MOZ » Jahrgang 1989 » Nummer 46
Andrea Komlosy
Bertha von Suttners „Die Waffen nieder!“

Pazifistischer Agitprop

Vaterländische Erziehung im wilhelminischen Deutschland

Da aus jedem Schüler ein Vaterlandsverteidiger herausgebildet werden soll, so muß doch schon des Kindes Begeisterung für diese seine erste Bürgerpflicht geweckt werden; man muß seinen Geist abhärten gegen den natürlichen Abscheu, den die Schrecken des Krieges hervorrufen könnten, indem man von den furchtbarsten Blutbädern und Metzeleien wie von etwas ganz Gewöhnlichem, Notwendigem, so unbefangen als möglich erzählt, dabei nur allein Nachdruck auf die ideale Seite dieses alten Völkerbrauches legend (...). Die Mädchen — welche zwar nicht ins Feld ziehen sollen — werden aus denselben Büchern unterrichtet, die auf die Soldatenzüchtung der Knaben angelegt sind, und so entsteht bei der weiblichen Jugend dieselbe Auffassung, die sich in Neid, nicht miltun zu dürfen, und in Bewunderung für den Militärstand auflöst (...).

Diese Worte legte Bertha von Suttner Martha, der Heldin ihres Antikriegsromans „Die Waffen nieder“, in den Mund. Zunächst war es gar nicht so leicht gewesen, einen Verleger für das Buch zu finden. Es sei „ganz ausgeschlossen, daß der Roman in einem Militärstaat veröffentlicht werde“, schrieb man Suttner aus einer Redaktion. Im November 1889 war es schließlich so weit. Ohne alle Zensuren und Titeländerungen, die Suttner strikt zurückgewiesen hatte, erschien das pathetische und tränenreiche, im Stile der damaligen „Frauenromane“ verfaßte zweibändige Werk. Und schlug, entgegen allen Erwartungen, als Bestseller ein. Binnen kürzester Zeit erlebte „Die Waffen nieder“ mehrere Auflagen und wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt. Allein im zaristischen Rußland waren fünf Übersetzungen im Umlauf. Rezensionen, Kritiken, Abdrucke, darunter im sozialdemokratischen „Vorwärts“, machten das Werk ebenso bekannt wie die öffentliche Polemik gegen „Friedensfurie“ und „hysterischen Blaustrumpf“ Suttner.

Suttners Absicht lag klar auf der Hand. Schon in früheren Schriften entschiedene Gegnerin von Gewalt, Rüstung und Krieg, erfuhr sie anläßlich eines Paris-Aufenthaltes im Winter 1887/88 von der Existenz einer organisierten Friedensbewegung. Ihren Roman schrieb sie, um dieser Bewegung Resonanz und Unterstützung zu verschaffen. Für sie war er Gebrauchskunst bzw., wie man damals zu sagen pflegte, ein „Tendenzroman“.

„Die Waffen nieder!“

Martha, die weibliche Hauptperson, als junge Soldatenfrau noch ganz Feuer und Flamme für Krieg und Vaterland, wird, durch bittere Verluste geläutert, zur überzeugten Verfechterin der Friedensidee. Historischen Hintergrund bilden die österreichischen Feldzüge gegen Italien (1859), Dänemark (1864), Preußen (1866) und der deutsch-französische Krieg (1870/71), welche Suttners Heldin zwei Ehemänner und einen Sohn kosten. Je grausamer die Schlachtenszenen, je mehr Verstümmelung und Blut, Wehgeschrei und Leid, desto größer der pazifistische Lerneffekt, kalkulierte Suttner, der das wortreiche Klagen leicht von der Hand ging.

