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Roland Jahn • Gerhard Jordan • Toni Wenisch

Leben in Frieden = Friede mit der Natur

Interview mit Roland Jahn

Roland Jahn wurde 1953 in Jena (DDR) geboren (Vater: wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Zeiss, Mutter: Buchhalterin), wo er auch die „Johannes R. Becher“-Oberschule besuchte. Nach Ableistung seines Militärdienstes 1972 bis 1974 begann er im Herbst 1975 das Studium der Wirtschaftswissenschaften an der „Friedrich Schiller-Universität“ in Jena.

Anfang 1977 wurde er wegen seiner kritischen Haltung — er hatte unter anderem öffentlich gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns protestiert — aus der Universität ausgeschlossen und war seither als Transportarbeiter bei Zeiss tätig. Am 1. September 1982 wurde er verhaftet, nachdem er mit einer Polen-Flagge durch die Stadt geradelt war, ihm wurde „Mißachtung staatlicher Symbole“ vorgeworfen. Bis Ende Februar 1983 war er im Gefängnis. Nach seiner Freilassung nahm er unter anderem mit der „Friedensgemeinschaft Jena“ an Kundgebungen zum 38. Jahrestag der Bombardierung der Stadt am 18. und 19. März teil. Am 7./8. Juni 1983 wurde er gegen seinen Willen gewaltsam in die BRD abgeschoben und lebt derzeit in Westberlin.

Ende August war Roland Jahn auf Einladung der Österreichischen Hochschülerschaft in Wien. Mit ihm und Matthias Reichl, der im Juli 1983 am evangelischen Kirchentag in Dresden teilgenommen hatte, machten Toni Wenisch und Gerhard Jordan das folgende Interview.

Wurzelwerk: Was soll die Friedensbewegung im Westen machen, um die Gruppen im Osten zu unterstützen? Was haltet Ihr von solchen Aktionen, wie sie die „Grünen“ am 12. Mai in Ostberlin gemacht haben? Fünf Bundestagsabgeordnete hatten auf dem Alexanderplatz Transparente mit der Aufschrift „Schwerter zu Pflugscharen“ und „Abrüstung in Ost und West“ entrollt, worauf sie verhaftet und kurz darauf nach Westberlin zurückgeschickt wurden. Da gab es ja Kritik von Seiten der SPD. Gab es Aktionen, die Euch geschadet haben?

Roland: Ich und ein Großteil meiner Freunde haben diese Aktion sehr positiv aufgefaßt. Erst mal muß jeder das Recht haben — egal wo er ist —, diese Forderung (Schwerter zu Pflugscharen), die nur dem Erhalt der Menschheit dient, zu äußern. Dabei darf man nicht fragen, wie das auf irgendwelche politische Parteien wirken könnte. Das ist eine legitime Forderung, nämlich die nach einem friedlichen Leben und das darf man nicht mit politischem Taktieren versuchen abzuwerten.

Wobei es natürlich besser war, daß das Kelly und Bastian, also Mit-Initiatoren des „Krefelder Appells“ waren, als ein Franz-Josef Strauß ...

Roland: Genau. In der Hinsicht war hier Authentizität gegeben. Zu den Auswirkungen kann ich nur sagen, daß diese Aktion für uns Spielraum eröffnet hat, uns Möglichkeiten der Argumentation geliefert hat. In der Auseinandersetzung mit staatlichen Stellen, aber auch, wenn es um die FDJ-Organisationen geht, wo viele suchende Menschen sind, die auf Widersprüche ganz sensibel reagieren, können wir sagen, daß das, was wir wollen, eigentlich das gleiche ist, was auch die Leute aus der BRD wollen: nämlich Abrüstung in Ost und West. Es gibt zwei Möglichkeiten, wie sich solche Aktionen auswirken: entweder wird unser Spielraum vergrößert oder die Regierung entlarvt sich. Und so wie es in Jena war, hat sich die Regierung entlarvt. Indem sie mir dasselbe Plakat, das Petra Kelly getragen hat, entreißt und mir die Nase blutig schlägt, beweist sie, daß es ihr nicht darum geht, Friedensforderungen zu dulden, sondern darum, jeder widersprüchlichen Regung im Staat Einhalt zu gebieten und das zu unterdrücken. Man hat Angst, daß aus dem Deuten der Widersprüche sich eine Bewegung entwickelt, die zwangsläufig die gesamte Machtstruktur in Frage stellt. Deswegen wendet man sich speziell gegen Leute, die nicht kompromißbereit sind — was die Kirche schon ist — und gegen Leute, die auch außerhalb der Kirche arbeiten. Das ist in Jena der Fall gewesen. Man versucht diese Leute einzuschüchtern und aus dem Land zu vertreiben.

