Medienecke
Gustavo Simsek
Entwurf für ein Privatradiogesetz

Piraten gegen Medienkonzerne

Die Pressure Group (PG) für freies Radio in Österreich unterhält eine sehr lebendige Zweigstelle in Wien: Der Verband der sogenannten RadiopiratInnen und derjenigen, die noch Frequenz erbeuten wollen/werden. Ihre Tätigkeit steht im Konflikt mit Fernemelde- und Rundfunkgesetz. Kürzlich stellte die Pressure Group einen Entwurf zu einem Privatradiogesetz vor.

Die freien Veranstalter — ab dieser Stelle soll der Terminus „Piraten“ wegen seines unsachlichen Sensationsglamours entfallen — skizzierten ein diese Materie regelndes Gesetz, welches hier in gebotener Kürze dargestellt werden soll.

Ausgangspunkt ist die Beschreibung dreier Typen von Radioveranstaltern: staatlicher sowie einerseits kommerzieller, andererseits freier Rundfunk. Staatlich-österreichisch soll wie bisher die Emission dreier Programme je Bundesland unter der Auflage, den bisherigen Frequenzen-Raubbau zu invertieren, ORF-möglich bleiben. Restliche Frequenzen werden kategorisch eins zu eins zwischen kommerziellen und freien Privaten lizenziert. Private (= ungleich Piraten!) sind kommerziell, als auf Gewinn orientiert und frei, sofern dies nicht zutrifft und auch kein Erwerb entfaltet wird. Der Ertragserwirtschaftung verschrieben, ist kommerziellen die Schaltung von Werbung (bis 10 Minuten je Stunde und innerhalb dieser in bis zu zwei Blöcken bei Erkennbarkeit der Werbungseigenschaft) gestattet, und haben diese aus dem Werbeetat einen vorläufigen mit einem Prozent quantifizierten Teil zugunsten freier Radios abzuführen. Freie Veranstalter begreifen sich als wesentlichen Beitrag zur Rückholung des infolge der Beinahe-Monopol-Oligarchie des Medienwesens verlorengegangenen (Meinungs- und Kultur-)Pluralismus insbesondere hinsichtlich sogenannter Randgruppen. Dieses beschriebene „Begreifen“ liegt dem Entwurf zufolge nicht in der Gnade des aufrichtigen Denkens, sondern ist zentraler Angelpunkt der Entscheidung, wem überhaupt Frequenznutzung zugewiesen wird.

Der Regelungsvorschlag bedient sich einer klaren Zweigleisigkeit. Sendewerber sind bloß dann zu lizenzieren, wenn deren Beitrag zum Informations-, Meinungs- und Kulturgeschehen ausreichend gesichert ist, wobei bereits die prognostikable Monopolisierungswirkung von Sendewerber und übrigen Print- oder elektronischen Medien von der Frequenzzuteilung ausschließt. Bei einem Überhang der Bewerbungen als freie Veranstalter im Verhältnis zur verfügbaren Frequenzzeit ist — nolens volens — der „Zuschlag“ entweder eingeschränkt (weniger Sendezeit) oder nicht zu erteilen.

Frequenzvergabe

Über der ausgesprochen sensiblen und vice versa entscheidenden Frage des Entscheidungskörpers zur Frequenzvergabe rauchen bis zum gegenwärtigen Augenblick die Köpfe aller kritisch am Modell Mitdenkenden. Von Anfang an war eines glasklar: Das Instrument von Kuratorium und Sozialpartnerlichkeit, wie vom ORF exerziert, ist unsympathisch und unzweckmäßig wie kein erdenkliches. Gerade die Verbände und Träger der herkömmlichen Machtblöckewirtschaft will man doch deshalb „draußenlassen“, weil deren Einfluß allerorts ohnedies überdimensioniert und erdrückend ist, und das vorgeschlagene Privatradio gerade den Zweck erfüllen muß, endlich andere zum Zug kommen zu lassen.

Gewiss, die Klärung über den Beitrag zu im übrigen Medinspektrum unterrepräsentierten kulturellen, politischen, sozialen, ethnischen Orientierungen ist auch im günstigen Fall nur annäherungsweise möglich. Und schließlich ersparen auch formale Auswahlprinzipien nicht die Einrichtung eines Beurteilungsträgers und insoferne nicht das Dilemma seiner Beschickung.

