Weg und Ziel
Maria Wölflingseder

Meine Jahre bei „Weg und Ziel“

Anekdotisches und Grundsätzliches

Meine Mitarbeit bei „Weg und Ziel“ war mindestens genauso unvorhersehbar wie die politischen Veränderungen anno 1989 in Osteuropa. Trotzdem ergab sie sich. Wobei letzteres zur Voraussetzung für ersteres wurde.

Als ewig parteipolitisch unorganisierter „freischwebender kritischer Geist“ war es höchst unwahrscheinlich, daß ich jemals ausgerechnet beim „theoretischen Organ“ der KPÖ landen würde. Ein halbes Jahr bevor es dann doch soweit war, erhielt ich ungefragterweise drei „Weg und Ziel“-Probehefte zugeschickt. Ihr Aussehen und ihr Inhalt haben mich wenig angesprochen, geschweige denn „überzeugt“.

Was sich jedoch bereits Ende der achtziger Jahre sehr zum Vorteil verändert hatte, waren die Wochenendausgaben der Parteizeitung „Volksstimme“, die damals noch eine Tageszeitung war. Ich hatte 1987 einige Artikel meiner Dissertation — Esoterik-Kritik — an die Redaktion geschickt. Sie wurden erfreut aufgenommen und gedruckt. Lutz Holzinger hat sie redigiert: ich erinnere mich noch, anfänglich durfte in den Artikeln das Wort „ich“ nicht vorkommen. Später wurde diese Regel jedoch fallengelassen. Zu Michael Grabers Chefredakteur-Zeiten im Sommer 1988 habe ich eine wöchentlich erschienene dreiteilige Serie zur sich damals rapide ausbreitenden Esoterik-Bewegung geschrieben. Als sich der letzte Teil aufgrund des „Volksstimme“-Festes um eine Woche verzögerte, riefen LeserInnen in der Redaktion an und fragten, wo denn mein dritter Teil bliebe. Graber war perplex: „So etwas hat es noch nie gegeben.“

Auch den Linzer KSV brachte ich damit in Aufruhr. KSVlerInnen trafen just meine Schwester zufällig auf der Straße, nachdem sie einen Abend lang heftig diskutierten hatten, warum da einfach eine völlig parteifremde „Irgendwer“ daherkommen kann und gleich eine dreiteilige Serie schreiben darf, wohingegen sie nur ein kleines Jahreskontingent an Veröffentlichungsmöglichkeit hätten. Ob sie — meine Schwester — eine Verwandte dieser namensgleichen „Irgendwer“ sei, fragten sie sie vorwurfsvoll. Daß Nicht-Parteimitglieder in der „Volksstimme“ schreiben durften, war ein Novum, das alle — KPÖler und alle anderen sowieso — höchst erstaunte. Glasnost und Perestroika hatten also auch in der „Volksstimme“ Einzug gehalten.

Im Herbst 1991, knapp vier Jahre nachdem ich die ersten Artikel in der „Volksstimme“ veröffentlicht hatte, rief mich der mir unbekannte Stephan Ganglbauer an, dem meine Arbeiten in der „Volkstimme“ und im „Salto“ angenehm aufgefallen waren, und fragte mich, ob ich mir vorstellen könnte, in der Partei wissenschaftlich mitzuarbeiten.

In der Zwischenzeit war einiges Welt- und Mich-Bewegendes geschehen: Die Ereignisse im „realen Sozialismus“ hatten sich überschlagen, ein Großteil der KPÖ-Mitglieder hatte der Partei augenblicklich den Rücken gekehrt, und ich hatte langsam, aber sicher mein Studium der Pädagogik und Psychologie beendet — nachdem meine letzten Jahre bereits mehr mit Artikelschreiben und Vorträge halten ausgefüllt waren.