Matthias Reichl: Die Taktik von Zuckerbrot und Peitsche beherrschen sie ja ziemlich gut, nur vom Zuckerbrot merkt man halt wenig. Gibt es aber nicht diese Doppelstrategie, daß man einerseits gewisse Freiräume schafft, gerade auch in der Kirche, aber andererseits gegen unabhängige Gruppen als abschreckendes Beispiel auch schärfer vorgeht?

Roland: Ich seh das so: mit Zuckerbrot und Peitsche hat das nichts zu tun. Das kommt daher, daß man ein Ventil braucht. Wenn man sieht, daß sich da etwas aufstaut und man öffnet keines, dann platzt’s. Die Kirche ist da ein geeignetes Ventil, da die Kirchenleitung auf Ausgleich bedacht ist. Die Kirche versucht also nur das, was machbar ist. Konkret heißt das, sie zensiert Kirchenveranstaltungen selbst. Am Kirchentag in Dresden wurden bestimmte Stände von der Kirchenleitung selbst abgeräumt. Da heißt es dann, man gefärdet sonst die ganze Veranstaltung, wenn marı bestimmte Kritiken duldet. Oder: die Kirche versucht in internen Verhandlungen einzelne Wehrdienstverweigerer aus dem Gefängnis zu bekommen, setzt sich aber nicht genügend für die Forderung nach „Sozialem Friedensdienst“ ein, die eine generelle Lösung in dieser Frage anstrebt.

Matthias: Es gibt da diese Idee der „persönlichen Friedensverträge“, die z.B. Wehrdienstverweigerer aus einem östlichen und einem westlichen Land miteinander schließen, indem sie erklären, nicht aufeinander zu schießen und mit der Abrüstung schon im Kinderzimmer zu beginnen. Was können wir den Friedensgruppen vorschlagen, wie können wir Kontakte am besten knüpfen?

Roland: Ich finde es wichtig, wenn Kontakte da sind, ganz persönlich, und da kann es sich auch ergeben, daß Friedensverträge zustandekommen, aus dem persönlichen Gespräch heraus. Es kann natürlich nur so laufen, daß Leute aus dem Westen in östliche Länder reisen. Als Kontaktmöglichkeiten sind durchaus die Veranstaltungen der evangelischen Kirche zu sehen, speziell bestimmte Friedenswerkstätten oder Kirchentage, wo man Kontakte zu solchen Menschen in der DDR finden kann. Denn die evangelische Kirche trägt doch organisatorisch den Großteil dessen, was an Friedensarbeit abläuft. Es existieren natürlich drumherum und auch extrem losgelöst von dieser Kirche viele Gruppen. Aber im Endeffekt tritt selbst für diese die Kirche als Vermittler auf, mit Kommunikationsmöglichkeiten und so weiter.

Matthias: Eine Frage zum „Sozialen Friedensdienst“ — es gibt doch in der DDR das Argument: im Warschauer Pakt sind wir schon in einer privilegierten Lage, weil wir den Bausoldatendienst haben, wir können also nicht zusätzlich den „Sozialen Friedensdienst“ fordern, weil wir dann Schwierigkeiten im Bündnis kriegen würden.

