MOZ » Jahrgang 1990 » Nummer 55
Erica Fischer

Kein Ort. Nirgends.

Christa Wolf hat ein Buch veröffentlicht — „Was bleibt?“ —, das zehn Jahre in der Schublade gelegen hatte und beschreibt, wie die Autorin eine kurze Zeit von der Staatssicherheit in der DDR überwacht wurde. Ich habe es nicht gelesen, kann nicht urteilen. Mag sein, daß der schon bei „Störfall“ irritierende Hang zu deutscher Innerlichkeit die Grenze des Kitsches erreicht, wie Frank Schirrmacher in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ („FAZ“ 127/90) meint. Grund für einen Verriß allemal, nicht aber für die unverständliche Wut, mit der manche Kritiker in diesem heißen Sommer gegen Christa Wolf hergezogen sind. Provoziert hat vor allem der Zeitpunkt der Veröffentlichung. Wäre der Text 1979 erschienen, wäre sie als Heldin gefeiert worden. So aber, empfiehlt „Zeit“-Kulturchef Ulrich Greiner, wäre es besser gewesen, „über diese Bagatelle stillschweigend hinwegzugehen“ („Zeit“ 23/90). Mut könne er nicht verlangen, gesteht er der nicht zur Heldin Geborenen zu, wohl aber „Feingefühl gegenüber jenen, deren Leben der SED-Staat zerstört hat“. Schließlich hätte sie „leicht Unterkunft im Westen finden können“. Sie aber sei „dageblieben, hat am Projekt des Sozialismus festgehalten“.

Ist das der Grund für die Empörung? Daß eine sich die Naivität gestattet, an die Veränderungsfähigkeit des Sozialismus made in GDR zu glauben, und sich erdreistete, auch noch im November ’89 von der Utopie eines dritten Weges zu träumen, anstatt dankbar den heilbringenden Kräften der „sozialen Marktwirtschaft“ die Füße zu lecken? Daß sie, in ihren eigenen Worten aus „Kein Ort. Nirgends.“, um Haltung rang, „als hätte das, was wir tun, am Ende eine Bedeutung?“ Inmitten von bis zur Unkenntlichkeit Gewendeten, von Betriebsdirektoren in tausendfacher Auflage, die heute ebenso von der Marktwirtschaft überzeugt sind wie noch vor einem Jahr von der Planwirtschaft, von SED- und DKP-Blockwarten, die alle nichts gewußt haben wollen und mit einem Mal an die Friedensmission des geeinten Deutschland glauben, nimmt sich eine, die auch 1990 immer noch nicht „Rote raus“ gröhlt, seltsam anachronistisch aus. „Es gäbe Fälle“, sagt in „Kein Ort. Nirgends.“ die Gründerrode, „da ein Plan scheitern müsse, der gleichwohl seine Berechtigung habe“.

Von der Perspektive der „FAZ“ aus muß die Wolf schon allein deshalb aus der Rangliste deutscher Dichter gestrichen werden, weil das sozialistische Regime „den Geist verachtet“ hat. Daß sie dennoch „zum Träger aller möglichen Erwartungen und Hoffnungen“ werden konnte, hätte, so Schirrmacher, mit ihrer vieldeutigen „Leidensmiene“ zu tun: „Nie wußte man in den letzten Jahren, ob sie am Sozialismus, am drohenden Atomkrieg oder an der flächendeckenden Stasi-Überwachung litt.“

Natürlich „wußte (Mann) nie“, woran sie litt, wie auch Freud fragte, was das Weib will. Daß sich Christa Wolf in „Kein Ort. Nirgends.“ und „Kassandra“ bei ihrer Analyse des Patriarchats und seines materiellen und emotionalen Zerstörungspotentials durchaus mit Geist einem Feminismus annäherte, der der amtlichen Analyse der DDR-Gesellschaft zutiefst zuwider war, ist den im nämlichen Denken verhafteten Rezensenten natürlich entgangen. Gewiß sind nicht zuletzt die Frauen in eben diesen „letzten Jahren“ für die weltweit erzielten Millionen-Auflagen mitverantwortlich.

In der DDR selbst war es noch schwerer, zu begreifen, daß die Schriftstellerin das DDR-Patriarchat und seine Denkmuster meinte, wenn sie in den Frankfurter Poetik-Vorlesungen zu „Kassandra“ anmerkte, „daß im Grunde, vom Grunde her alles mit allem zusammenhängt; und daß das strikt einwegbesessene Vorgehn, ... das ganze Gewebe ... beschädigt.“ Genau an diesem „einwegbesessenen Vorgehn“ ist das Gewebe der DDR entzweigerissen. Wolfs Kritik am monokausalen, dualistischen Denken des abendländischen Patriarchats, das den „wissenschaftlichen Sozialismus“ nicht minder prägt wie die kapitalistische Version des Machbarkeitswahns, konnte besser im Westen, auf dem Hintergrund einer lebendigen feministischen Theoriebildung, verstanden werden. Daß sie in ihrem Land weitgehend ungeschoren blieb, ist also eher der Dummheit der Herrschenden zuzuschreiben als der Angepaßtheit der von Greiner als „Staatsdichterin“ Diskreditierten.

Derselbe Greiner, der Wolf auffordert, die Namen und Anschriften der Verbrechen zu benennen, sich also aktiv einzumischen in politische Vorgänge, anstatt sich in eine „Unschärfe-Relation zwischen der wirklichen Welt ... und der poetischen Welt ihrer Texte“ zu retten, wirft Elfriede Jelinek vor, mit der in ihrem Buch „Lust“ geübten Kritik an der Männermacht einen „feministischen Kampftext“ vorgelegt zu haben. Also Namen und Anschrift nur dort, wo’s paßt, Herr Greiner? Kritik nur dort, wo sie die eigene Anpassung stützt?

Derselbe Greiner, der die Tatsache, daß es mehr Künstler als Künstlerinnen gibt, mit einer den Männern eigenen „traumatischen Erfahrung von Mangel“ („Zeit“ 51/87) erklärt, weiß mit einem Mal von deutschen Schriftstellerinnen, die ebenso gut schreiben wie die Wolf, aber weniger bekannt sind, „denn ihnen fehlt die real existierende Bedrohlichkeit“. Es ist nicht bekannt, daß Greiner sich in anderen Zusammenhängen besonders für Schriftstellerinnen eingesetzt hätte, denn Feingefühl gegenüber jenen, deren Leben nicht durch die SED, wohl aber durch das Patriarchat zerstört wurde, ist dem Kulturchef fürs Männliche fremd. „Eine Frau, die dichtet oder dergleichen“, schreibt in ihrem Hexenroman „Amanda“ Irmtraud Morgner — DDR-Autorin auch sie und Kommunistin — „muß mit gnadenloser Einsamkeit rechnen“,

Christa Wolf hat mindestens ein Publikum. Vielleicht sind die Herren von „FAZ“, „taz“ und „Zeit“ deshalb so wütend.

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Erstveröffentlichung im FORVM:
September
1990
, Seite 55
Autor/inn/en:

Erica Fischer:

Freie Autorin, Buchübersetzerin (aus dem Englischen) und Journalistin in der Bundesrepublik Deutschland, seit Ende 1995 in Berlin.

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