Den gläubigen Linken ist ihre Religion abhanden gekommen

Spätestens Anfang der neunziger Jahre hatte sich der Großteil ehemals Linker — in die Privatheit, in die Karriere, in die Esoterik — zurückgezogen. Die Veränderungen in Osteuropa und in der Sowjetunion haben viele Linke — auch außerhalb der KPÖ — in eine tiefe Krise gestürzt. Zu jenen „Gläubigen“, denen nun ihre Religion abhanden gekommen war, habe ich nie gehört. So war es für mich kein Problem, in der nun auf ein Minimum reduzierten Linken „näher zusammenzurücken“. Zu letzterem fühlte sich wohl auch die Partei bzw. das „Weg und Ziel“ gezwungen: es blieb gar nichts anderes übrig, als neue MitarbeiterInnen von außerhalb zu suchen. Für mich war auch Julius Mende, ein vielerorts engagiertes „Unikum“ ein Garant für ganz neue Seiten des „Weg und Ziel“. So nahm ich das Angebot der Mitarbeit an. Das blieb nicht ohne private Folgen. Für eine ganz liebe langjährige Freundin, die Anfang der achtziger Jahre der KPÖ beitrat und sie 1989 verließ, war ich eine „Verräterin“. Schmerzlich — genauso wie der Verlust meiner vielen, vielen Mitstreiter und Mitstreiterinnen seit Mitte der siebziger Jahre. Ich bin ja seit meinem 15. Lebensjahr recht umtriebig: von den Salzburger Anfängen — unter anderem mit Johannes Seitner: vor Schulbeginn Flugzettelverteilen bei der Stellungskommission des Bundesheeres, um auf den 1975 erstmals möglichen Zivildienst aufmerksam zu machen —, über Schul-, Sozialakademie- und Unipolitik, bis zu Jugendarbeit und Frauenbewegtem. Und nicht zu vergessen das Volksbegehren gegen Abfangjäger — von dem Stephan Ganglbauer einmal behauptete, es wäre ein großer Fehler der KPÖ gewesen, dieses Volksbegehren nicht mitzutragen, weil man sich auf den „star war“ konzentrieren mußte. Politisches Engagement fiel bei mir jedoch weniger „dogmatisch/gläubig/verbissen/hardcore“ als bei den meisten anderen aus. Das ist wahrscheinlich — neben meiner Entwicklungsfähigkeit — ein Grund, warum ich nach 27 Jahren noch immer zu jenen wenigen gehöre, die es „nicht lassen können“. Die meisten früheren MitstreiterInnen sind, wie bereits erwähnt, was weiß ich wohin „emigriert“. Und jene nicht zu vergessen, die mit psychischen oder gesundheitlichen Leiden — was immer die Gründe dafür sein mögen — „auf der Strecke“ geblieben sind, oder überhaupt vorzeitig freiwillig das Zeitliche gesegnet haben.

Jedenfalls muß ich mich in meinen Kreisen schon fast rechtfertigen und entschuldigen für meine „Unverbesserlichkeit“ — vor allem für meine höchst abwegige abstrakte radikale Gesellschaftskritik. Die Rolle eines faszinierenden, aber mit äußerster Vorsicht zu genießenden Kuriosums (nicht nur aus politisch/wissenschaftlichen Gründen) ist mir sicher. Aber sicher nicht angenehm.

Manchmal frage ich mich, ob ich politisch einen ganz anderen Weg hätte einschlagen können, wenn mir nicht ein Job bei „Weg und Ziel“ angeboten worden wäre. Ich bin aber zum Schluß gekommen, daß ich einer logischen Entwicklung gefolgt bin, die sich aus jahrelanger redlicher intellektueller Auseinandersetzung ergab: von der „Linkskatholikin“ zur Wertkritikerin. Genauso war es kein Zufall, daß wir kritische Geister wie Franz Schandl, Gerhard Scheit, Stephan Grigat und Robert Zöchling als „Weg und Ziel“-Autoren gewinnen konnten und wir — aus ganz verschiedenen Richtungen Kommende — im 1995 gegründeten „Kritischen Kreis“ zusammengefunden haben.