Roland: Das wird dort vertreten. Es mag sein, daß manche das sogar glauben. Ich denke, daß es daraum geht, die Armee als Disziplinierungsfaktor zu erhalten. Wenn das nicht mehr funktioniert, hat man Anggst, daß die ganze Gesellschaft nicht mehr funktioniert. Der Militarismus ist ja nicht nur eine Frage der Armee. Im Prinzip ist die ganze Gesellschaft geprägt durch militärische Strukturen, durch Disziplinierung und Entmündigung der Bevölkerung. Da braucht man solche Instrumente wie die Armee, aber auch die vormilitärische Ausbildung. Das beginnt ja schon in den Schulen und sogar in den Kindergärten. Das ist der Militarismus im Alltag. Nicht umsonst hat sich die Friedensbewegung in der DDR wesentlich aus dieser täglich empfundenen Bedrohung heraus entwickelt. Natürlich spielen da auch die Atomwaffen und die Hochrüstung im allgemeinen eine Rolle. Aber gerade diese Alltäglichkeiten, die jeder richtig nahe spürt, machen die Bedrohung deutlich.

Wie schätzt Du den Einfluß der westlichen Friedensbewegung in dieser Hinsicht ein, was die Sensibilisierung gegenüber dem Militarismus betrifft?

Roland: Der ist stark. Die Publizität und die bewußte Ausnutzung der westlichen Friedensbewegung in der Propaganda der offiziellen Stellen in der DDR hat dazu beigetragen, daß sich Menschen intensiver mit der Problematik auseinandersetzen. Mit einer gewissen Konsequenz kommen sie da zu Gedanken, die auch der DDR-Führung nicht so genehm sind. Aus diesem Widerspruch zwischen der Friedenspropaganda und der alltäglichen militaristischen Praxis kommen auch die autonomen Friedensgruppen. In der DDR heißt es ja, wir brauchen keine Friedensbewegung, die ganze DDR ist eine Friedensbewegung, weil die Regierungspolitik Friedenspolitik ist. Aber was ist das für eine Friedenspolitik, wo tagtäglich der Krieg vorbereitet wird?

Weißt Du Näheres über den Anteil der Rüstungsindustrie in der DDR?

Roland: Ganz konkret kann ich da nichts sagen, außer, daß in fast allen Großbetrieben auch für Rüstung produziert wird, auch in dem Betrieb, wo ich gearbeitet habe. Es ist so, daß es viele Dinge gibt, wo man gar nicht mehr weiß, daß das da einfließt — die ganze Elektronik usw. Die Idee der Verweigerung der ganzen Sache ist gut, bloß die meisten wissen nicht, was sie machen. Das ist in der DDR natürlich noch krasser als hier. Sie machen manchmal den Fehler, daß sie irgendetwas der Geheimhaltung unterstellen und da merkt man erst, daß was faul ist. Da könnte man natürlich ansetzen, aber den Leuten gehts dann um materielle Dinge: die in den Rüstungsabteilungen arbeiten, werden materiell bevorzugt, speziell bei so wichtigen Dingen wie Wohnungsvergabe usw., Dingen, die das ganze Leben prägen. Man merkt nicht, daß man mit dem, was man produziert, eigentlich sein Leben mitzerstört oder jedenfalls der Gefahr aussetzt, daß es mitzerstört wird. Jede Rakete, die im Osten stationiert wird, ist genauso ein Schritt hin zum atomaren Inferno wie im Westen. Denn wenn der Krieg ausbricht, wird er sich verselbständigen und es wird keine Sieger mehr geben.

Matthias: Auf der Hinreise in die DDR war ich in Prag, zwei Tage nach dem Weltfriedenskongreß und es waren überall, in allen Schaufenstern, Plakate, Friedenstauben ich habe noch nie so oft das Wort „Frieden“, in dem Fall „Mir“ gelesen. Ich möchte fast sagen, es müßte vielmehr „Wir“ und „Dir“ heißen, dann wär’s auch ein Frieden, der mir taugt. Ich habe mit einigen Leuten diskutiert, die in der Gewerkschaft und in der Partei reformistisch tätig sein wollen; da kommt schon ein bißchen die grundsätzliche Spannung zum Vorschein zwischen Reform und Fundamentalopposition. — Wie siehst Du das?

