1. Akt: „Die Blutorgel“
Josef Dvořák: Jajaja. Wobei natürlich das Blutorgel-Manifest …
Technisch war das der Frohner, der das bei der Urania hat drucken lassen. Er hat da irgendwelche Verbindungen gehabt mit der Urania Druckerei, und die haben das gedruckt, unter Aufsicht von ihm.
„Blutorgel“, das ist natürlich a b’soffene G’schicht.
Die Blutorgel is eigentlich a Blutorgie, net …
Genau! Mir san bei der „Einmauerung“, da waren wir ja nicht eingemauert, sondern mir san im Beisel gegenüber saufen gangan, und da warma schon alle b’soffen und der Nitsch hat immer von der Blutorgie geschwärmt. Und der Mühl war schon so bsoffen, dass er das nicht mehr aussprechen konnte, und so hat er das „l“, das Lallen, so hat er immer „Orgel“ g’macht, aus der Blutorgie eine Blutorgel, ohne Absicht, net, das ist ihm passiert. Und aus diesem hat er dann so eine G’schicht g’macht, als ob das ein großer Einfall g’wesen wär von ihm, dabei war das ein Lapsus, Hahaha, und mir haben alle g’lacht drüber, net und so also.
Das habe ich, also die Redaktion war von mir. Ich hab’ die Beiträge vom Mühl…
Vom Manifest. Die erste Publikation der „Blutorgel“ war das Manifest, das z’sammpickte. Die Texte hab’ ich gesammelt, den Mühl was schreiben lassen usw, der Nitsch hat ja eine längere Geschichte geschrieben, und ich hab mir damals die Freiheit genommen, einzugreifen in den Text. Der Text vom Mühl war eh so schlecht, Hahaha …
Ja. Der Text vom Frohner war so in einem akademischen Stil verfasst, und das ist mir auf’d Nerven ganga. Urspünglich hat der Text geheißen „Meine Kunstauffassung“, Ha haháha. Das hat mir die Haare gesträubt…
Ja. Ich hab das total verfremdet, so dass es von diesem Text zwei Versionen gibt. Der Frohner hat zwar zugestimmt, der Verböserung seines Textes, hat aber den Originaltext selbst noch anderswo veröffentlicht, so dass es davon zwei Versionen gibt.
Ja, ja eh hahaha. Dann hab ja ich auch geschrieben unter dem Pseudonym „Fritz Graf“. Du wirst einen längeren Abschnitt mit „Fritz Graf“ finden, und von mir mit meinem bürgerlichen Namen ist „Der Schrei“, der Schrei in der Kunst. Zu dem habe ich mich sozusagen bekannt und das andere war pseudonym, war aber, quantitativ hat es überwogen. Diese Fritz Graf-Geschichte – Graf war der Mädchenname meiner Mutter, und Fritz ist mein zweiter Vorname. Diesen Text, naja, nehme ich ernst und auch nicht. Es kommen einige Sachen drinnen vor, schwer auseinanderzuklauben, was im Ernst … Das ist also das Manifest, das dann seither herumgeistert und von dem die Wenigsten wissen, dass quantitativ der größte Teil von mir ist.
Ja.
Du meinst die Zeitschrift.
Naja da san ja net viel erschienen.
Die ich herausgegeben hab, ja. Da waren so politische Sachen…
Aha.
Nein.
Naa, also mir ist der Inhalt dieser Artikel nicht mehr so präsent, so dass ich nicht sagen kann, ob ich noch dazu stehe. Eher nicht, haha, eher nicht.
Na ja, zum „Schrei der Kunst“ – aber das ist alles so … das ist nicht mehr mein heutiger Stil. Heute würd’ ich zu manchem stehen, was ich im FORVM geschrieben habe. Da habe ich [z.B.] einen Artikel über Psychoanalyse [1] geschrieben, wie ich’s heute noch schreiben würde, mit einer Ausnahme: ich hab damals aus Barmherzigkeit Hahahha hab ich damals die Wiener Freudianer ein bissel verteidigen wollen. Das war damals die Geschichte mit dem Stein im Rathauspark mit dem angeblich falschen Freud-Zitat, das aber nicht falsch ist, das war ein Streit …
Ja, ja. Dabei das stimmt schon. Es gab einen internationalen Streit, ob man das verwenden kann, die Vernunft, und die Wiener Analytiker haben eine Zeitlang darauf beharrt, und aus Barmherzigkeit hab’ ich sie da verteidigt. Aber inzwischen ist es ja geändert worden auf den angeblich korrekten Text. Da hab ich einen Überblick gegeben über die analytische Theorie, so wie ich’s heute noch schreiben würde.
Das ist ein ganz kurzer Text.
2. Akt: Wie alles anfing
Die Entstehung des Wiener Aktionismus ist ja sehr merkwürdig gewesen, aus dem Kuchling-Kreis, Du weißt ja ….
