MOZ » Jahrgang 1990 » Nummer 55
Igor Schellander
Die Brandalm/Pozganica:

Ein Grenzkonflikt, dramaturgisch gesehen

Hochkultur und Volkskultur — in Kärnten bedeutet dies eine Trennung zwischen der Kultur der Volksgruppenmehrheit und der Volksgruppenminderheit. Aller, besonders auch der finanziellen Schwierigkeiten zum Trotz realisieren begeisterte LaienschauspielerInnen gemeinsam mit dem slowenischen Kulturverband auch heuer wieder eine beeindruckende Freilichtaufführung.

Szenen aus der Freilichtaufführung des Stückes von Prezihov Voranc

Die Abenddämmerung vermischt sich langsam mit dem Dunkel der anwachsenden Nacht. Die Beleuchtung erlischt, das Murmeln im Publikum verstummt. Gespannt drehen sich die Köpfe einmal nach links, dann nach rechts, dann wieder nach hinten. Die rund 500 ZuschauerInnen sind von der Bühne eingekreist. Die leicht zum Hang geneigte Waldlichtung im südkärntnerischen Unterach/Spodnje Vinare, irgendwo zwischen Klopeiner- und Turnersee gelegen, ist links und rechts von fast haushohen Leinwandkulissen umgeben, das untere Ende der Lichtung erhebt sich wieder zu einem kleinen Hügel. Das Publikum sitzt sogesehen zwischen zwei Häuserreihen, und niemand weiß genau, bei welchem Teil der 300 Meter langen hufeisenförmigen Bühnenlandschaft das Stück seinen Anfang nehmen wird.

Man hört Chorgesang, aus den Lautsprechern erklingt Kirchglockengeläute. Scheinwerfer erhellen die hinter dem Publikum ihren Anfang nehmende Dorfszene. Gut hundert Leute in ländlicher Kleidung verlassen die Kirche, gefolgt vom Pfarrer, der seine Herde ein letztes Mal lauthals zu überzeugen versucht, Kriegsanleihen zu kaufen. Die Leute murren, es gibt Gegenrufe.

Jazbina, ein slowenisches Kärntner Dorf im Mießtal/Meziska dolina, irgendwann zu Beginn des Jahres 1918. Im Tal gibt es eine kriegsbedingte Versorgungskrise, die Wirtschaft liegt brach. Das langersehnte Kriegsende bringt den Zusammenbruch der Monarchie und dem Dorf Jazbina viel Unsicherheit. Das hungernde Volk plündert die Lagerräume des kriegsprofitierenden Ladenbesitzers. Arbeiter und Keuschler im Tal organisieren sich — in der Hoffnung auf einen Ausweg aus dem herrschenden Chaos. In Ljubljana, Zagreb und Belgrad einigt man sich, ein südslawisches Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen zu errichten. Die Repräsentanten der klerikalen „Slowenischen Partei“ im Mießtal gründen nationale Volksausschüsse mit dem Ziel, die Bevölkerung für diesen neuen Staat zu gewinnen. Der teilweise „Assimilierten Arbeiterschaft“ wird kein Platz eingeräumt. Diese ist — sowohl auf Grund sozialer und ökonomischer Bedenken als auch wegen des Einflusses der deutschnational orientierten sozialdemokratischen Führung in Klagenfurt — gegen das jugoslawische Königreich und für die Republik Österreich. Die Bauern aus dem Dorf Jazbina erhoffen sich unter der neuen Herrschaft ihre Alm Pozganica (die Brandalm) wiederzuerlangen. Auf Grund umfangreicher Rechtskenntnisse hatte der Graf Thurn im Jahre 1851 das gemeinsame Nutzgebiet der Bauern zu seinem Eigentum gemacht.