Die Pressure Group sieht in ihrem Vorschlag eine länderweise eingerichtete Kommission vor, die für freie bzw. kommerzielle Veranstalter auftritt. Der Vorschlag entscheidet sich bewußt für „Versachlichung“ und weitmögliche Politfreiheit.

Radiokommission

Daß dem zur Diskussion vorgelegten Konzept der PG nicht uno actu mit seiner Vorstellung das Lebenslicht ausgeblasen werden soll, ist in puncto Radio(zulassungs)kommission der Beteiligung einer von der Hörer- und Sehervertretung des ORF bestellten Medienfachperson, eines/r Journalisten/in, bestellt durch die Sektion Journalisten der zuständigen Gewerkschaft, sowie eines/r von jeweiligen Landeskulturamt namhaft gemachten Juristen/in für die (allgemeine) Landesradiokommission zu ersehen. Für freie und kommerzielle Radios wird darüberhinaus der Gedanke der Selbstbeteiligung wahrgenommen. Diese nehmen durch je zwei selbst nominierte Vertretungspersonen als Mitglieder an den Entscheidungen der Landesradiokommission teil.

Vergabe von Frequenzen findet grundsätzlich nach jenem Prinzip statt, das eine Hälfteparität der Nutzungen durch freie und kommerzielle Radios verankert. Die Situation bei (allfälligem) Inkrafttreten dieses Entwurfes als Bundesgesetz gebietet zusätzliche Überlegungen, da wegen internationaler Vereinbarungen und Gepflogenheiten zunächst in Österreich nur jene Frequenzen neuzubelegen wären, die vom ORF freizugeben sind.

Nutzungen von Frequenzen im Inland sind in einem zeitraubenden Prozeß bei der internationalen Fernmeldeunion (ITU) anzumelden und davor unzulässig. Aufgrund der Binnenlandlage Österreichs haben im Rahmen des internationalen Zulassungsverfahrens Anrainerstaaten weitreichende Anhörungs- und Einspruchsrechte.

Bis zur Erledigung dieses notwendigen und raschest einzuleitenden Vorgangs muß mit dem bereits für den ORF angemeldeten bzw. dem von diesem bisher beanspruchten und sodann freizugebenden Potential an Frequenzen das Auslangen gefunden werden.

Frequenznutzung

Die internationale Vergabe bringt mit sich, daß Frequenznutzung überhaupt nur hinsichtlich eines bestimmmten Sendestandortes zulässig gemacht werden kann. Diese Standorte sind bis auf wenige Ausnahmen von ORF errichtet. Paradoxerweise für europäische Verhältnisse ist der ORF nicht bloß Monopolist der Sendeerlaubnis, sondern zugleich auch einziger und eigenherrlicher Sendeanlagenbetreiber. Daraus ergibt sich, daß jene Frequenzen, die nicht ohnedies erst vom ORF freizugeben sind, in der weit überwiegenden Zahl der Fälle ebenfalls bloß im Wege der Ausnützung von ORF-Sendern für andere Radios herangezogen werden können.

Die — unkontrolliert und ferne auch bloß der fachlichen Öffentlichkeit — durch den ORF realisierte Gepflogenheit, Frequenzen durch die Postverwaltung im internationalen Verfahren anmelden zu lassen und sodann nach, durch Dritte ungeprüftem, Gutdünken auch tatsächlich via selbst errichteter Sendeanlagen zu nutzen, führte dazu, daß noch kaum möglich ist, anders als nach Vorgaben und „faits accomplis“ des ORF zu planen.

Für die mehrere Jahre ausfüllende Zeit post ORF-Monopol werden Sendelizenzen aus Erwägung der Gerechtigkeeit und des Splittings 1:1 zwischen freien und kommerziellen Radiomachern derart zu vergeben sein, daß das genannte Verhältnis nach der Anzahl der potentiell zu erreichenden Bevölkerung ausgemessen wird. Demnach mag in einem lokalen Verbreitungsraum der kommerzielle oder freie Anteil am Frequenzband höher sein. Planungsrücksichten erlauben eine zunächst nur im Bundesgebiet insgesamt erstehende Ausgewogenheit der Frequenznutzung.

