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Roger Behrens
Rückkopplungen

Thriller!

Kann sich daran noch jemand erinnern? – Am 25. Juni 2009 ist in Los Angeles der Musiker Michael Jackson gestorben.

Der Tag danach. Natürlich war der Tod Thema in den Medien – beziehungsweise nicht der Tod, sondern das Spektakel des Todes; es ist dies, gerade im Fall von Jackson, ein spekulatives Spektakel vom Sterben. Und wie jedes Spektakel lebt auch dieses von Bildern. Die Bilder verweisen auf das, was in der unheimlichen Welt der flüchtigen Sensationen als positive Tatsachen gehandelt werden kann; Bilder geben der Panik eine Sicherheit, eine Ordnung zurück; aber zugleich erzeugen diese Bilder diese Panik überhaupt erst. Panik ist die Einstellung, mit der die Bilder betrachtet werden. Immer wieder wird das Programm unterbrochen, gibt es die Nachricht vom Tod Michael Jacksons als Sondermeldung; immer wieder wird die Sequenz vom Krankenwagen gezeigt, der mit Blaulicht davonrast. Mit jeder Wiederholung der Bildsequenz wird die Nachricht vom Tod authentischer.

Die Popkulturindustrie, als deren König Michael Jackson galt, setzt für die Fälle eines so genannten Kategorie-A-Toten ihre eigenen Mechanismen in Gang; es sind ökonomische Mechanismen, die freilich der krudesten Verwertungslogik des Kapitals unterliegen. Das betrifft vor allem den Devotionalienhandel, das temporär aufblühende Geschäft mit Fan-Artikeln und Souvenirs, die dem allgemeinen Warenfetischismus noch einmal einen religiösen, wenngleich auch höchst albernen Aspekt verleihen: Wer hier unmittelbar nach dem Tod die Preise verfolgte, wurde von allerhand Absurditäten überrascht. „Moonwalk. Mein Leben“, ein Buch, bei dem Michael Jackson als Autor fungiert, erschienen 1994, war nicht unter 110,00 Euro zu haben; die englische Originalausgabe gab es für rund 250 Pfund. Weitere, als Biografien betitelte, Taschenbücher, gebraucht, keineswegs immer gut erhalten, ehedem publiziert in den üblichen Trivial-Verlagen, wurden für mitunter weit über fünfzig Euro angeboten. Zu Höchstpreisen gehandelt wurde schließlich der „Official Michael Jackson Calendar 2009“ (893,20 Euro) und Victor M. Gutierrez’ Dokumentation „Michael Jackson Was My Lover“ (neu: 452 Euro; gebraucht: 379 Euro). – Und schon kurze Zeit später gab es all dies wieder hinterhergeschmissen, zu Kleinpreisen im Centbereich. Bemerkenswert zudem, dass solche Dinge, die in der Popgesellschaft den ökonomisch berechtigten Status von Sammlerobjekten haben, nämlich Schallplatten, insbesondere Erstpressungen und sonstige Raritäten, in ihrer Preisentwicklung vom Tod Jacksons völlig unbeeinflusst blieben.

Und das ist gerade bei dem King of Pop eine kleine Besonderheit, denn immerhin hat er seinen Titel nicht nur aus künstlerischen Gründen erhalten, sondern vor allem aus ökonomischen: Mit zirka 750 Millionen verkauften Tonträgern ist – und bleibt wohl auch – Michael Jackson der kommerziell erfolgreichste Künstler der Musikgeschichte; sein Album „Thriller“ von 1982 ist dabei das bis heute weltweit meistverkaufte Album (schätzungsweise 60 Millionen Mal).

Auch wenn Michael Jackson mit knapp 51 Jahren nicht sonderlich alt geworden ist, hat er eigentlich die Umkehrung des von Seneca überlieferten Satzes „vita brevis ars longa – Das Leben ist kurz, die Kunst ist lang“ bewiesen: Jackson hatte schon mit den neunziger Jahren sein musikalisches Schaffen, das Originalität beanspruchen kann, überlebt; mit anderen Worten: Seine Kunst war kurz, seine große Musik war aufgeladen mit einem Zeitkern der Wahrheit, den er nicht zu Lebzeiten zu aktualisieren vermochte. Michael Jackson hat sich selbst überlebt. Darüber hinaus ist es Michael Jackson, dem nun die Unsterblichkeit zuteil wird; seine Musik wird im Schatten der Ewigkeit des Popstars verschwinden. Paradox kann ihm dieser Status nur zuteil werden – und das ist dem perfiden Wesen des Popstars geschuldet, das auch schon James Dean, Marilyn Monroe, Elvis Presley oder Kurt Cobain unsterblich gemacht hat –, weil er eigentlich schon immer tot war, nie gelebt hat, zumindest nicht in der Realperson, die den Künstler repräsentierte. Dies ist die Figur des Zombies, eine Gestalt, in die sich Michael Jackson Ende der Siebziger, Anfang der Achtziger verwandelt.

Seinen ersten Auftritt als Zombie hat Michael Jackson 1978 in dem Film „The Wiz“. In der ins moderne New York versetzten Adaption von L. Frank Baums „Zauberer von Oz“ spielt Jackson die Vogelscheuche, die in dieser Fassung nicht aus Stroh besteht, sondern aus Abfall. Doch wie in der Originalgeschichte hat sie kein Gehirn („no brains at all“): das heißt, sie kann zwar erstaunlicherweise sprechen und offenbar durchaus auch denken, verfügt aber über keinen Verstand, vor allem keine Erinnerung und kein Gefühl – ein Zombie, wenn auch ein freundlicher.

1982 kommt „Thriller“, dazu 1983 das Musikvideo von John Landis, das mit über 13 Minuten einen eigenständigen Film darstellt. Hier tritt Jackson gleich mehrfach in der Zombierolle auf, bis zum Schlussbild: ein Schwellenwesen – scheintot, der Halbwelt der Unterhaltung entkommen. Das Motiv reicht in die Antike zurück, etwa bei Orpheus. Jacques Offenbach hat als Erster das Motiv in seiner das Genre definierenden Opera buffa „Orpheus in der Unterwelt“ mit Mitteln der Massenkultur in die Massenkultur selbst übersetzt. Doch anders als Orpheus steigt der Zombie nicht in die Unterwelt herab, sondern bricht aus ihr – aus dem Reich der Toten – heraus.

Das Antlitz eines Zombies ist gewissermaßen die Charaktermaske, die man bis zum Tod von Jackson auch als sein scheinbar reales Gesicht zu sehen bekommt: Bis zur Kenntlichkeit entstellt präsentiert sich Michael Jackson als Star, der bereit ist, gleich dem Zombie, aus nie zu stillendem Lebenshunger sich selbst aufzufressen. Bis am Ende nur das Bild bleibt, das in seiner medialen Kurzlebigkeit vom immer schon scheintoten Popstar Jackson nie eingeholt werden konnte – und auch nie eingeholt werden wird.

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Erstveröffentlichung im FORVM:
Oktober
2009
, Seite 46
Autor/inn/en:

Roger Behrens:

Geboren 1967. Lebt in Hamburg, Weimar und Belo Horizonte. Philosoph und Sozialwissenschafter. An mehreren Universitäten, bei testcard und Zeitschrift für kritische Theorie tätig. Buchautor, zuletzt: Verstummen. Über Adorno (2004).

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