Aso. Das Ganze geht auf den Kuchling-Kreis zurück. Der [Heimo] Kuchling [gest. 23.9.2013 im 96. Lebensjahr] war Assistent von Wotruba, hat an der Akademie für bildenden Künste am Schillerplatz Vorlesungen gehalten und hatte einen Kreis um sich gebildet, weil er von einem Besuch in Frankreich, in Paris, Material über ungegenständliche Malerei gebracht hat. Das hat’s damals in Wien nicht gegeben. Das war sehr nett von ihm, dass er diese Informationen alle aus Paris gebracht hat, diese Variationen des Tachismus bis hin zu solchen mit aktionistischen Elementen – wenn einer mit dem Motorrad ins Bild reingefahren ist usw. Das hat’s in Wien alles nicht gegeben, mit ihm begann’s. Und er hat Fotografien mitgebracht davon, aber alle schwarz/weiß Hahahaha, und so hat man in Wien diese moderne Malerei nur in Schwarz/Weiß gekannt.
Jajajaja hahahha. Aber er hat eben einen Anhängerkreis gehabt in der Akademie, alle, die Interesse daran hatten, haben sich als außerordentliche Hörer inskribiert. In dieser Gruppe rund um den Kuchling waren alle, also alle späteren Aktionisten. Diese Gruppe hat sich dann gespalten hat in diejenigen, denen es nicht gefallen hat, dass da nix g’schiecht, der Mühl z. B., und die andere Gruppe mit dem Peter Pichl, [2] das war die andere Richtung, die beim Kuchling geblieben ist. Diese zwei Gruppen des gespaltenen Kuchling-Kreises haben einander irgendwie bekriegt. Hähähä. Aber der Kuchling hat mich immer wieder zum Fischessen eingeladen …
Nein, mich. Wir haben dann diskutiert, aber wir waren nicht spinnefeind, sondern haben nur andere Ansichten gehabt. Der Kuchling hat gesagt, das mit dem Aktionismus ist ein Blödsinn, das geht alles in die falsche Richtung, ins Unkünstlerische, womit er ja irgendwie Recht hatte …
Ja. Und während die …
Naja, der Nitsch ist insofern ein Sonderfall, als er diesen Aktionismus, den der Mühl dann – den hab’ ich ja nicht akzeptiert, sondern ich hab an eigenen g’habt, der ganz anders ausgeschaut hat. Das Ganze hat sich verbrämt mit Psychoanalyse, im Gegensatz zu den verbliebenen Anhängern vom Kuchling …
Die wollten Künstler sein, haben weiter ihre Kunstwerke gemacht …
Also der Nitsch und der Mühl haben bei mir Analyse gemacht, sog. Lehranalyse. Die Analyse vom Mühl war eine eigenartige Geschichte: bei einem Kinderheim von geflohenen Ungarn als Zeichenonkel angestellt. Das Ganze wurde therapeutisch gesehen, war freudianisch inspiriert, und man hat verlangt, dass Mühl psychoanalytisch ausgebildet ist, und zwar genau zu diesem Zweck ausgebildet wird. Das hab’ ich gemacht, das wurde mir übertragen.
Ja, ich war in der Gesellschaft und es haben sich etliche dafür ausgesprochen, dass ich das mach’. So hab’ ich also den Mühl in eine Therapie genommen, eben genau zu diesem Zweck, dass er als Zeichenonkel bei den Kindern therapeutisch intervenieren kann. Auf das hin hab’ ich ihn ausgebildet. Er hat das weit überschritten, vor allem die Grundregeln nicht beachtet. Was ich ihm von Anfang an vorgeworfen hab’: dass er die Abstinenzregel nicht …
Ja.
Ja. Es war das Merkwürdige – es ist für mich ein bissel schwer, das zu erzählen, weil das ja unter die Schweigepflicht fällt.
Naja, da kann man sich streiten.
Jaja … ja. Naja, die Analyse des Mühl bei mir hat sich auch um ein Symptom gedreht, nämlich dass er pädophil war, schon sehr früh, mit ganz junge Madeln.
Naa, mit Madeln.
Er hat behauptet, diese jungen Madeln in diesen Flüchtlingsheimen, die er betreut hat, die waren, wie man so sagt, verwahrlost – und er hat behauptet, sie haben sich ihm immer aufgedrängt und er konnte nicht zurück …
… der Arme. Und es war eines dieser Probleme, von dem ich ihn hätte befreien sollen. Was mir nicht gelungen ist, sondern er hat das ausgebaut.
Naja, es war ihm unangenehm, weil er …
Ja. Und deswegen wollte er sich mit Hilfe der Freudschen Methode, die ich ja ausgeübt hab’, befreien, und das ist ja aber net so afoch. Wir haben reine verbale Analyse gemacht und das hat halt bei ihm nix g’nutzt. Er hat dann gefunden, so schlecht isses ja net, Haha, und hat das dann zu einem Grundpfeiler seiner analytischen Methode gemacht.
Ja. Ja.
Die Schwester kommt herein und ich verlasse das Zimmer für die Dauer ihrer Pflegeleistung. Dann:
Wo waren wir?
