Streifzüge » Print-Ausgaben » Jahrgänge 2001 - 2010 » Jahrgang 2010 » Heft 50
Andreas Exner

Gegen Arbeitsterror – Für Grundeinkommen und gutes Leben

VP-Wien Frontfrau Christine Marek erinnert an das Essential des Kapitals: gearbeitet muss werden. Niemand widerspricht. SP-Sozialminister Hundstorfer antwortet: den Arbeitszwang gibt’s ja schon. Grüngewerkschafterin Paiha meint, ja, richtig, die Mindestsicherung ist bestimmt kein Grundeinkommen. – Das Arbeitspack hat die Öffentlichkeit im Griff. Gegenwehr ist nötig.

Kaum trat die so genannte bedarfsorientierte Mindestsicherung in Kraft, ging Christine Marek voll in Saft. Die Familienstaatssekretärin der ÖVP forderte im September, dass die von der Mindestsicherung Getroffenen zu „gemeinnütziger Arbeit“ verpflichtet werden sollten, sofern sie nach sechs Monaten keinen Job gefunden hätten. Marek, Spitzenkandidatin für die Wien-Wahl, die sie im Oktober zusammen mit SP und Grünen glänzend verlor, sprach dabei in gewohnter Manier von einer „Keule gegen sozialen Missbrauch“. Damit weiß sie sich nicht nur eins mit FPÖ und BZÖ, sondern ebenso mit SPÖ und Grünen.

Es ist dem langweiligen Drehbuch von Rede und Gegenrede auf der Politbühne geschuldet, dass, was eine Partei vorschlägt, von den anderen Parteien zu kritisieren ist. Das heißt freilich nicht, dass die parteiliche „Opposition“ wirklich gegen Mareks Vorschlag ist. Ein genauer Blick auf die inszenierten Gegenreaktionen enthüllt sie als bloße Marketingphrasen. Es sind Unterschiede zwischen Schwarz und Dunkelgrau, nicht zwischen Schwarz und Weiß. Als Unterschiede ums Ganze will man sie nicht einmal verkaufen. Denn dieses Ganze ist das System aus Arbeit, Kapital und Staat – und für die etablierten Kräfte sakrosankt.

Das Arbeitslager

Die rot-grünen Reaktionen auf Mareks Vorstoß entblößen ihren terroristischen Charme dabei wie von selbst. Sozialstadträtin Sonja Wehsely, SP, kritisierte Marek auf famose Art mit dem Hinweis, die Mindestsicherung sei ja bereits an Arbeitspflicht gekoppelt. Dieselbe Schiene fährt Sozialminister Hundstorfer. Dieser betont die bereits bestehenden Sanktionen bei Arbeitsverweigerung (Online-Standard, 14.9.2010). Die Mindestsicherung sei klar mit „Arbeitsanreizen“ verknüpft. Auch beim Arbeitslosengeld, so der Minister, gebe es bei Arbeitsverweigerung Sanktionen. Von rund 800.000 „AMS-Kunden“ hätten rund 93.000 Kürzungen erfahren müssen. Ziel der Mindestsicherung sei es, Menschen wieder „zurück in normale Beschäftigungsverhältnisse“ zu bringen, so Hundstorfer – also unter die Knute des Kapitals.

Auch dem Grünen Sozialsprecher Karl Öllinger fällt nichts Besseres ein, als darauf hinzuweisen, dass die meisten Arbeitslosen ohnehin nach 97 Tagen einen Job fänden. „Sie in einen Arbeitsdienst zu zwingen hieße, sie länger in der Arbeitslosigkeit festzuhalten“, so Öllinger laut Online-Standard (14.9.2010). Also: weil der Arbeitszwang die Leute ohnehin zur Arbeit zwingt, muss man gar keine Arbeit per Arbeitsdienst simulieren. Das impliziert im Umkehrschluss, dass, falls die Arbeitslosigkeit weiter zunimmt, Öllinger durchaus für ein Arbeitslager ist. Bösartig ist dieser Schluss nicht. Dies ist vielmehr Öllingers Position, der sich als Gegner des Grundeinkommens profiliert, während er sich für die Arbeitszwang-Sicherung – euphemistisch als „bedarfsorientierte Mindestsicherung“ tituliert – stark macht.