Roland: Wenn ich Opposition sehe als das, was sich gegenübersteht, dann muß ich eigentlich sagen, wir sind dafür — nämlich für den Frieden —, und der sich gegen uns stellt, das ist der Staat. Also der Staat steht in Opposition zu uns und nicht wir zu ihm. Wir wollen in Frieden leben, aber das heißt auch ein Leben in Gemeinsamkeit, unter Achtung der Würde der Persönlichkeit, ohne Lüge, ohne Unterwürfigkeit, ohne Entmündigung der Menschen. Die bestehenden Machtstrukturen in der DDR sind nicht geeignet, ein friedliches Leben der Menschen zu gewährleisten, also müssen wir auf Veränderungen drängen. Möglich ist das nur mit einer gesamtgesellschaftlichen Alternativbewegung.

Du hast das Thema Alternativbewegung angeschnitten — wie äußert sich die in der DDR?

Roland: Solche Bewegungen entstehen aus dem Wissen um diese Dinge. Ökologiebewegung gibt es in der DDR dort, wo die Leute direkt spüren, daß ihre Umwelt zerstört wird. In der DDR herrscht das Primat der Ökonomie. In letzter Zeit hat sich das verstärkt, daß sich Leute zusammenfinden und sich als Ökologiebewegung verstehen. Auch in der Friedensbewegung spielt das eine Rolle, weil leben in Frieden bedeutet eben auch in Frieden mit der Natur leben. Als Bewegung ist das noch nicht so stark. Aber es ist schon etwas da, die Leute setzen sich gedanklich damit auseinander. Ich finde, daß alle diese Bewegungen ungeheuer groß sind als Bewegungen in den Menschen drinnen, daß es aber darauf ankommt, daß die Leute es nach außen tragen und auch zu Organisationsformen finden. Was Atomkraftwerke und Umweltverschmutzung betrifft, so fehlen einfach die Informationen und die Öffentlichkeit, um entschiedener dagegen vorgehen zu können. Was da geschieht, steht unter strenger Geheimhaltung. Wenn da was nach außen dringt, wenn jemand sich da mit konkreten Zahlen einsetzen würde, der könnte sofort ins Gefängnis kommen wegen Geheimnisverrat. Was Umweltfragen betrifft, muß ich sagen, daß das Umweltbewußtsein der Einzelnen — obwohl sie um die Problematik wissen und sich sogar damit auseinandersetzen — gering ist. Das fängt bei den Autos an und bei den anderen Dingen des täglichen Lebens. Es sind nicht nur die Schlote von bestimmten Industriebetrieben, die die Umwelt verschmutzen. Es geht auch um die Verbraucher dieser Produkte. An der Umweltzerstörung hat jeder seinen geringen Anteil. In den Friedensfragen ist das anders. Da hat die Auseinandersetzung um die Friedenserziehung fördernd gewirkt auch auf die ganzen zwischenmenschlichen Beziehungen. Der Gedanke: der Friede muß gelebt werden — und: bei uns damit anfangen, dieser Gedanke ist da und das wird zu praktizieren versucht. Das geht hin bis zur Gewalt gegen Kinder. Das sind ja die Dinge, die das Leben prägen. Da wird das produziert, was dann später, wenn die Kinder erwachsen sind, die Form der Auseinandersetzung kennzeichnet.

Gibt es eigentlich so etwas wie eine Dritte-Welt-Solidarität unter den unabhängigen Fredensgruppen in der DDR?

Roland: Das wird auf alle Fälle mitreflektiert. Es wird so argumentiert, daß es nicht zum Krieg kommen muß, um Menschen zu töten, sondern daß die Rüstung bereits Menschen tötet, nämlich in der Dritten Welt, gerade dort verhungern viele Menschen oder sterben an Krankheiten, die durch gezielte Entwicklungshilfe schon lange hätten beseitigt werden können. Man nimmt praktisch der Dritten Welt was weg und könnte es doch geben. In diesem Zusammenhang gibt es eindeutige Gedanken der autonomen Friedensgruppen, und natürlich auch Unterstützung im Rahmen der evangelischen Kirche, wo ganz einfach auch gesammelt wird. Aber es besteht auch die Forderung, daß ganz konkrete Gelaer für bestimmte Rüstungsausgaben zweckgebunden in Entwicklungsgebiete gegeben werden sollten.

