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Pascal Germann

Zerbrechliches aus Zentralasien

Zum ersten Mal in der Geschichte sind amerikanische Truppen auf dem Boden der ehemaligen Sowjetunion stationiert. Um den zentralasiatischen und kaspischen Raum tobt ein Machtkampf. Zwischenergebnisse eines imperialistischen Gerangels um Vormachtstellung und Rohstoffsicherung.

Als die USA Afghanistan angriffen, beteuerten KommentatorInnen gebetsmühlenartig, dass der alleinige Zweck des Feldzuges die Bekämpfung des Terrorismus sei. Andere wiederum versuchten, in der manischen Art von VerschwörungstheoretikerInnen, das Naheliegende als das Unwahrscheinliche darzustellen: Nicht etwa islamische Fanatiker, sondern ein Geheimdienstkomplott oder andere obskure Mächte würden hinter den Anschlägen in New York stehen.

Beide Sichtweisen sind falsch. Verschwörungen existieren fast immer ausschliesslich in den Köpfen jener, welche diese für allgegenwärtig halten. Der US-Propaganda jedes Wort zu glauben, bringt einen der Wirklichkeit aber auch nicht näher. Die USA verbinden den Krieg gegen Al-Qaida mit einem Ziel, welches auf ihrer geopolitischen Traktandenliste schon lange weit oben stand: das Ziel, sich im strategisch wichtigen und rohstoffreichen Zentralasien militärisch festzusetzen.

Dauerhafte Militärpräsenz

Im Laufe des Afghanistankrieges haben die USA in den ehemaligen sowjetischen Ländern Usbekistan, Tadschikistan und Kirgistan Luftwaffenstützpunkte errichtet und Truppen von einigen Tausend Mann stationiert. Ende März haben sich zudem rund 200 Instruktoren einer Spezialtruppe im direkt an Russland grenzenden Georgien niedergelassen. Die russische Führung befürchtet, dass diese die Vorhut grösserer Einheiten darstellen. Die USA dementierten schnell.

Auch bei der Stationierung der Truppen in den anderen zentralasiatischen Ländern versuchten die USA den Kreml zu beruhigen. Die Administration Bush beteuerte, dass die Präsenz bloss vorübergehend sei. Im Januar wurden aber Berichte aus dem Pentagon öffentlich, welche das Gegenteil besagen: die Stationierung von Militär in den zentralasiatischen Ländern sei für mehrere Jahre geplant. Es kann also vermutet werden, dass die USA sich in den Ländern im kaspischen und zentralasiatischen Raum auf ähnliche Weise festsetzen, wie nach dem zweiten Golfkrieg in einigen arabischen Staaten.

Die US-Regierung verfolgt in Zentralasien insbesondere zwei Inte-ressen: Erstens soll der Einflussbereich von Russland möglichst eingedämmt werden. Dies können die USA erreichen, indem sie sich jenen Ländern als «Schutzmacht» anbieten oder aufdrängen, welche bislang unter der Schirmherrschaft von Russland standen. Zweitens ist der kaspische Raum den USA deshalb von vitalem Interesse, weil die Region sehr reich an Rohstoffen – insbesondere Erdöl und Erdgas – ist, welche teilweise noch kaum erschlossen sind. Diese beiden Interessen hat der ehemalige amerikanische Sicherheitsberater Zbigniew Brzezinski bereits vor fünf Jahren formuliert. «Als Mitspieler, der nicht allein an der Förderung der Bodenschätze in der Region interessiert ist, sondern auch verhindern will, dass Russland diesen geopolitischen Raum allein beherrscht, hielten sie [die USA] sich drohend im Hintergrund bereit.» Zudem verfolge Amerika auch ein «eigenes wachsendes ökonomisches Interesse (...) an einem unbehinderten Zugang zu dieser dem Wes-ten bisher verschlossenen Region». (Brzezinski. Die einzige Weltmacht. S. 203)

Nach Brzezinski entwickelt sich der «eurasische Balkan», wie er Zentralasien nennt, zu einem ökonomischen Filetstück. Es sei bekannt, «dass die zentralasiatische Region und das Kaspische Becken über Erdgas- und Erdölvorräte verfügen, die jene Kuwaits, des Golfs von Mexiko oder der Nordsee in den Schatten stellen.» (Brzenzinski. S. 182) Der ehemalige Regierungsmitarbeiter, welcher heute amerikanische Ölkonzerne berät, übertreibt wohl kaum. Ein Be-richt vom US-State-Department von 1997 kommt zum Schluss, dass sich etwa 17% der weltweiten Erdölvorräte im kaspischen und zentralasiatischen Raum befinden und bislang noch kaum ausgebeutet werden. Die Region hat somit die Aussicht, sich hinter dem arabischen Raum zur zweit wichtigsten Rohstoffquelle für die Industrienationen zu entwickeln. Der sogenannte eurasische Balkan verspricht für die westlichen Länder also einiges: einen wichtigen Beitrag zur Energieversorgung unabhängig vom Druck der OPEC-Länder sowie saftige Gewinne für die Ölmultis.

