Grundrisse » Jahrgang 2006 » Nummer 20
Karl Reitter

Traurige Ratlosigkeit

Bemerkungen zur Kritik am Grundeinkommen von Markus Koza und Angela Klein

In einem Beitrag in der „SoZ“ (Sozialistische Zeitung, Frankfurt) schreibt Angela Klein über das Grundeinkommen, [1] wie es von Götz Werner propagiert wird, in der „akin“ (Wien) Markus Koza über diese Forderung an eine Wortmeldung von Bernhard Redl anknüpfend. [2] Mit diesen Beiträgen meldet sich eine Linke zu Wort, die das Grundeinkommen durchwegs ablehnt. Ihre Kritik lässt jedoch keine Alternative erkennen, sondern besticht durch weitgehende Resultatlosigkeit. Hier ist keine Gegenrede am Werk, die die Thesen des Gegenübers kritisch aufnimmt und in einer neuen Lösung aufhebt und überwindet. Der Stil der Aussagen entspricht der Gedankenwelt. Gelangweilt wird aus dem ABC des Marxismus zitiert, einige Szenarien beschworen, die durch die Einführung des Grundeinkommens zu erwarten wären und Versatzstücke mit fast hörbarem Seufzer über die Zusammenhänge von Steuern, Produktion und Verteilung zu Papier gebracht – das alles müsste der Linken doch klar sein, aber leider… angesichts der Forderung nach dem Grundeinkommen müsse halt wieder an das Elementare erinnert werden: Wer zahlt’s letztlich? Die ArbeiterInnenklasse.

Zur vorgeblich geringen Radikalität des Grundeinkommens

Was sind eigentlich die Ziele des Grundeinkommens? Der Zwang zur Lohn- und Erwerbsarbeit soll möglichst aufgehoben und alle Tätigkeiten, vor allem auch die unentlohnten, gesellschaftlich anerkannt werden. Zudem formuliert das Grundeinkommen ein Distributionsprinzip, das auch in einer nachkapitalistischen Gesellschaft Grundlage der Verteilung des geschaffenen Reichtums sein könnte. [3] Dem wird entgegengehalten, das sei alles zu wenig radikal, das taste das Eigentum an Produktionsmitteln nicht an und ob das Grundeinkommen den „Arbeitszwang“ (Angela Kein) wirklich aufhebe, sei von der Höhe abhängig. Zweifellos, als gesellschaftliche Institution bleibt die Lohnarbeit einmal bestehen, die Frage nach dem Eigentum an Produktionsmitteln wird nicht umfassend gestellt (obwohl Produktionsmittel keineswegs ausschließlich mit industriellen Produktionsanlagen gleichgesetzt werden können). Darüber hinaus löst ein bedingungsloses Grundeinkommen keineswegs die Frage nach den Strukturen einer nachkapitalistischen Ökonomie. Welche Alternativen skizzieren nun die KritikerInnen des Grundeinkommens? Wie greifen sie den Impuls auf, der von der Vorstellung, „in Freiheit tätig zu sein“ (so lautete das Motto des großen Kongresses zum Grundeinkommen letzten Herbst in Wien) ausgeht?

Spielen wir mit offenen Karten. Vor zwanzig, dreißig Jahren hätte jenes Denken die Alternativen lauthals hinausposaunt: Von Verstaatlichung unter ArbeiterInnenkontrolle in der trotzkistischen Variante bis zu Staatsplanwirtschaft unter Führung der Partei; die Alternativen wären nur so aus dem Text gepurzelt. Die Staatsplanwirtschaft hat jedoch als emanzipatorisches Konzept jämmerlich Schiffbruch erlitten. Die für Linke zweifellos bitteren Erfahrungen der russischen wie chinesischen Revolution ließen alte Gewissheiten obsolet erscheinen. Wenn sich die gesellschaftliche Alternative aus den bestehenden Tendenzen heraus entwickeln muss – und in diesem Sinne können wir heute noch LeninistInnen sein –, dann sind die Strukturen, die an der postfordistischen Produktionsweise anknüpfen und diese emanzipatorisch weiter entwickeln, nicht wirklich klar und eindeutig erkennbar. In Wirklichkeit ist alles offen, die Rolle von Plan, Markt, Entscheidungsstrukturen, Steuerungsmechanismen, die Rolle der Repräsentation, Politik, alles ungeklärt in der gesellschaftlichen Transformation. Wir sind aktuell auf den Widerstand zurückgeworfen, auf den Kampf um Würde, gegen die Zumutungen und Zurichtungen.

