MOZ » Jahrgang 1990 » Nummer 50
Karl Lind
Tabakverschleißer:

Trafik 2000

Offene Ostgrenzen und Westintegration quälen Österreichs Trafikant/inn/en. Gefragt wäre das Postmonopolmodell.

Die östlichen Jointventurerevolutionen wirken sich ungünstig aus auf Stimmung und Umsatz heimischer Tabakwarenverschleißer.

Und Doktormocks monopolfeindliches Faible für seine Westintegration — nur weil Kollege Busek jahrelang die Ostgebiete markierte — bringt sie nicht weniger auf.

Nach dem weltweiten Trend, Raucher/innen per Gesetz von öffentlichen Plätzen zu vertreiben, folgt nun der Einfall östlicher Zigarettenschlepper, die mit dem Verkauf von nur einer Stange Marlboro so viel verdienen, wofür sie zu Haus einen Monat arbeiten müssen.

Vor allem ostösterreichische Trafikanten leiden, meint Gerhard Scherzer vom Bundestrafikantengremium, sehr unter den geschmuggelten Waren. „Die Daten sind im Augenblick schmerzhaft“, sagt er, „hoffentlich wird das bald besser, denn die Umsatzrückgänge betreffen vor allem österreichische Produkte. Durch die Billigware steigen heimische Zigarettenraucher um auf die Nobelostmarke, vor allem die Leute, die vorher Memphis, Smart oder Hobby geraucht haben. Die Westmarlbororaucher bleiben bei ihrem Produkt.“ Nur ist die Westmarlboro eben ein Lizenzprodukt. Kollege Rosenberger von der sozialdemokratischen Fraktion stimmt ihm denn auch zu: „Die Politiker müssen sich da endlich was einfallen lassen.“

Neben der Ostöffnung nagt die Westintegration am Gemüt. Mocks beharrliches Ignorieren neuester europäischer Entwicklungen und sein reflexartiges „Wir müssen rein in die Gemeinschaft“ bedroht das heimische Tabakmonopol und damit das Exklusivrecht der Trafiken, Tabakwaren zu vertreiben. Bis dato konkurrenzgeschützt, hätten sie sich post-monopol den Marktgesetzen zu fügen. Und dies, meint Rosenberger, sei nun gar nicht erwünscht, brächte es doch für die Mehrheit der Trafikant/inn/en eine spürbare finanzielle Verschlechterung mit sich. Gerhard Scherzer ist als Trafikantenvertreter „skeptisch gegenüber den Beitrittsabsichten“, als Österreicher hingegen durchaus „dafür“.

Früher mal war alles anders. Und vor allem viel besser. Als im Jahre 1784 das österreichische Tabakmonopol entstand, wurde auch das Vertriebssystem für Tabakwaren geregelt. „Am ersten Jänner des Jahres 1784“, schreibt der Wiener Trafikant Thomas Blimlinger in seiner Diplomarbeit übers Tabakmonopol, „nahm die „k&k Tabak-Gefällen-Kammeraldirection“ mit Sitz in Wien ihren Betrieb auf. Das Gesetz Kaiser Joseph II. regelte die Staatstätigkeit für die Tabakerzeugung (Anbau), die Tabakbereitung (Fabrikation) und den Verkehr mit Tabak (Einfuhr und Verschleiß).“ Seine Majestät sorgte gnädigst ums Wohl Ihro Untertanen. So ließ Er Seine Mannen ein Vertriebssystem schaffen, das streng nach dem Versorgungsprinzip gehandhabt wurde: Kriegsinvalide Soldaten sollten Trafiken, kriegsinvalide Offiziere Tabakverlage zugeteilt bekommen. Der Reformer Joseph II. entlastete das Staatssäckel durch ausgabenseitige „Budgetsanierung“.

In einem Brief an Graf Kolowrat empfahl Er, „bey den Stellen der Traffikanten vornehmlich den militar Invaliden, oder Soldaten Wittwen nach Thunlichkeit einiges Unterkommen und Verdienst zu verschaffen.“

Rund 50 Jahre später, am 11. Dezember 1834, entsteht per Gesetz die Grundlage für den Aufbau der Tabakmonopolgesellschaft. Ebenso wird — in seinen wesentlichen Zügen — das Verschleiß- und Verkaufswesen geregelt, dessen wichtigste Bestimmungen noch heute Gültigkeit haben: Der ausschließliche Verkauf nur in den dazu bestimmten Geschäftslokalen, der Verkauf zu den amtlich festgelegten Preisen und der Aushang des offiziellen Verschleißtarifs.

So klingt heute noch das Begriffspaar ‚Trafik-Sozial‘ nach, wenn auch die Austria Tabak Werke (ATW) bereits seit dem Jahre 1955 eine „Modernisierung“ des Verkaufsapparates betreiben. Die ATW, als Gesamtmonopolist, sind ihrer Logik nach eher an kaufmännische Überlegungen denn an soziale Akte gebunden.

Dynamischeres Verkaufspersonal und ein dichteres Vertriebsnetz sollten helfen, den Umsatz zu steigern. Alleine, die nicht existierende Altersversorgung für betagte Trafikant/inn/en sowie der Widerstand ihrer Standesvertretung „behinderten“ die Entwicklung.

