MOZ » Jahrgang 1990 » Nummer 55
Jochen Hippler
Unser Öl, ihr Öl:

30 Jahre Golfkrieg

Es geht ums Öl. Völker- und Menschenrechte müssen sich dem Kampf ums ‚schwarze Gold‘ unterordnen. England, Frankreich und — später — die USA stehen seit dem Ende des Osmanischen Reiches den Arabern gegenüber. Hintergründe, die die aktuelle Krise am Golf wohl eher erklären als das allseitig präsentierte Freund-Feind-Schema.

Bild: Contrast

Acht Jahre Krieg zwischen Iran und Irak; Aufstände und Bürgerkrieg der Kurden gegen die Regierungen im Iran, Irak und der Türkei; zerbrechliche feudale Regime in Saudi Arabien und den Golf-Scheichtümern; die israelische Besetzung von Westbank, Gaza-Streifen, Teilen Syriens und des Libanon, palästinensische Intifada; der libanesische Bürgerkrieg; und nun die Annexion Kuwaits durch den Irak und der US-geführte Militäraufmarsch an der irakischen Grenze — das sind die wichtigsten Konfliktlinien im Nahen Osten, aber lange nicht alle.

In der Öffentlichkeit und der Regierungspolitik fast aller Staaten wird häufig so getan, als wären diese Konflikte eher zufällige Erscheinungen, die mit einander nichts zu tun hätten. Oder man nimmt an, die Konflikte resultierten aus der „Unberechenbarkeit der Araber“ oder einzelner Politiker, gar ihres „Größenwahns“ oder ihrer „Geisteskrankheit“. So unterschiedliche Politiker wie Khomeini, Arafat, Gaddafi und jetzt Saddam Hussein, aber auch ‚die‘ Palästinenser oder ‚die‘ Araber wurden mit entsprechenden Ausdrücken belegt. Oft verbirgt sich dahinter kulturelle Überheblichkeit und ein Unverständnis der komplexen Vorgänge der Region, manchmal latenter Rassismus. Auf jeden Fall macht diese Personalisierung und Psychologisierung der Konflikte deren Verständnis nicht leichter, sondern fast unmöglich.

Der Nahe und Mittlere Osten war bis zum Ersten Weltkrieg im wesentlichen Teil des Osmanischen Reiches (Ausnahme: Persien und Afghanistan). Allerdings war die tatsächliche Kontrolle der verschiedenen ‚Provinzen‘ dieses Reiches in vielen Fällen schon seit Generationen kaum noch möglich. Die Provinzen hatten eine beträchtliche Eigenständigkeit entwickelt. Das geschwächte Osmanische Reich behauptete sich nur deshalb bis zum Ersten Weltkrieg, weil sich die europäischen Mächte nicht über eine Verteilung der Beute einigen konnten. Als sich die Osmanen mit den Deutschen und dem österreichischen Kaiserreich verbündeten, war ihr Schicksal — und das ihrer abhängigen Gebiete — besiegelt: Die Briten organisierten gegen die mit deutscher Unterstützung kämpfenden türkisch-osmanischen Truppen Aufstände arabischer Stämme, die zunehmend erfolgreich waren.

Syrien an Frankreich, Irak an Großbritannien

Nach dem Sieg brach Großbritannien sein Versprechen, als Dank für die arabische Hilfe einen einheitlichen arabischen Staat auf der arabischen Halbinsel und bis an die türkische Grenze zu gestatten. Es teilte sich den nördlichen Teil des fraglichen Gebietes mit Frankreich. Dabei handelte es sich um eine Abgrenzung der Machtsphären beider Länder, die von einem Mandat des damaligen Völkerbundes abgesegnet wurden. Frankreich erhielt Großsyrien, Großbritannien den Irak, Palästina und Transjordanien. Durch die Politik beider Großmächte wurden die Keime für einige der Konflikte bereits gelegt, die heute noch nicht überwunden sind: Die Herauslösung des Libanon aus Syrien in der Absicht, eine christlich-maronitische Minderheit zur herrschenden Mehrheit im neuen Kleinstaat zu machen, oder die Unterstützung jüdischer Siedlungstätigkeit mit dem Resultat einer anschliessenden Staatsgründung im arabischen Palästina waren Entscheidungen, die heute noch nachwirken.

