Mit dem Ergebnis der jüngsten Nationalratswahlen wurde die erfolgreichste rechtsextreme Partei Europas zur zweitstärksten Partei Österreichs. [1] Eine Woche später lag sie bei Umfragen noch einige Prozente über ihrem Wahlergebnis von 27,2%. Die bürgerliche Öffentlichkeit war sich nach dem Wahlergebnis sofort im klaren darüber, wie ein solches Wahlergebnis zustandekommen konnte. „Unzufriedene“ und „Modernisierungsverlierer“ hatten die FPÖ gewählt. „Berechtigte Ängste“ hatten dabei die Hand zum Kreuzerl für die Haider-Partei geleitet und nicht etwa Rassismus. In der SPÖ konnte sich Karl Schlögl schon als der neue starke Mann im ORF präsentieren, ehe einige Funktionäre doch darüber nachzudenken begannen, ob es denn die ideale Strategie wäre, die FPÖ rechts überholen zu wollen.
Auch die Parteispitze der Grünen war sich sicher, daß dieses Wahlergebnis nicht etwa auf den Rassismus in der österreichischen Bevölkerung zurückzuführen wäre, sondern auf Unzufriedenheit. Parteichef Van der Bellen wollte gar auf Tournee gehen, um der internationalen Öffentlichkeit zu erklären, „daß Österreich kein Naziland ist“. Der grüne Partei- und Klubchef in einer Person sah den „Wirtschaftsstandort Österreich“ gefährdet. Erst ein Aufschrei der innerparteilichen Restlinken konnte ihn von der Verwirklichung dieses Vorhabens abhalten.
Die einzige Partei, von der während und nach dem Wahlkampf des öfteren antirassistische Töne zu hören waren — das Liberale Forum — wurde schließlich von den WählerInnen mit dem Hinauswurf aus dem Parlament belohnt.
Die öffentliche Debatte nach den Wahlen konzentrierte sich schließlich auf Koalitionsspekulationen und die Frage „mit oder ohne Haider“. Die Frage, warum denn in einem wirtschaftlich prosperierenden Land mit einer gefestigten parlamentarischen Demokratie über 27% der WählerInnen einer offen fremdenfeindlichen Partei ihre Stimme gaben, wurde kaum mehr gestellt.
Selbst ein Großteil der bewegungsmarxistischen Linken beantwortete diese Frage letztlich mit dem Hinweis auf Sozialabbau und die Sozialdemagogie der FPÖ. Einige trotzkistische Gruppen versuchen seither einmal mehr den FPÖ-WählerInnen zu erklären, daß sie eigentlich gegen ihre eigenen Interessen gestimmt hätten. Mit dem Großteil der Linken vereinigt sie, daß sie — wie seit Jahren — RassistInnen erklären wollen, daß sie für eine fremdenfeindliche Partei gestimmt haben.
Genau das wissen die FPÖ-WählerInnen jedoch schon, seit sie die FPÖ wählen. In der neuesten Eurobarometer-Umfrage schätzten sich 14% der ÖsterreicherInnen selbst für „sehr rassistisch“ ein, weitere 28% für „ziemlich rassistisch“ und noch einmal 23% für ein „bißchen rassistisch“. Nicht nur die WählerInnen der FPÖ wissen von sich selbst, wie rassistisch sie sind, und haben ihre Partei genau wegen deren Fremdenfeindlichkeit gewählt. Den WählerInnen dieser Partei zu erklären, daß sie doch einer fremdenfeindlichen Partei ihre Stimme geben, ist im besten Fall Eulen nach Athen tragen, im schlechtesten Wahlwerbung für die FPÖ. Die österreichische Realität sieht anders aus, als sich das die bürgerlichen und linken VerteidigerInnen „des Volkes“ wünschen. Es ist nicht so, daß nicht alle FPÖ-WählerInnen RassistInnen wären, sondern so, daß nicht alle RassistInnen FPÖ wählen.
Historische Kontinuitäten
Was diesen weit verbreiteten Rassismus betrifft, gibt es sehr wohl historische Kontinuitäten. Durch die sehr oberflächliche „Entnazifizierung“ Österreichs und die These, das erste Opfer des Nationalsozialismus gewesen zu sein, konnte sich eine ganze Bevölkerung vor der Auseinandersetzung mit den ideologischen Grundlagen, die zum Nationalsozialismus geführt haben, drücken. Viele der Ideologeme, die sich in den dreißiger Jahren zu einem geschlossenen faschistischen und schließlich nationalsozialistischen Gedankengebäude zusammenfügten, konnten so nicht nur überleben, sondern auch an zukünftige Generationen weitergegeben werden. Als mit der Waldheim-Affäre die österreichische Vergangenheit langsam ein Thema wurde, wurde dies schließlich mit einem „Jetzt erst recht“-Effekt als volksgemeinschaftliche Schuldabwehr beantwortet. Bis 1986 war die Schuldverstrickung von ÖsterreicherInnen in die Verbrechen der Shoah nie thematisiert worden. Danach beschwerten sich die TäterInnen und deren Nachkommen darüber, daß „die Juden“ sie mit diesen alten Geschichten nicht in Ruhe lassen könnten.
