MOZ » Jahrgang 1990 » Nummer 52
Heike Galley
Das Geschäft mit der Umwelt:

Gutachten gefällig?

Nur allzu oft entsprechen Gutachten haargenau den Wünschen des Auftraggebers. Wen wundert’s, wenn niemand die Gutachter begutachtet?

Gutachten, so wichtig wie ein Cash-flow

„Ein Gutachter ist jemand, der eine Sache für gut erachtet“, brachte der Wiener Architekt Viktor Gruen die hervorstechendste Eigenheit dieses Berufes auf den Punkt.

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„Dafür können Sie mit bevorzugter Behandlung bei Prüfaufträgen rechnen“, unterbreitet eine Sekretärin des „Österreichischen Kunststoffinstituts“, ÖKI, die Serviceleistungen. Das klingt verlockend. Brauchbare Gutachter sind für Unternehmen heutzutage so wichtig wie ein guter Cash-flow.

Die Gesundheitsverträglichkeit der brandneu entwickelten PVC-haltigen Käseverpackung oder die Emissionen bei der Verbrennung von Kunststoffabfällen können sie verläßlich von staatlich anerkannten Zivilingenieuren des ÖKI begutachten lassen.

Die „Brauchbarkeit“ der Gutachter für Unternehmerzwecke ist durch die Vereinsstruktur des Instituts gegeben. Mitglieder sind Industriekonzerne, wie die „Solvay GmbH“ — einziger PVC Produzent Österreichs — oder die „Schmidberger Kunststoffwerke GmbH“, dazu gesellen sich Versicherungen, Bundeskammern und Interessenvertretungen, so beispielsweise die Industriellenvereinigung. Aus diesem Kreis wählen die Mitglieder ihren Vereinspräsidenten, der in der Hierarchie über dem Institutsleiter steht. Er kann ihn ein- bzw. absetzen und Weisungen erteilen. Somit hat er direkte Eingriffsmöglichkeiten auf das Institutsgeschehen.

„Industrieinstitute erstellen oft Horrorgutachten!“, weiß ein Umweltbeauftragter der Arbeiterkammer zu berichten. Namentlich möchte er keines nennen, da man bei solchen Aussagen sofort eine Klage in Millionenhöhe am Hals hätte.

Bekannteste Ausgeburt des ÖKI ist eine für den Umweltausschuß des Bundesministeriums erstellte PVC-Studie, die das Polyvenylchlorid als „Werkstoff der Zukunft“ präsentierte.

Industrieinstitute nach Manier des ÖKI gibt es für nahezu alle Produkt- und Produktionsbereiche, organisiert sind sie in der „Vereinigung der kooperativen Forschungsinstitute der österreichischen Wirtschaft“.

Der Bezirkshauptmann entscheidet

Das Gutachtengeschäft floriert. Seit Bürgerinitiativen und Grüne den heimischen Kraftwerksplanern, Müllverbrennungsanlagenbauern oder Deponiebetreibern mehr und mehr ins Handwerk pfuschen, stieg die Nachfrage rasant an.

Auf einem Informationsblatt der Ingenieurkammer wird der Sachverhalt werbewirksam ausformuliert: „Die Besinnung auf Qualität in der technischen Beratung nimmt mit dem Bewußtwerden von Umwelt- und Energieproblemen immer mehr zu. Und darin liegt die Zukunft echt unabhängigen, höchstqualifizierten Consultings, welche eine gut beratene Gesellschaft künftig noch mehr als bisher für sich nutzen sollte, denn die Ziviltechniker sind durch ihre Berufsvorschriften zur Leistungsorientiertheit im Interesse des Ganzen verpflichtet.“ Die Überschrift verkündet fettgedruckt: „Ziviltechniker arbeiten im Interesse des Auftraggebers“.

Diese Art von Werbung ist vor allem für selbständige Zivilingenieure gedacht, die eigene Gutachterbüros nur für Prüfaufträge betreiben.

Gutachten werden gekauft; daß auch Gutachter gekauft werden, läßt sich allerdings selten beweisen.

Doch mancher Gutachter, ob Zivilingenieur, Universitätsprofessor oder Bundesinstitutswissenschafter, hat so seine G’schichtln auf Lager.

Peter Lerchner vom Wiener Universitätsinstitut für Wassergüte und Abfallwirtschaft: „In Leoben war gerade Wahlkampfstimmung. Da brauchte ein bekannter Spitzenpolitiker die Begutachtung des Standortes für eine Abfallentsorgung und meinte vertraulich: Ich will das Gutachten so und so haben — wir verstehen uns?!“ Ein anderes Mal habe ein großes Unternehmen ihm hohe Geldbeträge geboten, um nurmehr exklusiv für den Konzern zu arbeiten. Mit den Summen hätte er das ganze Institut mit modernster Technik ausstatten können. „Dieser Firmenchef ist heute Ehrensenator“, fügt Lerchner grinsend hinzu.