Zur damaligen Zeit war die Golfregion noch von begrenztem Interesse. Dies änderte sich in den dreißiger Jahren. Erstens wurden die Nord- und Südküste des Golfes für Großbritannien zu einer strategisch wichtigen Region, weil man mit der verstärkten Nutzung von Flugzeugen in den zwanziger Jahren dort eine günstige Flugroute nach Indien hatte — in die wichtigste britische Kolonie und den Kern des Weltreiches. Es galt, die britischen Positionen in Kairo und Bagdad (und Basra) mit denen in Karachi (im heutigen Pakistan) zu verbinden. Wegen der noch sehr begrenzten Reichweiten der Flugzeuge war es nötig, die Küsten entlang und nicht zu weit über Meere zu fliegen und auf dem Weg eine Reihe von Landebahnen, Versorgungseinrichtungen und Notpisten einzurichten. Dies geschah in den zwanziger Jahren vorwiegend an der iranischen (Nord-)Küste des Golfs, im Jahrzehnt darauf stärker an der arabischen Südküste.

Aramco in Saudi-Arabien, Gulf Oil in Kuwait

Als dann in den dreißiger und vierziger Jahren bei den arabischen Golfanrainern zunehmend Ölvorkommen entdeckt wurden, wuchs das britische — und US-amerikanische — Interesse an der Region. Durch den Zweiten Weltkrieg wurde dieser Trend verstärkt. Nach 1945 nahm der britische Einfluß auf Grund der allgemein sinkenden britischen Bedeutung ab und wurde 1971 mit der Aufgabe seiner militärischen Positionen ‚östlich von Suez‘ weiter reduziert. Die Rolle der USA indes nahm in der Region kontinuierlich zu. Beginnend mit US-amerikanischen Ölinteressen in Saudi Arabien (ARAMCO) und später Kuwait (Gulf Oil) übernahmen die USA seit Ende der vierziger Jahre auch militärische Funktionen. Dies erreichte mit der Einrichtung des „U.S. Central Command“ in den achtziger Jahren einen organisatorischen Höhepunkt. In den sechziger und siebziger Jahren setzten die USA auf eine Politik der ‚zwei Säulen‘, auf die Unterstützung und Aufrüstung von Saudi Arabien und dem Iran des Schah. Beide sollten im Rahmen der 1969 verkündeten „Nixon-Doktrin“ Stabilisierungsaufgaben am Golf für die USA übernehmen, was durch den Sturz des Schah natürlich gegenstandslos wurde.

Der Sturz der iranischen Monarchie und die islamische Revolution führten im September 1980 zum Golfkrieg. Ein ganzes Bündel von Gründen hatte die irakische Führung zum Angriff veranlaßt:

  1. Die drohende Destabilisierung durch die kurz zuvor siegreiche islamische Revolution angesichts der eigenen schiitischen Bevölkerungsmehrheit.
  2. Die Möglichkeit einer ‚Korrektur‘ der Grenze am Schatt-el-Arab, die man sich 1975 vom Schah des Iran unter ungünstigen Bedingungen hatte diktieren lassen müssen.
  3. Die ‚Befreiung‘ der arabischen Bevölkerung in der iranischen Ölprovinz Khusistan (‚Arabistan‘ im irakischen Sprachgebrauch) und die Möglichkeit, iranische Ölquellen zu erobern.
  4. Die Versuchung, eine wahrgenommene Schwächung des Iran durch die Wirren seiner Revolution für sich auszunutzen, um den Irak durch einen Blitzkrieg zur eindeutigen Vormacht am Golf zu machen.

Irak gegen Iran

Bereits damals konnte nüchtern Beobachtenden auffallen, daß der irakische Angriff zwar völkerrechtswidrig sein mochte, aber alles andere als emotionale, psychologische Ursachen hatte und kaum auf das Konto der ‚Unberechenbarkeit‘ verbucht werden konnte. Es handelte sich vielmehr um eine kühl kalkulierte Operation, die sich ausschließlich an der Abwägung eigener Interessen orientierte und daraus ohne Skrupel die logischen Schlußfolgerungen zog. Trotzdem war es eine Fehlkalkulation: Von einem ‚Blitzkrieg‘ gegen den geschwächten Iran konnte keine Rede sein, nach relativ kurzer Zeit geriet der Irak sogar in die Defensive. Schuld daran war vor allem, daß die arabische Bevölkerung Khusistans überhaupt nicht daran dachte, den irakischen Angriff als ‚Befreiung‘ aufzufassen und durch einen Aufstand zu unterstützen. Von einem Zusammenbruch der iranischen Streitkräfte konnte keine Rede sein. Es gelang den Mullahs sogar, sich durch den Krieg innenpolitisch zu stabilisieren sowie den religiösen Eifer gegen den Feind zu lenken und zu einer militärischen Kraft werden zu lassen. Drittens erwies sich das irakische Militär als wenig kampfstark, da es über keine tatsächliche militärische Erfahrung verfügte und von der politischen Führung in hohem Maße gegängelt wurde. Bis 1986 geriet der Irak immer stärker in die Defensive, dem Iran gelang sogar die Einnahme der Fao-Halbinsel am Golf. Damit war dem Irak praktisch der einzige Zugang zum Meer abgeschnitten — wenn es ihm nicht gelungen wäre, den Hafen Kuwaits in großem Maßstab benutzen zu dürfen. Der Verlust Faos hatte dem Irak eine Achillesferse drastisch vor Augen geführt und zugleich die Lösung verdeutlicht: Kuwait.