Ein Problem der Region liegt aber in ihrer schwierigen Zugänglichkeit. Die Frage des Transportwegs ist entscheidend. Der Streit zwischen den konkurrierenden Staaten, insbesondere Russland und den USA, sowie zwischen den Ölkonzernen, entzündet sich deshalb hauptsächlich daran, durch welche Länder die Pipelines gebaut werden und zu welchen Orten sie führen. Die Trilaterale Kommission, ein Zusammenschluss von Eliten aus Amerika, Westeuropa und Japan, deren erklärtes Ziel darin besteht, die «gemeinsamen Führungsverantwortlichkeiten» zu diskutieren, schrieb in einem Bericht zum kaspischen Raum im Jahr 2000: «Der wahre geopolitische Wettbewerb konzentriert sich auf die Pipeline-Strecken.» Russland versucht zu verhindern, dass die noch aus der Sowjetzeit stammenden Transportwege gemieden und Pipelines durch nichtrussisches Gebiet gebaut werden. Das Ziel der Geopolitiker der USA ist das gegenteilige: Der kaspische und zentralasiatische Raum soll durch Pipelines erschlossen werden, welche weder durch russisches noch durch iranisches Gebiet führen.

Der Weg ist das Ziel

Ein erstes solches Projekt, welches bei der US-Politik Unterstützung fand, konnte der Konzern Unocal 1995 präsentieren. Erdgas- und Ölpipelines sollten durch Afghanistan zum indischen Ozean gebaut werden. Die Taliban schienen dabei kein Hindernis, sondern stellten eine ideale Voraussetzung dar. Ein US-Diplomat sprach sich freimütig gegenüber einem Journalisten aus: «Die Taliban werden sich wahrscheinlich so entwickeln wie die Saudis. Da wird es US-Pipelines geben, einen Emir, kein Parlament und eine Menge an Sharia-Gesetzen. Damit können wir leben.» Der US-Diplomat hat sich geirrt. Statt die von Russland unterstützte Nordallianz effektiv zu bekämpfen und für «stabile Verhältnisse» zu sorgen, sprengten die Gotteskrieger lieber Buddha-Statuen in die Luft und gaben antiamerikanischen Terroristen Unterschlupf. Die USA haben sich getäuscht, wie sich auch viele linke KritikerInnen geirrt haben oder immer noch irren. Die Islamisten sind nicht eine manövrierbare und belie-big instrumentalisierbare Bewegung, auch nicht einfach ein Produkt des Imperialismus, sondern eigenständige Akteure, welche sich einer Ideologie verschrieben haben, nach welcher der Kampf gegen alles Gottlose als heilige Pflicht erscheint. Dieser Kampf kann und konnte für die USA nützlich sein, wenn er sich gegen Konkurrenten oder gegen Linke richtete. Im Falle der Taliban wendete er sich aber gegen «den grossen Satan Amerika» selber.

Die amerikanische Öl-Lobby änderte ihre Meinung. Sie sah ein, dass sich mit den Taliban nicht (oder besser: nicht mehr) Geschäfte machen lassen. Im Februar 1998 sprach der Vizepräsident der Unocal vor dem «Subcommittee on Asia and the Pacific» des Abgeordnetenhauses zu Washington. Er jammerte, dass in Afghanistan keine Pipeline gebaut werden könne, «bevor dort eine anerkannte Regierung im Amt ist, die das Vertrauen von Regierungen, Kreditgebern und unserer Firma geniesst.» Im gleichen Referat lobte er aber auch die Politiker: «Ich gratuliere Ihnen, dass Sie sich auf die Öl- und Gasvorkommen in Zentralasien konzentrieren und auf die Rolle, die diese bei der Formung der Politik der USA spielen.» Von spätestens diesem Zeitpunkt an waren die alten Freunde die neuen Feinde und dies drei Jahre vor dem 11. September. Nach dem Sturz des Taliban-Regimes scheint das Pipeline-Projekt wieder realisierbar zu sein: Ein Erfolg für die Ölkonzerne und für die Geostrategen, welche Russland sein «Hinterland» streitig machen wollen.