Auffällig ist Deine kritische Haltung zum System hier im Westen. Wir haben da bei Emigranten aus dem Ostblock schon anderes erlebt, von Naivität gegenüber dem „freien“ Westen bis hin zum blinden Pro-Amerikanismus ... Wie wird der Westen von den Leuten in den DDR-Friedensgruppen Deiner Meinung nach gesehen?

Roland: Die Leute in der DDR-Friedensbewegung sind interessiert an allen politischen Entwicklungen. Sie setzen sich damit auseinander, speziell mit dem, was in der BRD passiert. Außerdem sind die Informationsmöglichkeiten größer.

Es soll ja in der DDR Wohnblöcke geben, die neu gebaut werden, wo ZDF-Anschluß schon mit eingebaut wird.

Roland: Ja, man hat die Sache ganz ökonomisch betrachtet: Es hat sich jeder eine Fernsehantenne für zwei oder drei Programme gebaut und dann hat man gesehen, daß das wahnsinnig in die Buntmetallreserven geht — es waren alles Messingantennen —, und da dachte man, es ist wirtschaftlich besser, wenn man auf so einen Neubau-Wohnblock eine große Gemeinschaftsantenne setzt und das einfach anschließt. Man hat da riesige Materialeinsparungen und gucken tun sie sowieso ... also die Ökonomie hat da den Vorrang vor der Ideologie.

Wahrscheinlich ist „Dalli Dalli“ und Kulenkampff auch im Osten systemstabilisierend ...

Roland: Selbstverständliich. Man kann schon behaupten, daß das Westfernsehen eigentlich so wirkt. Diese Flucht in den privaten Alltag, das ist durchaus systemstabilisierend. Jedenfalls — die Informiertheit der Leute, die sich politisch beschäftigen, die schätze ich in der DDR größer ein als in anderen östlichen Ländern. So eine Blindheit wie z.B. bei vielen Polen sehe ich da nicht. Ich sehe da eher eine ganz kritische Auseinandersetzung. Ich persönlich lehne die westliche Gesellschaftsordnung ab. Ich sehe da einfach in dem Streben nach Profiten den ganz entscheidenden Punkt, warum weiter aufgerüstet wird. Die Amerikaner werden ihren Raketenbeschluß auf jeden Fall durchsetzen wollen, weil die Industrie, die die Raketen produziert, davon nicht abgehen wird. Da müßte eigentlich viel deutlicher gefragt werden, warum gerüstet wird. — Im Osten ist es zwar nicht ganz so, aber man muß es doch analog sehen. Der bestehende Militärapparat will sich selbst erhalten. Diejenigen, die dort über die Rüstung entscheiden, die ziehen auf ihre Art die Profite heraus. Der General, der das Schwert goldglänzend voranträgt und ein schönes Leben hat, der ist ganz natürlich gegen die Losung „Schwerter zu Pflugscharen“, denn sonst muß er den Pflug ziehen und schwitzen. Verdienen im kapitalistischen Sinn tut niemand an der Rüstung in der DDR.

Ihr seid ja ständig in Gefahr, von den westliche Medien mißbraucht zu werden — kannst Du kurz sagen, wie Ihr als ehemalige Mitglieder der Friedensgemeinschaft Jena zur NA TO-,„Nach“rüstung steht?

