Die ganze Entwicklung in Jugoslawien vom Anfang der neunziger Jahre bis zum Kosovo-Krieg läßt sich — wie in den Arbeiten von Jürgen Elsässer und Matthias Küntzel [1] — als eine gezielte Strategie verfolgen, Deutschland und den Prinzipen seiner Macht zur Vorherrschaft zu verhelfen. Die traumwandlerische Sicherheit allerdings, mit der diese Strategie umgesetzt wird, läßt das Ziel der Strategie selber gespenstisch werden. Wenn etwa Matthias Küntzel anzugeben versucht, was konkret Deutschland mit seiner Jugoslawien-Politik im Schilde führe, dann kann auch er nur davon sprechen, daß dieses Land sich „Einflußzonen“ „als strategische Basis für ein neues deutsches Selbstbewußtsein“ schaffen möchte — „nicht nur innerhalb der Europäischen Union, sondern auch im Verhältnis zu Washington und Moskau“. Selbstbewußtsein erscheint als Selbstzweck der Politik. Auf „diese machtpolitische Logik lief schon die Anerkennungspolitik gegenüber Kroatien und Slowenien hinaus.“ [2] Die Logik bleibt äußerst abstrakt: kaum werden klassische imperialistische Ziele und Zwecke angeführt (die zu entdecken andere Bücher zum Krieg größte Mühe verwenden), [3] keine Rohstoffquellen und Absatzmärkte, sondern Macht um ihrer selbst willen, Selbstbewußtsein an sich. Sogar die Einführung der D-Mark scheint dieselbe Funktion zu erfüllen wie die Wiederaufnahme von „Lili Marleen“, dem alten Nazischlager, als täglichen Programmschluß im deutschen Soldatensender auf jugoslawischem Boden. [4]
Uli Krug geht einen Schritt weiter. Er sieht in der deutschen Politik eine von allen Interessen, Zwecken und Zielen abstrahierte Entfesselung von „Projektionskriegen“, die gewissermaßen nur dazu dienen, die Angst und den Schrecken vor der weltweiten Krise „am andern Objekt“ zu bewältigen. Der Hinweis auf Rohstoffquellen und Absatzmärkte erscheint aus dieser Perspektive wie ein Versuch, das wahnhafte Bedürfnis zu rationalisieren, denn alles, was mit Einflußzonen gewaltsam erobert werden kann, gibt es inzwischen auf dem Weltmarkt mit friedlichen Mitteln viel wohlfeiler zu kaufen. „Klar wie nie gestehen die, die diese Kriege führen wollen und müssen, ein, daß es sich um reine Projektionskriege handelt: Kriege, die man logischerweise nicht nur nicht gewinnen kann, sondern die man stets aufs neue führen muß.“ Eben darin liege das Schreckliche: „in der Abwesenheit materieller Interessen, (...) im zwanghaften moralischen Rigorismus (...), der sich um die Folgen seine Tuns nicht mehr kümmert“. Projizierender Wahn und kriegerische Staatsräson sind nicht mehr voneinander zu scheiden: die Räson aber scheint der nackte Wahn zu sein, sich über die Krise hinwegzutäuschen: „Nicht der Weltmarkt darf die Welt ruinieren, sondern eine sich diesem verweigernde, nicht dessen Gesetzen gehorchende Macht muß projiziert werden. Darin vertritt ‚Serbien’ einerseits den verhaßten Sozialismus; andererseits büßt es für die unmöglich gewordene Liebe der Deutschen zum NS-Volksstaat ... Daß die neugewonnene deutsche Souveränität mit verblüffender schlafwandlerischer Sicherheit sich die gleichen Freunde und den gleichen Feind wie vor 50 Jahren suchte, hat nichts damit zu tun, daß Deutschland den tatsächlichen Zweiten Weltkrieg wiederholen möchte, sondern damit, daß der Feind, gegen den Deutschland diesen Krieg führte — der abstrakte, krisenhafte Charakter der Akkumulation, der Selbsterhaltung und Selbstvernichtung in eins setzt — stärker denn je ist ... Der letzte Weltkrieg ist der Prototyp der aktuellen postnationalen Gewissenskriege ... Daß ein ehemaliges Opfer — Serbien — dieses Gewissenkriegs auch heute wieder der Bösewicht ist, an dem die verfolgende Unschuld Deutschlands sich austoben darf, macht es als deutsche Projektionsfläche so unwiderstehlich.“ [5]
