FORVM » Print-Ausgabe » Jahrgänge 1982 - 1995 » Jahrgang 1986 » No. 387/394
Josef Dvorak

Gnadenbild aus Leder

Man habe ıhm „Messerstiche ın den Rücken versetzt“, doch wolle er nicht „jämmerlich“ sein. Vielmehr freue er sich, „daß die Wallfahrt lebt und stark ist“. Dies vertraute der Benediktinerpater Hermann Groer am 13. August den in Maria Roggendorf zahlreich erschienenen Journalisten an. Groer „moderierte“ gerade die 197. Wallfahrt zum heimischen Gnadenbild, einer auf Leder gemalten Madonna mit Kind. Dies einen Monat und einen Tag, bevor er im Wiener Stephansdom die Bischofsweihe empfing, und die Erzdiözese Wien auf Weisung des Papstes gemäß dem Kirchenrecht „in Besitz nahm“.

Die nach längerer Sedisvakanz erfolgte Ernennung des 66jährigen Wallfahrtsdirektors eines Hundert-Seelen-Nestes ım niederösterreichischen Weinviertel zum Oberhirten einer Haupt- und Millionenstadt und zum Nachfolger des weltgewandten Kirchendiplomaten und Religionswissenschafters Kardinal König wirkte wie ein Schock, der seinen Niederschlag in einer sehr kritischen Berichterstattung der Medien fand. Lediglich die Wiener Kirchenzeitung hatte an dem neuen alten Mann nichts auszusetzen.

Obwohl ihnen die Personalpolitik des Papstes schon seit den Revirements in der niederländischen Kirche hätte geläufig sein müssen (siehe dazu meinen FORUM-Kommentar „Sauce Hollandaise à la Wojtyla“, Jänner/März 1984), waren nicht wenige Priester und Laien über diese „einsame Entscheidung“ des Heiligen Vaters entsetzt. Einige verstiegen sich sogar zu dem Wunsch, der Heilige Geist möge in letzter Minute sein Veto einlegen, und den lieben Pater Hermann während der Bischofsweihe zu Gott abberufen. Ähnliche Gebete an die dritte göttliche Person sind jedoch schon 1950 nicht erhört worden, als Pius XII. das nach damaligem theologischem Dafürhalten völlig unmögliche Dogma von der leiblichen Aufnahme Mariens in den Himmel ungestraft „definierte“. Die Gottesmutter ließ ihren fanatischen Bewunderer nicht ım Stich, und setzte sich allen Widerständen zum Trotz durch.

Zügellose Marienverehrung war auch bei Pater Groer der Stein des Anstoßes. Sein Engagement als geistlicher Leiter der Legio Mariae, einer aus der Vorkonzilsära stammenden (ursprünglich irischen) aktivistischen Laienorganisation, ließen ihn als eine Art römisch-katholischen Sektierer erscheinen. Vor mehr als dreißig Jahren war die Legio erstmals in Wien aufgetaucht (als Theologiestudent absolvierte ich in ihr eine Ferialpraxis). Beim Wiener Klerus, der sehr konservativ war, stieß sie zunächst auf Ablehnung, konnte sich jedoch im Lauf der Jahre in die Pfarrarbeit integrieren. Ihr großer Vordenker war der flämische Weihbischof Suenens, der spätere progressive Kardinal. Zu meiner Zeit machten die Legionäre und Legionärinnen gezielt Hausbesuche bei „abtrünnigen“ und „lauen“ Christen, boten unentgeltliche Dienstleistungen an (wie Kinderhüten, Krankenpflegen und Wäschewaschen), und warben so für die Kirche.

