Association Critique
Wir sind ein loser Zusammenschluss von Individuen, die sich mit den herrschenden Verhältnissen nicht abfinden wollen. Denn »daß es ›so weiter‹ geht«, schrieb Walter Benjamin einmal, »ist die Katastrophe. Sie ist nicht das jeweils Bevorstehende, sondern das jeweils Gegebene.« All den falschen Vorstellungen, die das Bestehende in seinem Sosein verewigen, halten wir die Erkenntnis entgegen, dass die Gesellschaft ein Produkt menschlicher Tätigkeit ist und deshalb so, wie sie ist, nicht bleiben muss: Dass die Gesellschaft also auch anders sein, von den Menschen vernünftig eingerichtet werden kann. Angesichts der realen Möglichkeiten von Utopie zu sprechen ist fast schon ein Hohn auf die befreite Gesellschaft, die tatsächlich möglich wäre, so sehr auch in der Realität der Weg zu ihr versperrt zu sein scheint.
Weil wir nicht an einen naturgeschichtlichen Prozess glauben, in dem auch ohne unser Zutun die befreite Gesellschaft irgendwann von ganz alleine kommt (spätestens mit Auschwitz lässt sich eine optimistische Geschichtsmetaphysik nicht mehr halten), ist die Intention unseres Zusammenschlusses vor allem die, einen Beitrag zur Aufklärung über und eine gleichzeitige Kritik an gesellschaftlichen Verhältnissen zu leisten. Die Vermittlung von Kritik und das Fördern eines kritischen Bewusstseins ist für uns eine Form der Praxis, welche die notwendigen Vorbedingungen zum Entstehen einer Bewegung schafft, die die jetzigen, Leid produzierenden, Vernunft und Freiheit furchtbar spottenden Verhältnisse aufhebt.
Wir begreifen unsere lose Assoziation dabei aber nicht als eine Gruppe, die Menschen für ihr Programm bloß rekrutieren will oder als Kaderschmiede von belehrenden Topchecker_Innen, die den Leuten endlich mal so richtig zeigen, was eigentlich Sache ist.
Wir sehen uns viel mehr als eine Art Arbeitskreis; ein irgendwie seltsamer Verband verschiedenster Individuen, der sich eines festgeschriebenen und starren Profils und der Festlegung einer strikten und verbindlichen Programmatik bewusst verweigert. Deshalb gilt, dass Vielfalt innerhalb der Assoziation ohne Angst möglich sein muss – ohne dabei jedoch beliebig zu werden und den kritischen Stachel zu verlieren: Wir halten nach wie vor an den Imperativen von Marx und Adorno fest, »alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist« und »Denken und Handeln so einzurichten, daß Auschwitz nicht sich wiederhole, nichts Ähnliches geschehe«.
Dogmatismen, Orthodoxie und der weitverbreiteten Alteingesessen- und Festgefahrenheit halten wir Selbstreflexion und Offenheit entgegen. Dementsprechend wollen wir die Möglichkeiten, Vorzüge, aber auch Fehler und Grenzen verschiedener Ansätze und Theorien mit emanzipatorischem Gehalt diskutieren, Neues entwickeln und erproben. Der Charakter dieser Assoziation ist daher auch stets prozesshaft und dynamisch.
In diesen nicht-revolutionären Zeiten, in denen eine emanzipatorische Veränderung oder gar Aufhebung der herrschenden Verhältnisse (leider) keine große Chance auf baldige Verwirklichung hat, sehen wir die Aufgabe emanzipatorischer Initiativen, wie der unseren, vor allem in Aufklärung, Kritik und Subversion, aber auch in der Verteidigung des Bestehenden vor seiner reaktionären Ablehnung. Nicht um dabei zu Apologet_Innen des Bestehenden zu werden und die Perspektive auf eine befreite Gesellschaft zu verraten, sondern gerade um sie offen zu halten.
Wie Maulwürfe, um diese Metapher Johannes Agnolis zu bemühen, müssen wir in dieser verkrusteten Gesellschaft versuchen, in der Hoffnung auf den Frühling zu überwintern und dabei nicht bloß auf ihn warten, sondern aktiv daran arbeiten, auf dass er endlich komme. »Maulwurfsarbeit bedeutet nicht, daß man nichts tut, sondern daß man gräbt.« (Agnoli). Deswegen haben wir auch keine Lust als kleine Gruppe im stillen Kämmerlein oder im Elfenbeinturm der Uni zu hocken – wobei das sicherlich nicht die schlechteste aller Alternativen wäre, solange man sich stets daran erinnert, dass man sich von der Scheiße, die einen umgibt, selbst nicht wesentlich unterscheidet. Daher möchten wir zum Beispiel in gesellschaftliche Diskurse und politische Ereignisse intervenieren oder durch eigene Veranstaltungen versuchen, emanzipatorische Inhalte zum einen stark zu machen, zum anderen aber auch überhaupt erst die Möglichkeit zu bieten, sich mit diesen zu beschäftigen. Da wir dabei nie glauben, selbst schon alles zu wissen, soll die Tätigkeit in der Assoziation, so wie die eigenen Veranstaltungen, immer auch stets der eigenen Bildung und Bewusstwerdung dienen.
Wir hoffen damit einen zarten Beitrag zu leisten, um kritisches Bewusstsein zu fördern und zu weiterer Auseinandersetzung mit emanzipatorischen Inhalten und über die Negation von Zwangsverhältnissen verschiedensten Inhalts, zu inspirieren; in der Hoffnung, »daß der Bann der Gesellschaft einmal doch sich löse.« (Theodor W. Adorno)
Wie eine solche befreite Gesellschaft aussehen soll, vermögen wir nicht zu antizipieren. So wichtig und notwendig es ist, überhaupt etwas Anderes denken zu können, so verkehrt ist es gleichsam, diese utopische Phantasie mit einer Realität, die erst noch zu verwirklichen wäre, gleichzusetzen. »Die weitere Ausgestaltung der neuen Gesellschaft kann nicht mehr Gegenstand irgendeiner Theorie sein: sie soll als das freie Werk der befreiten Individuen geschehen.« (Herbert Marcuse)
So sehr wir uns von den autoritären Implikationen einer konkreten Ausgestaltung der befreiten Gesellschaft distanzieren möchten und glauben, dass ein Auspinseln des positiven Anderen schon allein deshalb problematisch ist, weil wir uns vom Bann der bestehenden Gesellschaft nie ganz lösen können, so lang er existiert, denken wir, dass wir uns durchaus ganz konkret darüber bewusst werden können, wie es nicht sein, bleiben oder werden soll. In anderen Worten: »Wir mögen nicht wissen, was der Mensch und die rechte Gestaltung der menschlichen Dinge sei, aber was er nicht sein soll und welche Gestaltung der menschlichen Dinge falsch ist, das wissen wir, und einzig in diesem bestimmten und konkreten Wissen ist uns das Andere, Positive, offen.« (Theodor W. Adorno)