Die Argumentation beinhaltet allerdings einen Widerspruch, der auf ein grundsätzliches Problem des Projektionsbegriffs verweist: Warum ist Serbien als Projektionsfläche unwiderstehlich, wenn es doch nur Projektionsfläche ist? „Die Feindschaft gegen den Serben“ sei „Feindschaft um ihrer selbst willen“, [6] schreibt Krug. Wäre sie es wirklich, dann müßte es reiner Zufall sein, daß es die Serben und nicht die Kroaten oder Slowenen trifft, und Uli Krug spricht selbst von „nahezu beliebigen Projektionsobjekten“, an denen die Verteidiger der Marktwirtschaft ihre Exempel statuieren, um gegen deren höchst eigenen Krisencharakter Krieg zu führen. Von dieser Beliebigkeit ausgehend, kann der Serbenhaß auch mit dem Antisemitismus gleichgesetzt werden. Allerdings betont Krug in diesem Fall doch, daß es sich nicht um Wesensgleichheit, sondern um Artverwandtschaft handle — ohne allerdings die Differenz auszuführen, was aus dem Gedanken einer Feindschaft um ihrer selbst willen auch gar nicht möglich ist.
Die Serben werden im wahnhaften Bewußtsein der Deutschen wohl kaum jemals das Finanzkapital verkörpern; Milosevic wird in nächster Zukunft gewiß nicht mit Wall-Street assoziiert werden — eine solche Assoziation, wie sie immerhin Stalin zuteil wurde, setzt zumindest eine schärfere Konkurrenz zwischen Deutschland und den USA voraus. Wenn also die Serben für jenes Bewußtsein den Krisencharakter der kapitalisierten Gesellschaft personifizieren, dann offenkundig in anderer Weise als die Juden; dann stehen sie für einen andere Dimension dieser Krise, und darin gibt es durchaus eine historische Kontinuität.
Wovon in der Reduktion der Kriege auf Projektionskriege abstrahiert wird, sind die Voraussetzungen, damit Projektionsmechanismen überhaupt funktionieren. Gesellschaftliche Totalität entgeht dem Projektionsbegriff. Mit der weltweiten Krise versucht sie Uli Krug gleichsam herbeizubeschwören. Dieses Problem, das die Schwierigkeiten deutlich macht, psychoanalytische Kategorien unmittelbar als gesellschaftliche zu verwenden, reicht zurück bis zur Dialektik der Aufklärung von Theodor W. Adorno und Max Horkheimer, worin der von Freud stammende Projektionsbegriff für den Antisemitismus entwickelt wurde. Zum einen sehen Adorno und Horkheimer hier die Opfer der Projektion gewissermaßen als auswechselbare, da doch alle Züge den Juden nur unterschoben werden; zum anderen jedoch legen sie gewisse Voraussetzungen des Projektionsmechanismus frei, die verantwortlich sind dafür, daß das antisemitische Ressentiment gerade die Juden auserwählt hat. Solche Voraussetzungen zu analysieren, hat jedoch nichts damit zu tun, der antisemitischen oder antiserbischen Projektion selbst ein Wahrheitsmoment zuzubilligen, es sei denn jenes, daß sie zur politischen Realität Deutschlands gehört wie der Fetisch zum Kapitalverhältnis. Sie selber sagt — ihrem Begriff gemäß — immer nur etwas über den aus, der projiziert, nicht jedoch über den, auf den projiziert wird. Aber — und hier endet der Horizont des Projektionsbegriffs — es war kein Zufall, daß etwa die Juden — und nicht die Sinti und Roma oder die versklavten Schwarzen — vom wahnhaften Bewußtsein der kapitalisierten Gesellschaft ausersehen wurden, die abstrakte Seite der Warenproduktion und das zinstragende Kapital zu personifizieren; und es ist ebensowenig ein Zufall, daß die Serben dem wiedervereinigten Deutschland als Feindbild dienen, um politische und militärische Macht zu akkumulieren, Einflußzonen für ihr Selbstbewußtsein zu schaffen..
