Die Besatzungsmächte USA und Großbritannien haben ihren Verbündeten innerhalb der einstigen irakischen Exilopposition entgegen früheren Versprechungen die Bildung einer Übergangsregierung verweigert. Nur so konnten sie sich nach dem Krieg selbst als Herren im Lande festsetzen und die ökonomischen und politischen Angelegenheiten an sich reißen. Das hat zu enormer Verstimmung sowohl innerhalb dieser Opposition als auch innerhalb der irakischen Bevölkerung geführt.
Die UNO hat mit der Verabschiedung der amerikanisch-britischen Resolution zur Aufhebung des Embargos gegen den Irak nicht nur einen rechtswidrigen Krieg nachträglich legitimiert. Sie hat darüber hinaus auch zwei Entscheidungen getroffen, die es seit ihrer Gründung in dieser Form nicht gab und die seit der Delegitimierung kolonialistischer Politik durch die Befreiungsbewegungen historisch überholt schienen: Die Aufwertung und Anerkennung des Besatzungsstatus der Kriegsmächte und die Übertragung der politischen und ökonomischen Angelegenheiten eines Landes auf die Besatzungsmächte. Die negativen politischen und psychologischen Auswirkungen dieser Resolution auf die irakische Bevölkerung waren vorprogrammiert.
Selbstverständlich empfinden die Bewohner des Irak das Ende des Regimes als Erleichterung, aber sie hegen auch keine Begeisterung für ihre neue Situation. Inzwischen droht die Stimmung zu kippen, nicht zuletzt deshalb, weil die Parteien untereinander zerstritten sind und ihre kurzfristigen Partikularinteressen verfolgen. Es muss dennoch als Erfolg gewertet werden, was Teile der von den Besatzungsmächten anerkannten irakischen Opposition, die von den Besatzungsmächten ausgegrenzten Antikriegskräfte und die neu entstehenden politischen Kräfte (Koalition für die Rechte der irakischen Frau, Vereinigung der Arbeitslosen, Studentenvereinigungen etc.) in kurzer Zeit zustande gebracht haben: Sie zwangen die Besatzungsmächte, von der ursprünglichen Idee eines zivilen Verwaltungsrates ohne politische Befugnisse abzulassen und statt dessen einen provisorischen Regierungsrat zu bilden.
Man darf diesen Erfolg jedoch nicht überbewerten, da er nicht zuletzt der Ratlosigkeit des Zivilverwalters Paul Bremer und der verfehlten Politik der USA im Nach-kriegsirak geschuldet ist. Zudem bleibt dieser Rat in vielerlei Hinsicht gehandikapt. Er hat mehr konsultative und beratende Funktionen als tatsächliche politische Entscheidungsgewalt. Diese liegt nach wie vor in den Händen von Bremer. Und zweitens ist die Konstellation weniger politisch als ethnisch-religiös bestimmt, was auf die irakische Bevölkerung und auf den entstehenden Staat spalterisch wirken muss: Die ethnisch-religiösen Unterschiede werden dadurch politisch zementiert.
Die Schiiten, als nominelle Mehrheit, sind durch 13 Mitglieder vertreten. Doch „der Schiit“ ist keine politische Kategorie, viele Schiiten sind säkular eingestellt. Ein islamischer Gottesstaat iranischer Prägung ist im Irak auszuschließen. Zum einen bilden die Schiiten nicht eine derart erdrückende Mehrheit wie im Iran, zum anderen stehen viele Schiiten politisch nicht hinter den schiitischen Führern. Letztere bekämpfen einander und sind politisch uneins.
Wenn es den Besatzungsmächten in den nächsten ein bis zwei Jahren nicht gelingt, eine einigermaßen funktionierende Zivilverwaltung zu errichten und die ökonomischen und politischen Verhältnisse zu verbessern, wird es zu einer Teilung des Irak in verschiedene Herrschaftszonen kommen. Wenn jedoch die Iraker ihre eigenen Parteien, Gewerkschaften und Verbände gründen und die alten, durch das Saddam- Regime zerstörten und staatlich vereinnahmten zivilgesellschaftlichen Strukturen reaktivieren, könnte auf dieser Basis in den nächsten Jahren ein neuer Staat entstehen.
Demokratisierung ist hier jedoch nicht im Sinne der Bush-Regierung zu verstehen, sondern artikuliert sich im diametralen Gegensatz dazu. Das Problem der US-Regierung ist, dass sie von vornherein festgelegt hat, was unter Demokratie zu verstehen sei. Diese fixen Vorstellungen sind das Problem. Denn so bald man diverse politische Gruppen ausschließt, fördert man die Herrschaft kleinerer Cliquen und Eliten, die ohnehin schon seit 20 Jahren herrschen. Und das wird die Mehrheit der Bevölkerung auf die Barrikaden bringen.