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Lorenz Glatz
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Konstantinopel brennt

Normalerweise dürfen sie das gar nicht. Hierzulande verbietet irgendein Gesetz, dass die Leute mit Fähnchen, rot-weiß-rot, ev. noch den Bundesgeier mittendrin, durch die Gegend fahren. Dank der Kronenzeitung hat der Innenminister zum Wohl des Patriotismus das Gesetz für die Dauer der EM sistiert. Darf er das eigentlich? Können tut er’s jedenfalls, und wir dürfen dann. Irgendwie schauen die so drapierten Autos wie Staatskarossen aus. Dass drinnen Leute sitzen, deren Hirn von der Nation akut vernebelt ist, macht jedenfalls nicht den Unterschied.

Ich habe ja lange gedacht, es ist besser, wir haben eine österreichische Nation statt einer deutschen, weil von Germanien Abstand zu halten, eine gute Sache wäre und Österreich allein zumindest weniger anstellen könnte, als wenn es mit Großdeutschland marschiert. Seit aber das einst so strammdeutsche Haidervolk „Österreich zuerst“ begehrt und jeder Xenophobe und Rassist hierzulande seine Menschenfeindschaft bei Bedarf mit rot-weiß-roten Rändern druckt, reicht mir, was das „Land der Berge“ als Nation so drauf hat.

Man sagt mir, es sei besser, sie fighten auf dem Spielfeld und brüllen im Stadium für die Nation als mit dem Gewehr in der Hand auf den Straßen und sonstigen Feldern der Ehre. Mir scheint, das eine ist eher eine Vorübung für das andere. Es muss ja auch im „Ernstfall“ nicht jeder schießen. Die Zähne fletschen, brüllen, mitleiden, jubeln, wenigstens die Daumen drücken ist auch gefragt. Wie im Stadion.

Ich habe mir die Laufgitter für die Fans auf der Wiener Ringstraße angesehen, mit denen sie von den Parks und Prunkgebäuden ferngehalten werden sollen. So hält man wilde Tiere. Ob die Veranstalter wissen, dass ausgerastete Fans schon in alten Zeiten Konstantinopel zweimal niedergebrannt haben? Auf meine alten Tage bin ich dahin gekommen, dass ich Sieg und Niederlage hasse. Dass wir ohne so etwas nicht spielen können, sagt fast alles über unsere Art Zusammenleben.

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Erstveröffentlichung im FORVM:
Juni
2008
, Seite 9
Autor/inn/en:

Lorenz Glatz:

Geboren 1948, 32 Jahre Latein- und Griechischlehrer in Wien. Pensionist, Hausmann eines lieben Weibes, praktizierender Großvater, Leser, Schreiber und Webmaster.

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