In literarischen Kreisen fiel die Würdigung des so erfolgreichen Suttner-Romans mager aus. Tolstoj, der der Autorin zu ihrem Werk gratulierte, notierte in sein Tagebuch: „Abends ‚Die Waffen nieder‘ gelesen, bis zu Ende. Gut formuliert. Man spürt die tiefe Überzeugung, aber unbegabt.“ Karl Kraus hatte die „Friedensbertha“ nicht nur wegen ihres Stils ständig auf der Schaufel. Härter das spätere Urteil Carl von Ossietzkys, selbst Pazifist: „Es ist wahrscheinlich das Schicksal der Bewegung gewesen, daß ihr Ausgangspunkt der larmoyante Roman einer sehr feinfühligen und sehr weltfremden Frau war. (...) Sie fand für die Idee keine stärkere Ausdrucksform als die Wehleidigkeit. (...) Wie so viele Frauen, die aus reiner Weiberseele für die Verwirklichung eines Gedankens kämpfen, der männliche Spannkraft und ungetrübten Tatsachenblick erfordert, glitt sie ins Chimärische, glaubte, bekehrt zu haben, wo sie ein paar Krokodilstränen entlockt hatte (...) und streifte sie in der Art, sich zu geben, da ihr die prägnante Form mangelte, schließlich den Kitsch.“

„Trifft einer zufällig den Ausdruck der Idee, die in der Luft schwebt, die in unzähligen Köpfen als Überzeugung, in unzähligen Herzen als Sehnsucht schwebt, dann schlägt sein Buch ein. (...) Der Blitzschlag ist nur dann möglich, wenn die Luft mit Elektrizität gesättigt ist“, erklärte Suttner den Grund für die Publikumsbegeisterung. Sie war seither, durch das Buch international bekannt, in Sachen Friedensbewegung aktiv. Sie gründete Friedensgesellschaften in Wien und Berlin, gab Friedenszeitschriften heraus, reiste, hielt Vorträge, knüpfte Kontakte zur Politikern, nahm an den alljährlich stattfindenden Weltfriedenskongressen und Konferenzen teil und publizierte — schier unermüdlich — politische Kommentare, in denen sie sich als weit scharfsinniger erwies als in dem bewußt populär und einfühlsam gehaltenen Roman.

Grenzen der Friedensbewegung

Die Strategie ihres politischen Handelns lautete: die Mächtigen von der Sinnlosigkeit von Rüstung und Krieg überzeugen, zumal dieser angesichts moderner Waffentechnik keinen Sieger mehr kenne. Instrument der zwischenstaatlichen Konfliktaustragung sollten internationale Schiedsgerichte und — langfristig — die Errichtung eines Weltstaatenbundes sein. Weltanschauliche Gegensätze sollten hintangestellt werden, um ein möglichst breites Friedensbündnis zu erreichen. Die Friedensgesellschaften wurden daher nicht als politische Vereine, sondern als überparteiliche, humanitäre Organisationen gegründet. Dies hatte zudem den Vorteil, daß Frauen, denen die Mitgliedschaft in politischen Vereinen damals untersagt war, hier mitarbeiten konnten.

Suttner und die Friedensbewegung mußten sich die Ausklammerung aktueller gesellschaftspolitischer Fragen und Konflikte, das — immer wieder enttäuschte — Vertrauen in die Herrschenden zeit ihres Bestehens vorwerfen lassen. Ihrem Eifer tat das keinen Abbruch. Gelegentlich tauchen in Sultners Schriften jedoch Zweifel und Selbstkritik auf. Kurz vor ihrem Tode vertraute sie ihrem Tagebuch an: „Die bürgerliche Friedensbewegung bei uns ist wirklich von einer Schlappheit, die ihresgleichen sucht“ (Mai 1914). Die Hoffnung, die sie in derselben Tagebucheintragung auf die (deutsche) Sozialdemokratie setzte, solle durch deren parlamentarische Zustimmung zu den Kriegskrediten allerdings bitter enttäuscht werden. Diese Niederlage mußte die österreichische Friedensnobelpreisträgerin jedoch nicht mehr erleben.

Rainer Maria Rilkes Antwort auf „Die Waffen nieder“ (1892):

Doch heute sind verhallt die
Kampfeslieder,
herein bricht eine neue, feige Zeit,
erbärmlich murmeln sie
„Die Waffen nieder“,
genug, genug, wir wollen keinen Streit. (...)
 
Ermannet Euch! Gefährten, Freunde, Brüder,
die ihr doch stets das Vaterland
geliebt,
nun merket wohl: Es gibt kein Waffen nieder,
weil’s keinen Frieden ohne Waffen gibt!

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Erstveröffentlichung im FORVM:
November
1989
, Seite 61
Autor/inn/en:

Andrea Komlosy:

Geboren 1957 in Wien, Wirtschafts- und Sozialhistorikerin ebenda.

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