Ähnlich argumentiert die Grüne Gewerkschafterin Klaudia Paiha (AUGE/UG) für Arbeitszwang unter dem Deckmantel der „Menschenfreundlichkeit“. „Es ist schändlich, Arbeitssuchende unter generellen Missbrauchsverdacht zu stellen und gleich einmal vorbeugend die ‚Keule zu schwingen‘“, meint Paiha (www.auge.or.at, PR-Aussendung). Der Satz sagt zugleich: Es ist nicht schändlich, manche Arbeitssuchende unter Missbrauchsverdacht zu stellen; nicht vorbeugend, durchaus jedoch begleitend soll man die Arbeitskeule schwingen. Noch klarer wird die AUGE/UG-Bundessprecherin, wenn sie darüber spekuliert, was „Arbeitslose wirklich brauchen“, nämlich „ein entsprechendes Angebot an anständigen, ordentlich entlohnten und sozial- und arbeitsrechtlich abgesicherten Arbeitsplätzen, die eine langfristige Beschäftigungsperspektive bieten“. Um auch der Klientel der AUGE/UG anständige, ordentlich entlohnte und abgesicherte Arbeitsplätze zu bieten, wird ergänzt, dass dies auch „die notwendige sozialarbeiterische und psychologische Unterstützung, einen solchen einmal annehmen zu können“, bedeute. Vermutlich durch „gemeinnützige Tätigkeiten“, Straßenkehren mit nachfolgender Selbstreflexion und Aufarbeitung der frühen Kindheit zum Beispiel: „Wie ist es Dir dabei gegangen? Was spürst Du? Erinnert Dich der Besen an Deine Mutter?“ Dies verbessert kommunikative Fähigkeiten, die notwendig sind, um Arbeit zu verrichten, die wir wirklich wirklich wollen, etwa jene in grünen Gewerkschaftsbüros. Der VP-Familienstaatssekretärin richtet Paiha aus: „Im Übrigen sollte auch Marek wissen, dass weder Mindestsicherung noch Arbeitslosengeld ‚geschenktes‘ Geld sind, sondern immer Arbeitswilligkeit voraussetzen.“ Richtig, deshalb gehören Marek, Paiha und das restliche Arbeitspack auch zusammen in Entschäftigungstherapie.

Die Einheit der Politik

Dass BZÖ und FPÖ die bestehende Arbeitspflicht bestärken, versteht sich von selbst. Anders als Grüne und SP, deren Verlogenheit Programm ist, schießen sie im Verein mit der ÖVP ganz ohne Visier. Die Politik ist also einer Meinung. Seltsames Faktum, müsste man denken, wenn man den „Wettstreit der Meinungen“, die „Vielfalt der Ansichten“, und die „offene Gesellschaft“ – also alles, was Verblendete jeglicher Couleur der real-existierenden Demokratie andichten wollen, ernst nimmt. Ganz offensichtlich ist das Gegenteil der Fall. Arbeit ist das Um-und-Auf. Eine Welt ohne Arbeit gilt der Politik wie eine Welt ohne Politik. Undenkbar. Quatsch.