Gestern ... (aus dem Album „Braune Woche“ von 1929, Bezirkspreis für die Auslagengestaltung)
Bild: Tabakmuseum
... heute

Damit steht heute die „Branche“ dort, wo sie schon mal war: Deregulierung und Liberalisierung drohen, für eine Strukturbereinigung zu sorgen. Die Trafik 2000 muß ganz anders aussehen als heute, darüber sind sich alle einig. Wie allerdings, das will keine/r so recht wissen.

Auch im Bereich der Fabrikation gab es schon einmal bessere Zeiten. Damals hatte die Seifenblase „Donauföderation“ noch eine reale Entsprechung: Im Jahre 1901 reichte das österreichisch-ungarische Monopolgebiet noch weiter. Böhmen, Mähren, Schlesien, Galizien, die Bukowina, Siebenbürgen, Ungarn, das Banat, Serbien, Bosnien-Herzegowina, Dalmatien, Kroatien, Slowenien, Krain, Istrien, die Lombardei und Venedig, Trient, Südtirol und das heutige Staatsgebiet Österreichs.

Insgesamt 32 Tabakfabriken produzierten für ca. 26 Millionen Einwohner/innen. Je ein Verlag versorgte 36.000, eine Trafik nur etwa 380 — nunmehr an die 550 — Personen. Fürs heutige Rumpfgebiet reichen an die 12.000 Trafiken und ganze fünf Produktionsstandorte.

Was die ATW bereits vollbracht haben, wird für die Trafikant/inn/en immer aktueller. Umdenken, rationalisieren, diversifizieren. So stecken die ATW ihre Gewinne seit geraumer Zeit weniger in die Erhöhung der Trafik-Handelsspannen als in ausländische Beteiligungen. Gerade die Hälfte ihres Profits stammt noch aus dem Tabakgeschäft.

Die Trafiken, diese rund 200 Jahre alten Institutionen, deren Name sich vom arabischen „tafrig“ — was so viel heißt wie „verteilen“ — ableitet, werden dem Beispiel folgen müssen. Die drei Standbeine — Tabakwaren, Glücksspiele, Zeitschriften — können nicht ausreichen, Innovationen sind gefragt. Und die ATW eilen wieder mal vorne weg. Ihr Chef Beppo Mauhart rechnet fix mit dem EG-Beitritt, und „genau auf dieses Szenario stellen wir unsere Zukunftspläne ab.“ So soll eine aktive Lizenzpolitik ausländischer Marken betrieben und österreichische Marken aus heimischer Produktion — etwa die Memphis International, oder die Milde Sorte — verstärkt im Ausland verkauft werden. Ein recht mühsames Unternehmen, drängeln doch die multinationalen Tabakriesen immer intensiver. Jeder europäische Zigarettenhersteller verfügt über bedeutende freie Kapazitäten, in der BRD verzeichnen die Werke gerade eine 70%ige Auslastung.

Der Auflösung des Großhandelsmonopols möchten die ATW mit besonderer Strategie begegnen: Ein extrem starkes, eigenes Distributionsnetz soll die Rauchmultis an die Leine legen. „Wir müssen die Ausländer vor vollendete Tatsachen stellen“, meint Mauhart, „wenn sie in Österreich verkaufen wollen, dann sollen sie das starke Verteilernetz, das wir zur Zeit aufbauen, nicht umgehen können.“ Umsatzeinbussen, eine Schmälerung des Gewinns sowie Personalabbau seien jedoch nicht zu vermeiden.

Anders bei den Trafiken. Besorgnis, aber keine echte Unruhe, läßt Ulrich Chmel vom Bundesgremium der Tabakverschleißer via APA ausrichten. Zum EG-Beitritt und dessen Folgen für die Trafikant/inn/en meint er: „Da wir dieses Problem sowieso weder beeinflussen noch lösen können, müssen wir uns darauf beschränken, unsere Forderungen mit allen Mitteln zu verteidigen.“ Hauptbestandteil der zu verteidigenden Forderungen ist im wesentlichen die Beibehaltung des Einzelhandelsmonopols, „solange in anderen Staaten des Gemeinsamen Marktes ähnliche Vertriebsformen bestehen.“ Fällt dieses Monopol, hätte dies dramatische Auswirkungen auf den Berufsstand. Im Gremium würde man denn nur den ländlichen Trafiken reale Überlebenschancen einräumen, da dort bereits eine Reihe von Nicht-Tabak-Waren angeboten werden.

Nicht so im städtischen Raum, wo die Rauchwaren weit mehr als die Hälfte des Umsatzes ausmachen. Hier müßte man, meint Gerhard Scherzer, deutliche Zeichen setzen: „Das müßten nette, appetitliche Leute sein, abgesehen davon, daß sie eine Reihe an Waren anbieten. Darauf müßte man sich einstellen, die Produkte am Informationssektor werden doch vielfältiger.“ Es gebe, meint er, eine Menge Artikel, für die man sich nirgends anstellen wolle, außer eben in der Trafik. Und das wären etwa: Schokoriegel und Galanteriewaren, anders ausgedrückt: Ziergegenstände mit Nutzeffekt.

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Erstveröffentlichung im FORVM:
März
1990
, Seite 18
Autor/inn/en:

Karl Lind:

Geboren 1962. Seit 1980 journalistisch tätig für verschiedene Tages- und Wochenzeitungen, Mitbegründer der Zeitschrift Moderne Zeiten — Zeitung für politische Unterstellung und hinterstellende Ästhetik (MOZ). Buchveröffentlichung: Nur kein Rhabarber, Wien 1989. Seit 1993 Gastronom am Wiener Spittelberg.

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