Der herannahende und letztlich auch mit militärischen Mitteln ausgefochtene Grenzkonflikt, der dann später unter den Begriffen „Abwehrkampf“ und „Kärntner Volksabstimmung“ in die Geschichte einging, wurde vom Schriftsteller Prezihov Voranc aufgearbeitet. Voranc, ein Bauernsohn aus dem Mießtal, setzte mit „Porganica“ (als „Die Brandalm“ auch auf deutsch erschienen) einen sozialrealistischen Meilenstein in der slowenischen Literaturgeschichte. Als ausgezeichneter Kenner des heimischen Bauern- und Arbeiterproletariats und dessen Konflikte mit Obrigkeit, Adel, Großgrundbesitzern und Fabriksherren beschreibt er keinen von Schwarz-Weiß-Malerei durchsetzten ethnischen Konflikt, sondern ein Durcheinander von sozialen, ökonomischen und nationalen Interessen. Die Verflechtung menschlicher Schicksale lassen den von beiden Seiten glorifizierten Kampf um die unteilbare Kärntner Heimat in seiner ganzen Tragik und Sinnlosigkeit aufscheinen.

Der „Slowenische Kulturverband“ (SPZ) in Klagenfurt, einer der beiden Kulturdachverbände der Kärntner SlowenInnen, realisierte in Zusammenarbeit mit den regionalen slowenischen Kulturvereinen die Uraufführung einer dramatisierten Neufassung des sozialkritischen Romans. Peter Militarov, ein aus Slowenien stammender Regisseur und Spezialist für Freilichtaufführungen, dramatische Massenszenen und beeindrukkende Lichteffekte, führte Regie. Mit rund 120 AkteurInnen — bis auf zwei Ausnahmen alles LaienschauspielerInnen — und zwei Dutzend technischen HelferInnen wurde in der unglaublich kurzen Zeit von zwei Monaten das Stück auf die Bühne gebracht. 2.500 BesucherInnen wurden nach vier Aufführungen gezählt.

Slawische Kultur — was ist das?

Im Land der Berge, Seen und Gletscherwände wird der kulturelle Beitrag der slowenischen Volksgruppe gerne negiert. Highlights wie der Carinthische Sommer, der nach Ingeborg Bachmann benannte AutorInnenwettbewerb, die Kirchbacher Dorftage oder die Friesacher Kulturtage finden hingegen internationales Medienecho.

Historische Wunden, unaufgearbeitete Halbvergangenheit, Assimilierungspolitik wie auch (minderheiten-) politische Spannungen haben viel zu dieser Desinformation beigetragen.

Am geläufigsten sind vielen noch slowenischer Chorgesang und Folkloregruppen, doch über den prägenden Einfluß des Slawischen auf die ländliche Kultur Kärntens wird nicht viel gesprochen.

Kaum über den Kreis der SlowenInnen und interessierter Deutschsprachiger hinaus reicht hingegen das Wissen um die vielfältige und verhältnismäßig aufwendige Arbeit der slowenischen Kulturvereine, die sich besonders dem Amateurtheater widmen. Es ist selten, daß in einer der rund dreißig zweisprachigen Gemeinden nicht gerade ein Bühnenstück geprobt oder gespielt wird. Das Repertoire reicht von Klamauk bis zu anspruchsvollen Problemstücken, gespielt wird Altes und Neues, klassisch oder experimentell, und die Palette der Stücke reicht von Goldoni über Brecht bis Turrini, zeitgenössische slowenische AutorInnen natürlich miteingeschlossen.

Über mangelndes Interesse kann nicht geklagt werden, denn sogar das Klagenfurter Stadttheater hat immer ein volles Haus, wenn auf Initiative slowenischer Verbände Produktionen aus Ljubljana oder Triest gastieren.

Aufführungen wie „Pozganica“ finden derzeit in Kärnten keinen vergleichbaren Gegenpart im Kulturbetrieb der deutschsprachigen Bevölkerungsmehrheit — weder gut dotierte Kulturinitiativen noch offizielle Kulturstellen haben etwas Ähnliches auf die Beine gestellt. Warum schafft dies ausgerechnet der Dachverband der ländlichen slowenischen Kulturvereine, der über nicht mehr als drei Angestellte und ein vergleichsweise kleines Budget verfügt? Warum macht er das, wie schafft er das überhaupt?