Was ich an der linken Kritik am Grundeinkommen so ärgerlich finde ist nicht, dass die KritikerInnen über keine klaren Vorstellungen möglicher Alternativen verfügen, sondern dass sie so tun, als hätten sie welche. Wenn etwa Angela Klein von „einem demokratischen Gemeinwesen, in dem der Mehrheitswille respektiert“ wird schreibt, so verrät schon die Formulierung, dass hier eine nichtssagende Floskel produziert wird. Erneuert wird damit bloß das (das) Phantasma, „danach“ wäre alles anders. Marcus Koza mimt den Geheimnisvollen, wenn er behauptet, seine Überlegungen seien nicht so simpel wie die Forderung nach dem Grundeinkommen. Worin seine Konzepte im Gegensatz zu den „einfachen Lösungen“ nun bestünden, wird aber nicht verraten. Ein paar Phrasen und eine verschämte Erinnerung an das, was einst so klar schien – und das soll uns überzeugen? Das kühne Konzept der Eroberung der Staatsmacht und der Errichtung einer Planwirtschaft schrumpft zum Votum für soziale Infrastruktur, Lohnerhöhung (für jene, die noch ein reguläres Arbeitsverhältnis haben), Arbeitszeitverkürzung (für jene, die überhaupt noch in Vollzeitbeschäftigung tätig sind), und für den Rest wird ein gesicherter fordistischer Sozialstaat vorgeschlagen. Sollen dies die zukunftsorientierten Forderungen sein, deren Radikalität das Grundeinkommen überflügelt?

Die forsche Frage nach dem Eigentum an Produktionsmitteln – der das Grundeinkommen vorgeblich ausweicht – bleibt selbst unbeantwortet. Wie verunsichert diese Linke ist, zeigt sich an der völlig passiven und bloß reaktiven Forderung nach Verstaatlichung. Hände weg! Hände weg von dem kleinen bisschen Rest, das der postfordistische Umbau des Staates noch übrig gelassen hat. Hände weg von der Wasserversorgung und der Müllabfuhr. Sich an den fortgeschrittensten produktiven Bereichen zu orientieren würde jedoch bedeuten, die Verstaatlichung von Google, von Microsoft und des Internets zu fordern. Aber auch diese Problematik wird nicht thematisiert und diskutiert. In einem vagen Irgendwie werden der Staatssektor und seine Aktivitäten dem Grundeinkommen alternativ gegenübergestellt.

Ich sage dir, was für dich emanzipatorisch ist

Die Lohnarbeit, so Martin Koza, gilt es „ja tatsächlich zu überwinden“. Schön, aber wie? Wie ist es hier und heute möglich, den Zwang zur Lohnarbeit zumindest zu relativieren, wenn nicht durch das bedingungslose Grundeinkommen? Und wieder: nichts, keine Antwort, keine Perspektive, keine Forderung. Statt dessen schmuggelt sich unter der Hand die alte These sein, so übel sei die Lohnarbeit ja auch wieder nicht. Ermöglicht sie nicht die Teilhabe an der Gesellschaft, sei sie nicht Bedingung für Emanzipation? Lassen wir vorerst den guten Marx beiseite, der über die Lohnarbeit schrieb: „Ihre Fremdheit tritt darin rein hervor, daß, sobald kein Zwang existiert, die Arbeit als eine Pest geflohen wird.“ (MEW Erg.1; 514) Das Grundeinkommen formuliert keine absolute Kritik der Lohnarbeit, was ihr von verschiedenen Seiten ja wieder zum Vorwurf gemacht wird. Das Grundeinkommen greift jedoch die absolute Definitionsmacht über die Arbeit und Reichtumsproduktion an. Gerade jenseits der Lohnarbeit ist Arbeit, gesellschaftlich nicht anerkannt, ignoriert, entwertet in jedem Sinne des Wortes. Diese anzuerkennen, bedarf es des Grundeinkommens. Wie und wodurch sonst kann die Gesellschaft Tätigkeiten anerkennen, die den Markt nicht berühren wollen oder können. Wie und wodurch kann sie institutionell anerkennen, dass der kapitalistische Sektor der Ökonomie keineswegs den gesamten Reichtum produziert?