Das Jahr 1986 markierte den Wendepunkt des Krieges: Die irakische Führung begann eine durch tiefgreifende Umstrukturierung und Aufrüstung ihres militärischen Apparates. Dies wurde gekoppelt mit größeren operativen Freiräumen für Offizierskorps. Die systematische Mobilisierung und Freisetzung der personellen und materiellen Reserven des Landes zahlte sich bereits 1988 aus: In fünf größeren Schlachten von April bis August gelang es dem Irak, die iranischen Truppen fünf Mal entscheidend zu schlagen — mit dem Ergebnis, daß im August 1988 der Iran über keine funktionsfähigen Streitkräfte mehr verfügte. Erst daraufhin erklärte Khomeini, „den bitteren Kelch des Friedens trinken“ zu müssen.

Tatsächlich war damit der Golfkrieg weder in einer allgemeinen Erschöpfung noch in einer Sackgasse beendet worden, sondern — entgegen der allgemeinen Wahrnehmung im Westen — durch einen durchschlagenden militärischen Sieg des Irak. Dieser wurde durch vier Faktoren möglich:

  1. Die Anspannung aller nationalen Reserven und die erfolgreiche Reorganisierung des irakischen Militärs. Aus einer desolaten Truppe unter schlechter Führung war während des Krieges die kampfkräftigste Militärmaschine der Region (außer Israels) gemacht worden.
  2. Die Unterstützung des Irak durch fast alle arabischen Regierungen (außer Syrien und Libyen), die beträchtliche finanzielle Zahlungen (mehr als 30 Mrd. Dollar), die Nutzung von Territorien und Infrastruktur (kuwaitische Hafennutzung, saudische Ölpipelines und Verladestationen, jordanische Straßen und Hafennutzung) und personelle Hilfe (Millionen ägyptischer Gastarbeiter) mit einschloß.
  3. Die offene oder verdeckte Unterstützung des Irak durch Frankreich, die USA, die Sowjetunion und andere Mächte. Diese Hilfe reichte von nachrichtendienstlicher Zusammenarbeit über massive Waffenlieferungen auf Kredit bis zur Flottenentsendung der USA und der WEU (Westeuropäische Union)-Mitgliedstaaten in den Golf, der größten militärischen Flottenkonzentration in Friedenszeiten seit dem Zweiten Weltkrieg.
Neuirakische Ölanlage in Kuwait
Bild: Contrast

Irak gegen Kuwait — eine kühle Kalkulation

Genau zwei Jahre nach dem Sieg im Golfkrieg griff der Irak Kuwait an und annektierte den Feudalstaat. Kuwait bietet dem Irak den Zugang zum Golf, der zuvor nur unter erschwerten Bedingungen möglich war — und sich insbesondere direkt vor den Artilleriegeschützen Irans vollziehen mußte. Durch die Annexion von Kuwait ist es wesentlich schwieriger, den Irak vom Golf abzuschneiden. Zweitens ist — oder war Kuwait ein extrem reiches Land mit einer Bevölkerung von über einer Million Menschen. Auf seinem Gebiet lagern die drittgrößten Ölvorkommen der Welt.
Zusammen mit dem irakischen Öl verfügt Saddam Husseins Regierung nun über ein glattes Fünftel der Vorkommen der Welt. Außerdem war der Irak bei den arabischen Nachbarn am Golf wegen des Krieges hoch verschuldet, allein gegenüber Kuwait mit schätzungsweise 10 Mrd. Dollar, insgesamt (gegenüber Saudi Arabien und anderen Ölstaaten am Golf) mindestens noch einmal mit zusätzlichen 20-25 Milliarden. Dieses Problem ist nun gelöst: Die Schulden an Kuwait sind durch die Annexion dieses Landes gestrichen, und wie die anderen Golfanrainer ihre Außenstände nun eintreiben wollen, ist nicht zu sehen. Zugleich werden die Ölpreise mittelfristig steigen, die Rolle Iraks bei der Preisgestaltung innerhalb der OPEC wachsen.
Damit wird der Irak seine ebenfalls hohen Schulden bei westlichen Ländern auf Dauer deutlich leichter zurückzahlen können. Die Annexion Kuwaits hat falls auf Dauer erfolgreich — die irakische Schuldenkrise auf einen Schlag gelöst.

