Streifzüge » Print-Ausgaben » Jahrgänge 2001 - 2010 » Jahrgang 2005 » Heft 34
Maria Wölflingseder
Dead Men Working

Fußfesseln für Nicht-Subjekte

Als Ende April der hessische Justizminister Christean Wagner (CDU) die Idee verbreitete, auch therapierten Suchtkranken und Langzeitarbeitslosen als wohlwollende „Hilfe zur Selbsthilfe“ (O-Ton) Fußfesseln anzulegen, haben sicher auch die 550.000 Arbeitslosen [1] in Österreich einen verstärkten Druck des Würgegriffs verspürt. Noch reagierte die mediale Öffentlichkeit mit Vorbehalten. Aber das ist auch eine bewährte Taktik: Einer macht einen Vorstoß, die anderen pfeifen ihn zurück, um das Ganze dann gemeinsam auf erprobte Art scheibchenweise (vulgo: in Salami-Taktik) in Angriff zu nehmen.

Was hat es mit der Mobilität und der Mobilitätseinschränkung auf sich? Die Untrennbarkeit von Macht und Mobilität klingt noch im militärischen Begriff der Mobilisierung an. „Mächtig war, wer über kleine Truppen, große Armeen, einzelne Bauernsippen oder ganze Völkerschaften so verfügen konnte, dass er sie unter Missachtung all der Hemmnisse, die ihm die Natur, das Klima, die Traditionen entgegenstellen mochten, dorthin befehlen konnte, wo er sie brauchte: als Soldaten, Siedler, Kanonenfutter, Huren, was immer.“ [2]

Das Gebot, das für Menschen mit Job gilt, ist dem Gebot für solche ohne Job diametral entgegengesetzt. Bei der Wahrnehmung von Arbeitsmöglichkeiten ist totale Mobilität das Ideal; sie wird von den Arbeitsämtern zunehmend auch erzwungen. Hingegen ist den Arbeitslosen untersagt, den Wohnort zu verlassen bzw. werden sie von Staats wegen genötigt, in „Maßnahmen“ an einem bestimmten Ort eine bestimmte Zeit abzusitzen. In Österreich gibt es – im Gegensatz zu Deutschland – auch nicht die Möglichkeit des jährlichen dreiwöchigen Verreisens, während dessen das Arbeitslosengeld oder die Notstandshilfe weiterbezogen wird. Aber auch nur den Wohnort zu verlassen, um innerhalb Österreichs einen anderen Ort aufzusuchen, wird immer riskanter. Es könnte jederzeit mit der Post eine Vorladung ins Haus flattern. Wer diesen Termin versäumt, dessen Arbeitslosengeld wird für sechs Wochen eingestellt.

Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass dieses Szenario in abgeschwächter Form schon im 19. Jahrhundert zu beobachten war. Damals gab es auch große Migrationsbewegungen. Auf der Suche nach Arbeit strömte die Landbevölkerung in die entstehenden industriellen Zentren. Wenn diese Menschen bei Konjunktureinbrüchen der Armenfürsorge zur Last fielen, mussten sie aber wieder in ihre Geburtsorte zurückkehren. Nur dort hatten sie Anspruch auf Unterstützung. Aber nicht nur diese historische Parallele springt ins Auge, sondern auch eine zeitgenössische. Die Einschränkung der Freizügigkeit des Arbeitslosen, die teilweise schon Praxis ist, teilweise sich erst abzeichnet, hat ihr Vorbild an der Behandlung des Staatsbürgerrechtslosen, des Asylsuchenden. AsylbewerberInnen dürfen in Deutschland den Landkreis nicht verlassen, in dem ihre Unterkunft steht. Diese anvisierte Gleichbehandlung von Arbeitslosen und Asylbewerbern hat eine gewisse Logik, wenn man den Status des Arbeitssubjekts und den des Rechtssubjekts als die beiden Seiten der warenförmigen Subjektform nimmt. Da wie dort wird das Nicht-Subjekt stillgestellt, während das Subjekt im Funktionsraum hin und her zu sausen hat. Auch das Asylgesetz in Österreich, das eben erst drastisch verschärft wurde, sieht weitere Einschränkungen der Mobilität von Asylbewerbern vor. Vor allem werden Menschen immer öfter in Schubhaft genommen – rein ihres ungesicherten Aufenthaltsstatus wegen. Diese haben keine Straftat begangen; die Schubhaft hat „definitionsgemäß weder rehabilitierenden noch sanktionierenden Charakter, sondern soll lediglich der , Sicherung‘ eines laufenden Verfahrens zur Verhängung eines Aufenthaltsverbots oder einer Ausweisung dienen bzw. die Außerlandesschaffung eines oder einer nach österreichischer Rechtslage ,Fremden‘ sicherstellen.“ … „Obwohl der Inhaftierung keine richterliche Verurteilung, sondern lediglich die Anordnung durch eine Verwaltungsbehörde vorangeht, sind die Haftbedingungen … schlechter als bei anderen Formen des Freiheitsentzugs.“ [3] Auch auf freiem Fuß müssen AsylwerberInnen immer verfügbar sein. Jede Adressänderung ist binnen drei Tagen bekannt zu geben. Die Sanktionen bei einem Versäumnis dieser Frist sind gravierend.

