Context XXI » Print » Jahrgang 2001 » Heft 3-4/2001
Stefanie Mayer

Publixtheatre — Provokation im öffentlichen Raum

Ein Netzwerk verschiedener kulturschaffender und widerständiger Menschen organisiert im heurigen Sommer unter dem Titel NoBorder-Tour wochenlangen Wanderwiderstand. Von der Theatralik der Politik und wo der Raum für radikale Intervention zu finden ist erfuhr Stefanie Mayer von Gini Müller, einer der OrganisatorInnen.

Du versuchst in deiner Arbeit Kunst und Politik zu verbinden, wie kann eine solche Praxis konkret aussehen?

Nach der Arbeit im Schauspielhaus hab ich Anfang 2000 — als die Wende einsetzte — mein Arbeitsgebiet verstärkt auf Widerstands- und Protestaktionen verlagert. Z.B. habe ich das Filmprojekt Die Kunst der Stunde ist Widerstand, die EKH-Tour letztes Jahr und die Austrian Psycho Nights in Berlin mitorganisiert, und im Herbst dann die Kulturkarawane durch Kärnten. Und jetzt geht’s eben an die der NoBorder-Tour. Das ist gerade so ein Schwerpunkt in meiner Arbeit: Karawanen im Sinne von Touren — man geht raus in einen weiteren öffentlichen Raum. Das hängt auch mit meinem Dissertationsgebiet zusammen und interessiert mich im Moment sehr. Auch mein Theaterbegriff hängt sehr eng mit einem Politikbegriff zusammen. Es geht um das Verhältnis von Theater und Politik: was kann Theater, Theater als Widerstand, Theater als Eingriff in den öffentlichen Raum?

Dadurch, dass ich Theaterpraktikerin und -wissenschafterin bin, habe ich totale Schwierigkeiten zu sagen, dass sich Theater in der Institution abspielt und dort gut aufgehoben ist. Für mich hat Theater schon vom Begrifflichen her sehr viel mit dem gesellschaftlichen Feld zu tun, das zeigt sich schon daran, wie oft „Theater“ in der Politik als Metapher verwendet wird. Wenn zum Beispiel ein Grasser vom Parlament als Theater spricht. Die Frage ist, welche Möglichkeiten Theater hat Eingriffe — im Sinne von Protestmöglichkeiten — zu setzen, die das „Staatstheater“ — wiederum als Metapher — ad absurdum führen. Ich verstehe Eingreifen — hat ja was chirurgisches — auch im Sinne einer gewissen Radikalität. Es geht darum wie man Barrikaden überwinden kann, aber von einem spielerischen Ansatz her, und dabei etwas auslösen kann, was in gewisser Weise nicht zu berechnen ist.

Gehört Theater in den öffentlichen Raum?

Nicht nur. Es kommt natürlich immer sehr stark auf den Raum an, Theater und Raum ist nun einmal ein ganz wesentliches Verhältnis. Wenn Gramsci sagt, dass das Feld der Politik als Schlachtfeld von Bewegungen definiert ist, dann hat das sehr viel mit meinem Theaterbegriff zu tun. Theater und Bewegung — wo bewegen sich die Menschen, in was für Strukturen? Sowohl Theater als auch Politik haben mit hierarchischen Strukturen und mit Machtverhältnissen zu tun. Theater besteht ja zum großen Teil aus Maske und Spielern, die ja auch im offiziellen Rahmen und in Institutionen immer da sind. Politik wird wesentlich von rhetorischen Finten bestimmt. Beispiele für eine Nähe von Politik und Theater gibt es genug: Haider wollte in seiner Jugend Schauspieler werden, Morak ist einer — ein Gescheiterter, usw. Rhetorikkurse sind absolute Schauspielkurse! Den Wahrheitsbeweis treten PolitikerInnen überall an. Die Frage ist, warum das überhaupt noch ernstgenommen wird. Aber man muss es ja leider sehr ernst nehmen, weil es ernstzunehmende Konsequenzen hat.

Wenn du Theater als Eingriff in den öffentlichen Raum siehst - wo bzw. auf welchen Ebenen kann Theater überhaupt eingreifen?