Was die Serben zum Objekt der Projektion auserkoren hat, ist ein gewisser Widerstand, den sie der deutschen Politik entgegensetzen. Wie immer man über diesen Widerstand denken mag, und wie sehr er seinerseits nationalistisch und rassistisch motiviert sein mag, als eine in der Projektion erscheinende Voraussetzung ist er — das liegt in der Logik des Begriffs — lediglich wie das Kantsche Ding an sich zu betrachten. Ich weiß nicht, ob es eine Kausalität gibt zwischen der Tatsache, daß sich die Milosevic-Regierung gegenüber der Weltbank beziehungsweise dem IWF unbotmäßig verhielt und der Bereitschaft der USA, am Kosovo-Krieg führend teilzunehmen. Ich weiß aber, daß jenes unbotmäßige Verhalten in Deutschland und Österreich ganz andere Projektionen wachruft als in den Vereinigten Staaten. Auf den 1914 zur Front rollenden deutschen Transportzügen stand zu lesen: „Die Serben sind alle Verbrecher, / Ihr Land ist ein dreckiges Loch!“ Wie in einer Reflexhandlung griff die nationalsozialistische Volksgemeinschaft die Projektion auf: „Als die jugoslawische Regierung sich Anfang April 1941 weigerte, sich der deutschen Kriegsmaschinerie politisch zu unterwerfen, wurde in der deutschen Öffentlichkeit das alte Feindbild von den Serben als ‚Attentäter, Verschwörer, Putschisten und Weltbrandstifter’ wiederbelebt.“ [7] Und die nationalsozialistische Besatzungspolitik zog daraus die bekannten Konsequenzen. Im Unterschied zu den Albanern wurde aus der serbischen Bevölkerung keine eigene SS-Einheit rekrutiert.
Der Serbenhaß weist dabei historisch vermutlich ebensoweit zurück wie der Judenhaß: aber er entspringt an einem anderen gesellschaftlichen Ort: nicht im Zentrum, sondern an der Peripherie jenes Reichtums, der in Europa akkumuliert wird, an der Grenze zwischen Abendland und Morgenland, Christentum und Islam, kapitalisierter Gesellschaft und türkischer Herrschaft. Weil der serbische Nationalismus aus dieser Lage an der Peripherie andere Konsequenzen zog als andere Nationalismen in ähnlicher Lage, weil er sich nicht als verlängerter Arm des nächstgelegenen Zentrums, der deutschen und deutsch-österreichischen Metropole begriff, sondern gegen diese seinen Arm immer wieder erhob, war er zur Projektionsfläche des deutschen Nationalismus, zum Ding an sich des wahnhaften deutschen ‚Erkenntnisvermögens’, prädestiniert — dies aber in einer ganz bestimmten Situation: in der Situation, da kein Osmanisches Reich mehr existierte und noch kein Sozialismus in einem Land, also keine wie immer konstituierte politische Macht, die sich der Kapitalisierung der Gesellschaft entziehen oder ihr äußere Grenzen entgegensetzen konnte und der Aufsplitterung in Nationalstaaten zuwider handelte. Genau in einer solchen Konstellation stiegen die Serben zum Hauptfeind Nummer eins auf. In der Propaganda und in den Haßtiraden des Ersten Weltkriegs wurden sie an erster Stelle genannt, meist vor den Russen, in einigem Abstand erst Franzosen und Engländer: „Serbien muß sterbien“ und „jeder Russ’ ein Schuß“, bei ihm witterte man serbische Einflußnahme und sah vor allem auch das Bündnis mit Serbien; „jeder Franzos’“ aber nur „ein Stoß“ und „jeder Brit ein Tritt“. Der deutsche Rassismus war immer sehr differenziert.