Oder, um mit den Worten des Grünen Markus Koza zu sprechen, seines Zeichens Vertreter der angeblich „Unabhängigen Gewerkschaft“ im ÖGB-Bundesvorstand (www.auge.or.at, Dez. 2006 – „Mythos Grundeinkommen“): „Was wiegt ein Recht auf Wohnen, auf Nahrung etc., wenn es an der materiellen Basis fehlt? Für ein Recht auf Wohnen braucht es Wohnungen, für ein Recht auf Nahrung Nahrungsmittel etc. Güter, die aus Arbeit entstehen, die durch Arbeit geschaffen wurden und werden. Und so entsteht gesellschaftlicher Reichtum schließlich aus Arbeit – egal ob körperliche, geistige etc.“

Koza hat sich vermutlich noch nie gefragt, was Arbeit ist. Vergebt ihm. Freilich, auch der Philosoph Manfred Füllsack scheint in diesem Punkt nicht viel weiter gekommen zu sein. Die Studie „Zur Zukunft der Arbeit“, die das Umweltministerium in der Reihe „Wachstum im Wandel“ 2010 herausgegeben hat, zitiert ihn mit den Worten, dass Arbeit zunächst zielgerichtetes Tun im Sinne von „Weltgestaltung“ zusammenfasse. Arbeit markiere jene Tätigkeit, „die unternommen wird, wenn ein bestimmter Zustand oder eine Gegebenheit der Welt als unbefriedigend oder mangelhaft erlebt wird, oder wenn sich Ressourcen, die uns wichtig erscheinen, als knapp erweisen“ (Füllsack 2009, zit. nach „Zur Zukunft der Arbeit“, 2010, S.19). „Wir arbeiten, wenn wir Hunger haben, um über Nahrungsmittel zu verfügen“ (ebda.), erläutert das Umweltministerium in unnachahmlicher analytischer Präzision.

Diesem Arbeitsverständnis zufolge sind Vögeln, Krieg führen und Raubzüge unternehmen oder einen Berg besteigen gleichermaßen Arbeit. Nicht zu vergessen: Rülpsen. Wie es die unhistorische Definition eines Begriffs so an sich hat, ist dagegen nicht viel einzuwenden, außer dass er damit unbrauchbar wird, weil nicht als Ausdruck eines bestimmten sozialen Verhältnisses analysiert. Das allerdings wiegt schwer, wenn man, wie Koza, Arbeit hinstellen will als wäre sie für unser Leben notwendig wie die Luft zum Atmen.

Tatsächlich ist Arbeit die fremdbestimmte, durch Herrschaft erzwungene Tätigkeit. Arbeit ist Ausdruck einer spezifischen Beziehung zwischen Menschen, nicht ein bloßes „Tun“. Dies ist vielfach nachgewiesen. Außereuropäische Sprachen kannten vor der Kolonisationsepoche keine Worte für „Arbeit“, sondern nur Bezeichnungen ganz unterschiedlicher Tätigkeiten in vielfältigen Kontexten (siehe zum Beispiel Reimer Gronemeyer 1991, „Der faule Neger“). Im europäischen Sprachraum verweisen die Ausdrücke für „Arbeit“ historisch auf die Tätigkeit der Sklaven und der Unfreien (siehe krisis 1997, „Manifest gegen die Arbeit“).

Dies ist auch leicht zu erklären. Arbeit meint schlicht die gegen jeden konkreten Inhalt gleichgültige Verausgabung von Arbeitskraft gegen Geld. Sie hat in der Sklaventätigkeit ihren Vorläufer. Die moderne Arbeit ist Verkauf von Lebenszeit an das Kapital. Dieser Tätigkeitsform ist Arbeit im Staatsdienst oder für Non-Profit-Unternehmen nachgebildet. Arbeit ist das „lebendige Moment“ des Kapitals, bevor dieses in Waren vergegenständlicht wieder auf dem Markt erscheint und sich in „tote Arbeit“, also in Geld ummünzt, das wiederum Arbeitskraft einkauft – entsprechende Profitaussichten vorausgesetzt oder Möglichkeiten, Steuern aus der Akkumulationsbewegung des Kapitals abzuschöpfen.

