Streifzüge » WWW-Ausgabe » Jahrgang 2020
Stefan Meretz

Vivihouse

Ich möchte das Commons-Projekt Vivihouse vorstellen, und alle, die in Wien unterwegs sind, hätten eigentlich schon vorbeigehen können, um es sich anzuschauen. Hätten – leider steht der zweite Prototyp noch nicht. Dazu gleich mehr.

Das Projekt Vivihouse baut Häuser, doch komplett anders, als wir es kennen. Es geht nicht nur um Häuser, die aus ökologisch-nachhaltigen Materialien aufgebaut werden, sondern die auch komplett wieder abgebaut werden können, um sie entweder woanders wieder aufzubauen oder umweltfreundlich zu recyclen. Die lehmverputzten und strohballengedämmten Holzhäuser sind nicht primär für den ländlichen Raum gedacht, sondern die modularen Bausätze eignen sich vor allem für den mehrgeschossigen Wohnungsbau in der Stadt. Und es handelt sich nicht nur um ein Do-it-yourself-, sondern vor allem um ein Do-it-together-Projekt – Interessierte sind regelmäßig zu Bauworkshops eingeladen.

Mit ihrem Ansatz stellt das Projekt neue Fragen. Muss Hausbau in den Händen einer kleinen Gruppe von Spezialist*innen liegen? Kann der Selbstbau Menschen ermächtigen, die Gestaltung ihrer Lebenswelt mehr in die eigenen Hände zu bekommen? Kann der Einsatz erneuerbarer Materialien wie Holz und Stroh das Betondenken (Sand ist eine schwindende Ressource, Zementherstellung ist CO2-intensiv) im Städtebau aufweichen und einen Beitrag zum Klimaschutz leisten?

Das Projekt wurde von einer Gruppe von Architekt*innen gegründet, die sich von den Commons inspirieren ließen und diese Erkenntnisse auf ihre Domäne übertrugen. Die Commons-Sommerschule und das Netzwerk des Commons-Instituts waren wichtige Orte für die Entfaltung der Ideen. So war klar, dass die Zugangshürden möglichst niedrig sein sollten, um die Kooperation von Profis und Laien zu befördern. Die Pläne werden unter einer freien Lizenz als Open Source zur Verfügung gestellt, damit andere Projekte daran anknüpfen können. Nicht zuletzt sollen die Kosten u.a. durch den Eigenbauanteil gering gehalten werden, um allen den Zugang zu qualitativ gutem Wohnraum zu ermöglichen – anstatt nur ein sozial-elitäres Projekt für Gutverdienende zu sein.

Das Projekt Vivihouse wurde von der Initiative for Convivial Practices initiiert und ist an der TU Wien angesiedelt. Es finanziert sich durch unterschiedliche Beiträge von öffentlicher Hand und privaten Firmen, die das ökologische Bauen voranbringen wollen. Das klingt gut, aber letztlich ist die Finanzbasis prekär. Springt ein Sponsor ab, was schon mehrfach geschah, gerät der Zeitplan oder gar die ganze Projektrealisierung durcheinander.

So konnte zwar in Pernitz südlich von Wien ein kleiner Prototyp realisiert werden, aber der Aufbau eines mehrgeschossigen Baus in Wien scheiterte, weil ein Immobilienkonzern seine avisierte Flächenbereitstellung samt Anschluss nicht einhielt. Die vorproduzierten 17 Wände und 7 Deckenelemente mussten nun aufwändig (ein Bauteil wiegt bis zu 2 Tonnen) aus der von einem weiteren Sponsor temporär zur Verfügung gestellten Bauhalle in eine kostenträchtig angemietete Lagerhalle zur Zwischenlagerung transportiert werden. Jetzt muss erst wieder eine geeignete Fläche gefunden werden, bevor das mehrgeschossige Vivihouse kommen kann. Die Stadt Wien könnte sich hier durchaus mehr engagieren, wurde das Projekt doch als Modellprojekt zur Internationalen Bauausstellung in Wien 2022 nominiert.