Diese Konstellation verschob sich mit der Revolution in Rußland, der Niederlage Deutschlands und dem Zerfall der Habsburgermonarchie, die dem wahnhaften Bewußtsein und der völkischen Raserei der Deutschen und Deutsch-Österreicher andere Voraussetzungen bot: die Projektion einer jüdischen Weltverschwörung als Bündnis von Wall-Street-Finanzkapital und Moskauer Bolschewismus, die diese Konstellation ideologisch verwertete und dem Zweiten Weltkrieg zugrunde gelegt wurde, hob selbstverständlich das antiserbische Feindbild nicht auf, sondern integrierte es. Wenn diese Feindbildprojektion an die zweite Stelle rückte, heißt das nicht, daß sie auf regionaler Ebene depotenziert worden wäre. Hier behielt das Feindbild nicht nur seine alte Bedeutung, sondern wurde selbst noch gesteigert: die Weltverschwörungsimagination intensivierte auch noch den Serbenhaß und führte zu einer im Vergleich zum Ersten Weltkrieg wesentlich verschärften Politik gegenüber den Serben.
Mit dem Ende der Sowjetunion kehrt nun in gewisser Weise eine ideologische Konstellation zurück, wie sie nach dem Ende des Osmanischen Reichs kennzeichnend war: die Serben rücken wieder auf zum Hauptfeind Nummer eins. Die Transportfahrzeuge, die heute Richtung Südosteuropa unterwegs sind, werden — soviel ich weiß — nicht mehr mit derartigen Parolen beschriftet wie im Ersten Weltkrieg, und die heutige UÇK ist mit der einstigen SS-Division der Albaner nicht gleichzusetzen. Aber klar ist, daß die Serben und Milosevic in Deutschland und Österreich als Personifikation eines staatlich organisierten Verbrechens gelten, um unsichtbar zu machen, daß jeder Staat organisiertes Verbrechen ist und daß dieses Verbrechen auf neue Weise organisiert werden muß, damit der Reichtum, den es eingebracht hat und weiterhin einbringt, nicht verloren geht.
- Motive: Ansichtskarte aus der Serie Pozdrav iz Novog Sada / Greetings from Novi Sad
- © Action against war and destruction of the Ekumenical Humanitarian Organization and the civil weekly of Vojvodina Nezavisni
Das Werk der Krise
In bestimmter Hinsicht handelt es sich bei diesem Krieg gegen Jugoslawien um einen Krieg der sozialdemokratischen und grünen Eliten in Deutschland. Als Repräsentanten des ökologisch gepolsterten Sozialstaats stehen sie seit geraumer Zeit vor einer, ihre Identität gefährdenden Aufgabe, die ihnen von den Finanzmärkten und der Standortkonkurrenz diktiert wird: sie müssen die ökologische und sozialstaatliche Regulation, die doch ihre Identität ausmacht, einem neoliberalen Kurs opfern, weil von ihm ihre Regierungstauglichkeit abhängt. Die paradoxe Situation, in die sie hier geraten sind, wird moralisch bewältigt: der aktive Kriegseinsatz gegen „jede Form von Totalitarismus“ ist der extremste Ausdruck dafür, daß sie gewillt sind, als Vollzugsorgan der Krise zu fungieren, die Sehnsucht nach dem alten Regulationsregime dabei aber als „totalitäres“ Verhalten den Staatskommunisten und Rechtsradikalen zu überlassen.
