MOZ » Jahrgang 1990 » Nummer 50
Eva Lichtenberger

Westwärts

500 Kilometer von Wien, 5 Bahnstunden, fernab von Europa, liegt Tirol mit seinen 8% Grünen; und damit ist schon viel gesagt über die Tiroler, die immer wieder störend auffallen.

Aber — wir haben international Aufmerksamkeit erregt. Erst die Tiroler Forderung nach dem Nachtfahrverbot für LKW, von der ÖVP im Nachwahl-Schock und in der Hoffnung auf einen Streicher mit einem Flüsterasphalt-Schädel mitgetragen, hat die Tür zu einem verkehrspolitischen Umdenken in Europa aufgestoßen. Und die 500 Kilometer haben verhindert, daß ebendiese Tiroler ÖVP hätte erkennen können, daß da Wirtschaftsförderungsinteressen (Steyr„Flüster“-LKW) eine gewisse Rolle spielen würden. Ein historischer Glücksfall, ein sorgsam zu hütender Anfang.

Und weil es nur ein Anfang ist, denken wir weiter. An diese 500km zwischen Tirol und Wien. Und an die Notwendigkeit, tiefergreifende Veränderungen anzustreben, die es erlauben, den einmal eingeschlagenen Weg fortzusetzen. Solange im fernen (flachen) Wien entschieden wird, wieviel Transit ein enges Tal zu ertragen hat, solange eine Großbauernmafia mit einer Almosenmentalität über die Köpfe von Bergbauern hinweg entscheidet, wird es dieses alpenländische Ressentiment gegen die ‚Städter‘ geben. Und in dieser Situation greifen viele dann zu Nationalismen; und oft wird, was wir sagen, als Nationalismus verstanden, auch wenn es nur die Verteidigung eigener Lebensinteressen ist, die sich halt von den großstädtischen unter Umständen unterscheiden. Wenn wir über Regionalisierung nachdenken, wollen wir nicht ein alpines Wurzel-Sepp-Image übergezogen bekommen. Unser Engagement für eine Rückverlagerung der Entscheidungen auf Landes- bzw. Gemeindeebene ist aus Erfahrungen erwachsen. Wir haben erlebt, wie Tiroler am glatten Wiener Parkett ausgeglitscht sind (Salcher, Fischler), weil sie „Entscheidungsvorbereitungen“ in der In-group wegen eben dieser 500km nicht so exzessiv mitgestalten konnten.

Durch die internationale Resonanz auf das Nachtfahrverbot ist aber ein neues alpines Selbstbewußtsein gewachsen, das alte Patronanzen und städtische Arroganzen zurückweist und auf Selbstbestimmung pocht. Im Idealfall kann durch die Rückverlagerung der Kompetenzen verantwortliches Handeln entstehen, unter breiter Partizipation der BürgerlInnen. In den Bürgerinitiativen in Tirol, auch innerhalb unserer grünen Gruppe, sind neue „Realverfassungen“ entstanden. Manchmal tappt man zwar oft noch blind wie Justitia durch die politische Realität. Trotzdem ist das aber, diese Macht von unten, noch immer unsere beste Alternative zu einem Sachzwang, der umso stärker und abstrakter erscheint, je weiter entfernt das Zentrum vom Tatort ist. Das gilt durchaus auch grün-intern.

Bleibt das Problem, daß in kleineren Einheiten die Gefahr besteht, daß ’Dorfkaiser’ mit eigener Machtvollkommenheit genauso großen Schaden anrichten. Nun ist es aber unsere Erfahrung, daß diese umso stärker werden, je stärker das hinter ihnen stehende Zentrum ist, dem sie im Zweifelsfall auch Schuld zuschieben können. Ich setze in die Rückverlagerung der Entscheidungen auf die niedrigstmögliche Ebene keine Heilserwartungen, sondern bin mir der Problematik der Kontrolle bewußt. Trotzdem muß innerhalb der riesigen Zentralisierungsprozesse in Europa nach neuen Wegen gesucht werden. Tirol hat keine großstädtisch-internationale Vergangenheit, auf die es rekurrieren kann, sondern es war immer Provinz, immer Kolonie. Und wir haben den starken Wunsch, uns aus diesen Abhängigkeiten zu verabschieden, um die Entscheidungsträger direkt greif- und kontrollierbar zu haben.

Freie Zusammenarbeit gleichberechtigter Einheiten ist angesichts der herrschenden wirtschaftlichen Strukturen eine Utopie, aber es ist eine, für die es sich einzutreten lohnt. Ich erlebe im Tiroler Landtag sehr stark das Hin- und Herschieben von Kompetenzen, vor allem im Umweltbereich, wenn sich die Großparteien vor Entscheidungen drücken wollen, und ich erlebe auch, wie bequem es für die immer noch dominierende ÖVP ist, den Schwarzen-Peter nach Wien schieben zu können.
Gegenwärtig besteht eine unserer Aufgaben darin, den BürgerInnen das Know-how fürs Überleben im Kompetenzdschungel — der ja vor allem im Umweltbereich herrscht — zu vermitteln. Neue politische Qualität entsteht aber nur, wenn Entscheidungsstrukturen transparent, gestaltbar und kontrollierbar werden. Dies gelingt in der Überschaubarkeit besser.

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Erstveröffentlichung im FORVM:
März
1990
, Seite 13
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Eva Lichtenberger:

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