Arbeit ist der innere Widerspruch im Kapital, seine Substanz und Dynamik. Sie ist die Tätigkeit des Menschen, die einer sachlichen Macht, der Vermehrung von Geld in der Hand des Kapitalisten, mit der Faust des Staates unterworfen ist. Sie ist unfreie Existenz, Inbegriff von Herrschaft. Sie gilt es abzuschaffen. Nur wenn die Arbeit fällt, fällt das Kapital – und mit ihm die Überlebenskonkurrenz, der Wachstumszwang und eine Krise, die heute bereits die bloße Möglichkeit zukünftigen menschenwürdigen Lebens insgesamt bedroht.

Genau deshalb schließt die politische Armee des Arbeitsterrors in ihre Reihen alles ein, was da als Partei in Parlament und Gewerkschaft kreucht. Arbeit, die erzwungene Tätigkeit zum Wohle von Kapital und Staat, ist die Basis der Politik. Sie ist zugleich Fundament und Existenzinhalt der Gewerkschaft. Die Profiteure des Fetischs „Arbeit“ sind offen sichtbar.

Das einzige Gesetz des Kapitals und sein Ende

Freilich – die Arbeit wird nicht von heute auf morgen verschwinden. Es braucht einen vielfältigen, unentwegten Kampf auf mehreren Ebenen, der sich mit dem Aufbau von Alternativen verbindet, die keine Arbeit kennen, sondern freie Assoziation der Produzierenden sind. Die Mittel dieses Kampfes liegen auf der Hand: gegen jede Form der „Bedarfsprüfung“ von Arbeitslosenunterstützung, also für ein bedingungsloses Grundeinkommen; gegen jede Form der Zurichtung für den Arbeitsmarkt, also für ein vom Verwertungsdiktat befreites Wissen; gegen jede Form des Managements, also für eine Vielfalt solidarischer Ökonomien; gegen jede Form der Privatisierung und Feminisierung von gesellschaftlich notwendigen Tätigkeiten, also für eine Sozialisierung der Erziehung von Kindern und der Haushaltsführung.

Das Kapital hat nur ein einziges Gesetz, das der Arbeit und der unbezahlten Mehrarbeit. Jedes andere vermeintliche Gesetz seiner Funktionsweise ist zumindest temporär zu sistieren. Ganze Atmosphären fiktiven Kapitals werden von Blase zu Blase verschoben. Preise werden politisch justiert und nachjustiert. Dem Markt wird aller Orten auf die Sprünge geholfen. Die Staatsverschuldung türmt sich höher als jede Vorstellung es für möglich hält. Keinen Spaß versteht das Kapital jedoch mit Arbeit und der darin eingeschlossenen Mehrarbeit, die über das für die „Lebenserhaltung“ notwendige Maß hinausgeht und ergo Profit produziert. Da versagt seine Fantasie zur Beschönigung der Bilanz ganz dezidiert. Dies ist sein Wesenskern und damit auch neuralgischer Punkt: Disziplin, Kontrolle über das Leben der Massen. Ohne Arbeit brechen Staat und Kapital zusammen und verliert die Verwaltung von Arbeitslosigkeit ihren herrschaftlichen Sinn.

Die Flucht aus der Arbeit ist deshalb mit allen Mitteln zu unterstützen. Jede Deserteurin ist zu beglückwünschen. Den Fliehenden sind alle Türen zu öffnen. Es sind ihnen alle Verstecke und alle Zuflucht zu gewähren. Betrug am Staat muss Massenpraxis sein und als solche gutgeheißen werden. Wir sind der Staat und sind es zugleich nicht. Dass wir er sind, ist unser Glück, denn somit ist er von uns zu beenden. Dass wir er nicht sind, ist ebenso unser Glück, denn damit ist er letztlich uns unterworfen, nicht wir ihm. Wir können existieren ohne Staat, der Staat aber nicht ohne seine Angehörigen. Für das Kapital gilt Selbiges.