Auch sollte nicht vergessen werden, daß die Invasion dazu geeignet ist, den Führungsanspruch Iraks unmißverständlich zu unterstreichen. Nachdem man im Frühjahr einen Vergeltungsschlag gegen Israel mit Raketen und C-Waffen angedroht hatte, demonstrierte die Einnahme des südöstlichen Nachbarlandes, daß Saddam Hussein tatsächlich der „starke Mann der Araber“ ist. Manche arabischen Regierungen mögen sich dadurch bedroht fühlen, große Teile der Bevölkerung dieser Länder sympathisieren und identifizieren sich — mit dem, was sie für eine kraftvolle, arabische Politik halten. Der ganzen Welt die Stirn zu bieten, das nötigt Respekt ab.

Saddam Hussein: Pan-Araber und Pan-Islamist

Schließlich ist bemerkenswert, auf welche geschickte Art Saddam Hussein versucht, die Kosten seines Aufmarsches in Kuwait so gering wie möglich zu halten. Mit Gegenmaßnahmen war aus seiner Sicht zu rechnen, obwohl er annehmen konnte, daß sich diese in Grenzen halten würden. Die arabischen Nachbarstaaten hatten und haben ohnehin keine Möglichkeit, ernsthafte Schritte gegen den Irak zu unternehmen, am allerwenigsten militärische. Militärische Gegenmaßnahmen der USA waren nicht auszuschließen, würden aber begrenzt bleiben. Die achtziger Jahre hatten gezeigt, daß die USA militärisch ausschließlich gegen Staaten vorgegangen waren, die sich nicht verteidigen konnten: Grenada, Nicaragua, Libyen, Panama. Selbst an Syrien hatte man sich nicht herangetraut, vor dem Iran immer wieder zurückgeschreckt. Und gegen eine Million kampferprobte irakische Soldaten mit modernen westlichen Waffensystemen und C-Waffen — da würden die USA keinen Krieg riskieren. Einzelne Luftangriffe oder Beschießungen durch US-Kriegsschiffe wären damit nicht ausgeschlossen. Wirtschaftliche Boykottmaßnahmen sind schwierig und kaum auf Dauer durchzuhalten: Sie hatten auch gegen andere Länder praktisch nie gegriffen, außerdem ist der Westen selbst viel zu besorgt, durch langfristige Unterbrechung des Ölflusses die Ölpreise drastisch nach oben zu heben.

Als dann der Konflikt doch bedrohliche Formen annahm — Beschluß des UNO-Sicherheitsrates, Kriegsschiffe zahlreicher Länder im Golf, Sperrung der türkischen Ölpipeline, arabische Truppen in Saudi Arabien —, da erwies Saddam sein neues taktischen Geschick: die Appelle an die ‚arabischen Massen‘ anderer Länder über die Köpfe derer Regierungen hinweg, die Proklamation des arabischen Nationalismus und vor allem das Friedensangebot an den Erzfeind Iran sind kluge politische Schachzüge. Besonders pikant, brisant und zugleich nicht ohne Witz war dann der Aufruf Saddams zum ‚Heiligen Krieg‘ — ausgerechnet derjenige laizistische Diktator, der sich acht Jahre als Bollwerk gegen den islamischen Fundamentalismus iranischer Prägung geriert hatte, ruft nun zur „Befreiung der Heiligen Stätten Mekkas, Medinas und Jerusalems von der Schändung durch Ausländer und korrupte Herrscher“ auf. Auch das war alles andere als emotionaler Überschwang, am allerwenigsten religiöser Eifer, es war eine skrupellose und brillante politisch-psychologische Operation, die den Führungsanspruch noch einmal unterstreicht und die Möglichkeit einer ‚iranischen Karte‘ andeutet. Saddam Husseins Verknüpfung der Frage Kuwaits mit einem geforderten israelischen Rückzug aus den besetzten palästinensischen Gebieten unterstreicht diese Strategie, als zugleich arabisch-nationalistischer und arabisch-islamischer Führer aufzutreten. Die Stationierung von US-Truppen in Saudi Arabien läßt dies nach außen glaubwürdig erscheinen. Da die irakische Regierung ausschließlich vom Eigeninteresse ausgeht, sind weitere militärische Aktionen gegen Nachbarländer in absehbarer Zeit nicht zu erwarten. Weder Saudi Arabien, die Türkei noch Israel müssen mit irakischen militärischen Interventionen rechnen — nicht aus prinzipiellen Gründen, sondern weil der Irak dabei nur verlieren könnte. Saddam Husseins Regierung hat Kuwait erobert und nun genug damit zu tun, diesen Erfolg zu verdauen, abzusichern und materiell auszubeuten. Jede weitere Aggression würde diese starke Position nur gefährden, wäre irrational, insbesondere angesichts der internationalen Reaktion auf die Kuwait-Invasion. Drohgebärden gegen Saudi Arabien, die Türkei und vor allem Israel sind innen- und außenpolitisch sehr nützlich und unterstreichen erneut den irakischen Führungsanspruch. Welches andere arabische Land könnte sonst glaubhaft Israel bedrohen?