Der Hydrobiologe von der Universität für Bodenkultur in Wien, Matthias Jungwirth, kann von ähnlichen, nicht gerade zimperlichen Offerten berichten: „Eine große Kraftwerksgesellschaft bot uns für ein entsprechendes Gutachten binokulare Mikroskope für das Institut an — im Wert von Millionen!“

Die Unternehmer legen nicht umsonst Riesensummen auf den Tisch, schließlich hängt es von der Aussage des Gutachtens ab, ob ein geplantes Projekt im Behördenverfahren bewilligt wird oder nicht.

Eine einzige Person — in der ersten Instanz der Bezirkshauptmann, hat darüber zu entscheiden, ob das Kraftwerk gebaut, die Deponie errichtet, die Müllverbrennungsanlage in Betrieb gehen wird.

„Dabei kann ein Verfahrensleiter diese komplizierten Expertisen inhaltlich überhaupt nicht nachprüfen“, kritisiert Peter Weish von der Akademie der Wissenschaften in Wien die Vorgangsweise. „Die Verfahrensleiter sind durch die komplexen Sachverhalte bei der Entscheidungsfindung völlig überfordert“, meint auch der Rechtsanwalt Thomas Prader.

Freie Beweiswürdigung

Wie die Entscheidungsfindung dennoch funktioniert, erklärt Alfred Steffek, der in der dritten Instanz die Betriebsbewilligung für die Heizbetriebe Wien — besser bekannt als Müllverbrennungsanlage Spittelau — erteilte. Als Jurist und Rechtsbeauftragter der Energieerzeugungssektion im Bundeswirtschaftsministerium hatte er hundert Seiten starke emissionstechnische, umwelthygienische, humanmedizinische, meteorologische und forsttechnische Gutachten als Entscheidungsgrundlage. Dazu Steffek: „Natürlich kann ich die Gutachten inhaltlich nicht überprüfen, sonst könnte ich sie ja gleich selber erstellen. Ich prüfe sie auf Schlüssigkeit!“

Die derzeitige Gesetzeslage sieht höchstens ein Gutachten für jeweils einen Problembereich vor. Nur wenn der Verfahrensleiter dieses für nicht ausreichend erachtet, kann er ein zweites einholen. Im Fachjargon heißt das „freie Beweiswürdigung“.

Auch hierin sieht Steffek trotz der komplexen Sachverhalte kein Problem: „Ich muß die Gutachten nach dem Stand der Wissenschaft würdigen, und ich glaube, daß jene von Zivilingenieuren und Professoren dem Stand der Wissenschaft entsprechen.“

„Frage fünf verschiedene Wissenschafter, und du kriegst fünf verschiedene Antworten“, spöttelte einst ein bekannter niederösterreichischer Politiker.

Lebendige Beispiele für die Gegensätzlichkeit wissenschaftlicher Standpunkte sind der Wiener Toxikologe Haider, der in seinem Umwelthygienegutachten keine Gesundheitsgefährdung durch die Spittelauer Müllverbrennungsanlage feststellten konnte, und sein Kritiker, der Kieler Toxikologe Hermann Kruse, der eine Risikoabschätzung mangels aussagekräftiger Daten nicht für möglich hält.

Während Haider einen Grenzwert für das kanzerogene Chrom bei 1.500 ng/m3 akzeptiert, orientiert Kruse sich am „Schlipköter-Risikowert“ von 7 ng/m3.

Haider behauptet, die Stadtluft würde sich durch thermische Behandlung verbessern: „Die Luft, die unten verschmutzt reinkommt, geht oben sauber wieder raus.“ Kruse entgegnet: „Die MVA-Emissionen sind weder qualitativ noch quantitativ auch nur annähernd ausreichend analysiert.“

Die Krebsentstehung durch Dioxine betrachtet Haider als noch immer nicht bewiesen, während Kruse das Ergebnis des Dioxinkongresses in Toronto 1989 anführt, wo eine Erhöhung der Krebsfälle durch erhöhte Dioxinkonzentrationen als bewiesen angesehen wurde.

„Wer begutachtet die Gutachter?" Unter diesem Motto fand bereits im Jahr 1973 eine Tagung im bundesdeutschen Wiedenfels statt. Das als „Wiedenfelser Entwurf“ bekannte Modell sieht eine basisdemokratische Beteiligung aller Betroffenen vor. „Manipulationen und Verschleierungen würden dadurch wesentlich schwieriger werden“, meint Peter Weish und skizziert das Verfahren: „In einer öffentlichen Versammlung erarbeiten Bürgerinitiativen, Konsenswerber und Behördenvertreter zusammen einen Problemkatalog, der verschiedene Bereiche wie Lärm, Schadstoffe und ähnliches umfaßt. Daraufhin stellt jede der drei Parteien zu jedem Themenkomplex ihre Gutachter, die dann aus einzelnen Expertisen ein Gemeinschaftsgutachten fertigen.“

Leider hat das Modell noch niemals Anwendung gefunden.

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Erstveröffentlichung im FORVM:
Mai
1990
, Seite 22
Autor/inn/en:

Heike Galley:

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