„Weg und Ziel“ — mein „Zweitstudium“

Nach meinem Studium hatte ich erst so recht Lust bekommen, Philosophie zu studieren. Stattdessen wurde „Weg und Ziel“ quasi zu meinem „Zweitstudium“. Neben vielem Politischen und Wissenschaftlichen konnte ich vor allem das Agieren von Männern in (politischen) Gruppen studieren. Zumeist keine besonders erquickliche und fruchtbare Angelegenheit. Die Redaktion war zu 99 Prozent ein „Männer-Verein“. Warum? Weil sich nicht viele Frauen für Theorie interessieren? (Wir hatten immer große Not, Frauen als Autorinnen oder Diskutantinnen zu finden.) Weil sie die ewigen Hähnenkämpfe in solch männerbündisch anmutenden Zirkeln nur noch anöden? Weil sie, wenn sie mitmachen wollten, sich den Verhaltensnormen, die die Männer vorgeben, anpassen müßten?

Auch die von mir und Julius Mende beabsichtigte Diskussion verschiedener Standpunkte im „Weg und Ziel“ hat nicht in der gewünschten Form stattgefunden, weil kaum jemand willens und fähig ist, mehr als die „Proklamation seines Standpunktes“ abzugeben. Wobei in Deutschland die Lage diesbezüglich traditionell noch viel angespannter ist: dort ist es unvorstellbar, daß sich — die meist verfeindeten — Vertreter unterschiedlicher Theorien an einen Tisch setzen. Dennoch waren wir bemüht — im Gegensatz zu den Aufgaben eines Parteisprachrohrs — Themen kontroversiell darzustellen.

Auch meine in den ersten Jahren gelungenen Versuche, verschiedene politische Gruppen (etwa KSV, akin, Virus, EKH etc.) zur Diskussion von „Weg und Ziel“-Schwerpunktthemen bei den „LeserInnen-Foren“ zusammenzubringen, sind wieder eingeschlafen — allein schon, weil aus Kostengründen in den letzten Jahren nicht mehr viele Veranstaltungen stattgefunden haben. Die zwar schon immer vorhandene „Verschrebergartenisierung“ des politischen Spektrums — vor allem auch bezüglich linker Theoriebildung — scheint sich heute noch mehr auszubreiten. Daß sich jemand auf eine „fremde“ Veranstaltung oder auf ein „fremdes“ Fest verirrt, kommt immer seltener vor.

„Steinzeitverhalten“ in Gruppen

Viele Linke verdammen den „Psycho-Scheiß“ der siebziger Jahre in Grund und Boden. Aber jener, den ich erlebt habe — zum Beispiel sogenannte gruppendynamische Reflexionen in verschiedensten politisch arbeitenden Gruppen —, ist mir jedenfalls wesentlich angenehmer in Erinnerung als das in den letzten Jahren bei „Weg und Ziel“ und in anderen linken Zusammenhängen erlebte „Steinzeitverhalten“ in Gruppen. Solches mutet manchmal schier surreal an. Wenn es nicht so kotz-unangenehm wäre, könnte man sich ob seines Kuriositätswerts gar amüsieren. Beispielsweise von der obersten Regel, die inhaltliche und die persönliche, die formelle und die informelle Ebene auseinanderzuhalten, bzw. die Gefahr ihrer Verquickung zu reflektieren, hat hier offenbar noch nie jemand gehört. Diskussionen und Entscheidungen verliefen entsprechend chaotisch, undurchschaubar und oft auch paternalistisch.

Der in den letzten Jahren rapide angestiegene beinharte Konkurrenzkampf auf Grund der angespannten ökonomischen Situation jedes einzelnen tut sein Übriges, die persönliche und die inhaltliche Ebene bis zur Unkenntlichkeit zu „vermantschen“. Inhaltliche Auseinandersetzungen können oft kaum mehr geführt werden. Kontroversielle Inhalte werden nicht mehr diskutiert, sondern geraten schlichtweg zum Kampfmittel.

In gewisser Hinsicht war jedoch auch die Verhaltenskultur der K-Gruppen in den siebziger Jahren bereits nicht „ohne“. Abgesehen von den Kämpfen untereinander, konkurrierte man auch innerhalb — beispielsweise um die härteste Sitzungsdisziplin; wessen Arsch den längeren Atem hatte, der gehörte zu den Siegern und durfte vorne/oben mitmischen. Was für mich schon aus politischen Gründen nicht in Frage kam, konnte für viele andere (in den siebziger und achtziger Jahren) allein aus Gründen der dort in besonderer Ausprägung herrschenden „Un-Sinnlichkeitskultur“ nicht in Erwägung gezogen werden: sich im KSV zu engagieren, geschweige denn, sich dort „hochzudienen“.