Von der sogenannten Lehranalyse, ja, die natürlich nur partiell war, eigentlich.
genau
Ja, ja. Das Lustige, dass er mich dann später, bis zuletzt, immer wieder angegriffen hat und einen psychoanalytischen Standpunkt dabei einnehmen wollte – er hat „das ja alles gelernt“ – hat man ihn gefragt: Wo denn? – Na, beim Dvorak. Hahaha … Naja, das ist sehr lustig, aber bitte. Ich muß dazusagen: Es war damals in Wien ein Klima, an allen Ecken und Enden sind Gruppen aufgetaucht für freie Sexualität. Die meisten wollten bei mir eine Analyse machen, und zwar Gruppentherapie, und ich habe für viele eine Art Gruppentherapie gemacht, -beratung, Beratung gemacht. I weiß nicht ob’s g’nutzt hat oder net. Im strengen Sinn war es keine Analyse.
Beim Nitsch war es so, dass der Nitsch bei mir Analyse machen wollte, aber unter seinen Bedingungen. Er hat gesagt, er würde gern analytische Gespräche führen oder dass ich mit ihm analytische Gespräche führe, aber ihm die Garantie gebe, dass sein Kernanliegen nicht beschädigt wird, die Orgie, das Orgien-Mysterien …
Genau diese Geschichte hielt er für so zentral, dass er sich verbeten hat, das analytisch anzugehen. So haben wir analytische Gespräche geführt, unter Ausschluss seines eigentlichen Anliegens. Das habe ich akzeptiert. Er hat Angst gehabt, dass er seine Kreativität verliert. Hahaha.
Zugabe: Kellerg’schichten
Der Perinetkeller war das Lokal, das Parteilokal der Trotzkisten. Das war die Österreichische Sektion der 4. Internationale.
Ja, das war ihre Zentrale.
Das war … ja, die san alle scho tot …
Beides. Es wurde an Hand dieses Lokals ein Teil des Streits ausgetragen. Die ursprünglichen Mieter gehörten zur Pawlow-Gruppe, also zu den italienischen, und die hatten junge Leute aufgenommen, die sich aber auf die Seite des Mandel geschlagen haben, so war innerhalb der Organisation schon wieder eine Spaltung da. Mich haben beide Richtungen akzeptiert, das war das Lustige. Die Hauptrichtung, die wollte eine Vereinigung der Linken, die eine zeitlang geklappt hätte, weil sie einen Teil der Volksstimme-Mitarbeiter mitgenommen hätten. Das ist eine sehr komplizierte Geschichte …
Es war mein Lokal, weil ich dann der Chef von allen war.
Ja.
Mietvertrag, das war nur ein Mietvertrag. Inzwischen haben sie’s aber auch dem Mühl angeboten gehabt, der wollte daraus einen Ausstellungsraum für seine Sachen machen. Daraus wurde dann nichts. Ich hab das Ganze in die Hand gekriegt und meine Gruppe, also die jungen Trotzkisten, haben das dann in meinem Namen weiter benützt … ja, und ich hab’ sie dann dazu überredet, eine Kunstgalerie daraus zu machen, wobei ich aber der Mieter war. So hat das ausg’schaut.
Das war ja i, haha, das war alles i.
Na, die hab’ i dann aufgelöst. Weil am Schluss waren nur so kleine verstreute Gruppen verschiedener trotzkistischer Richtungen, die alle mich akzeptiert haben …
Ja, genau. Und i war dann der Chef am Schluss, nachdem i a einen ausgeschlossen hatte, der mir nachher immer noch freundlich gesinnt war, merkwürdiger Weise, mir immer noch Informationen gebracht hat, obwohl er schon längst ausgeschlossen war. Ich war da der Parteiführer einer Gruppe von vier Mandeln, davon eine Frau, Aha ha ha ha. Da hat’s dann irgendwelche Streitereien gegeben innerhalb dieser Gruppe, das ist mir dann schon so auf die Nerven gegangen, dass ich das Ganze aufgelöst hab’. So hab’ ich einen Sitzungsbeschluss gemacht, der Selbstauflösung. Haha. So konnte ich mir dann zuschreiben, dass ich derjenige war, der die letzte österreichische Bastion des Trotzkismus, noch von Leo Trotzki selbst begründet, nachweislich, weil die Briefe vom Trotzki, mit denen er die österreichische Sektion gegründet hat, die hab’ i.
Im Original.
[1] Josef Dvořák, Die leise Stimme der Vernunft. Der Kulturprozess bei S. Freud und C.G.Jung, FORVM 387-394, 30. September 1986, S. 23-28. – Der Artikel fehlt im Registerband des Reprints, ebenso im Index des FORVM-Readers, den Nenning 1998 bei Amalthea widerrechtlich herausgegeben hat; desgleichen fehlt in beidem: J.D., Ein Gnadenbild aus Leder (über Maria Roggendorf und den Wiener Kardinal Erzbischof Groer), ebenda S. 17 f. -G.O.
[2] 1934-2010, Zeichenprofessor und Freund der „Streifzüge“
Mit zwei Ausnahmen, siehe den Vorspann - gilt das gesprochene Wort, siehe das Video.