MOZ » Jahrgang 1990 » Nummer 57
Igor Schellander
Krise in Jugoslawien

Rundum Nationalisten

Der nationale Konflikt zwischen Serben und Kroaten in den gemischtsprachigen Gebieten Kroatiens ist ein weiteres Hindernis für die politische und wirtschaftliche Konsolidierung Jugoslawiens.

Die serbische Enklave Knin liegt rund 70 Kilometer von Sibenik an der dalmatinischen Küste im Landesinneren und sehr nahe an der Grenze zu Bosnien-Herzegowina. Seit dem Sommer gilt sie als Zentrum und Synonym für den Aufstand der serbischen Bevölkerung Kroatiens gegen die im Frühjahr an die Macht gekommene nationale „Kroatische Demokratische Union“ (HDZ) unter Franjo Tudjman. Die Region um Knin gehört zu einer Reihe ehemaliger, von den Habsburgern im 16. Jahrhundert als Wehrring gegen die sich wiederholenden Türkeneinfälle errichteten Grenzregionen, die bis 1881 der österreichischen Militärobrigkeit unterstellt waren. Aus dieser Zeit ist auch die Ansiedlung der vor den Türken geflüchteten Serben belegt, die sich zum Wohle der Habsburger in diesen Wehrdistrikten als besonders tüchtige Krieger auszeichneten und mit eigenem Grund und Boden ausgestattet wurden. Die serbische Geschichtsschreibung geht zusätzlich davon aus, daß in diesen Gebieten auch davor schon Serben gesiedelt hätten.

Das Autonomiereferendum der „Serbischen Demokratischen Partei“ (SDS), Ende August in den serbisch dominierten südlichen und südwestlichen Landesteilen gegen den Widerstand der neuen kroatischen Regierung in Zagreb durchgeführt, setzte eine anhaltende Dynamik der Gewalt frei. Die serbische Bevölkerung beschaffte sich in den örtlichen Polizeiwachstuben und Militärdepots Waffen. Um das Eingreifen kroatischer Elite-Polizeieinheiten zu verhindern, mußte die Durchführung des Referendums un-ter bürgerkriegsartigen Zuständen stattfinden: Bewaffnete serbische Zivilisten bildeten „Schutzverbände“ und blockierten sämtliche Verkehrsverbindungen.

Die Panik erreichte einen erneuten Höhepunkt, als kroatische Polizeieinheiten Ende September und Anfang Oktober daran gingen, die entwendeten Waffen wieder einzuziehen. Im Laufe dieses Aufruhrs kam es zu den Schießereien zwischen Serben und kroatischer Polizei.

Zagreb beurteilt diese Vorgänge als gezielten Versuch Belgrads, die HDZ-Regierung Franjo Tudjmans handlungsunfähig zu machen. Unter ähnlichen Umständen war es in der Vergangenheit auch zur Eskalation der nationalen und politischen Konflikte in den ehemals autonomen Provinzen Vojvodina und Kosovo gekommen.

Transparent bei Knin: Autonomie — Serbische Demokratische Partei
Bild: Votava

Ohne Zweifel sind die politischen und gesellschaftlichen Umwälzungen in Kroatien nach den freien Wahlen im Frühjahr der Ausgangspunkt für die Eskalation der seit langem bestehenden nationalen Spannungen. Ebenso wie in Slowenien will auch die neue kroatische Mitte-Rechts-Regierung eine Konföderationslösung für Jugoslawien. Der erste Schritt dazu war die Erklärung einer neuen kroatischen Republiksverfassung. Dadurch sehen sich die ca. 600.000 Serben unter den 4,5 Millionen Einwohnern Kroatiens zur bloßen Minderheit degradiert.

Der noch viel bedrohlichere Hintergrund: Sowohl in Zagreb als auch in Belgrad skizziert ein einflußreicher Teil der politischen Führungen im Falle eines Scheiterns der regionalen und auch der gesamtjugoslawischen Konfliktbefriedung die Notwendigkeit einer Konsolidierung beider Republiken. Dies könnte nur mittels neuer Grenzziehungen nach ethnischen und womöglich auch historischen Kriterien durchgeführt werden. Eine Aufteilung Bosniens und der Herzegowina mit ihrer bunt gestreuten serbischen, kroatischen und muslimischen Bevölkerung unter ein Großkroatien und ein Großserbien wäre die Folge. Ein jugoslawischer Bürgerkrieg würde dann seinen Anfang in Bosnien nehmen.

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Erstveröffentlichung im FORVM:
November
1990
, Seite 67
Autor/inn/en:

Igor Schellander: Freier Journalist, studierte Publizistik und Slawistik in Wien, war von 1983 bis 1985 Sekratär des Klubs slowenischer Studentinnen und Studenten, lebt in Wien und St. Jakob/Sentjakob (Kärnten).

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