Kurz: Was im Fachjargon „kommunikative Kompetenz“ heißt, habe ich jedenfalls in linken Kreisen schon lange nicht mehr erlebt. Ganz im Gegenteil: Vergleichsweise kommen mir die meisten Linken überdurchschnittlich kühl, um nicht zu sagen ängstlich vor, und meist voller Vorbehalte oder Ressentiments voreinander. Auch nur ein Funken Herzlichkeit oder gar Phantasie, Poesie und Mitgefühl im Umgang miteinander ist wahrlich die Sache der Linken nicht. Alle verschwinden immer mehr hinter unpersönlichen Fassaden, die in Zeiten wie diesen, immer unabdingbarer werden. Sich Schwächen, Fehler oder gar Bedürfnisse — jenseits der Zweckrationalität dienenden — einzugestehen oder gar zu leisten, wird immer unmöglicher. Daß auch unter Linken keine gesellschaftliche Ausnahme möglich ist, ist schon einleuchtend. Aber unerklärlich ist, warum diese fehlenden „Kleinigkeiten, die einen Großteil des Lebens ausmachen“ ausgerechnet bei Linken viel unterentwickelter sind als bei anderen. Und noch unverständlicher ist, welch schwer zu leugnender Zusammenhang zwischen linken DenkerInnen (auch jenen von höchst brauchbaren, richtigen und wichtigen Theorien) und — euphemistisch ausgedrückt — ihrer Verkorkstheit besteht. Niemand konnte mir darauf je eine Antwort geben. Selbstverständlich sind solch Fragen schlicht tabu. Außer Julius Mendes gelegentliche Bemerkungen über dergleichen wahrlich erstaunlichen Umgang miteinander, gibt es keinerlei Anzeichen dafür, daß diesen zu hinterfragen jemand der Mühe wert fände.

Oder habe ich da etwas falsch verstanden? Zwingt analytisches Denken weitgehend zur „emotionalen Abstinenz“? Fürchten AnalytikerInnen, daß ihre haarscharfen Analysen durch Gefühle verwackelt werden könnten?

Keine Reflexion des „Privaten“?

Ganz allgemein werden die Bedingungen der persönlichen Verhältnisse zwischen den Menschen, und manchmal auch die Auswirkungen, kurz in den Artikeln angesprochen und natürlich immer mitgedacht. Aber explizit wird das „Private“, das „Persönliche“ wenig theoretisch durchleuchtet. Auch unsere tägliche Praxis — materielle wie psychische Fragen, Ängste, Sorgen, Nöte, kurz der tägliche (Über-)Lebensk(r)ampf — wird kaum oder gar nicht reflektiert — hinsichtlich unseres täglichen „Tun-Müssens“. Darüber hinaus mutet der persönliche Umgang richtiggehend „leblos“, verschroben, verklemmt oder gar feindselig an — nämlich wie in diesem Ausmaß sonst kaum wo! (Ich bin nämlich auch, was die Verschiedenheit der Menschen, mit denen ich verkehre, anbelangt, recht umtriebig. Viele Linke scheinen ja fast nur unter ihresgleiches zu bleiben.)

Daß Theorie abstrakt sein muß, ist klar, aber muß deswegen alles Private und Persönliche — wie Usus — ins stille Kämmerlein gedrängt und darin versperrt werden? Hat all das bei Linken außer in Form von schweigendem Pragmatismus nichts zu suchen. Es mutet völlig obskur an, wie Linke einen Großteil dessen, was das Leben ausmacht, schlicht „über-privatisieren“, ihn durch Nichtreflektieren, durch schlichtes Ausklammern aus unserem abgespaltenen „Polit- und Wissenschaftsleben“ noch tiefer ins Private, und somit auch ins Verschweigen drängen. Natürlich soll das Private privat sein, aber seine Bedingungen gehören öffentlich gemacht und reflektiert.

Warum soll/muß ich mich dem angespannten, eisigen, unlustigen Klima in der Linken aussetzen? Ist das eine conditio sine qua non? Eine Bedingung, ohne die es nicht geht? Jedenfalls führe ich immer mehr ein regelrechtes Doppelleben: einerseits in der Linken, andererseits „ganz woanders“, ganz wie anders.