Das ist eben die große Frage. Ich glaube nicht, dass Theater als Eingriff in den öffentlichen Raum zur Weltrevolution führen wird ... aber ich glaube, dass es etwas mit den Mitteln des Protestes zu tun hat und dass sich diese etwas verändert haben. Dass man vom klassischen, radikalen, autonomen Schwarzen Block-Auftreten, eher dazu übergeht, dass Protest auch über ein Nicht-Ernstnehmen, ein fröhliches „sich nicht unterkriegen lassen“ funktioniert. Dass man nicht nur mit Wut Sachen einschmeißen sondern auch über eine andere Richtung eher subversiv agieren kann — das ist das Spezielle, was im letzten Jahr doch zu bemerken war. Z.B. beim Opernball voriges Jahr der Karneval um die Oper — es wird draußen getanzt, während der Staatsball drinnen ist. Oder wenn Hubsi Kramer als Hitler dort auftaucht geht das auch in die Richtung. So etwas löst sehr viel aus und zeigt damit wiederum was für ein Medienspiel das Ganze ist. Schlingensief arbeitet ja auch auf die eine oder andere Weise so, z.B. seine „Container-Aktion“ war für mich durchaus ein Eingriff in den öffentlichen Raum, mit allem was ausgelöst wurde. Aber auch die Burgtheaterstürmung durch DemonstrantInnen fällt für mich da hinein. Das alles gehört zum Thema Protestmöglichkeiten. Wir sind ja beim Volxtheater Favoriten auch eher davon weggegangen im Raum selbst — im EKH — was zu machen. Im letzten Jahr haben wir unsere Aktionen eher nach draußen verlegt.

Die Verbindung von Kultur und Widerstand, wie sie z.B. „Volkstanz“ betreibt, geht das für dich auch in diese Richtung?

Das ist jetzt auch so eine These, dass die Musikleute eigentlich damit angefangen haben. Mit Musik lässt sich das sehr leicht herstellen, weil ja Musik sehr körperlich erlebt wird. Ich finde Volkstanz schon sehr okay, aber mir ist es ein bisschen zu wenig. Wenn man diesen Widerstand aber als Puzzle begreift, das von verschiedenen Bereichen kommt, dann find ich das schon in Ordnung, was die machen. Nur kann man es nicht beim Tanzen gegen Rechts belassen. Wobei ich jetzt nicht unterstellen möchte, dass „Volkstanz“ nur das ist, ganz im Gegenteil. Gerade durch die jüngste Verlagerung zu Diskussionsveranstaltungen findet eine weitere Auseinandersetzung statt. Ich glaube auch, dass sich die Inhalte jetzt etwas verlagern, weg von dem unmittelbaren Protest gegen die Regierung hin zu weiteren politischen Fragen. Man muss nicht nur die Regierung angreifen, die SPÖ ist in manchen Sachen genauso beschissen und hat die heutige Politik mit vorbereitet. Man denke nur an Marcus Omofuma. In Wirklichkeit geht es darum, was für antinationalistischen bzw. antinationalen Widerstand und Protest es geben kann. Arbeit in diese Richtung zu leisten heißt nicht auf österreichische Politik bezogen zu bleiben, sondern z.B. Migration und Schengen oder den Neoliberalismus aufzugreifen.

Wie sieht das Verhältnis von politischen Inhalten zur Form in der sie präsentiert werden aus?

Inhalt und Form lassen sich ohnehin nicht trennen. Das Verhältnis ist aber ein schwieriges, weil ja oft die Leute, die sich als nur politisch verstehen, sagen „puh, die Künstler“ und andersrum heißt es „na ja die Leut die nur Politik machen, das sind ja Kulturlose“, oder so ähnlich. Es gibt da eine gewisse Rivalität oder Aversion. Ich glaube, dass diese jetzt bröckelt, sich die Vorurteile aber nicht völlig auflösen. Ich finde politische Inhalte extrem wichtig, manchmal habe ich aber keine Lust auf die ganzen Grabenkämpfe. Leute die z.B. Politikwissenschaft studiert haben, haben oft von der theoretischen Basis her einen ganz anderen Zugang zu Politik als ich, die ich Theaterwissenschaft und Philosophie studiert habe, und einen politischen Zugang habe, der sehr stark über Deleuze — also aus dem ästhetisch-philosophischen Bereich — kommt. Trotzdem halte ich Guattari und Deleuze auch für unglaublich wichtige politische Autoren — ähnlich wie Gramsci. Ich tu mir oft bei politischen Theorien schwer, weil so oft auf den Körper vergessen wird. In der Verbindung von Politik und Kultur kommt dieser Aspekt nicht so zu kurz wie in der reinen Theorie, bei der ja auch irrsinnig viele Leute einfach aussteigen. Der Postfaschismuskongress in Wien war so ein Beispiel, oder die Documenta: Documenta als künstlerische Veranstaltung, wo ein absolut politischer Theoriediskurs geführt worden ist.