Kozas Sicht ist vor diesem Hintergrund ebenso unreflektiert wie perfide. Gibt er zuerst vor, das Kapital und mit ihm die Arbeit zu kritisieren, so führt ihn sein blinder Arbeitsfetischismus schließlich zum ganz entgegen gesetzten Schluss. „Lohnarbeit ist weitestgehend fremdbestimmte Arbeit – einmal offensichtlicher, einmal verdeckter“, weiß Koza, nur um etwas später ungeniert pro Lohnarbeit festzustellen: „Kein Grundeinkommen ohne Lohnarbeit. Ein Grundeinkommen will schließlich finanziert bzw. erwirtschaftet werden.“ Arbeit ist Scheiße. Und genau deshalb treten wir dafür ein. Alles klar?

Die Terroristinnen der Arbeit haben nur eins im Auge: das Kapital aufrecht zu erhalten. Sie wollen uns erklären, dass Arbeit sein muss. Ja, dass die, die im Schweiße ihres Angesichts Kohle machen, die Verweigerer der Arbeit durchzufüttern hätten, wie es heißt, und also doch eine Gegenleistung zu erwarten haben. Sie vergessen, dass „Sozialleistungen“ des Staates letztlich ein Abzug vom Profit sind, nicht vom Lohn. Sie beschränken die Akkumulation des Kapitals. Sie gehen ein in den Konsum der Arbeiter_innenklasse und kommen ihr zugute. Die Arbeiter_innenklasse leistet Frondienste für das Kapital. Damit es fällt, sind viele Mittel Recht. Jede Sicht, die dagegen das falsche Verhältnis von „Leistung“ und „Gegenleistung“ innerhalb der Lohnabhängigen (und dazu zählen die Erwerbslosen) aufmacht, ist strikt zu bekämpfen. Nicht zuletzt, weil sie den Konflikt zwischen den Tätigen und dem Kapital verschiebt und in Konkurrenz innerhalb der Arbeiter_innenklasse verwandelt – ein ideologischer Ursprung von Rassismus und Sozialdarwinismus.

Koza meint, besonders schlau zu sein, wenn er doziert: „Eine Rezession würde die Zukunftsperspektive eines bedingungslosen Grundeinkommens sofort in Frage stellen. Obwohl die Befürworter ihr Konzept mit Hinweis auf Krisensymptome der Gesellschaft begründen (immer mehr Arbeitslose, Zunahme prekärer Beschäftigungsverhältnisse), setzen sie zum Gelingen des bedingungslosen Grundeinkommens zwingend die Rentabilität des Kapitals voraus, also den Erfolg der Wirtschaftsweise, die das Elend produziert.“

Wer so schreibt, hat nichts verstanden. Dem Arbeitsfreund sei noch einmal gesagt: wir wollen keine Arbeit, wir wollen keinen Profit, wir wollen kein Kapital. Schon gar nicht den „Erfolg der Wirtschaftsweise, die das Elend produziert.“ Der Arbeitsfreund – ob Grüner, Sozialdemokrat oder offen Rechtsextremer – behauptet, dies sei weltfremd, ja, gefährlich. Gearbeitet muss werden. Und in der Tat: Die Stellung zur Arbeit markiert die Grenze zwischen jenen, die für Herrschaft eintreten, aufgrund falschen Denkens, anerzogenem Charakter, aus Konvention oder gar bösem Willen, das macht hier keinen Unterschied, und jenen, die Herrschaft ablehnen – so unzureichend ihre Ablehnung in einer Gesellschaft, die von Herrschaft durchzogen ist und sie selbst in ihrem Widerstand noch prägt, auch sein mag.