Der Tenor ihrer Losungen und Gebete ist freilich sehr aggressiv. Es geht dabei um die aus dem sogenannten Proto-Evangelium (im Sündenfallbericht des Alten Testaments Genesis 3, 15) bekannte Prophezeiung an die Schlange: „Ich werde Feindschaft setzen zwischen dir und dem Weibe, deinem Samen und ihrem Samen; er wird dir den Kopf zertreten und du wirst seiner Ferse nachstellen.“ Mit dem „Weib“ soll die Kirche und Maria gemeint sein, mit dem „Samen des Weibes“ Christus, mit der „Ferse“ die Christen. Die Schlange ist selbstverständlich der Teufel, und seine Samen sind die Legionen Satans. Satan sucht den Sieg Christi am Kreuze wirkungslos zu machen, indem er den einzelnen Gläubigen nachstellt, um sie zu Fall zu bringen. Der Endkampf zwischen Christus und Satan entscheidet sich in den einzelnen Seelen. Diesen wird Hilfe zuteil durch die Zuwendung von Gnade im rechten Augenblick. Und dabei spielt Maria die entscheidende Rolle. Die Legio versteht sich in diesem apokalyptischen Kampf als Eingreiftruppe Mariens, der „Siegerin ın allen Schlachten Gottes“, Maria selbst (lautet die Leseart der Legio) zertritt der Schlange den Kopf.

Die Legio besitzt ein den altrömischen nachempfundenes Feldzeichen, das als kleines versilbertes Idol neben der „Fatima“-Marienstatue bei allen Legionärstreffen aufgepflanzt wird. Es steht auf einer Weltkugel, trägt über einer „wundertätigen Medaille“ den Schriftzug „Legio Mariae“, und ist statt von einem Adler von der Taube des Heiligen Geistes gekrönt.

Die „wundertätige Medaille“ (sie wurde in Presseberichten zum „Fall Groer“ als besonders abwegig beurteilt) wird von den Mitgliedern der Legio, wie übrigens auch von vielen anderen frommen Katholiken, ständig am Hals getragen. Sie zeigt die Jungfrau Maria in einem ovalen Rahmen, auf dem die Worte stehen: „O Maria, ohne Sünde empfangen, bitte für uns, die wir zu dir unsere Zuflucht nehmen.“ Die Rückseite der Medaille trägt den Buchstaben M, von einem Kreuz überragt, das auf einem Querbalken ruht. Darunter die beiden heiligen Herzen Jesu und Mariae, das erste von einer Dornenkrone umgeben, das zweite von einem Schwert durchbohrt (dieses symbolisiert das Leiden der Mutter mit ihrem Sohn auf Golgatha). Das Ganze ist umrahmt von 12 Sternen.

Das Muster dieser Medaille wurde arm 27. November 1830 der heiligen Katharina Labouré (einer barmherzigen Schwester vom hl. Vinzenz von Paul) in Paris offenbart, verbunden mit der Aufforderung, sie prägen zu lassen und zu verbreiten. Sie diente dem Programm des französischen Klerus, den Glauben an die „unbefleckte Empfängnis Mariens“ volkstümlich zu machen. Gemeint ist damit, daß Gott die Seele Mariens von Anfang an ohne jeden Makel der „Erbsünde“, den wir Menschen sonst alle haben (nur Johannes der Täufer ist im Mutterleib davon gereinigt worden), geschaffen hat.

Das entsprechende Dogma wurde über französische Bitten von Pıus IX. 1854 verkündet, und prompt vier Jahre später durch die Erscheinungen in Lourdes „verifiziert“. Das war der Beginn der marianischen Bewegung, deren Wurzeln ın jener ultramontanen Reaktion gegen Aufklärung und bürgerliche Revolution liegen, die ein äußerst pessimistisches Menschenbild propagierte. Die „Erbsünde“ wurde bemüht, um dartun zu können, daß der Mensch zu verteufelt ist, als daß er frei sein dürfte. Als Folge der „Erbsünde“ sei die menschliche Vernunft völlig unfähig, eine gerechte soziale Ordnung zu schaffen. Maria, der „Prototypos“ der Kirche, durfte selbstverständlich keinen Augenblick lang dem bösen Feind unterlegen gewesen sein, denn dann wäre die kirchliche Autorität bezweifelbar geworden.