Dies sind letztlich Spätfolgen der Art und Weise, wie sich der Übergang vom Nationalsozialismus zum postfaschistischen Parlamentarismus vollzogen hat. Die Demokratie nach 1945 etablierte sich ohne eine entsprechende Umerziehung der Bevölkerung. In der überwiegenden Mehrheit wurde sie von (ehemaligen) Nazis und deren MitläuferInnen getragen. SPÖ und ÖVP wie natürlich auch die später gegründete FPÖ hatten schließlich ein massives Interesse daran, die Vergangenheit zu vergessen. Schließlich befanden sich genug „Ehemalige“ in den eigenen Reihen und schließlich bildeten diese „Ehemaligen“ ein wichtiges WählerInnenpotential, denn tote Jüdinnen und Juden, tote Roma oder Homosexuelle gehen nun einmal nicht mehr zur Wahl. Das ist der Bodensatz auf dem die FPÖ ab Mitte der achziger Jahre groß werden konnte. Natürlich spielt dabei ein allgemeines Anwachsen rechtsextremer Parteien in Europa auch eine Rolle. Dies erklärt aber noch lange nicht die besondere Stärke der FPÖ in Österreich und die Vorreiterfunktion, die dieses Land bei der Durchsetzung dieses neuen Rechtsextremismus in Europa spielte und spielt. Diese Vorreiterrolle muß also mit dieser spezifisch österreichischen Geschichte des Verdrängens und Vergessens, der Flucht in die Opferrolle und der Tradierung von Antisemitismus, Rassismus und autoritärem Denken zusammenhängen.
Solange sich diese Haltungen nicht ändern und keine wirkliche Auseinandersetzung des Täterkollektives mit den ideologischen Wurzeln des Nationalsozialismus stattfindet, kann die Hoffnung auf das „andere Österreich“, der Hinweis darauf, daß „über 70% Haider nicht gewählt“ hätten, bestenfalls eine naive Wirklichkeitsverweigerung darstellen.
Das Volk und die Massen
Das „Volk“, diese rassistische und antisemitische „Volksgemeinschaft“, die sich selbst zelebriert und feiert, gälte es anzugreifen, sollte wirklich Widerstand gegen Antisemitismus und Rassismus geleistet werden. Wenn die Mehrheit der ÖsterreicherInnen aus Rassisten und Antisemiten besteht, muß eben eine Auseinandersetzung mit dieser Mehrheit, mit dem „Extremismus der Mitte“ geführt werden. Da müßten dann auch Reaktionen aus dem Ausland auf den Wahlerfolg der FPÖ nicht nur verstanden, sondern auch unterstützt werden und nicht — nur weil sie zum Teil von nicht allzu sympathischen Personen kommen — volksgemeinschaftlich abgewehrt werden. Wenn von der österreichischen Bevölkerung im Kampf gegen Rassismus und Antisemitismus nichts anderes zu erwarten ist als die Beteiligung am Pogrom, dann muß sich ein Hilferuf der von diesem Pogrom Bedrohten an die internationale Öffentlichkeit wenden.
Mit Ausnahme einiger antinational ausgerichteten Grüppchen tut jedoch der überwiegende Teil der Linken nichts dergleichen und beschäftigt sich lieber weiterhin damit, die Gründe für den Rassismus im Sozialabbau zu suchen. Der Antisemitismus, der mit und seit diesem Wahlkampf in viel offenerer Form zu Tage tritt — Ariel Muszikant, Präsident der israelitischen Kultusgemeinde, sprach davon, daß sich die Übergriffe auf Jüdinnen und Juden verzehnfacht hätten —, interessiert viele dieser Linken sowieso nicht.
Statt endlich den Mut zu haben, die Grundfesten dieser „Volksgemeinschaft“ anzugreifen, wiegen sich politisch völlig isolierte Linke lieber in der Illusion, doch noch irgendeine Massenrelevanz zu haben. Und bei solch einer halluzinierten Massenrelevanz muß natürlich auf diese Massen geachtet werden. Es können ja nicht jene geschlagen werden, deren Herzen doch gewonnen werden sollen oder bereits gewonnen geglaubt sind. Nicht der konsequente Kampf gegen jeden Nationalismus, Antisemitismus und Rassismus steht somit im Mittelpunkt solcher virtueller Massenbewegungen, sondern der Versuch, den FPÖ-WählerInnen zu erklären, daß Jörg Haider doch gar kein Sozialist ist, der sich wirklich um die „kleinen Leute“ kümmern würde. Stattdessen wird dem „kleinen Mann“ erklärt, daß es eh nicht so viele „Ausländer“ gibt wie er glaubt und es im übrigen zu seinem eigenen Schaden wäre, sich auf die FPÖ-Politik einzulassen.