Nach wohl einem guten halben Dutzend Podiumsdiskussionen zum Grundeinkommen in linken Kontexten wage ich vorauszusagen, wie der Diskurs weiterläuft. Zuerst entrückt die Nichtlohnarbeit aus dem Blick. Hausarbeit, künstlerische, wissenschaftliche, soziale, mediale Tätigkeiten verschwinden aus der Ökonomie. Dann werden die emanzipatorischen Effekte der Lohnarbeit entdeckt. Plötzlich ist der Zwang zur Lohnarbeit relativiert. Der nächste Schritt hängt zumeist von der gesellschaftlichen Rolle der SprecherInnen ab. Dass Koza wie Klein an diesem Punkt nicht mehr mitziehen, möchte ich ihnen solidarisch unterstellen. „Im Fortgang der kapitalistischen Produktion entwickelt sich eine Arbeiterklasse, die aus Erziehung, Tradition, Gewohnheit, die Anforderungen jener Produktionsweise als selbstverständliche Naturgesetze anerkennt.“ (MEW 23; 765) Nun beginnt die zweite Natur zu sprechen und fordert unabdingbar Lohnarbeit, je mehr, desto besser. Genügen die sanften Hinweise auf die emanzipatorischen Qualitäten der Lohnarbeit nicht – die das Grundeinkommen ja keineswegs kategorisch verneint – erscheint die Keule des „was die Leute eigentlich so wollen“. Wie gesagt, alles eine Frage der Integration in das Establishment der RednerInnen. Wer sei schon für das Grundeinkommen? Ein kleines Grüppchen, eine Minderheit, versponnene KünstlerInnen, politische AbenteuerInnen.

Indirekt ist in den angesprochenen Artikeln auch dieser unerträglich advokatorische Gestus enthalten. Wir, und dieses Wir beansprucht keine quantitative oder qualitative Geltung, wir wollen das Grundeinkommen. Und was antworten uns Marcus Koza wie Angela Klein? Eurer Wunsch nach Grundeinkommen ist Unfug, das ist abzulehnen. Eure Forderung kann nur zum bösen Erwachen führen. Wir, die ExpertInnen in Sachen Emanzipation und sozialer Prozesse, sagen euch das noch einmal ganz geduldig. Schminkt euch also diese Forderung rasch ab, wollt ihr weiter von uns ernst genommen werden.

In guter Gesellschaft

Obwohl die Forderung nach 800 Euro Grundsicherung der SPÖ Lohnarbeitszwang und Kontrolle des Staates einschließt, brach ein Sturm der Entrüstung los. Selbst die vage Möglichkeit, dem Zwang zur Lohnarbeit zu entkommen, dürfe nicht geduldet werden. Eine ganze Reihe von Artikel, Stellungnahmen und Fernsehsendungen folgte. Obwohl die Grundsicherung Bedingungslosigkeit strikt ausschließt, begegnet die ÖVP mit folgender Aussage vorbeugend einem gar nicht existierenden und ausgesprochenen Konzept der offiziösen Politik: „Ein Rechtsanspruch auf ein Grundeinkommen ohne Arbeit kommt für die ÖVP nicht in Frage.“ [4] Der Schatten des bedingungslosen garantierten Grundeinkommens genügt, und die Repräsentanz der Bourgeoisie erkennt, was Sache ist. Die in der Debatte verwendeten Ansichten und Auffassungen ermöglichen einen Vorgeschmack auf eine mögliche Auseinandersetzung, sollte die Einführung des Grundeinkommens tatsächlich in Reichweite sein. Es wäre interessant, im Detail zu analysieren, was in diversen Stellungnahmen, Foren und Artikeln so über Arbeit, Legitimation von Einkommen, Reichtum, sozialen Transfers und politischer Akzeptanz geäußert wurde.