Roland: Wir haben eigentlich schon immer eine eindeutige Stellung zur NATO-„Nach“rüstung gehabt, und die wird sich hier nicht ändern. Es wird vielleicht bessere Wirkungsmöglichkeiten geben, wir brauchen das nicht mehr von der Ferne zu machen, wir können uns auch mal vor eine Kaserne setzen. Aber: auch wenn das einige Medien so darzustellen versucht haben, daß wir nur gegen SS-20 und andere russische Raketen wären — uns ging es immer um Abrüstung in Ost und West, und das werden wir, egal wo wir sind, dokumentieren. Die andere Sache ist die, daß wir uns hier nicht als Exilgemeinschaft verstehen, sondern viele haben diesen Schritt hierher in den Westen gemacht — als ein Ende eines Vertreibungsprozesses zwar, aber es war doch ein Entschluß, wegzugehen, und deshalb kann diese Form der Gemeinschaft, die uns in der DDR zusammengefügt hat, nicht so weiterexistieren. Es wird jeder sich irgendwo einsetzen, in vielfältiger Form, in Friedesninitiativen. Aber es wird nicht die Friedensgemeinschaft Jena jetzt hier in Westberlin z.B. existieren. Die gibt es weiter in Jena. Wir können versuchen, unsere Erfahrungen, die wir in der DDR gemacht haben, hier im Rahmen der internationalen Friedensbewegung einzubringen. Selbstverständlich hat man noch viele Bindungen an die DDR, man hat dort sehr viele Freunde gehabt und die Bindungen werden weiterhin bestehen. Speziell bei mir ist es so, daß ich am unfreiwilligsten gegangen bin. Bei mir ist die innerliche Verbindung in die DDR noch enger und ich hoffe auch immer noch, daß ich zurückkehren kann, weil es mir nicht nur um die Sache geht, sondern auch um das Land.

Du möchtest also noch versuchen, zurückzukehren — siehst Du da irgendwelche Chancen? Würde Dir stärkere internationale Solidarität helfen, z.B. wenn die westliche Friedensbewegung Deinen Fall nicht in Vergessenheit geraten läßt und auch in Gesprächen mit offiziellen DDR-Stellen, Friedensräten usw. immer wieder darauf hinweist?

Roland: Das würde mir auf alle Fälle nützen, und auch denen, die der Gefahr ausgesetzt sind, daß das gleiche mit ihnen geschieht. Selbst wenn man bei mir nicht nachgibt, wird man vielleicht den nächsten nicht wieder auf diese Art und Weise abtransportieren aufgrund dieser Proteste, und deswegen müssen diese Proteste ständig weitergehen und die Dinge immer beim Namen genannt werden. In dem Zusammenhang bin ich auch froh über die Erklärung der österreichischen Friedensbewegung vom 12. Juni und ich möchte all denen danken, die diese Resolution unterstützt haben; sie helfen nicht nur mir dabei, sondern gerade denen, die in der DDR leben und sich dort auseinandersetzen mit den Fragen des Friedens.

Besteht die Gefahr, daß es zu einer Taktik der DDR-Regierung wird, unliebsame Personen abzuschieben?

Roland: Es ist seit Jahren eine Taktik, daß man die Leute vertreibt ...

Und gleichzeitig aber eine Berliner Mauer hat!

Roland: Ja, man braucht gute Arbeitskräfte, aber man kann diejenigen nicht gebrauchen, die das Spiel, das dort betrieben wird, nicht mitspielen wollen und einfach mal Nein sagen. Die versucht man dann mit Methoden, die man nur als Vertreibung bezeichnen kann, außer Landes zu bringen. Das fängt damit an, daß Leute nicht mehr in dem Beruf arbeiten können, wo sie gerne möchten, nicht das lernen oder studieren können, was sie möchten, obwohl sie die Fähigkeiten dazu haben. Das sind eindeutig Gesinnungsverbote, die da ausgesprochen werden, und das geht weiter über Diskriminierung in Form von Bespitzelung und kulturellen Einschränkungen bis hin zu Festnahmen, Verurteilung, hohen Gefängnisstrafen usw. Ich meine, da ist es nur zu verständlich, wenn viele flüchten vor diesen Bedingungen und einfach auf der Suche sind nach neuen. Wer sich dem widersetzt, den wird man dann natürlich nicht sanfter anfassen, sondern umso härter, bis hin, daß man Leute in Ketten legt und in den Zug nach Westen schmeißt.

Matthias: Ich habe in Dresden Leute gehört, die gesagt haben, so etwas, wie es Dir passiert ist, wird so schnell nicht mehr vorkommen, das hat zu hohe Wellen geschlagen, sowohl im Ausland wie in der DDR. Also vielleicht war Dein Fall auch eine Art heilsamer Schock für die Behörden, daß sie verstehen, so weit können sie nicht gehen.

