Context XXI » Print » Jahrgang 2005 » Heft 1-2/2005
Judith Goetz

Und es gibt ihn doch!

In Ljiljana Radonic „Die friedfertige Anti­semitin“ wird das Modell eines weiblichen autoritären Charakters aktualisiert.

Die Kritik an Freuds Weiblichkeitstheorie stellt in der Diskussion rund um Geschlechterverhältnisse keine Neuheit dar. Ebenso bekannt ist der Vorwurf, dass Adornos Modell des autoritären Charakters an ein männliches Subjekt gebunden ist. Ljiljana Radonic versucht in ihrem 2004 erschienen Werk die Debatten und Fortführungen bei­der theoretischer Ansätze zusammenzufassen und gleichzeitig für ein Konzept eines weib­lichen autoritären Charakters brauchbar zu machen. Sie verwirft dabei nicht nur Freuds biologistische Argumentationen, sondern auch einige Ansätze seiner feministischen Kritikerinnen und wirkt nicht zuletzt auch den theoretischen Auseinandersetzungen entgegen, die Frauen ein mangelndes Interesse am Antisemitismus unterstellen.

Ausgehend vom Verweis auf die gesellschaftliche Bedingt­heit weiblicher Identitätsbildung, eignet sich Radonic die altbe­kannten Grundpfeiler der freudschen Psychoanalyse und die Erkenntnisse der Kritischen Theorie in Bezug auf Antisemitismus an, um die Frage nach dem psychischen Gewinn von Anti­semitismus geschlechtsspezifisch zu erklären. Den Mittelpunkt und eigentlichen Meilenstein ihrer Forschungsarbeit stellen da­bei die kritische Auseinandersetzung mit Frauen im NS und de­ren Rezeption in der „Neuen deutschen Frauenbewegung“ dar. Radonic thematisiert somit, was der Großteil deutschsprachiger feministischer Schriften der letzten 60 Jahre verabsäumt hat. In einer profunden Auseinandersetzung mit historischen Fakten liefert sie eine Vielzahl von Belegen, die Frauen als aktive Täterinnen und Profiteurinnen des NS-Regimes verurteilen. Gleich­zeitig wirkt Radonic auch der oftmals postulierten Friedfertigkeit und dem Opferstatus der Kategorie „Frau“ entgegen, wie sie sich in Margarete Mitscherlichs Werk „Die friedfertige Frau“ finden lassen. Im Vordergrund werden dabei jene, den Holocaust ver­harmlosenden Tendenzen dieses Denkens analysiert, die in erster Linie den Wunsch nach einer identitätsstiftenden Bezugnahme befriedigen wollen, indem sie die grausame Mittäterinnenschaft deutscher Frauen im NS ausblenden.

In Anlehnung an eine Studie über antisemitische Persönlich­keiten, die 1944 in den USA mit Frauen durchgeführt wurde, kommt die Autorin zu dem Schluss, dass „die Funktionsweise und der psychische Gewinn des Antisemitismus“ bei Männern und Frauen gleich wären, da beide über die gleiche Persönlich­keitsstruktur verfügen, die Inhalte, der auf Juden und Jüdinnen projizierten verdrängten Wünsche und Regungen ihrer narzissti­schen Kränkungen jedoch unterschiedlich.

Trotz ihrer Schärfe, Präzision und Detailhaftigkeit ist Radonic vorzuwerfen, dass sie neuere feministische Ansätze aus ihrer Ana­lyse vollkommen ausklammert, kaum bis keinen Bezug nimmt auf die Anwendbarkeit ihrer Ergebnisse auf andere Phänomene wie Rassismus, und auch die Notwendigkeit der von Freud und Adorno ausgesparten Patriarchatskritik innerhalb einer umfas­senden Gesellschaftsanalyse nur marginal betont.

Die friedfertige Antisemitin? — Kritische Theorie über Geschlechterverhältnis und Antisemitismus, Peter Lang Verlag, Frankfurt am Main u.a., 178 Seiten, 39,— Euro, ISBN: 3-631-53306-3

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Erstveröffentlichung im FORVM:
Mai
2005
, Seite 48
Autor/inn/en:

Judith Goetz:

Literaturwissenschafterin und Politikwissenschafterin, Mitglied der LICRA (Liga gegen Rassismus und Antisemitismus), von März 2004 bis 2006 Redaktionsmitglied von Context XXI.

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