Dass die Argumente pro Grundeinkommen tatsächlich ideologisch übergreifend sind, gilt noch mehr für die Kritik. Befreien wir die Argumente von ihrem spezifischen politischen Stallgeruch, so zeigt sich eine breite Phalanx, die verblüffend ähnliche Argumentationsfiguren benützt: „Das von Ihnen geforderte Grundeinkommen weist eine starke bis gänzliche Aufweichung des ausgewogenen Verhältnisses von Leistung und Beträgen auf. Ebenso ist es im Grundansatz leistungsfeindlich und verwässert den Wert, den Arbeit für die Menschen in ihrem Leben darstellt. Es ist unseres Erachtens mit dem Respekt vor der Würde der Person nicht vereinbar, von vorneherein und ohne Wissen näherer Umstände jedem Mitglied der Gesellschaft die Fähigkeit abzusprechen, zunächst für den eigenen angemessenen Unterhalt selbständig und selbstverantwortlich sorgen zu können. Damit nehmen Sie dem Einzelnen seine sinngebende Lebensaufgabe.“ [5] Zweifellos finden sich in der Stellungnahme Elemente, die nicht aus linken Kontexten stammen können. Aber die „sinngebende Lebensaufgabe“, die Gleichsetzung von Arbeit mit Erwerbsarbeit sowie ihrem „Wert, den die Arbeit für die Menschen in ihrem Leben hat“, das zählt zu den Standardargumenten der linken Kritik, gerade wenn sie sich sozialphilosophisch inszeniert. [6] Dieser Passus stammt überdies aus dem Antwortbrief der ÖVP auf ein Schreiben des Netzwerks „Grundeinkommen und sozialer Zusammenhalt“. [7]

Ein weiteres schönes Beispiel für die Gehirnwäsche pro Lohnarbeit stellen zwei Artikel in der österreichischen Tageszeitung „Kurier“ dar. Im April dieses Jahres erschien eine Serie zur Arbeitslosigkeit mit all diesen unappetitlichen Ingredienzien, kurzum ein ergreifender Bericht über die Geißel Arbeitslosigkeit. Ein Hausfrau, die eigentlich gerne keine wäre, aber leider keine Arbeit – egal welche – findet, wird uns vorgestellt. Sogar geweint hat sie schon. Vierzehn Tage später geht es im Kurier wieder um arbeitslose Frauen. Nur sind sie diesmal sehr, sehr wohlhabend, Millionenerbinnen als Beruf, „Reich und Schön“ titelt der Artikel. [8] Strahlend, lächelnd, Golfspielelend werden sie porträtiert. „Gabi hat ein Golfhandicap von elf, ich habe fünfzehn“ sagt Kathi. „Da sieht man, ich bin die Fleißigere“ sagt dazu Gabi. Freilich, was für die bourgeoise Eilte gilt, gilt nicht für den Pöbel. Fleiß ist eben nicht gleich Fleiß, ebenso unterschiedlich sind die Vorstellung in Bezug darauf, was Glück sein könnte. Seltsam, nur den Habenichtsen scheint die Arbeit als Lebenszweck abzugehen.