Trotzdem sieht es für die Ziele der USA nicht ganz so rosig aus. Den Kampf um die Pipeline-Route, welche von den Ölfeldern von Aserbeidschan wegführt, hat Russland für sich entschieden. Im Dezember 2001 wurde die Pipeline von Aserbeidschan zur russischen Stadt Noworossisk feierlich eingeweiht und von den USA wurde sie offiziell anerkannt. Das amerikanische Konkurrenzprojekt, der Bau einer Pipeline über Georgien in die Türkei, für welches sich die amerikanische Diplomatie jahrelang mit grossem Aufwand eingesetzt hat, scheint zumindest vorläufig gescheitert zu sein.

Vor diesem Hintergrund, der Rangelei um Vormachtstellung, Rohstoffsicherung und ökonomischen Gewinn ist die neue Militärpräsenz der USA in den zentralasiatischen Ländern zu sehen. Auch diese ist nicht seit dem 11. September vom Himmel gefallen. Bereits vier Jahre davor führte die USA gemeinsam mit zentralasiatischen Ländern in Kasachstan Militärmanöver durch. Die NZZ schrieb am 17.9.1997 dazu: «Washington demonstriert die Fähigkeit, seine Interessen und die seiner Verbündeten in der Region an jedem Ort in Zentralasien auch mit militärischen Mitteln zu vertreten.» Zwei Jahre später kündigten Usbekistan, Aserbeidschan und Georgien ihre Mitgliedschaft im kollektiven Sicherheitsvertrag der GUS und begaben sich vertraglich unter den Schutz der NATO. Die USA kamen ihrem Ziel, «ihren politischen Einfluss in der Region zu stärken und die Abhängigkeit der früheren Sowjetrepubliken von Russland zu lockern», näher (NZZ, 15.8.2001).

Klein und fein und diktatorisch

Die Voraussetzungen für die heutigen Militärbasen sind also schon vor längerer Zeit geschaffen worden. Die kleinen Länder der ehemaligen Sowjetunion waren schnell kooperativ. Sie entsprechen offenbar genau dem Geschmack der amerikanischen Aussenpolitik: schwach, instabil und regiert von Despoten, welche gegen alle Oppositionellen – seien dies Demokraten oder Islamisten – hart und rücksichtslos vorgehen. Daniel Pipes, Direktor des Middle East Forum in Philadelphia, schreibt in einem Artikel, dass neben dem Offizierkorps der Türkei, welches er richtigerweise «den eigentlichen Schiedsrichter über die Geschicke des Landes» bezeichnet, die Führungen der Staaten der ehemaligen Sowjetunion die wichtigsten proamerikanischen Bollwerke in Asien darstellen (NZZ, 8.2.2002). Vom Versprechen der Demokratie und Freiheit bleibt also nicht viel übrig. Auch der grosse Geostratege Brzezinski, welcher von Weltpolitik spricht, als werbe er für ein neues Computergame, gesteht ein, dass die Staatsform Demokratie einem hegemonialen Streben abträglich sei (Brzezinski, S. 59f.).

Kleine und schwache Nationalstaaten sind ideale Partner der USA, weil sie erstens kaum eigenständig handeln können und militärisch auf eine grössere Macht angewiesen sind. Dabei wird am besten erfüllt, was Brzenzinski die drei Imperative der Geostrategie nennt. Sie zielen darauf ab, «Absprachen zwischen den Vasallen zu verhindern und ihre Ab-hängigkeit in Fragen der Sicherheit zu bewahren, die tributpflichtigen Staaten fügsam zu halten und zu schützen und dafür zu sorgen, dass die «Barbaren»völker sich nicht zu-sammenschliessen.» (Brzezinski, S. 65f.) Dies erklärt auch, warum die USA so skeptisch gegenüber der GUS sind und sie oft Begeisterung für separatistische Bewegungen zeigen (es sei denn, diese seien gerade in einem ihrer «tributpflichtigen Staaten» aktiv, wie beispielsweise der Türkei).

Der zweite Grund ist ein ökonomischer: Wenn in einem Land Erdöl gefördert wird, so wird die Gewinnverteilung zwischen Konzern und Staat vertraglich geregelt. Je schwächer und abhängiger der Staat, desto mehr springt für die Ölfirma heraus. Zudem können es abhängige Länder (im Unterschied zu vielen Opec-Staaten) sich nicht leisten, Exportbeschränkungen gegen den Willen der USA und der EU durchzusetzen und somit die Preise zu heben.