Warum ist gerade Theater eine Form mit der man Politik und Veränderung vermitteln kann?

Ich glaube nicht, dass es nur Theater ist. Theater ist im Moment die Kunstform, die mir am nächsten liegt. Es ist auch die einzige Kunstform, wo der Mensch als Kunstmittel im Mittelpunkt steht. Du brauchst einen Schauspieler um Theater zu machen. Und es heißt Schau-Spieler. Wichtig ist meiner Ansicht nach vor allem der Spieler, nicht die Schau. Mit Theater kann man sehr subversiv arbeiten und viel in Frage stellen.

Eine Ästhetisierung der Politik ist nichts, was du befürchten würdest?

Zu befürchten ist es immer, da muss man natürlich immer aufpassen. Politisch-inhaltlich ist meine Meinung dazu, dass das beste Theaterspektakel die Proteste in Prag und Seattle sind, das liegt mir vom Theater her näher als das Burgtheater. Ich verstehe aber auch die Leute, die sagen, „Nein, mit Theater haben wir nix zu tun. Wir machen politischen Widerstand.“ Das Konzept der NoBorder-Tour geht in die Richtung einer Verbindung von Theater als politischer Protestmöglichkeit und der Vermittlung von politischen Anliegen. Wir wollen quasi zu den Spektakeln, an den Orten der Auseinandersetzung über Neoliberalismus, aktiv beitragen und Protest ausdrücken.

Kannst du das Konzept der NoBorder-Tour kurz erläutern?

Die Idee ist, dass sich von Wien aus — nach Möglichkeit natürlich von überall her — ein Tross zusammenstellt, der zunächst nach Salzburg fährt. Diesen Sommer sind sehr viele Veranstaltungen, die Orte politischer Auseinandersetzung sind. Das ist der Kontext. Es geht darum den Protest zu unterstützen, auf der einen Seite mit theatral-politischen Ausdrucksmitteln, auf der anderen Seite mit Medienarbeit und Vernetzung. Gleichzeitig geht es um die Erfahrung der Karawane. Wenn man sechs Wochen reist wird sich da sehr viel abspielen. Und es geht uns darum, mit den Leuten vor Ort zusammenzuarbeiten und Austausch zu finden. Es besteht auch die Möglichkeit, dass Leute von einzelnen Orten dann ein Stück mitfahren. Eröffnet wird das Ganze in Nickelsdorf, an der Schengen-Ostgrenze — auch so eine halbsymbolische Geschichte — dann geht es nach Salzburg zum WEF-Gipfel. Davor gibt es in Wien am 26. Juni noch eine Pressekonferenz mit livestream nach Nickelsdorf und ein Abfahrtsfest am Heldenplatz. In Salzburg werden wir die Leute auch mit Medienarbeit unterstützen. Wir haben einen grossen Bus als Hauptstück der Karawane mit einem mobilen Büro. Mit Videokameras werden wir filmen und das dann gleich ins Netz stellen. Leute von Radio Orange gestalten regelmäßige Beiträge.

Danach geht es nach Slowenien, wo ein Grenzcamp an der ungarisch-kroatischen Grenze mit Workshops und ein paar Grenzaktionen stattfindet. Weiter geht es über Kärnten, wo wir in Bleiburg und in Eisenkappl zwei Veranstaltungen in Zusammenarbeit mit kärntner slowenischen Kulturvereinen machen. Nachher geht es nach Genua zum G8-Gipfel.

Und wir sind nicht die einzige Karawane. Mittlerweile gibt es auch die Carneval Caravan, die von England nach Tariffa — zu einem Grenzcamp an der Schengen-Südgrenze — und dann von dort nach Genua führt. Nach dem G8-Gipfel fahren wahrscheinlich viele weiter nach Frankfurt zum Flughafen-Grenzcamp. Die ganze Aktion ist eingebettet in das NoBorder-Netzwerk, das sich in den letzten zwei Jahren gebildet hat. Deswegen organisieren wir die Tour auch stark über die Plattform für eine Welt ohne Rassismus, die in diesem NoBorder-Netzwerk ist. Das erste Mal funktioniert das, dass Leute aus ganz Europa sich schon im Vorfeld via e-mail vernetzen. Das und die Medienarbeit sind wirklich interessante Aspekte.