Dies ist auch der Hauptgrund für die palästinensische Unterstützung der irakischen Position. Aber so nützlich verbale Drohungen sind, so schädlich für das Eigeninteresse wäre ein tatsächlicher Angriff. Ein solcher würde alles verspielen, was der Irak bisher gewonnen hat.

UN-Sicherheitsrat nach der Invasion in Kuwait
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USA im Dilemma: Krieg bei 60 Grad im Schatten?

Die USA sind durch Saddam in einer verzwickten Lage. Wenn sie die Annexion Kuwaits einfach akzeptieren, würden sie ihre traditionellen, konservativen Verbündeten am Golf (Saudi Arabien und die Scheichtümer) verunsichern und zu einer Annäherung an Bagdad zwingen. Akzeptieren sie die irakische Annexion nicht, dann stellt sich die Frage möglicher Gegenmaßnahmen. Eine direkte militärische Konfrontation im Stile eines Landkrieges gegen den Irak bei schwierigsten topographischen und klimatischen Bedingungen (zum Teil bis zu 60 Grad im Schatten) ist wenig attraktiv, insbesondere angesichts irakischer C-Waffen-Vorräte und der bekannten Bereitschaft des Irak, diese einzusetzen. Eine langfristige Einschnürung und Blockade des Irak ist zwar mit geringerem militärischem Risiko behaftet, aber ebenfalls problematisch: der Begriff einer ‚Seeblockade‘ ist nach völkerrechtlichen Kriterien ein Kriegsakt, dieser setzte nach US-Recht eine formelle Kriegserklärung voraus. Zweitens würde eine solche Maßnahme erst mittel- und langfristig wirken und dem Irak zu Gegenmaßnahmen Zeit lassen — etwa zu der massiven Waffenlieferung an die kurdische PKK (Guerilla-Organisation) als Vergeltung für die Sperrung der türkischen Pipeline, der Destabilisierung Saudi Arabiens, der Scheichtümer und Jordaniens oder der Vorbereitung von Vergeltungsschlägen auf saudische Ölfelder. Das Dilemma der USA besteht darin, sich zwischen einer schnellen und extrem riskanten militärischen Option auf der einen Seite und einer langfristigen Einschnürung andererseits entscheiden zu müssen, bei der möglicherweise die gesamte Region destabilisiert würde Und dabei stellt sich natürlich die Frage, ob ein Bestehen auf ein unabhängiges Kuwait diese Risiken aus US-Sicht wert wäre. Der Irak pokert hoch, aber er pokert auf der Grundlage nüchterner Kalkulation.

Der Ausgang der gegenwärtigen Konfrontation wird darüber entscheiden, ob sich der Irak effektiv als Vormacht am Golf und Führungsmacht im arabischen Lager etablieren kann, oder ob die USA unter internationaler Assistenz eine noch verstärkte Pax Americana festschreiben können. Beides keine sonderlich angenehmen Aussichten für die Golfregion.

Seeblockade am Golf
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Erstveröffentlichung im FORVM:
September
1990
, Seite 37
Autor/inn/en:

Jochen Hippler:

Wissenschaftlicher Mitarbeiter der bundesdeutschen Grünen, Journalist, lebt in Bonn.

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