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Sepp Brugger

Mogelpackung Schengen

Österreich hat am 28. Mai 1995 in Brüssel die sogenannten Schengenverträge unterzeichnet. Die österreichische Regierung rechnet für Ende 1997 mit dem Schengenstart. Voraussetzung für die Anwendung des Übereinkommens sind allerdings noch strengere Außengrenzkontrollen.

Keine parlamentarische Genehmigung

Rechtlich gesehen hat die österreichische Regierung mit Unterzeichnung der Schengener Übereinkommen einen Staatsvertrag mit den anderen Mitgliedsländern abgeschlossen. Da diese Übereinkommen einen gesetzesändernden Inhalt haben – so wird etwa das Grenzkontrollgesetz angepaßt (siehe unten) –, bedürfen sie laut der österreichischen Verfassung der parlamentarischen Genehmigung.

Bereits heute werden jedoch verwaltungstechnische, aber auch legistische Vorleistungen zur Erfüllung dieses Staatsvertrages gemacht. So lautet zum Beispiel die Begründung der Regierungsvorlage für ein Grenzkontrollgesetz, daß durch den Beitritt zum Schengener Vertragswerk „Österreich die Verpflichtung übernommen hat, die darin festgelegten Grundsätze (...) innerstaatlich umzusetzen. (...) Mehraufwendungen in personeller Hinsicht sowie im Bereich des Sachaufwandes werden nicht durch den vorliegenden Entwurf verursacht, sondern durch die völkerrechtliche Verpflichtung Österreichs zur Umsetzung des Schengener Vertragswerkes“.

Aber auch im beabsichtigten Fremdenrechtsänderungsgesetz werden einige Bestimmungen mit der Notwendigkeit der Umsetzung des Schengener Vertrages begründet. Damit sollen Teile eines Staatsvertrages umgesetzt werden, obwohl dieser vom Nationalrat noch nicht beschlossen wurde.

Parallelaktion

Von der Bundesregierung wird der Schengenbeitritt damit begründet, daß die Beratungen im Rahmen der dritten Säule zur Umsetzung des freien Verkehrs von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital sehr mühevoll seien und das Schengener Vertragswerk diese Regelungen vorwegnehme. Österreich als Fremdenverkehrsland habe ein großes Interesse, den Reiseverkehr zu erleichtern. Dazu muß jedoch angemerkt werden, daß trotz des Inkrafttretens des Schengener Durchführungsübereinkommens es noch immer keinen freien Grenzverkehr zwischen Holland und Frankreich oder zwischen Spanien und Frankreich gibt. Außerdem wird es zwischen Italien und seinen Nachbarländern auch in Zukunft keinen freien Verkehr geben, da Italien nicht bereit ist, die strengen Anforderungen betreffend die Kontrolle an den Außengrenzen zu erfüllen. Dies bedeutet, daß auch nach Inkrafttreten der Schengenbestimmungen in Österreich (frühestens Ende 1997) allenfalls der Grenzverkehr mit Deutschland erleichtert wird, wenn von den deutschen Behörden – wie in der Vergangenheit öfters geschehen – nicht der Einwand gemacht wird, daß Österreichs Außengrenzen zu „undicht“ seien. Man muß sich also ernsthaft die Frage stellen, ob sich ein Beitritt zu einem Vertrag lohnt, wenn damit zwar der Grenzübergang zu Deutschland erleichtert wird, aber gleichzeitig entsprechend den Vertragsbestimmungen an der restlichen Grenze – das sind nahezu drei Viertel – erheblich erschwert wird. Dabei ist zu bedenken, daß durch die strengen Kontrollen an den Außengrenzen im Süden und Osten Österreichs ein zunehmender wirtschaftlicher Aufschwung in den Grenzregionen massiv behindert wird.

Bild: diE nOt

Es erscheint geradezu widersinnig, die Grenze durch das Schengener Vertragswerk zwar nicht mittels eisernen Vorhangs, aber mit Hilfe strenger Kontrollen neuerlich abzuschotten.

Schengen ist nicht gleich Reisefreiheit

Da das Schengener Vertragswerk keiner Kontrolle unterworfen ist – weder durch den Europäischen Gerichtshof noch durch das Europäische Parlament – und auch der Nationalrat bis heute nicht darüber informiert wurde, besteht der begründete Verdacht, daß vor allem deswegen das Schengener Vertragswerk forciert wird. So ist es möglich, daß der österreichischen Bevölkerung auch weiterhin vorgegaukelt wird, daß mit der Umsetzung von „Schengen“ der freie Grenzverkehr verwirklicht wird, ohne der Bevölkerung zu erklären, daß dies im besten Fall nur für einen Teil der österreichischen Grenze, nämlich für den Grenzverkehr mit Deutschland, zutrifft, während sonst weiter am neuen „eisernen Vorhang“ gearbeitet wird.

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Erstveröffentlichung im FORVM:
März
1996
, Seite 28
Autor/inn/en:

Sepp Brugger:

Sepp Brugger war als Rechtsanwalt sowie in verschiedenen Funktionen bei den Grünen tätig. Lebt heute als Pensionist und Hausmann in Matrei (Osttirol).

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