung seiner Landwirtschaft entlassen, entschlüpfte Kalchgruber in die Illegalität. Von nun an lebte er versteckt bei Freunden und Verwandten, half beim Ofensetzen, Korbflechten und Rastelbinden und — seine Hauptbeschäftigung — stellte das geistige Rüstzeug im Kampf gegen die Beschneidung bäuerlicher Rechte bereit.

Verzweifelt bemühten sich die Behörden, seiner habhaft zu werden. Generationen von Polizisten bissen sich an ihm die Zähne aus. Sein Hof wurde zwangsweise verkauft, hohe Prämien auf seinen Kopf ausgesetzt, jeder Umgang mit ihm verboten und die Bevölkerung zur Bekanntgabe seiner Schlupfwinkel angehalten. Die Häuser seiner Anhänger durchsuchte man polizeilich, Spitzel erfanden listige Pläne, Militärstreifen, ja ein ganzes Jägerbataillon durchforsteten systematisch Dörfer und Wälder. „Er ist bei 45 Jahre alt, schlanker Natur, schmalen stark gefärbten Angesichts, spitziger Nase, brauner Haare, durch den rechts struppierten Fuß, den er auswärts abbiegt, auffallend erkennbar. Am Leibe trägt er sich nach Bauernart, gewöhnlich bei kalter Witterung mit Knöpfen besetzte Hosen, nach Art der Fuhrleute, sonst kurze lederne Beinkleider, mit blauen Strümpfen und niederen Schuhen“, lautete seine Personsbeschreibung in einem Steckbrief aus dem Jahr 1823.

10 Jahre später wurden die erkennungsdienstlichen Angaben korrigiert, er sei nun „korpulenter (...), hätte früher ein schmales gut gefärbtes Angesicht, welches aber jetzt mehr aufgedunsen und bleich sein soll“. Kein Wunder, hielt sich Huemer doch vorwiegend in Stuben auf, wo er Zeit seines Untergrunddaseins 90-100 Hofbeschwerden verfaßte. Bis hin zum Polizeipräsidenten in Wien sann man über seine Verhaftung. „Sollten die gesetzlichen Grundlagen zu einer entsprechenden Verurteilung nicht ausreichen“, meinte dieser etwa, „könnte er als ein erwerbs- und arbeitsloser Vagabund gesetzlich behandelt und durch Unterbringung in einer Arbeits- und Korrektionsanstalt unschädlich gemacht werden.“

Am Rande eines Bauernkriegs unschädlich machen ließ sich der Kalchgruber nicht. Im Gegenteil, zeitweilig lebten zehn und mehr seiner engsten Freunde, im Schutze der Mühlviertler Bevölkerung, im Untergrund. Fast alle waren sie gute Schützen und hatten ein „Feuergewehr“ daheim. 1836 schlug eine Gruppe von Kalchgruber-Anhängern am Stadttor zu Freistadt einen „Brandbrief“ an. In der Tradition der frühneuzeitlichen Bauernkriege kündigten sie an, „daß alles in Brand oder Blut dastehen muß und aufs neue eine ganze Refulution (Revolution) entstehen wird“. In den 1840er Jahren schwoll die Steuerverweigerung im Mühlviertel so stark an, daß in 26 von 35 Steuerbezirken Militärexekutionen angeordnet wurden.

Der tatsächliche Ausbruch der Revolution im Jahr 1848 ging an Kalchgruber indes vorüber. Mißtrauen, Starrsinn und die ihm eigene Renitenz, aus der er seine Widerstandskraft schöpfte, ließen den alten Vorkämpfer für bäuerliche Rechte die bürgerlichen Reformen rundweg ablehnen. Er blieb weiter in seinen Schlupfwinkeln und starb ein Jahr später am Hof seiner Tochter.

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Erstveröffentlichung im FORVM:
Mai
1989
, Seite 78
Autor/inn/en:

Andrea Komlosy:

Geboren 1957 in Wien, Wirtschafts- und Sozialhistorikerin ebenda.

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