Wovon ich mich allerdings deutlich distanziere: Alles, was da so im Zuge von political und sexual correctness daherkommt und mittlerweile darüber hinaus weit verbreitet ist: diese Opfergebärdung und letztlich der Schrei nach (staatlich überwachter) „Zucht und Ordnung“ ist für mich in keinster Weise eine alternative Umgangsform. Ich rede auch keiner „linken Sozialarbeit“ das Wort oder gar einer „Politik aus dem Bauch“. Und den Vorwürfen von Postmodernen an Wertkritikern — letzteren Theorie quasi als persönliche Schwäche aufgrund ihres „freudlos grauen Lebens“ und ihrer „Verkniffenheit“ auszulegen — kann ich nicht einmal Unterhaltungswert abgewinnen.

Julius Mende hat einen Schwerpunkt fürs kommende Jahr vorgeschlagen: „Politik und Lebensweise“, darin hätte dieses allseits ignorierte Thema behandelt werden sollen.

Theoriefeindlichkeit

Noch mehr befremdet mich jedoch so manche Theoriefeindlichkeit, die sich gerade letzterdings verstärkt breit gemacht hat. Daß ganz allgemein die Zeiten für linke Theorie keine guten sind, macht sich klarerweise schon seit Jahren bemerkbar. „Weg und Ziel“ war vielen zu theoretisch, zu abstrakt. Jedoch waren das meist LeserInnen, die — in den Zwängen des Alltags ihre „Realitätstüchtigkeit“ beweisen müssend — nie wirklich Gelegenheit hatten, sich den „Luxus“ theoretischer Studien zu leisten. Luxus insofern, als Theorie viel Zeit, Ruhe und Konzentration erfordert. Theorie ist nicht nur in dieser Hinsicht dem Alltag diametral entgegengesetzt. Sie folgt auch ganz anderen „Regeln“ als der Alltag. [1]

Daß aber auch WissenschaftlerInnen, die mit Theorie an sich vertraut sind, diese plötzlich gegen Moral ausspielen, verwundert einigermaßen. Offenbar, haben wir es nicht geschafft, zu vermitteln, wozu Theorie gut ist. Manche meinen, etwas erklären hieße etwas rechtfertigen. Alles was nicht auf der herkömmlichen dualistischen Schiene von gut versus böse abgehandelt wird, wird als eitel und selbstverliebt, als Ignoranz gegenüber den Opfern von gesellschaftlichen Verhältnissen verteufelt. Warum wird der Bote einer schlechten Nachricht geschlagen? Als ob er das Unglück verursacht hätte. Oder werden mißliebige Theorien einfach als „selbstherrlich“ abgetan?

Insbesondere wenn es um Opfer des Nationalsozialismus oder des Neo-Rassismus geht, tritt bei vielen eine völlige Verengung des Blickwinkels ein — um nicht zu sagen eine Mystifizierung und Emotionalisierung. Als ob Rassismus nicht Teil der allgemeinen kapitalistischen Mensch- und Naturvernichtungslogik wäre, der tagtäglich unzählige Menschen zum Opfer fallen. Könnte es sein, daß dieser „alltägliche, gewöhnliche“ Wahnsinn zu „ungreifbar“, zu „beliebig“ ist? Möchte man sich lieber über etwas „Konkretes“ moralisch entrüsten — über Opfer des Faschismus und des Rassismus; gar moralisch entrüsten, um der Moral willen, oder um das Gewissen zu beruhigen. Analog dazu wird Haider und die FPÖ zum Popanz stilisiert, ohne die gesellschaftliche Gesamtentwicklung (Stichwort: Festung Europa) zu erkennen; diese wird durchgezogen — egal von welcher Partei.

Ganz allgemein muß festgestellt werden, wie tief Moral und Glaube in der Linken verwurzelt sind. Das läßt sie theoretische Analysen als abgehoben und realitätsfern abqualifizieren. Linke meinen, mit der Verurteilung des Bösen, mit der Solidarität mit den Opfern und mit Forderungen nach allem Guten sei es schon getan. Und wenn dann TheoretikerInnen unser ganzes System überhaupt in Frage stellen, und meinen, eine emanzipatorische Perspektive sei innerhalb von Demokratie und Marktwirtschaft nicht mehr möglich — seien sie noch so „offensiv“, „basisnahe“ und „zivilgesellschaftlich“ — dann ist der wärmende Ofen für die meisten sowieso aus.