Mittelfristig bleibt der grundlegende Gedanke aufrecht, daß für jeden lokalen Verbreitungsraum das Angebot der kommerziellen und freien Radios gleich ist. Der vorliegende Entwurf statuiert bewußt nicht (bloß) den Terminus Lokalradio, da die Demokratisierung des Zugangs zum Hörfunk insgesamt angestrebt wird, geht aber fundamental vom Gedanken der lokalen Verbreitung und dem Naheverhältnis zwischen örtlichem Radioveranstalter zu dessen Verbreitungsgebiet aus.

Abgrenzungen

Die Festlegung von Auswahlkriterien der AntragstellerInnen bei Lizenzerteilung gab schon im kleinen Kreise der bisherigen DiskutantInnen Anlaß zu Ausbruch und Angriff. Zwei Überlegungen zusammen mit drei Abrenzungsvorgaben standen im Zentrum des Diskurses.

Abgrenzung eins: Eingriff der Autorität so gering und im Zeitablauf des „Erstreitens“ einer Frequenz so spät wie möglich.

Abgrenzung zwei: Einschreiten der Regelungsinstitution überhaupt entfallen lassen, oder mindestens dann, wenn keine konkurrierenden Frequenzbewerbungen vorliegen.

Abgrenzung drei: Einvernehmen einer Mehrheit von Sendeinteressenten ist immer beachtlich.

Überlegung eins: Programmlich-inhaltliche Determinierung hat durch keine Autorität erwogen zu werden.

Überlegung zwei: Dem Gesamtzweck des Privatradiogesetzes entspricht die Verwirklichung des Zugangs zum Äther für bisher nicht oder unterrepräsentativ in der Medienlandschaft vertretene Felder kulturellen, politischen, sozialen Zuschnitts. Der/m Leserln sei versichert, daß vertretene Standpunkte obigen Versuch der Übersicht der Kontroverse an Unübersichtlichkeit spielend überboten haben. Deshalb wird hier auch nicht vorgegeben, zu einer zwingend deduktiven Lösung gelangt zu sein. Verständlich und im Bedrohungsbild durch das bestehende Rundfunk-(=ORF-)gesetz vorexerziert waren Überlegungen zur Vermeidungen des unerwünschten Übels bzw. zur Herbeiführung des Zwecks, daß eben jene beim Radiomachen zum Zug kommen sollen, deren Interessen die Mehrzahl der DiskutantInnen zuneigen.

Ergebnis der Überlegungen

Im Ergebnis haben sich die erwähnten Überlegungen samt dazu aufgerufenen Abgrenzungen — wie könnte dies sonst sein — durchgesetzt. Nicht, da Konsens alles wäre, sondern, da diese Gedanken schwer verzichtbar gewesen wären.

Das heißt nun: Lizenzen werden bei Einhaltung noch zu besprechender zum Teil formaler Voraussetzungen solange vergeben, wie diese nicht belegt sind und hiefür keine konkurrierenden Bewerbungen vorliegen. Ist letzeres der Fall wird auf die Einigung der Bewerber hingewirkt; kann dies nicht erzielt werden, entscheidet die Landesradiokommisson aufgrund der Erklärungen der Bewerber, mit anderen eine Frequenz gemeinsam zu nutzen bereit zu sein. Berücksichtigung finden darunter diejenigen Bewerbungen, die insgesamt den erwünschten Beitrag zur Meinungspluralität (= sog. Außenpluralität) und Zugang der kulturellen, sozialen, ethnischen, politischen Minderheiten am meisten leisten und in ihrer Gesamtheit den Bezug zum örtlichen Verbreitungsgebiet aufweisen. Ultima ratio ist die Bewertung nach dem — bloß formalen — Element des höchsten Ausmaßes an selbst gestalteten bzw. in Auftrag gegebenen Programms.

