Grundrisse » Jahrgang 2002 » Nummer 4
Martin Birkner
Steve Wright:

Storming Heaven

Class composition and struggle in Italian Autonomist Marxism

Pluto Press, London – Sterling, Virginia 2002

Im deutschsprachigen Raum gelten „die Autonomen“ als eher theoriefeindliche Strömung der radikalen Linken. Dass dies in Italien hingegen keineswegs der Fall war, zeigt diese englischsprachige Gesamtdarstellung der Theorie des italienischen autonomen Marxismus.

Ausgehend von der Auseinandersetzung mit Theorie und Praxis der etablierten Parteien der Linken (SozialistInnen und KommunistInnen) sowie von der Frage nach der Möglichkeit einer marxistischen Soziologie (Stichwort: ArbeiterInnenuntersuchungen) entwickelte sich in Italien in den 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts die wohl europaweit bedeutendste Strömung links des Parteienmarxismus. Diese Auseinandersetzung war immer auch eine mit der Marxschen Theorie bzw. mit deren kanonisierter Form. Von den Quaderni Rossi („Rote Hefte“) der späten 50er und frühen 60er-Jahre über den „Operaismus“ bis hin zur „eigentlichen“ Autonomia-Bewegung Mitte der 70er zieht sich eine Frage der theoretischen Auseinandersetzung wie ein roter Faden durch die Geschichte: Welche Rolle spielt die Klassenzusammensetzung des Proletariats bzw. dessen Subjektivität im Prozess der Kapitalakkumulation und der Kämpfe dagegen? Der kleinste gemeinsame Nenner der OperaistInnen war eine – durch die neuerliche Lektüre des Marxschen „Kapital“ bzw. der „Grundrisse“ ausgelöste - zentrale Wendung eines bis dato unumstößlichen Dogmas: nicht mehr eine ökonomische Selbstbewegung des Kapitals, zu welchem die lebendige Arbeit in einem äußeren Verhältnis steht, ist Ansatzpunkt der Gesellschaftsanalyse, sondern der Klassenkampf selbst ist das zentrale Element der kapitalistischen Vergesellschaftung. Der „subjektive Faktor“ war nicht länger alleine die „Avantgardepartei“ mit ihrer „Aufgabe“ der Verwandlung der berühmten „Klasse an sich“ in die sich ihrer welthistorischen Aufgabe bewussten „Klasse für sich“, sondern die Bedürfnisse und Kämpfe der ProletarierInnen selbst, ihre Subjektivität. Dem entsprechend waren die sozialen Kämpfe – auch in den Fabriken - nicht nur „ökonomische“, sondern richteten sich ebenso gegen die disziplinierenden Formen (Fließbandarbeit, rigides Zeitregime) der fordistischen Arbeit, was zu neuen, kreativen Methoden des Arbeitskampfes führte (z.B. autonom koordinierte Bummel- oder Minutenstreiks).

Im Gefolge von 68 gab es nicht nur massenhafte militante Arbeitskämpfe, sondern auch die Auseinandersetzung mit den Anliegen der Frauenbewegung, mit jugendlichen Subkulturen und den strategischen Wendungen der Kommunistischen Partei („Historischer Kompromiss“). Die äußerst konfliktreich ablaufenden Diskussionen über die Transformationen der Klassenzusammensetzung führte zu zahlreichen Spaltungen der operaistischen Strömungen. Nicht zuletzt die oben erwähnte Zuwendung zu sogenannten „Nebenwidersprüchen“ führte zur Krise und in Folge zur Auflösung der großen linksradikalen Organisationen – allen voran Potere Operaio („Arbeitermacht“). Die bewusste Dezentralisierung der Bewegung, die Auflösung in die Area („Gebiet“) begann 1973 und gilt als die Geburtsstunde der „Autonomia“. Theoretischer Ausdruck dieser Veränderung war die von Toni Negri konstatierte Ablöse des fordistischen „Massenarbeiters“ durch den „Operaio Sociale“, den gesellschaftlichen Gesamtarbeiter.

Parallel zur zunehmenden Militarisierung der Bewegung begann aber auch das Kapital neue Strategien zu entwickeln. Die Dezentralisierung von Massenproduktionsstätten, die Veränderung von Arbeitsabläufen und nicht zuletzt staatlich finanzierte Entlassungen wurden benützt, um die Kampfkraft der ArbeiterInnen zu schwächen bzw. deren militanteste Teile loszuwerden.

Nach der Ermordung des christdemokratischen Politikers Aldo Moro im Gefolge einer Entführung durch die Roten Brigaden – als Antwort auf den Historischen Kompromiss – verschärfte sich das innenpolitische Klima zusehends.1977 flammte die Bewegung ein letztes Mal auf um durch eine anschließende massive staatliche Repressionswelle entgültig zerschlagen zu werden. Hunderte AktivistInnen verschwanden hinter Gefängnismauern, hunderte verließen das Land.

Die Auseinandersetzung Wrights mit den theoretischen Grundlegungen des autonomen Marxismus in Italien bietet eine höchst notwendige Ergänzung zu den zahlreichen politischen Geschichten des Operaismus und der Autonomia und deckt nicht zuletzt die Wurzeln der Diskussionen auf, die im Gefolge von Hardts und Negris „Empire“ wieder auf der Tagesordnung stehen. Dabei mimt Wright nicht den stillen Beobachter, sondern weist immer wieder pointiert auf falsche oder verkürzte Sichtweisen einzelner theoretischer (und praktischer) Aspekte hin.

FORVM des FORVMs

Vorgeschaltete Moderation

Dieses Forum ist moderiert. Ihr Beitrag erscheint erst nach Freischaltung durch einen Administrator der Website.

Wer sind Sie?
Ihr Beitrag

Um einen Absatz einzufügen, lassen Sie einfach eine Zeile frei.

Hyperlink

(Wenn sich Ihr Beitrag auf einen Artikel im Internet oder auf eine Seite mit Zusatzinformationen bezieht, geben Sie hier bitte den Titel der Seite und ihre Adresse bzw. URL an.)

Werbung

Erstveröffentlichung im FORVM:
Dezember
2002
, Seite 61
Autor/inn/en:

Martin Birkner:

Martin Birkner studiert Philosophie und populäre Kulturen (letztere nicht nur) in Wien. Er ist u.a. Trotzkist und Schlagwerker der Popformation OH BUKAREST.

Lizenz dieses Beitrags:
Copyright

© Copyright liegt beim Autor / bei der Autorin des Artikels

Diese Seite weiterempfehlen

Themen dieses Beitrags

Desiderate der Kritik