Ich habe über dreizehn Jahre lang biologistische und sogenannte esoterische Ideologien analysiert. Letztlich mußte ich feststellen, daß sich Esoteriker und Linke in ihrem jeweiligen unerschütterlichen Glauben und in ihrer jeweiligen Moral sehr ähnlich sind. Linke glauben an die Solidarität, an die Möglichkeit, durch Gesetze oder durch guten Willen zu einer menschlichen Gesellschaft zu gelangen. Und beider Denken ist immer rückwärts gewandt: das der Esoteriker in vorkapitalistische Zeiten, als die Welt noch in (göttlicher) Ordnung war; das der Linken in Zeiten des Arbeiterklassenmarxismus oder sie beharren schlicht auf dem, was bereits am Untergehen ist. Psychologisch betrachtet, kann das nur als eminente Angst vor allem Neuem, vor allem Unbekannten verstanden werden. Das Alte ist hingegen vertraut.

Schließlich dominieren sowohl bei Linken als auch bei Esoterikern Füllhörner, die sie aber als das Gute selbst erkannt haben wollen. Ist das bei den einen vor allem Religion, Spiritualität oder Ökofeminismus, ist es bei den anderen in erster Linie die Demokratie. Wie Füllhörner es aber so an sich haben, können sie mit allem Möglichen gefüllt werden — sie sind alles andere als per se ein brauchbarer Inhalt. [2]

Nochmals zu „Weg und Ziel“

Um noch etwas ganz anderes und Erfreulicheres zu berichten. Große Erfolge meiner Jahre bei „Weg und Ziel“ waren die beiden Symposien zu den Themen „Biologismus — Rassismus — Nationalismus“ und „Nation = Nationalismus?“ in den Jahren 1994 und 1995, die „Weg und Ziel“ gemeinsam mit anderen Organisationen plante und durchführte — sowie das daraus hervorgegangene Buch „Biologismus — Rassismus — Nationalismus“, das ich gemeinsam mit Gero Fischer herausgegeben habe.

Meine Teilzeit-Tätigkeit bei „Weg und Ziel“ war letztlich eine gute Möglichkeit, auch weiterhin meiner stark nachgefragten Arbeit als Esoterik-Analytikerin und -Kritikerin nachzukommen. Diese beiden Tätigkeitsbereiche ergänzten sich hervorragend. Einerseits was meine Zeiteinteilung betraf, andererseits was die Kontakte vor allem nach Deutschland anbelangten, wohin ich zu vielen Vorträgen eingeladen worden bin — (als es noch Geld dafür gab. Heute rufen StudentInnen an, um mich an die Uni einzuladen, nur kriegen sie nirgendwoher Geld dazu.)

Apropos Geld. Da wären wir schon wieder beim höchst Unerfreulichen. Ah ja, das „Weg und Ziel“ wird eingestellt. Wer die KPÖ zumindest ein bißchen kennt, findet es wahrscheinlich müßig, darüber Worte zu verlieren. Es haben zwar viele nicht glauben können, daß die Partei tatsächlich ihr langjähriges, nicht unrenommiertes Theorie-Organ einstellen wird. Aber wenn Wahlkämpfe (für 22.016 Stimmen bei den letzten Nationalratswahlen), die Millionen und Abermillionen kosten, das Wichtigste sind, erübrigt sich jede Debatte. Außer ein paar Kanditaten und dem Wahlzirkus wird dann halt bald nichts mehr übrigbleiben. Die Wahlwerbe-Argentur wird sich freuen. Im übrigen schließe ich mich dem bereits von Lutz Holzinger in diesem Heft Geschriebenen an — insbesondere dem, was er im letzten Absatz über das ungebrochene Primat der Politik sagt.

Arbeitslos oder joblos?