Die deutsche Notwendigkeit, in Jugoslawien Krieg zu führen, hängt aber mit der Krise in einem umfassenderen Sinn zusammen. Und daraus erklärt sich vielleicht, warum die Kriegspolitik der linken Eliten, die doch einer sehr spezifischen Paradoxie entsprang, zum gemeinsamen Nenner der Nation sich so sehr eignete — gebildet aus stillschweigender Hinnahme ebenso wie aus antiserbischer Euphorie. Klaus Thörner hat daran erinnert, daß die deutsche Außenpolitik seit dem 19. Jahrundert ganz Südosteuropa als Deutschlands „Hinterland“ begriff, wie dies Friedrich List bereits 1842 formulierte. Und für diese Auffassung können durchaus noch bestimmte imperialistische Interessen namhaft gemacht werden: „Aus den südosteuropäischen Ergänzungsräumen sollten Rohstoffe, Agrarprodukte und, nach Bedarf, billige Arbeitskräfte in das Deutsche Reich geliefert werden.“ [8] Im Sinne dieser Interessen war es nur rational, im Hinterland keinen mächtigen Staat zu dulden, sondern Zerspitterung zu fördern. So gesehen äußerte sich auch noch Heinrich Himmler ganz rational, als er sagte: „Bei der Behandlung der Fremdvölkischen im Osten müssen wir darauf sehen, so viel wie möglich einzelne Völkerschaften anzuerkennen ... Ich will damit sagen, daß wir nicht nur das größte Interesse daran haben, die Bevölkerung des Ostens nicht zu einen, sondern im Gegenteil in möglichst viele Teile und Splitter zu zergliedern.“ [9] Und auf ganz ähnliche neuere strategische Einschätzungen in Deutschland (konkret von Experten im Auswärtigen Amt) hat Matthias Küntzel hingewiesen, denen zufolge Chaos und Krise die „angemessenen Formen und Strukturen der Veränderung und Überwindung der sowjetischen Strukturen“ seien. [10]
Es ist dies eine einfache Logik der Macht, die zumindest durchsichtig bleibt, solange man sich nicht fragt, worin die Macht eigentlich besteht: Die Schaffung von Chaos erlaubt es einem mächtigen Staat als Ordnungsfaktor hervorzutreten. Der Unterschied aber, der Deutschland konstituiert, liegt darin, daß hier das Mittel die Identität ausmacht; daß — mit Adorno gesprochen„ [11] — die Lüge geglaubt wird; daß die Zersplitterung der anderen in Ethnien mit der eigenen ethnischen Homogenität begründet wird.
Dieser Unterschied läßt sich in bestimmter Weise vielleicht wirklich nur mit psychoanalytischen Kategorien fassen. Allerdings sprechen Horkheimer und Adorno von pathischer Projektion, um den antisemitischen Wahn von Projektionen im allgemeinen abzuheben, ohne welche in ihrer Auffassung ein Individuum gar nicht existieren kann. Die pathische Projektion aber kennzeichnet, daß sie keine Erfahrung mehr zu machen erlaubt; daß sie nicht reflektiert werden kann: „Das Pathische am Antisemitismus ist nicht das projektive Verhalten als solches, sondern der Ausfall der Reflexion darin.“ [12] Allerdings wäre hier eine weitere Bestimmung anzufügen: im Unterschied zum individuell-pathologischen Fall der Projektion ist die gesellschaftliche „Pathologie“, von der hier gesprochen wird, wesentlich systemkonform. Während die Würde eines geistig Kranken gerade darin gesehen werden kann, gesellschaftlich nicht funktional zu sein, handelt es sich bei der pathischen Projektion nationaler und antisemitischer Art um zutiefst funktionalen Wahnsinn: sie geht mit dem irrationalen Ganzen vollständig konform.