Der offene Kampf gegen die Arbeit und ihre Vollstrecker ist jedenfalls weit besser als die rot-grüne Sauce Marke „ordentlicher Arbeitsmensch“, wie sie Koza exemplifiziert: „Um sich ‚individuell‘ vom Zwang befreien zu können, müssen sich genug andere finden, die sich bereitwillig den ‚Zwängen‘ der Lohnarbeit unterwerfen, um Vermögen, Gewinne, Löhne zu schaffen, die besteuerungsfähig sind. Sonst funktioniert das System Grundeinkommen von der Finanzierungsseite schlichtweg nicht oder verkommt zu einem besseren Taschengeld. Reichtum und Vermögen sind Ergebnis dieser Lohnarbeit (und selbstverständlich der Reproduktionsarbeit, ohne die Lohnarbeit ja gar nicht möglich wäre) und sind nicht einfach da, oder vermehren sich auf wunderbare Art und Weise von selbst (‚Geld arbeitet‘ ist ein Nonsens, sonst nichts). Reichtum ist erarbeitet oder angeeignet, geraubt, von unten nach oben umverteilt, von Süd nach Nord, was auch immer.“ – Wenn schon Peitsche, dann für alle, so das Motto. Eine politische Sadomaso-Show in Aktion. Was für ein gefährlicher Unfug.

Noch einmal zu Richtigstellung: Das Grundeinkommen soll kein System sein, sondern ist die Zerstörung des Systems. Es ist kein „Modell“, sondern ein Sprengsatz. Es ist keine Handlungsanleitung, sondern eine Richtungsforderung. Sicherlich missverstehen viele seiner Anhänger_innen es als eine „Utopie“. Doch tut dies seinem anti-systemischen Charakter keinen Abbruch. Darin liegt unter anderem sein strategischer Reiz.

André Gorz, einer der besten Vertreter des Grundeinkommens, lässt in diesem Punkt keine Zweifel aufkommen: „Ein in ordinärem Geld ausbezahltes ausreichendes Grundeinkommen ist im Rahmen der existierenden kapitalistischen Warengesellschaft nicht realisierbar. Davon muss immer ausgegangen werden. Gänzlich aufgeben muss man die Forderung eines Grundeinkommens dennoch nicht. In schweren sozialen Krisensituationen kann sie zeitweilige Teilerfolge erzielen und vorübergehend die allgemeine Misere lindern. Zu einer gesellschaftlichen Transformation wird sie nicht führen. Das Grundeinkommen darf folglich nicht als Zweck an sich gefordert werden“ (Gorz in Exner/Rätz/Zenker, 2007, S. 73f.).

Der Kampf gegen die Arbeit und für eine bedingungslose Geldleistung, die den Zugriff auf Waren ermöglicht, der in einer vom Kapital dominierten Gesellschaft überlebensnotwendig ist, muss mit der direkten Aneignung der Produktionsmittel einhergehen: „Vernetzte kommunale Produktionsstätten können eine fortlaufende Verständigung darüber erlauben, was, wo, wozu herzustellen ist. Geld- und Warenbeziehungen erübrigen sich, ebenso wie ein allgemeines Grundeinkommen. Seine Funktion könnte allein darin bestehen, während des Zusammenbruchs der Warengesellschaft oder vor ihm den Übergang zu neuen Produktionsverhältnissen einzuleiten“ (ebda., S. 78).

In der frühen Phase dieses Zusammenbruchprozesses wäre, massiven sozialen Widerstand gegen gewerkschaftliche Disziplinierung und staatliche Repression vorausgesetzt, eine nochmalige Ausweitung der Staatsverschuldung zu bewirken. Diese Bewegung gliche einer latenten Hyperinflationierung, einer „Selbstentleibung der Geldform“. Sie würde den Prozess, den das Kapital selbst vorwärts pusht, damit auf die Spitze treiben und für die soziale Opposition ummünzen. Um den Übergang in eine neue Gesellschaft zu bewirken, müsste sie zugleich das gesellschaftliche Produktionspotenzial in eine freie Assoziation der Tätigen entbinden. Die Arbeit wäre dann Vergangenheit, das gute Leben wirklich.

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Erstveröffentlichung im FORVM:
Oktober
2010
, Seite 3
Autor/inn/en:

Andreas Exner:

Geboren 1973. Studium der Ökologie. Gesellschaftskritischer Publizist, u.a. bei social-innovation.org aktiv.

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