Kurz vor Weihnachten erfuhr ich, daß mein Job ersatzlos gestrichen wird. Kurz nach Weihnachten und Silvester lautete die häufigste an mich gestellte Frage mit eigenartigem Unterton: „Na, und weißt du schon, was du jetzt machst?“ Ich werde den Eindruck nicht los, daß meine Joblosigkeit, die Existenzangst der anderen stark erhöht. Wohl die viel zitierte Angst der Noch-nicht-Arbeitslosen. Gerade in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit, scheint man aber ohne Job für viele kein („richtiger“, kein ernstzunehmender) Mensch mehr zu sein. Außerdem sollte es natürlich ein reputierlicher Job sein. Es ist wirklich erstaunlich, wieviele Menschen — selbst gebildete und studierte — ihre Identität, ihren Selbstwert hauptsächlich über ihren Job beziehen.

Ich kontere auf ihre Frage: „Als allererstes werde ich mir mal überlegen, was ich nicht machen will.“ Mir antworten nämlich so manche auf die Nachfrage nach ihrem Wohlergehen anläßlich der Ödheit ihres Jobs aus tiefstem Herzen: „Naja, das Leben ist jetzt vorbei.“ Diesen Eindruck habe ich von einem Großteil der Menschen. Die Folgen: Krankheiten, Erschöpfung und „Asozialität“ (letzteres: Zitat derer, die vor lauter Arbeit kaum mehr Zeit für andere haben).

Für mich besteht natürlich ein gravierender Unterschied zwischen Arbeits- und Joblosigkeit — was absurderweise immer schwierger wird, jemandem klarzumachen. Arbeit habe ich genug. An spannenden Tätigkeiten fehlt es mir wahrlich nicht: Wissenschaftliches, Literarisches, Fotografisches, Sprach(en)liches und vieles andere harrt geduldig der Verwirklichung. Einen Job braucht man nur fürs Geld. (Geldmachen-Müssen birgt viele Gefahren. Wie meinte ein berühmter Sänger: „Liebe und Musik sind Himmelsmächte, aber wenn man sie für Geld macht, kommt man damit in die Hölle.“)

Ich hoffe, für mich ist das Leben nicht vorbei — ob mit oder ohne Job und im Gegensatz zu den vielen, die sich fast nur mehr als „Arbeitsmarionetten“ wahrnehmen. Beruhigend ist nur, Literarisches Schaffen war ja immer schon ziemlich brotlos. Wenigtens hier gibt’s kein altersbedingtes Zuspätkommen.

Vermutlich werde ich immer zwischen allen Stühlen sitzen, oder auf den Stuhlkanten balancieren und konsequent deviante Fragen stellen. Mein kindlicher Berufswunsch war schließlich Seiltänzerin, wie es eine im Buch vom „Esel Moro“ zu bewundern gab.

[1Vgl. Maria Wölflingseder: Warum der Alltag grau ist, in: „Mitbestimmung“ 1/1998, S. 30-35. Sowie: Franz Schandl: Der Kapitalismus und du, in: „Streifzüge“ 2/1997, S. 3-7.

[2Vgl. Maria Wölflingseder: Esoterik und die Linke, in: AntiVisionen (Hg.), Schicksal und Herrschaft, Broschüre, Hamburg 1999, S. 68-77. (Erhältlich nur bei: rat — reihe antifaschistischer Texte, c/o Schwarzmarkt, Kleiner Schäferkamp 46, D-20357 Hamburg, gegen 10 DM Vorkasse. In Wien: in den Buchhandlungen Winter und Südwind.)

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Erstveröffentlichung im FORVM:
Januar
2000
, Seite 0
Autor/inn/en:

Maria Wölflingseder:

Geboren 1958 in Salzburg, seit 1977 in Wien. Studium der Pädogogik und Psychologie. Arbeitsschwerpunkt: Kritische Analyse von Esoterik, Biologismus und Ökofeminismus; zahlreiche Publikationen. Bei den Streifzügen seit Anbeginn. Mitherausgeberin von „Dead Men Working“ (Unrast-Verlag, 2004). Nicht nur in der Theorie zu Hause, sondern auch in der Literatur, insbesondere in der slawischen. Veröffentlichungen von Lyrik sowie Belletristik-Rezensionen.

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