Ihre Funktionalität für Staat und Kapital liegt genau darin, bewußtlos das Geschäft der Krise zu besorgen. Das heißt aber: man hat es mit einer Funktionalität ohne eigentliche Zwecksetzung zu tun. Mögen die von pathischer Projektion Besessenen noch so sehrvon ihren Zielen, sei’s die Herrschaft der arischen Rasse oder die Verhinderung eines zweiten Auschwitz, träumen und reden, sie tun das Werk der Krise, worin ein Zweck als bewußt gewolltes und projektiertes Resultat so wenig existieren kann wie fürs Ganze — für jenes Unwahre, das nur die Verwertung des Werts kennt. Nichts anderes als die Identität dieses Ganzen gewaltsam durchzusetzen ist es ja, was Marx als Krise begreift. [13]
Die Sowjetunion und Jugoslawien können als — wie auch immer: hilflose, im Verlauf fehlgeschlagene oder von Anfang an verdorbene — Versuche betrachtet werden, sich der Totalität des Kapitalverhältnisses zu entziehen, Deutschland hingegen besinnt sich mit dem Stichdatum 1989 wieder darauf, die Identität des Ganzen gegenüber solchen Versuchen gewaltsam durchzusetzen.
Es gehört also zur Kontinuität deutscher Politik, daß sie in der Situation der Krise aktiv wird wie keine andere. Aber Deutschland wird nicht nur aktiv, wenn eine Krise etwa in Südosteuropa heranreift, es selbst reift überhaupt in diesen Krisen heran. Darin besteht die deutsche Notwendigkeit, in Jugoslawien Krieg zu führen.
[1] Siehe hierzu die Texte von Jürgen Elsässer in dem von ihm herausgegebenen Band: Nie wieder Krieg ohne uns. Das Kosovo und die neue deutsche Geopolitik. Hamburg 1999, und Matthias Küntzel: Der Weg in den Krieg. Deutschland, die Nato und das Kosovo. Berlin 2000
[2] Küntzel, Der Weg in den Krieg, S.95
[3] Vgl. etwa Hannes Hofbauer (Hg.): Balkankrieg. Die Zerstörung Jugoslawiens. Wien 1999, S.144f.; sowie Hannes Hofbauer: Die Folgen des NATO-Krieges gegen Jugoslawien. Eine Analyse der Interessenlagen. In: Context XXI, Nr. 3/1999 S.4-7. Hofbauer macht „rohstoffreiche Gebiete rund um das Kaspische Meer“ aus, „wo die Multis Chevron und Exxon bereits eifrig am Werken sind“ und betrachtet die Einflußzonen, die von NATO-Soldaten errichtet werden, als „Marktgebiet“ — ohne etwa eine Kosten-Nutzen-Rechnung über die Errichtung dieses Marktgebiets und des Zugangs zu den Rohstoffen anzustellen oder zu fragen, inwieweit das Gebiet bereits davor nichts anderes als Marktgebiet war und worin der Vorteil des (kaum im Ansatz erreichten) militärischen Zugangs zu jenen Rohstoffen liege. Die klassische antiimperialistische Position kann nicht zuletzt darum kaum eine Veränderung im Verhältnis USA-Europa oder USA-Deutschland wahrnehmen und sieht in den USA die großen Profiteure des Kosovo-Kriegs — auch und gerade gegenüber EU-Europa.
[4] Vgl. Küntzel, Der Weg in den Krieg, S.90f.
[5] Uli Krug: Interesse, Gewissen und Projektion im Jugoslawienkrieg. In: Context XXI, 4-5/1999, S.6-8
[6] Ebd. S.7
[7] Klaus Thörner: Serbien muß sterbien. Konstanten deutscher Balkanpolitik. In: Elsässer, Nie wieder Krieg ohne uns, S.19
[8] Ebd. S.16
[9] Zit.n. ebd. S.19
[10] Küntzel, Der Weg in den Krieg, S.94
[11] Ein Deutscher ist ein Mensch, der keine Lüge aussprechen kann, ohne sie selbst zu glauben.“ Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben. Frankfurt am Main 1980, S.141
[12] Theodor W. Adorno, Max Horkheimer: Dialektik der Aufklärung. Theodor W. Adorno: Gesammelte Schriften, hg.v. Rolf Tiedemann, Bd. 3, Frankfurt am Main 1997, S.214
[13] Vgl. Karl Marx: Das Kapital. Bd.1, Marx-Engels-Werke, Bd. 23, Berlin , S.127f.