Roland: Es hat Wirbel gemacht, und deshalb finde ich es auch notwendig, über die ganze Sache zu sprechen. Die DDR-Führung ist sehr bedacht auf ihr Ansehen in der Weltöffentlichkeit, also ist es besonders wichtig, daß sich die Menschen in den Friedensinitiativen äußern zu solchen Dingen. Denn im Endeffekt nützt das Vorgehen gegen friedensbewegte Menschen in östlichen Staaten nur denen, die in den westlichen Ländern aufrüsten und jede Gelegenheit dazu benützen, um in ihrem Interesse zu argumentieren.

Matthias: Du wirst vom 1. bis 3. September an der gewaltfreien Blockade gegen die NATO-Raketenbasis in Mutlangen teilnehmen — hast Du Dich damit beschäftigt, was Dir passieren könnte? Ein Österreicher, der dort blockiert, wird nach Österreich abgeschoben; Dir wäre es ja nicht unangenehm, wenn sie Dich in die DDR abschieben würden ...

Alle: (Gelächter)

Roland: Ich weiß, daß es dort hart zugehen kann, die Vorfälle in Ramstein kürzlich haben bewiesen, wie’s aussieht, wenn auch die Amerikaner eingreifen. Ich bin mir dessen bewußt, daß es im Prinzip hier nicht anders ist als im Osten, wenn man bestimmte Widersprüche aufzeigt. Im Westen wird vielleicht sogar noch ein bißchen härter und wahlloser zugeschlagen. Was die Ausweisung betrifft, so ist das Ganze doch eine besondere Problematik der deutschen Staatsbürgerschaft. Denn so unbequem z.B. für die Bundesregierung manche Leute sind wie Wolf Biermann, die sich auch kritisch zu den Dingen hier äußern, muß man doch in Kauf nehmen, daß sie hier als deutsche Staatsbürger aufgenommen werden müssen.

Wie reagieren eigentlich die Leute, wenn Ihr Widerstand gegen die NATO-Aufrüstung leistet und man wirft Euch vor „Geht doch in den Osten!“, und Ihr sagt darauf „Von dort kommen wir gerade“?

Roland: Mir ist das noch nicht konkret so passiert, aber das ist die makabre Situation, und es wär’ eigentlich gut, wenn mir sowas mal passieren würde. Das würde vielleicht solche Leute zur Einsicht bringen, daß sich die Machthaber in Ost und West einig sind in ihrer Politik der Abschreckung nach innen und nach außen. Sie sind sich einig, daß Aufrüstung und Militarisierung weitergetrieben werden, um die bestehenden Machtstrukturen in den jeweiligen Blöcken zu erhalten. Frieden wird nicht von der Obrigkeit gebracht werden. Der Frieden kann nur im gemeinsamen Ringen aller Völker, und das heißt von unten her, errungen werden.

Danke für das Gespräch.

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Erstveröffentlichung im FORVM:
Oktober
1983
, Seite 19
Autor/inn/en:

Gerhard Jordan:

Jahrgang 1960, Angestellter. Hat Geschichte und Kunstgeschichte studiert und war vor seinem Grün-Engagement in der Anti-AKW-Bewegung, in der Katholischen Jugend, in der Friedensbewegung und im Alternativreferat der Österreichischen Hochschülerschaft aktiv. Seit deren Gründung im Jahr 1986 Mitglied der Grünen, von 1989-1991 Vorstandsmitglied der Europäischen Grünen, langjährige Erfahrung als Bezirksrat, zunächst im 21. Bezirk. Seit 1992 im Grünen Rathausklub tätig (zunächst als persönlicher Mitarbeiter von Christoph Chorherr in dessen Zeit als Stadtrat, derzeit als Referent für Europapolitik). Mitbeteiligt am Aufbau eines europäischen Netzwerks grüner KommunalpolitikerInnen. Seit 2001 Bezirksrat und Klubvorsitzender in Hietzing. Mitglied in der Planungskommission, im Bauausschuss und in der Kulturkommission, Ersatzmitglied in der Verkehrskommission. Schwerpunkte: Demokratie, Flächenwidmungen, Verkehr, Architektur, Bezirksgeschichte.

Roland Jahn:

Toni Wenisch:

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