Vom Urteilsvermögen

„Something is happening, but you don’t know what it is, do you, Mr Jones?” [9] Zu den am meisten attackierten, drangsalierten und unmittelbar der Willkür ausgesetzten Teilen der Menge zählen gegenwärtig die Arbeitslosen und die MigrantInnen. Es sollte den VerfechterInnen der staatlichen Infrastruktur zu denken geben, dass es eben diese staatliche Infrastruktur ist, mittels derer diese Menschen zu willfährigen Objekten degradiert, des Landes verwiesen oder zur Arbeit verpflichtet werden sollen. Es ist daher kein Zufall, dass insbesondere Arbeitsloseninitiativen entschieden für das Grundeinkommen eintreten, sie wissen warum. Was Fremdenpolizei und Justizapparat für die MigrantInnen, das ist die Arbeitsmarktverwaltung für die Arbeitslosen. Die kapitalistische Herrschaft erkennt klar, dass Druck auf die Arbeitslosen zugleich Druck auf die Lohnarbeitenden bedeutet. Die bedingungslose Arbeitswilligkeit der Klasse kann probat gerade über den nicht lohnarbeitenden Teil hergestellt werden. Dass selbst der Vorschein des Grundeinkommens diesen Mechanismus in Frage stellen könnte, wird klar erkannt. Wie schon Herbert Marcuse seinerzeit im „Eindimensionalen Menschen“ beschrieb, zeigt die Konterrevolution eine Wucht, die durch Ausmaß und Bedeutung der Revolte kaum zu erklären ist. Angesichts der aktuellen Debatte sind die Phantasien der KritikerInnen, das Grundeinkommen sei eine vergiftete Pille, ein listiges Mittel der Bourgeoisie um möglichen Widerstand zu unterlaufen, wie Seifenblasen zerplatzt. Das scheint Angela Klein erkannt zu haben. Auch hier ist tiefe Verunsicherung zu erkennen. Was aus der Tatsache, dass Götz Werner kein Marxist, sondern Unternehmer und seine Begründung pro Grundeinkommen in vielen Punkten zu kritisieren ist eigentlich zu folgern sei, bleibt unbeantwortet. Dass eine Forderung, deren Möglichkeit wie Notwendigkeit durch die gesellschaftlichen Verhältnisse des Postfordismus selbst geschaffen wird, von vielen Menschen aufgegriffen wird, was ist daran verwunderlich? Könnte dies anders sein? Angela Klein bleibt uns aus guten Gründen ein abschließendes Resümee schuldig.

Der Aspekt der Bedingungslosigkeit ist der Stachel im Fleisch innerhalb der gesamten Debatte um Sozialstaat, Transfers und Grundsicherungen. Er wirkt bereits bei kleinen, scheinbar nebensächlichen Fragen. Die Forderung nach Freiwilligkeit in Bezug auf die Teilnahme an AMS-Kursen ist nicht die Revolution. Aber die Freiwilligkeit wäre ein kleiner Baustein im Kampf um die Würde der unterworfenen Subjekte. Ein wenig Spielraum, Holloway würde sagen, ein kleiner Spalt, um Nein zu sagen, um den Stachel des Befehls nicht ins Fleisch dringen zu lassen. Sehen wir uns die Polemik gegen die Bedingungslosigkeit bei Koza an, so wissen wir nicht, ob wir seine feine Sensibilität für die kleinen Szenen des Alltags oder doch den großen Blick für die Notwendigkeiten bewundern dürfen: „Bedarfsprüfung? Na und? (…) Es braucht eine grundlegende Reform von Bedarfsprüfung – etwa Anspruch auf Invaliditätspension etc. gilt es zu reformieren. Es braucht eine grundlegende Reform, die sich vor allem an den Interessen der ‚Bedürftigen’ zu orientieren hat. Andererseits machen Bedarfsprüfungen genauso auch Sinn: dass Kinderbeihilfe nur bei einem entsprechenden Bedarf – nämlich wenn frau/mann Kinder hat – ausbezahlt wird, stellt wohl keiner infrage.“ [10]

