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Monika Vana

EURO – beinhart

Die Diskussion über die geplante Einführung der 3. Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) stellt EU-Europa auf die Probe: beinharter Monetarismus oder eine neue sozioökonomische Vernunft?

Kommt sie oder kommt sie nicht, die WWU? Das ist wohl jene Gretchenfrage, deren Antwort die Gestaltung Europas zu Beginn des dritten Jahrtausends prägen wird. Geht es nach den EU-Staats- und Regierungschefs bzw. der Mehrheit ihrer Finanzminister, soll die WWU – wie es der Vertrag über die Europäische Union (Maastricht-Vertrag) vorsieht – am 1. Jänner 1999 endgültig in Kraft treten (siehe EU-Fahrplan). Dafür sollen innerhalb der nächsten zwei Jahre die Nettodefizite der nationalen Haushalte aller EU-Länder auf 3 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) hinuntergedrückt und die Staatsverschuldung (Bundessektor, Länder, Gemeinden) auf 60 % des BIP abgesenkt werden bzw. sich in die Nähe dieses Wertes bewegen.

Über die Gültigkeit des letzteren sogenannten „fiskalischen Konvergenzkriteriums“ für den Eintritt in die WWU, das derzeit nur von vier EU-Ländern erfüllt wird (Luxemburg, Deutschland, Frankreich und Großbritannien), ist bereits ein heftiger Streit entbrannt. Um keine WWU-Beitrittswerber mit der Tatsache vor den Kopf zu stoßen, daß sie bis 1998 – dem Jahr der Überprüfung der nationalen Haushalte durch die Europäische Kommission und das Europäische Währungsinstitut – die Aufnahmebedingungen in die WWU unmöglich erfüllen können, schwankt die Kommission in ihren Pressemeldungen zum Thema WWU mehrmals wöchentlich zwischen der Forderung nach einer „ganz ganz harten Erfüllung der Kriterien“ und dem gänzlichen Außerachtlassen des Schuldenkriteriums. Offiziell überschlagen sich die Dementis aller Beteiligten, was die Verschiebung der Währungsunion betrifft. Hinter den Kulissen wird allerdings – nicht nur in der Europäischen Kommission – längst eifrig an Szenarien für eine solche Verschiebung gearbeitet.

Denn ganz so einfach, wie man bei der Konzeption des Maastricht-Vertrages scheinbar geglaubt hat, geht die Einführung des EURO nun nicht voran, und das gleich aus mehreren Gründen. Kopfzerbrechen bereitet den WWU-BefürworterInnen nicht nur, daß derzeit nur ein einziges EU-Land alle Aufnahmebedingungen für die WWU erfüllt (siehe Konvergenzkriterien). Sollte die WWU 1999 wirklich mit einem ganz kleinen Kreis an Teilnehmerländern in Kraft treten, hätte die Bildung eines Kerneuropas wohl eine kaum zu überschätzende politische Sprengkraft. Die Erweiterung der EU um die süd-, mittel- und osteuropäischen beitrittswilligen Länder wäre um Jahre – wenn nicht ein Jahrzehnt – verschoben. Doch auch von anderen – für EU-PolitikerInnen bisher ungewohnten Seiten – tun sich ungeahnte Hürden auf: Zahlreiche renommierte ÖkonomInnen warnen seit geraumer Zeit vor einem Abwürgen des letzten Rests an Konjunktur innerhalb Europas infolge der zur Erfüllung der fiskalischen Konvergenzkriterien in allen EU-Ländern gleichzeitig durchgeführten massiven Sparprogramme. Auch die von diesen Sparprogrammen direkt Betroffenen – Arbeitslose, an der Armutsgrenze Lebende, ältere und behinderte Menschen, AlleinerzieherInnen, Frauen, Auszubildende, Familien – steigen schön langsam auf die Barrikaden – jedenfalls in Frankreich. Der Massenstreik im Dezember galt nichts anderem als dem zur Erfüllung der Maastricht-Kriterien von Premier Juppé angekündigten Sozialabbau vor allem im Sozialversicherungsbereich. „Frankreich bestreikt den EURO“ titelte damals der Kurier. Und nicht nur in Frankreich, auch in anderen Ländern häufen sich die Proteste wie zum Beispiel in Belgien, Schweden, Finnland, den Niederlanden, Griechenland und Deutschland. Umfragen zufolge sind 61 % der Deutschen gegen eine Währungsunion.