Der historisch und ideologisch so belastete Marianismus ist von den Progressiven auf dem II. Vaticanum wirksam abgeblockt worden. Dennoch hat Paul VI. einmal den Konsens durchbrochen und Maria den Titel „Mutter der Kirche“ verliehen. Das war noch bescheiden gegenüber dem Vorsatz Pius’ XII., nach dem Dogma von der leiblichen Aufnahme auch noch den Glaubenssatz „Maria, Mittlerin aller Gnaden“ zu verkünden; bevor es dazu kommen konnte, war der Papst dann doch „heimgeholt“ worden. Die Legio Mariae jedoch glaubt an diese „Wahrheit“. Sie verleiht Maria eine Position, die bisher allein Christus zukam: jede einzelne Gnade wird durch Maria ausgeteilt, jede ist eine Waffe gegen den höllischen Feind.

Da ist es gewiß kein Zufall, daß das Heil ausgerechnet aus dem Weinviertel kommen soll, einer traditionell schwarzen Gegend. Hier weht der österreichische Geist in seiner urtümlichsten Weise. Liebliche kleine Ortschaften wie Nappersdorf, Kleinweikersdorf, Oberstinkenbrunn, Mailberg (mit seinem guten Rotwein), Schöngrabern und Roggendorf sind zwischen bewaldete und rebenbewachsene Hügel gestreut. Überall in der Gegend stehen bemalte Kruzifixe umher, heilige Dreifaltigkeiten hocken starr auf steinernen Säulen, und diverse Marien dämmern in Kapellen und Bildstöcken vor sich hin. Im Herzen des Weinviertels liegt das heutige Naturschutzgebiet der Leiserberge mit einer mächtigen Aussichtswarte und dem uralten Marienheiligtum Oberleis. Hier ist eines der ältesten Siedlungsgebiete Österreichs. Die Leiserberge liegen genau zwischen Hollabrunn im Westen und Mistelbach im Osten. „Mistelbacher“ heißen im Volksmund die Angehörigen der Wiener Polizei, weil sie zu Kaisers Zeiten aus dieser Gegend kamen. Sie galten als besonders einfältig, stur und staatstreu. Aus Hollabrunn mit seinem Knabenseminar (das der neue Erzbischof zeitweise leitete) wiederum bezog und bezieht die Wiener Erzdiözese ihren geistlichen Nachwuchs an frommen und willigen Bauernbuben. Roggendorf liegt nordöstlich von Hollabrunn. Es besteht aus der Kirche, dem Friedhof und 50 Häusern. Postamt gibt es keines. Außerhalb des Dorfes, auf dem „Marienfeld“, erhebt sich ein architektonisch supermodernes Zisterzienserinnenkloster, für dessen Ansiedlung Pater Hermann verantwortlich sein soll. Die frommen Frauen betätigen sich nähenderweise: sie verfertigen kunstvolle Paramente für den katholischen Gottesdienst. Der Wallfahrtsdirektor aber haust im Kirchturm von Roggendorf und verbringt seine Nächte (wie ein Wochenmagazin genüßlich hervorhob) in einem großen Schrank — der wohl ein Bett enthalten dürfte.

1259 als Ort erstmals urkundlich erwähnt, gibt es in Roggendorf seit 1291 einen „Unser Lieben Frau Altar“. 1450 wurde das auf Leder gemalte Gnadenbild der Madonna mit Kind in einer Kapelle untergebracht, und es begannen die Wallfahrten. 1651 errichtete man die Kirche, 1715 wurden an hohen Festen bis zu 5000 Kommunionen gespendet. 1782 jedoch schränkte Kaiser Joseph I. die öffentlichen Prozessionen ein, und verbot sie 1785 völlig. Seitdem blieb es still im kleinen Roggendorf.