Demokratisierter Faschismus
Genau das ist aber keinesfalls gesagt. Es ist durchaus vorstellbar, daß ein FP-regiertes Österreich für viele WählerInnen der Freiheitlichen Vorteile brächte. Eine Gesellschaft mit privilligierten „weißen“ MehrheitsösterreicherInnen, die von der Ausbeutung und Rechtlosigkeit von MigrantInnen leben, ist durchaus eine mögliche Langzeitperspektive eines FP-Regimes. Und dazu bedürfte es keiner Ausschaltung der „Demokratie“. Haiders ständigen Beteuerungen, daß er doch kein Faschist, sondern Demokrat ist, sind zur Hälfte richtig. Demokratie und Faschismus werden nämlich im 21. Jahrhundert nicht mehr zwangsläufig ein Gegensatzpaar sein.
Mit einer Bevölkerung wie der österreichischen ist es durchaus denkbar, für faschistische Politik Mehrheiten zu finden und die parlamentarische Demokratie im Prinzip nicht antasten zu müssen. Natürlich ist es möglich, daß jenen, die diesem demokratisierten Faschismus Widerstand leisten, eine verstärkte Repression ins Gesicht blasen wird. Sofern dieser Widerstand eine gesellschaftliche Relevanz entwickelt, ist dies sogar mit Sicherheit der Fall. Den grundsätzlich demokratischen Charakter einer FPÖ-Herrschaft würde dies jedoch nicht in Frage stellen. „Demokratie“ heißt schließlich nicht Herrschaftslosigkeit, sondern Volksherrschaft — und bei der Konstituiertheit dieses „Volkes“ ist auch ein ganz demokratisches Pogrom durchaus keine Spekulation, die nur der pessimistischen Phantasie von deprimierten Volksfeinden entspringt.
Jörg Haiders FPÖ ist nicht entweder demokratisch oder rechtsextrem, sondern beides. Das Erfolgsrezept dieser Partei macht nicht nur ihre offene Fremdenfeindlichkeit aus, sondern auch die Modernisierung und Demokratisierung jenes Gedankengutes, auf dem die Partei ideologisch aufbaut. Die FPÖ ist heute die modernste Partei Österreichs. Die Art ihrer Präsentation ist voll und ganz auf die postmoderne Popkultur der Jahrtausendwende zugeschnitten. Sie ist modern, jung, dynamisch, frech, leistungsstark und bis zu einem bestimmten Grad postmodern-prinzipienlos. In ihren Inhalten dient sie primär als Verstärkeranlage der Biertische und anderer Foren der „Volksseele“. Für die Jungen wird in der Disko gerockt, für die Alten im Bierzelt geschunkelt, und so kann die FPÖ selbst die Generationen miteinander versöhnen und jene Volksgemeinschaft in ihrer Partei verwirklichen, die sie zu einer wahrhaften „Volkspartei“ anwachsen ließ.
Mit Ausnahme der ebenfalls sehr erfolgreichen Alleanza Nationale in Italien hat keine andere rechtsextreme Partei Europas den Sprung von einer verstaubten Altherrenpartei zu einer modernen, demokratischen Massenpartei so erfolgreich bewältigt wie die FPÖ. Zusammen mit dem historisch guten Boden für so eine Politik in Österreich und dem vorauseilenden Gehorsam der SPÖVP-Koalitionsregierung gegenüber der FP-Politik, ist dies wohl einer der Hauptgründe für den politischen Höhenflug der FPÖ, der vielleicht schon bald ins Kanzleramt führen könnte.
[1] Mit der Bezeichnung „rechtsextrem“ wird keine strafrechtlich relevante oder verfassungsfeindliche Tat oder Gesinnung unterstellt. Das mit der Bezeichnung implizierte Urteil ist rein politischer Natur und basiert auf dem in den Sozialwissenschaften entwickelten Rechtextremismus-Begriff wie er beispielsweise von Wilibald Holzer dargelegt wurde (Vgl. Holzer, Willibald L: Rechtsextremismus — Konturen, Definitionsmerkmale und Erklärungsansätze, in: Stiftung DÖW (Hg.): Handbuch des österreichischen Rechtsextremismus. Wien 1993).