Spricht der Text über das, was ist, unterscheidet er sich schon in Klang und Duktus: „Du willst Sozikohle nach Hartz IV? Wer bist du überhaupt? Sag uns alles über dich. Über die Leute, mit denen du zusammenlebst: wie eng? Was macht ihr zusammen? Habt ihr gemeinsame Hobbys? Hast du eine Beziehung? Wie eng? Was war früher, wie hat sich das entwickelt? Was planst du? Wir sind erst mal höflich, aber wenn du nicht mitmachst, können wir auch anders: dann gibt’s nichts mehr. Willst du den Umgang mit uns lernen, gemeinsam mit uns zusammen? Wir sind geduldig, aber wir wollen alles wissen. Wir werden in der Zukunft die Anforderungen an deine Bereitschaft, dich uns anzuvertrauen, verschärfen. Du willst doch kein Sozialparasit sein? Du willst doch unsere Kohle?“ [11] Eine Männerunterhose, von Kontrollorganen aus der Schmutzwäsche gefischt, beweist bei zwischenstaatlichen Ehen noch lange nicht deren Aufrichtigkeit, während bei Hartz IV BezieherInnen die Bedarfsgemeinschaft so und so feststand.

Um die historische Bedeutung des Grundeinkommens zu erkennen, hilft es nichts, Theorien zu befragen oder an Prinzipien zu erinnern. Was besagt die Grundthese des „Kapitals“, dass der abstrakte Reichtum ausschließlich von der ArbeiterInnenklasse geschaffen wird, Kapital wie Grundbesitz als weitere, unabhängige ökonomische Quellen erscheinen, es aber nicht sind? Es ist reine Tautologie zu sagen, dass das Grundeinkommen alleine vom Proletariat geschaffen würde. Ich verstehe nicht, wie aus dieser theoretischen Erkenntnis Ablehnung wie Begründung des Grundeinkommens abgeleitet werden können, wie Koza und Klein dies versuchen, als ob dies bei anderen ökonomischen Transfers und Bestandsgrößen verschieden wäre. Als solche beantwortet diese abstrakte Erkenntnis keine Frage bezüglich des Grundeinkommens. Um zu verstehen, welche Rolle diese Forderung in der gegenwärtigen Epoche des Postfordismus spielt, wie sie zum Versuch der kapitalistischen Herrschaft steht, ein neues, nun bescheideneres, gefügigeres Proletariat zu produzieren, das sich die Flausen von substanzieller Sicherheit, Karriere und vermehrtem Reichtum endgültig aus dem Kopf zu schlagen hat, um also diese Rolle verstehen zu können, benötigen wir etwas, über das wir nicht ohne weiteres verfügen: Urteilskraft.

Erwähnte Literatur:

  • Karl Marx, „Das Kapital Band 1“ = MEW 23, Berlin 1865
  • Karl Marx, „Ökonomisch-philosophische Manuskripte von 1844“ = MEW Ergänzungsband 1

[1Angela Klein, „Wundertüte mit vielfältigem Inhalt“, in: SoZ Nr, 10/2006, Frankfurt am Main, Seite 11

[2Markus Koza, „Lieber ‚halbe Sachen’‚ als ‚ganze Blödheiten’“, in: „akin“ Nr. 22 des 33. Jahrgangs, Wien

[3Ich habe dies in folgendem Artikel zu begründen versucht: „Grundeinkommen als Recht in einer nachkapitalistischen Gesellschaft“, grundrisse Nr. 13/2005, Wien

[4http://www.oevp.at/index.aspx?pageid=8450 Abgefragt am 13.10.06

[6z.B. Ulrich Busch, „Schlaraffenland – eine linke Utopie? Kritik des Konzepts eines bedingungslosen Grundeinkommens“, in: „Utopie kreativ“, Nr. 181/2005

[8„Kurier“ vom 16.4.2006, Seite 21

[9Diese Zeile stammt aus „Ballad of a Thin Man“, zu finden auf: „Highway 61 Revisited“, Bob Dylan 1965

[10Markus Koza, „Lieber ‚halbe Sachen’‚ als ‚ganze Blödheiten’“, in: „akin“ Nr. 22 des 33. Jahrgangs, Wien

[11Detlev Hartmann und Oskar Schlaak, „Abrichtung und Revolte“, in: Schwarzbuch Hartz IV, Berlin/Hamburg 2006, Seite 157

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Erstveröffentlichung im FORVM:
Juni
2006
, Seite 28
Autor/inn/en:

Karl Reitter:

Marxistischer Autor in Wien und Mitglied der grundrisse, Redaktionsmitglied von Context XXI von Dezember 2000 bis November 2001.

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