Das Nicht-Subjekt Asylwerber steht also unter strenger staatlicher Aufsicht oder ist zur Gänze der Freiheit beraubt. Solange Arbeitslosigkeit noch kein Massenphänomen war, wurde Arbeitslosen der Subjektstatus noch honoris causa, also ehrenhalber, zuerkannt. Seit einigen Jahren wird aber dieser Status immer brüchiger. Insbesondere Langzeitarbeitslosen wird die Berechtigung als vollwertiges Subjekt zunehmend abgesprochen. Während sich alle Menschen, außer Strafgefangenen und Kindern, die der Schulpflicht unterliegen, frei bewegen dürfen, werden Arbeitslose in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt. (Der Zwang zur Mobilität im Arbeitsleben hingegen beruht auf privatrechtlichen Verträgen bzw. legen sich die Menschen, wenn sie „selbstständig“ sind, diesen Zwang selbst auf.)

Arbeitslosen ist es untersagt ins Ausland zu reisen, sie müssen jederzeit erreichbar sein, jederzeit „zur Verfügung stehen“. In der Logik kapitalistischer Verwaltung von Nicht-Subjekten machen die Fußfesseln also durchaus auch für Langzeitarbeitslose Sinn.

Die zunehmende „Pädagogisierung“ der Behandlung von Arbeitslosen ist ebenfalls Ausdruck ihres nicht vollwertigen Status. Die zwangsweise Teilnahme an sinnlosen „Maßnahmen“ (Coachings und Kursen) – allzu oft auch für jene, die bereits eine Zusage für einen neuen Job haben – stellt eine weitere staatlich verordnete Einschränkung der Orts- und Zeitsouveränität dar.

In Deutschland gehen die Vorbereitungen zur Unter-Kuratel-Stellung von Arbeitslosen munter weiter. Der neueste Clou: Die Arbeitsämter sollen künftig Langzeitarbeitslose nach ihrem sozialen Umfeld und ihren gesundheitlichen Verhältnissen befragen. Das Ziel ist die Überreichung und Verwahrung der medizinischen Befunde an den „arbeitsamtlichen Vormund“. Nach einem öffentlichen Aufschrei kam die übliche Salami-Nummer: Es ginge ja „nur“ um drogenabhängige und psychisch kranke Langzeitarbeitslose.

[1Diese annähernd reelle Zahl von Arbeitslosen (mehr als doppelt so hoch wie die offizielle) wurde am 1. Mai 2005 zum ersten Mal in einem großen Medium genannt, auf der Titelseite der „Die Presse“, Wien.

[2Karl-Markus Gauss: Das Europäische Alphabet, München 2000, S. 116, (Wien 1997).

[3Petra Limberger: In Haft wegen Fremdsein, in: asyl aktuell 1/2005, Wien.

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Erstveröffentlichung im FORVM:
Juni
2005
, Seite 11
Autor/inn/en:

Maria Wölflingseder:

Geboren 1958 in Salzburg, seit 1977 in Wien. Studium der Pädogogik und Psychologie. Arbeitsschwerpunkt: Kritische Analyse von Esoterik, Biologismus und Ökofeminismus; zahlreiche Publikationen. Bei den Streifzügen seit Anbeginn. Mitherausgeberin von „Dead Men Working“ (Unrast-Verlag, 2004). Nicht nur in der Theorie zu Hause, sondern auch in der Literatur, insbesondere in der slawischen. Veröffentlichungen von Lyrik sowie Belletristik-Rezensionen.

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