Sparen für die WWU?

Auch Österreich ist von den Plänen für eine Währungsunion massiv betroffen. Zur Erfüllung der Fiskalkriterien wären bis Ende 1997 über 300 Milliarden Schilling an Defiziteinsparung und Schuldenabbau (!) notwendig. Die neue/alte Bundesregierung einigte sich für den Bundessektor auf ein vorläufiges Sparpaket im Ausmaß von 100 Milliarden – und ignorierte dabei das von zwei EU-Finanzministerräten bekräftigte Schuldenkriterium von 60 % des BIP (Art. 104c VEU) völlig. Ja, die Budgets ’96 und ’97 bewegen sich mit diesem Sparpaket nicht einmal in Richtung dieses Ziels! Die Kriterien für die Währungsunion können damit von Österreich unmöglich erfüllt werden. Offensichtlich spekulieren Vranitzky, Klima, Schüssel und Nationalbankpräsident Liebscher mit einer „Währungsunion light“.

Aber selbst im Fall einer Aufweichung des Schuldenkriteriums bliebe das Defizitkriterium erhalten und würde als solches bereits zu sozialen Verwerfungen führen, wie nicht zuletzt das österreichische Sparpaket (das ja ausschließlich auf das Defizitkriterium ausgerichtet ist) zeigt. „Die Währungsunion kostet mindestens zwei Millionen Arbeitsplätze“, gibt der Chef des österreichischen Wirtschaftsforschungsinstitutes, Prof. Helmut Kramer, zu. Und Prof. Streissler, Ökonom an der Universität Wien, warnt vor „einer politischen Zwangssituation mit ungeheuren wirtschaftlichen Kosten, die außerdem zu einer ungeheuren Unzufriedenheit in der Bevölkerung und einer immensen Stärkung faschistischer und nationalistischer Bewegungen führen könnte“ (Die Presse, 11.11.95). Sogar dem österreichischen Gewerkschaftsbund scheint endlich zu dämmern, daß die Währungsunion ein Projekt der Unternehmerschaft und einiger PolitikerInnen mit Großmachtallüren ist, das zu Lasten von Arbeitsplätzen und sozialen Sicherungssystemen geht und darüber hinaus auch ein Problem der besonderen Art in sich birgt: Aufgrund der äußerst heterogenen Wirtschaftsstruktur innerhalb der EU, trotz des Einsatzes von Strukturfonds zur Regionalförderung, sind die EU-Länder unterschiedlich stark von wirtschaftlichen Schocks betroffen. Da in einer Währungsunion die Möglichkeit der Nationalstaaten wegfällt, Währungsabwertungen vorzunehmen, um diese Ungleichgewichte in der Wettbewerbsfähigkeit zu anderen Ländern auszugleichen (sprich: autonome Geldpolitik zu betreiben), bleiben als einziges wirtschaftliches Anpassungsinstrument die Lohn- und Sozialkosten. Ohne ein gut ausgebautes, auf dem Prinzip der Solidarität aufgebautes gesamteuropäisches Finanzausgleichssystem würde dies direkt ins Sozialdumping führen. ÖGB-Präsident Verzetnitsch, gleichzeitig Chef des Europäischen Gewerkschaftsbundes, fordert daher die Ergänzung der Währungsunion um Pläne zur Bildung einer Sozialunion sowie eine europäische Beschäftigungsoffensive. Damit lügt er sich und der Bevölkerung aber gehörig in die Tasche. Sozialgesetzgebung bedarf in der EU immer noch der Einstimmigkeit im Ministerrat. Und die ist nicht zu bekommen. Der Kampf gegen die Arbeitslosigkeit geht auf EU-Ebene also über bloße Lippenbekenntnisse nicht hinaus.