Bis der Weltgeistliche Hans Groer als Pater Hermann den Göttweiger Benediktinern beitrat (denen gehört die Pfarre Roggendorf), das verrottete Lederbild restaurierte und den Ort in „Maria Roggendorf“ umtaufen ließ. Am 13. Oktober 1969 (einem „Fatima“-Tag) führte der päpstliche Nuntius Opilio Rossi die erste Wallfahrt an. Seitdem kommen jeden Monat Kardinäle, Bischöfe und Äbte aus aller Welt unter dem Jubel tausender Pilger hierher, fürsorglich betreut von Pater Hermann. (Und da wundern sich manche Leute, wie der Papst überhaupt etwas von der Existenz dieses „einfachen Landgeistlichen“ hatte erfahren können!) Genau am 17. Jahrestag der Neuweihe des Lederbildes jedoch (am 14. September) fand im Wiener Stephansdom die Bischofsweihe statt. So bestimmte es Papst Wojtyla, eine dem Pater Hermann verwandte marianısche Seele. Daß die Innenwelt des gegenwärtigen Pontifex Maximus nicht wesentlich verschieden ist von der eines geistlichen Leiters der Legio Mariae, zeigen Wojtylas vom Osservatore Romano getreulich wiedergegebene Spekulationen über die Psychologie der Engel und des Satans sowie die skandalöse Bestrafung des Washingtoner Sexualmoraltheologen Charles Curran.

Machen wir uns indes nichts vor: die Wiener Kirche ist niemals wirklich progressiv gewesen (wie etwa die holländische), nicht einmal in der kurzen Aufbruchsphase nach dem II. Vaticanum. Was sich vorher, nach dem Tod des vor allem politisch völlig naiven Kardinals Innitzer, unter dem Schlagwort „Modernisierung“ abgespielt hatte, waren bloß Cliquenkämpfe zwischen den Anhängern zweier Prälaten (Weinbacher und Jachym) gewesen. Der damalige St. Pöltner Koadjutor Franz König ist dann vor allem deshalb zum Zug gekommen, weil Pius XII. die Intrigen schon auf die Nerven gingen. König war bekannt weltoffen, umgänglich, vertrug sich mit jedem Papst, und vermochte geschickt Arbeit zu delegieren — gerecht aufgeteilt auf alle Streitparteien. Er spielte eine gute Rolle auf dem Konzil und in der Ökumene. Aber unter seinem Regiment verloren auch progressive Denker wie Adolf Holl ihre Jobs.

Die verschiedenen Nachfolgekandidaten schienen zwar im großen und ganzen diese gemäßigte Linie fortführen zu wollen, aber es fehlte an einem neuen Impetus. Was freilich an Problemen liegt, die die Gesamtkirche betreffen: Demokratisierung, Zölibat, Weihe von Frauen, Sexualmoral, Geburtenregelung. Es muß endlich klar werden, was die Menschen mit ihrem „Fragen nach Gott“ zum Ausdruck bringen wollen und worin die „Wahrheit“ der Botschaft Jesu eigentlich besteht. Wojtylas Linie ist inzwischen längst bekannt: Zurück zum Altbewährten, zu Frömmigkeit und Sittlichkeit.

Dafür scheint Groer wie geschaffen zu sein. Er verwirft vor- und außerehelichen Geschlechtsverkehr, verlangt von Wiederverheirateten Enthaltsamkeit, ist selbstverständlich gegen die Pille, und will die umstrittene Kirchensteuer nicht abschaffen, sondern durch Bekehrung der Herzen wieder schmackhaft machen.

Wie einfach im Grund das Weltbild dieses Restaurators einer ledernen Madonna aus dem Jahr 1450 nach 66 Lebensjahren geblieben ist, zeigt jenes köstliche (wiewohl unfreiwillige) Bonmot, das er in seiner ersten Rundfunkpredigt am 15. August, dem Fest Mariae Himmelfahrt, zum besten gab, und das viele Hörer in ungläubigem Staunen erstarren ließ: „Aktuelle Probleme können nur durch den Glauben bewältigt werden.“ Wer’s glaubt, wird selig.

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Erstveröffentlichung im FORVM:
September
1986
, Seite 17
Autor/inn/en:

Josef Dvorak:

Jahrgang 1934, gelernter Theologe und Tiefenpsychologe. Langjähriger Gerichtsreporter und außenpolitischer Redakteur bei Tageszeitungen, von 1973 bis 1995 Mitglied der Redaktion des FORVM. Er ist heute freier Forscher und Publizist und beschäftigt sich vor allem mit der Geschichte der Psychoanalyse, des Okkultismus und ideologischer Minderheiten.

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