Der Sekretär des Kulturverbandes, Janko Malle, zu dieser Frage: „Die Arbeit im Kulturbereich hat für die Minderheit eine große und identitätsfestigende Bedeutung. Deshalb brauchen wir wohl auch manifestative Formen zum Äußern unseres kollektiven Bewußtseins, und die Freilichtaufführungen mit ihren Massen an Akteuren sind ein idealer Ausgangspunkt dafür. Für uns ist diese Art von Theater auch wichtig, weil sie die noch bestehenden kreativen Reserven der Leute, der Akteure, mobilisiert und sie auch von dem sogenannten Minderheitentrauma — Reserviertheit, Beklemmung und Verschlossenheit — befreien kann. Gleichzeitig erreichen wir damit aber auch etwas anderes: Wir motivieren die Leute in bezug aufs Theater zu mehr Qualität, und wir wollen sie auch erleben lassen, daß Theater ein Weg zu stärkerer Gefühlsäußerung und Öffnung nach außen sein kann. Das große Potential, das somit frei wird, bestärkt uns in unserem Streben nach einem professionellen slowenischen Theater in Kärnten.“ Malle bedauert sehr, daß Kärntens offizielle Kulturstellen nicht die Gelegenheit ergriffen haben und diesen Produktionen zu weiteren, dem Organisator nicht möglichen Vorführungen verhalfen. Kläglich ignorant auch die Förderung durch das Land: die Produktionen der letzten Jahre wurden meist nur mit Summen zwischen 15.000 und 20.000 Schilling subventioniert. Die „Brandalm“-Produktion kostete heuer ca. 700.000 Schilling und wäre ohne anderweitige Subventionierung (Bund, Ministerium, Kulturgemeinschaft in Slowenien) gar nicht möglich gewesen. Allerdings verzeichnet Malle zumindest ein sich allmählich steigerndes Interesse der deutschsprachigen Kärntner Medien an slowenischen Theaterstücken.

Die Landschaft als Bühne der Minderheit

Seit dem Ende der 70er Jahre erhielt das Theater-Leben der SlowenInnen eine neue Dimension. Die slowenischen Kulturverbände engagierten sich für aufsehenerregende Freilichtproduktionen.

Einige wie von Natur aus geschaffenen Orte in Südkärnten waren die idealen Aufführungsorte. Manche Stücke wurden von fast 8.000 Besuchern gesehen. Die angeschnittene Thematik bei den Freilichtproduktionen war meistens verbunden mit dem Leben, den Mythen, den aktuellen Vorgängen und Problemen der zweisprachigen Region, eine Aufarbeitung von Vergangenheit und Gegenwart. 1979 war es der von Prezihov Voranc vermittelte Überlebenskampf isolierter und milieugeschädigter kleiner Bergbauern („Die Wildwüchslinge“) minderheitenpolitisch hatten die Kämtner SlowenInnen in den vorangegangenen Jahren ihre Probleme erstmals österreichweit publik gemacht; trotzdem eine breite Solidaritätsbewegung entstanden war, wurde die Bewegung vom Dreiparteienpakt gegen die Minderheit niedergewalzt. 1986 war es eine in der Freilichtarena inszenierte Replik auf die historischen Bauernaufstände („Der große Aufstand“) — zur selben Zeit wurde in der politischen Arena um die gemeinsame zweisprachige Schule in Kärnten gerungen. Ein Jahr darauf — die kommende Schulapartheid zeichnete sich unabwendbar ab war es eine alte slowenische Herz-Schmerz-Legende um eine in den Türkenkriegen verschleppte und durch Verkettung glücklicher Umstände wieder heimgekehrte Slowenentochter, die in einer kritischen Fassung am historischen Schauplatz inszeniert wurde. 1989 wurde eine — zwar nicht im Freien, dafür aber mit eben solchem Aufwand realisierte — selbstkritische Retrospektive auf den Anschluß 1938 und die seither unaufhaltsame Politik der Entrechtung und Germanisierung einerseits, aber auch auf den sich fortsetzenden politischen Opportunismus der slowenischen Führung andererseits auf der Bühne gezeigt. Dieses Stück wird übrigens am 7. und 8. Oktober erstmals in Wien (Theater Akzent) zu sehen sein (am 9. Oktober auch an der Klagenfurter Universität).

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Erstveröffentlichung im FORVM:
September
1990
, Seite 50
Autor/inn/en:

Igor Schellander: Freier Journalist, studierte Publizistik und Slawistik in Wien, war von 1983 bis 1985 Sekratär des Klubs slowenischer Studentinnen und Studenten, lebt in Wien und St. Jakob/Sentjakob (Kärnten).

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