Ist die Einführung des EURO also nur um den Preis des Sozialabbaus zu haben? Die Staats- und Regierungschefs der EU versuchen der Bevölkerung weiszumachen, daß dies nicht zutrifft Im Gegenteil: Sie haben eine großangelegte Werbekampagne für den EURO gestartet und werden nicht müde zu betonen, daß eine einheitliche Währung nichts weiter als die zwangsläufige Folge des Binnenmarktes sei und nur sie Wachstum, Arbeitsplätze und sozialen Frieden garantiere. Den Beweis für diesen Zusammenhang (der angesichts steigender Arbeitslosenraten trotz Wirtschaftswachstums schon lange nicht mehr stimmt) bleiben sie jedoch ebenso schuldig wie eine Erklärung für die restriktiven Fiskalkriterien von 3 % Defizit und 60 % Staatsverschuldung. Daß diese für die Stabilität einer Währung keinesfalls notwendig sind, zeigt beispielsweise schon die gut funktionierende Währungsunion zwischen Belgien (Defizit mehr als 7 % des BIP, Staatsverschuldung 124 %) und Luxemburg. Und selbst die Europäische Kommission gibt in ihrem „Grünbuch über die Einführung einer einheitlichen Währung“ zu, daß der einzige ökonomisch meßbare Vorteil einer Währungsunion im Wegfall der Transaktionskosten für Unternehmen beim Währungsumtausch und in der Eliminierung des Wechselkursrisikos liegt, was gemeinsam ein Ausmaß von maximal 0,5 % des EU-BIP nicht übersteigt!

Zerschlagung der Sozialsysteme

Wenn es aber keine ökonomische Begründung für das Vorhandensein fiskalischer Kriterien zur Bildung einer Währungsunion gibt bzw. die Vorteile einer solchen Währungsunion überhaupt nicht klar abgesteckt werden können, kann hinter dem krampfhaften Bemühen der Staats- und Regierungschefs der EU, diese entgegen allen Warnungen und ohne Rücksicht auf Verluste durchzupeitschen, wohl nur eines stecken: der Wille zur Zerschlagung der Sozialsysteme und der Errichtung eines Kerneuropas der Hartwährungsländer.

Im Fall Frankreich ist dieser Wille eindeutig. Frankreich will Deutschland politisch einbinden, eine europäische Verteidigungspolitik und eine Währungsunion, um bei der bislang hegemonialen deutschen Geldpolitik mitreden zu können. Frankreich soll Modell für Europa werden – ein „Europa der Vaterländer“. Deshalb auch die massive Ablehnung der Forderungen nach einer Demokratisierung der Europäischen Union und einer Aufwertung des Europäischen Parlaments. Darüber hinaus wirkt seit jeher die französische Position als bestimmend für seine Nachbarn Italien, Spanien und Belgien, mit deren Unterstützung folglich gerechnet werden konnte.

Besonders Italien ist eine künftige Mitbestimmung bei der bislang allzu deflationistischen deutschen Geldpolitik, die das inflationsgewöhnte EU-Gründungsmitglied nicht verkraften konnte und deshalb aus dem Europäischen Währungssystem (EWS) aussteigen mußte, ein Hauptanliegen. Sorgen bereiten Ex-Premier Lamberto Dini lediglich die Konvergenzkriterien, die Italien nicht nur aufgrund der Fiskalkriterien, sondern auch aufgrund seiner schwachen Währung nicht erreichen kann. Er tritt vehement für eine Aufweichung der Kriterien ein und argumentiert mit der politischen Sprengkraft, sollte ein EG-Gründungsmitglied wie Italien nicht in den ersten Kreis der Währungsunionsteilnehmer aufgenommen werden. Italien habe ja schließlich zehn Stimmen im Ministerrat, genauso viele wie Deutschland, Frankreich und Großbritannien.

DM oder EURO?

Ganz anders die Intentionen Deutschlands für eine Währungsunion. Die deutsche Regierung möchte gemäß einem seit Kriegsende internalisierten Instinkt das wiedervereinigte Deutschland in eine gesamteuropäische Architektur einbauen und sich gleichzeitig die führende Rolle in Osteuropa sichern, zukünftige Einflußsphären und neue Absatzmärkte erschließen. Regierung und Deutsche Bundesbank sind die treibende Kraft hinter den restriktiven Konvergenzkriterien für die Währungsunion. Dahinter steckt eine clevere Doppelstrategie. Einerseits war die Bundesbank nie ein Freund der WWU, da ein Aufgehen der D-Mark in eine europäischen Einheitswährung einen deutlichen Machtverlust der bisher autonomen Notenbanker bedeutete. Überdies fürchten sie um die Stabilität der neuen Währung. Sind doch nach Ansicht des Bundesbankpräsidenten Hans Tietmeyer niedrige Staatsdefizite und -schulden neben den Faktoren Preisstabilität und Zinsniveau eine zentrale Voraussetzung für die Stabilität einer Währung. Nach dem Motto „Wenn schon die starke D-Mark hergeben, dann wenigstens zu unseren Bedingungen“, schaltete sich die Bundesbank daher sowohl in die Diskussion über die Konvergenzkriterein ein als auch in die Debatte um das Statut der Europäischen Zentralbank, die genau nach dem Muster der Bundesbank errichtet wird. Es drängt sich der Verdacht auf, daß – wenn die WWU durch die Deutschen schon nicht formal verhindert werden kann – wenigstens versucht wird, sie durch für die meisten EU-Länder unerfüllbare Bedingungen zu Fall zu bringen. Ein Verbündeter der Bundesbank im Kampf um die Konvergenzkriterien ist dabei Finanzminister Waigel, der bereits einen Plan zur weiteren Absenkung der Defizitgrenze auf 1 % des BIP sowie strenge Sanktionen bei Defizitüberschreitungen vorgeschlagen hat. Peinlich für Deutschland ist nur, daß selbst das Musterschülerland neoklassischer Wirtschaftspolitik das Defizitkriterium 1995 weit verfehlt hat und auch 1996 kaum erreichen wird.