Ist die NoBorder-Tour ein Folgeprojekt der Kulturkarawane in Kärnten im vorigen Herbst?

So quasi ... Auf die EKH-Tour im Sommer kam die Kulturkarawane durch Kärnten, die sicherlich von ersterer inspiriert war. Aber es war schon jedes Mal ganz anders. Bei der EKH-Tour haben wir auf den Hauptplätzen aller Landeshauptstädte einen Tag lang Programm gemacht. In Kärnten war der Geck ja, dass wir uns mit einem Traktor mit 20 km/h durchs Land bewegten und dadurch schon eine gewisse Präsenz hatten und Werbung für die Abendveranstaltungen machten. An einigen Orten haben wie auch kleine Denkmäler errichtet. Bei den Abendveranstaltungen haben wir aber nicht direkt Programm gemacht.

Nun ist es der Schritt Europa. Aber auch das Konzept ist anders. Wir sind länger an den Orten, es geht darum Austausch zu finden und das gleichzeitig zu dokumentieren — also viel mehr Medienarbeit.

Gibt es eine Art „Spielplan“ für einzelne Aktionen, oder soll sich das spontan entwickeln?

Es gibt verschiedene Vorbereitungsgruppen, eben zu Medienarbeit, Radio, Video und Theater. Angelehnt an die tute bianche aus Mailand werden wir permanent mit orangen Overalls mit Logo herumrennen. Wir wollen also wirklich gut sichtbar sein und ebenso sichtbare Aktionen in den Orten und bei den Demos machen.

Ändert sich etwas dadurch, dass das ganze Projekt nicht stationär, sondern als Karawane in Bewegung ist? Macht das den Charakter aus?

Der gruppendynamisch ganz eigene Prozess wird diesmal noch deutlicher werden. Wenn du 6 Wochen unterwegs bist, ist das etwas anderes, als wenn du irgendwo mit oder zu einer Gruppe hinfährst. Es entsteht ein ganz eigener Gruppenzusammenhalt. Es werden aber nicht alle permanent dabei sein, es wird sich zum Teil abwechseln und es werden hoffentlich viele Leute dazukommen. Ich finde es unheimlich wichtig, dass nicht nur Ösis auf Tour gehen, sondern ein internationaleres Projekt entsteht. Zwei AmerikanerInnen, eine aus Frankreich einer von Indymedia, möchten auch mitfahren. Es ist eine europaweite Aktion und die Vernetzung funktioniert recht gut, so dass viele wissen, dass es uns gibt und dass man da mitfahren kann. Eine Karawane steht zudem in der Tradition von Wanderzirkus und -theater, des Nomadisierenden ...

Das Thema eurer Karawane ist No Border - No Nation, also Migration und Antirassismus?

Genau, deswegen fahren wir gerade zu Grenzcamps. Es geht um Schengen und um Europa, darum einfach die Forderung zu setzen: Grenzöffnung — es braucht keine EU-Abschottungspolitik. Es gibt auch eine inhaltliche Gruppe, die sehr viel Informationsmaterial mitnehmen wird.

Noch zu einer berechtigten Kritik an der Tour: man macht eine Karawane zum Thema No Nation - No Border und dann ist es sehr schwierig für MigrantInnen selbst bei dieser Karawane mitzufahren. Das ist natürlich ein ganz wesentlicher Kritikpunkt. Doch die Idee ist recht kurzfristig entstanden und auch die Organisation übers Netz hat viele von der Information ausgeschlossen. Dadurch dass wir die Tour von Für eine Welt ohne Rassismus aus organisierten, wo viele MigrantInnen dabei sind, wissen schon einige Bescheid. Die haben dann zum Teil wegen Pass-Schwierigkeiten nicht die Möglichkeit mitzufahren. Dafür hätte einfach die Vorbereitungszeit länger sein müssen. Wahrscheinlich hätte es ein Jahr gebraucht, um solche Dinge zu regeln.

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Erstveröffentlichung im FORVM:
Juli
2001
, Seite 18
Autor/inn/en:

Stefanie Mayer:

Geboren 1977 in Niederösterreich, hat 2004 das Diplomstudium der Politikwissenschaft in Wien abgeschlossen. Sie hat an einigen Forschungsprojekten in außeruniversitären Instituten mitgearbeitet. Seit Februar 2013 ist sie Projektmitarbeiterin am Institut für Politikwissenschaft. Redaktionsmitglied von Context XXI von April 2001 bis Juni 2002, koordinierende Redakteurin von April 2001 bis September 2001.

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