Lizenzerteilung

Der Lizenzerteilung ist überhaupt ein Katalog von Auschließungsgründen vorangestellt. Nach den vertretenen Überlegungen haben nämlich weder staatliche (Regierungs-, Gebietsverwaltungs-) Stellen, politische Parteien, Gesetzgebungsorgane oder deren Mitglieder, öffentlich-rechtliche juristische Personen noch Personen oder Unternehmen, die unter Einflußnahme durch den ORF stehen, irgendetwas am Sektor der, sei es auch kommerziellen, Privatradios verloren. All diese Anknüpfungen führen zur Nichterteilung einer Lizenz.

Die wesentliche mit einem Verhältnis von mehr als 25 Prozent insgesamt an Medien umschriebene Beteiligung an diesen als ein eminent dringliches, weiteres zur Ausschließung von Hörfunkveranstaltung führendes Moment wird nicht verkannt und soll gemeinsam mit einer negativen Zweckbestimmung der Medienkonzentration, soweit diese nicht heute ohnedies vorliegt, vorbeugen. Überdies sind unter derselben Zielsetzung Lizenzanträge nicht zu berücksichtigen, soferne der/die BewerberIn bereits über eine Radiolizenz verfügt. Auch unter dem Gesichtspunkt, daß schon grundsätzlich das Frequenznutzungsrecht unübertragbar sein soll, können kartellartige Verquickungen nur durch die folglich verankerte Bestimmung des Fortfalles der Lizenz bei Zusammenschlüssen deren Inhaber vermieden werden.

Der Entwurf scheut also weder Mühen noch Beschneidungen, wenn es darum geht, der Bedrohung durch Medienmonopole zu entgehen.

Zugleich mit der Lizenz erwirbt der/die RadioveranstalterIn das Recht zur Errichtung und Betreibung der erforderlichen Sendeanlagen. Diesbezüglich wird die lex specialis zum Fernmeldegesetz, welches so gut wie alles, was zur Übertragung mittels elektromagnetischer Schwingungen benötigt wird, unter staatliche Hoheit stellte, geschaffen. Aus den obigen Darstellungen zur Frequenzplanung ergab sich die Notwendigkeit der Vorsorge des Benutzungsrechtes privater RadiomacherInnen an bestehenden Sendeeinrichtungen (des ORF; allenfalls der Post) vermittels hoheitlichen Auftrags der Fernmeldeverwaltung und Tarifierung.

Überlebensfonds

Zuletzt wird durch Einziehung eines einprozentigen Anteiles der Werbeeinnahmen der öffentlich-rechtlichen und kommerziellen Rundfunkveranstalter in einen Fonds für freie Veranstalter für deren (wirtschaftliches) Überleben gesorgt. Aus diesem Fonds soll jedes freie Radio im Verhältnis des von diesem erbrachten zeitlichen Sendevolumens anteilige Unterstützung erhalten.

Für Veranstalter in topographischen Randlagen, die zur Bewerkstelligung der technischen Übertragung oder infolge kostenintensiver Anmietung von Fremdanlagen erhöhten Aufwand zu tätigen haben, wird über Antrag weitere Unterstützung gewährt. Ebenso soll ein kostenaufwendig gestaltetes redaktionelles oder inhaltsorieniertes Programm mit weiterer Unterstützung zu Buche schlagen. Zur Rückgrenzung von mißbräuchlicher Begünstigung wird für Sonderunterstützung die Obergrenze des Zweifachen der Grundleistung festgelegt.

Die Pressure Group Freies Radio plante bei Redaktionsschluß eine öffentliche Veranstaltung zum Thema der Gesetzesinitiative. Die Öffnung der starren Fronten der koalitionären Medienpolitik mag nicht zuletzt unter dem Gesichtspunkt der Einstellung der AZ nähergerückt erscheinen. Öffentliche Diskussion und Unterstützung werden das Projekt der Demokratisierung des Mediums Radio binnen absehbarer Zeit notwendig machen. Für dieses darf Radio Mediaprint nicht ernstlich zur Diskussion stehen.

aus: Juridikum 5/91, Seite 13f.

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Erstveröffentlichung im FORVM:
Dezember
1991
, Seite 0
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Gustavo Simsek:

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