Trotzdem bleibt in puncto Ablehnung einer Aufweichung der Konvergenzkriterien der deutsche Kanzler Kohl eins mit seinem Freund, dem EU-Kommissionspräsidenten Santer. Wollen sie doch beide – wie auch Santers Vorgänger Delors – erleben, wie der EURO als Weltleitwährung dem US-Dollar den Rang abläuft und die Weltmacht EUropa. „Creating a new world order“ ist das erklärte Ziel der Europäischen Union (vgl. Westendorp-Bericht vom Juni 1995 zur Vorbereitung der Regierungskonferenz 1996). Aus dem Kampf der Triade um Weltmarktanteile als Sieger hervorgeht. Die beiden Herren werden (hoffentlich) enttäuscht werden. Vielleicht macht ihnen das europäische Volk noch einen gewaltigen Strich durch die Rechnung.

EU-Fahrplan

15./16. Dezember 1995 EU-Gipfel in Madrid: Festlegung des EURO-Fahrplans
29. März 1996 Beginn der Regierungskonferenz in Turin unter italienischer Ratspräsidentschaft
22./23. Juni EU-Gipfel in Florenz auf Ebene der Staats- und Regierungschefs
1. Juli 1996 Beginn der irischen Ratspräsidentschaft
1. Jänner 1997 Beginn der niederländischen Ratspräsidentschaft
1. Juni 1997 Geplantes Ende der Regierungskonferenz
1. Juli 1997 Beginn der luxemburgischen Ratspräsidentschaft
1. Jänner 1998 Beginn der britischen Ratspräsidentschaft
6 Monate nach Ende der Regierungskonferenz Aufnahme der Beitrittsverhandlungen mit Malta und Zypern und jenen mittel- und osteuropäischen Ländern, die ein positives Avis erhalten haben
Frühjahr 1998 Ratsbeschluß über die Teilnehmer an der 3. Stufe der WWU
1. Juli 1998 Beginn der österreichischen Ratspräsidentschaft
1. Jänner 1999 Beginn der deutschen Ratspräsidentschaft
Fixierung der Wechselkurse für den EURO, Teileinführung des EURO
Errichtung der Europäischen Zentralbank (EZB)
Ende 1999 Strukturfondsprogramme und EU-Finanzierungsregime laufen aus
1. Jänner 2002 Ausgabe der EURO-Noten und -Münzen
Juli 2002 EURO alleiniges gesetzliches Zahlungsmittel innerhalb der WWU

Konvergenzkriterien

Defizit 3 % des BIP (Bundessektor+Länder+Gemeinden)
Staatsverschuldung 60 % des BIP bzw. nachhaltiger Schuldenabbau in Richtung 60 %
Inflation Während des letzten Jahres vor der Prüfung nicht mehr als 1,5 % über der durchschnittlichen Inflation der drei preisstabilsten EU-Länder
Zinsniveau Durchschnittlicher langfristiger Nominalzinssatz während des letzten Jahres vor der Prüfung maximal 2 % über dem Durchschnitt der drei preisstabilsten EU-Länder
Währungsstabilität Währung während der letzten 2 Jahre vor der Prüfung nicht abgewertet und innerhalb der EWS-Bandbreite

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Erstveröffentlichung im FORVM:
Januar
1996
, Seite 4
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Monika Vana:

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