Bekämpfung des Islamismus?

Die USA begründen die Stationierung der Truppen in Zentralasien mit dem Kampf gegen den islamistischen Terrorismus. Dies ist nur bedingt glaubwürdig. Sicherlich unglaubwürdig ist die Begründung für die Präsenz in Georgien. Amerikanische Militärinstruktoren sollen die georgische Armee angeblich für einen effizienteren Kampf gegen den Terrorismus ausbilden. Nun ist aber das georgische Militär nicht gerade bekannt dafür, dass es besonders willig ist, islamistische Terroristen zu bekämpfen. Bis anhin war das Gegenteil der Fall: Um militärisch gegen das für Unabhängigkeit kämpfende Abchasien vorzugehen, nahm Georgien die Unterstützung von Terroristen gerne an. Letzten Herbst überfielen georgische Truppen gemeinsam mit tschetschenischen Islamisten abchasische Dörfer. Dank der Präsenz von russischem Militär konnte bis jetzt eine Eskalation des Konfliktes vermieden werden. Gerade dies wird aber durch die Stationierung von US-Einheiten auf die Dauer in Frage gestellt. Der georgische Präsident Schewardnadse plant gemeinsam mit der EU und den USA, Georgien von der GUS zu lösen und einen NATO-Beitritt vorzubereiten. Abchasien ist dabei ein Hindernis, da es sich lieber enger an Russland binden möchte.

Entsprechend energisch waren die Reaktionen in Russland auf den Entscheid der USA, Militär in Georgien zu stationieren. Der Chef des aussenpolitischen Komitees der Duma drohte sogar offen damit, Abchasien als eigenen Staat anzuerkennen.

Europäische Träume

Das Hickhack um die Vormachtstellung in den ehemaligen sowjetischen Ländern findet aber nicht nur zwischen Russland und den USA statt. Auch die europäischen Staaten, insbesondere Deutschland, versuchen sich vermehrt als eigenständige Akteure ins Spiel zu bringen. So spricht Detlev Wolter vom deutschen auswärtigen Amt davon, dass die EU im kaspischen Raum verstärkt «ihre Rolle als Ordnungsmacht ohne Dominanzanspruch ausbauen» und «ihre komparativen Vorteile gegenüber anderen Akteuren ausnutzen» solle. Dass die EU dabei andere Interessen als die USA verfolgt, wird nicht verschwiegen. Der angebliche Kampf gegen den islamistischen Terrorismus ist für die EU nicht mehr als ein Lippenbekenntnis, hebt doch der deutsche Berichterstatter der Trilateralen Kommission als Hauptdifferenz zu Washington die Stellung zum Iran hervor. Die europäischen Länder seien im Gegensatz zu den USA gegen eine Eindämmung des Irans. «Sie sehen den Iran vielmehr als einen künftigen Schlüsselpartner für kommerzielle Vorhaben in der kaspischen Region.» Die EU will sich mit ihrer bisherigen Rolle im imperialistischen Gerangel nicht begnügen. Weiter oben stellt sich der deutsche Stratege die Frage: «Soll aber die EU weiterhin bloss einen wirtschaftlichen Beitrag zur regionalen Stabilität leisten und es hinnehmen, dass ihre wirtschaftliche Macht von anderen Akteuren politisch ausgeschlachtet wird?» Die hier im Bericht der trilateralen Kommission angedeutete militärische Option spricht Detlev Wolter offen aus: «Mit der Perspektive einer Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik könnte die EU eines Tages sogar über die nötigen militärischen Mittel verfügen, um erforderlichenfalls friedenserhaltende Massnahmen in der Region zu ergreifen.»

Dass sich hinter den vordergründigen Solidaritätsbekundungen und gegenseitigen Versicherungen, an vorderster Front im Kampf gegen den Terrorismus zu stehen, auch ein weniger solidarischer Kampf um die eigene Vormachtstellung und um Rohstoffsicherung verbirgt, ist offensichtlich. Verschwörungen braucht es dazu keine. Die Logik der kapitalistischen Konkurrenz, welche sich in der Konkurrenz der Nationalstaaten fortsetzt, reicht vollkommen aus.

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Erstveröffentlichung im FORVM:
Mai
2002
, Seite 2
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Pascal Germann:

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