Eine Zwangspause bietet immer auch Gelegenheit zum Luftholen und zur Reflexion. Wenn das Projekt erfolgreich realisiert werden sollte, welche Wirkung könnte es haben? Wenn die Klimakrise sehr bald tiefgreifend alle gesellschaftlichen Bereiche erfasst, wird auch das CO2-intensive Bauen in den Fokus einer Transformation gelangen. Nachwachsende Rohstoffe wie Holz und Stroh könnten allein von der Materialseite das städtische Bauen völlig verändern. Die Holzindustrie freut’s, die Betonlobby wird allerdings alles daransetzen, den Wandel aufzuhalten.

Kann das Projekt thematisch benachbarte Commons-Initiativen ermächtigen, ihren Bereich auszuweiten? Könnten sie an Vivihouse andocken, Kooperationen eingehen, Netzwerke bilden und den Markt auskooperieren? Ein Wald-Commons, das seine Forsten nicht monokulturell, sondern ökologisch-divers betreibt, könnte Holz liefern. Weitere Architektur-Commons könnten die Designs nutzen, um ihre eigenen Projekte vorzubringen – am besten in Kooperation mit zukünftigen Bewohner*innen, die an Planung und Bau beteiligt sind. Perspektivisch könnten daraus ganze Stadtteil-Commons entstehen, die ihr Quartier selbst gestalten.

Eine weitere spannende Frage ergibt sich aus dem Open-Source-Charakter von Vivihouse. Ein Haus tangiert mehrere rechtliche Domänen. Während Designs als kreative Wissensschöpfungen durch das Urheber*innenrecht exklusiviert („geschützt“) werden, greift bei technischen Erfindungen das Patentrecht. Wie könnten hier passende Lizenzen aussehen, die sowohl Wissen wie Hardwarelösungen für andere zugänglich halten? Wie könnten gleichzeitig Commons-Projekte ihre Finanzierungsgrundlage sichern, wenn es wesentlich potentere Privatbetriebe gibt, die Designs und Erfindungen auf dem freien Markt verwerten? Private Firmen, die sich an dem Projekt beteiligen, könnten hingegen ihre eigenen technischen Lösungen und damit ihr Geschäftsmodell in Gefahr sehen, wenn sie zum Open-Source-Topf beitragen, aus dem sich auch die Konkurrenz bedienen kann. Ist das schlecht oder vielleicht sogar gut, weil dann Commons-Projekte im Vorteil sind?

Es zeigt sich, dass monothematische Commons-Projekte gut darin sind, für ihre Domäne eine maßgeschneiderte Lösung zu finden, um sich in der Geldlogik zu bewegen und sich gleichzeitig ihr nicht unterzuordnen. Sobald es jedoch um große Projekte geht, die mehrere Bereiche umfassen, wird es extrem schwierig. Diese Beobachtung haben Simon Sutterlütti und ich in unserem Buch „Kapitalismus aufheben“ zu der These verdichtet, dass wachsende Commons, die unterschiedliche Bereiche integrieren, zur Planwirtschaft tendieren, während lose Netzwerke aus autarken Commons eher wieder eine Tauschlogik herausbilden, die ihre Perfektion in der Marktwirtschaft findet. Ich würde mich freuen, wenn unsere These widerlegt wird, und vielleicht ist Vivihouse ein Projekt, mit dem das beispielhaft gelingen kann.

Online anschauen: http://vivihouse.cc/

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Erstveröffentlichung im FORVM:
Januar
2020
Autor/inn/en:

Stefan Meretz:

Geboren 1962. Berliner. Informatiker. Schwerpunkte: Freie Software und Technikentwicklung. Aktiv u.a. bei Oekonux und Wege aus dem Kapitalismus; „Traforat“ der Streifzüge.

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